Rainer Bonhorst / 06.04.2021 / 16:30 / Foto: Imago / 86 / Seite ausdrucken

Der Brückenlockdown als semantischer Höhepunkt

Das Virus wirkt sich nicht nur auf den Zustand des Menschen aus, sondern auch auf den Zustand der Sprache. Ehe ich auf mein heutiges Hauptthema, den neu entwickelten „Brücken-Lockdown“ komme, hier erst einmal – zur Erinnerung – eine kleine Entstehungsgeschichte der Lockdown-Kreationen. Ihr gemeinsamer Zweck: Verzierung, Verniedlichung, kunstvolle Verhüllung.

Der Lockdown in seiner einfachen Form ist die zentrale Kreation. Er gibt vor, schlicht und ungekünstelt zu sein, vermeidet aber kunstvoll das unangenehm deutliche Wort „Verbot“, ob als Ein- und Verkaufsverbot, als Arbeitsverbot, Begegnungsverbot oder Ausgehverbot. Diese potenzielle deutsche Überdeutlichkeit wird englisch umschifft und zugleich internationalisiert. Der Lockdown sagt: Schaut her, die Verbotsorgie findet nicht nur bei uns statt, sie ist ein weltweites Phänomen, sozusagen ein Stück moderner Globalisierung. Wir sitzen alle im gleichen Lockdown-Boot.

Aus dem Ursprungs-Lockdown hat sich der Lockdown light entwickelt, der zwischendurch mal zum Atemholen eingeräumt wird. Er ist dem Teil-Lockdown vorzuziehen, weil die Doppeldeutigkeit des Wortes „light“ den zusätzlichen Charme hat, ein Licht aufscheinen zu lassen, im Zweifel ein Licht am Ende des Tunnels. Interessanterweise gibt es keinen Lockdown heavy. Warum nicht? Weil er selbst in der englischen Verkleidung die Schwere der allgemeinen Ratlosigkeit und Verbotsfreude durchschimmern ließe.

Bundes-Lockdown suggeriert preußische Ordnung

Was die Politiker sprachlich vermeiden, riskieren die Virologen, die in unverkleidetem Deutsch gelegentlich einen harten Lockdown empfehlen. Ein weicher Lockdown geht ihnen nicht über die Lippen. Weich klingt einfach – nun ja – zu weich. Da hat die englische Variante der Politik, der Lockdown light, einen feineren Klang.

Im Zentrum des Lockdown-Geschehens befindet sich, eingeschlossen auf der Insel Berlin, Angela Merkel. Um als Herrin der Lage zu erscheinen, dringt die Bundeskanzlerin – natürlich – auf einen Bundes-Lockdown. So ein Bundes-Lockdown suggeriert preußische Ordnung und Kontrolle, wo beides nicht herrscht und auch nicht erstrebenswert ist. Als Gegenstück zum Bundes-Lockdown gehört noch der Lockdown-Rebell Boris Palmer ins Bild. Der grüne Tübinger Oberbürgermeister hat sich mit seinem liberalen Sonderweg auch unter grünen Lockdown-Freunden den Ruf eines Lockdown-Weicheis eingebrockt. Eine große grünschwarzrote Lockdown-Koalition versucht mit allen Mitteln, ihn hart zu kochen.

Ob Bundes-Lockdown, ob Tübinger Freiheit: Das Lockdown-Geschehen hängt eng mit dem Impfgeschehen zusammen. Auch auf diesem Gebiet ist eine interessante Sprachentwicklung festzustellen. So drückt Armin Laschet in beeindruckend optimistischem Ton die Hoffnung aus, dass in naher Zukunft bereits 20 Prozent der Deutschen geimpft sein dürften. Im klassischen Sprachgebrauch sind 20 Prozent keine sehr eindrucksvolle Größe. Auch im Vergleich mit anderen hochprozentigen Ländern sind unsere angestrebten zwanzig sehr bescheiden. 

Im Impf-Wettbewerb sind wir Brasilien

Aber die politische Sprachgärtnerei sorgt für eine deutlich verschönerte Perspektive, fast so, als hätte Brasilien seinerzeit (2014) nach der Eins-zu-sieben-Niederlage gegen Deutschland einen relativen Erfolg bejubelt anstatt realistische Tränen zu vergießen. Im Impf-Wettbewerb sind wir heute das Brasilien von damals. Nur weinen wir nicht wie damals die Brasilianer. Uns wird die Pleite schöngeredet.

Sprachliche Unverblümtheit ist in der Politik nie erwünscht, im Lockdown schon gar nicht. Man hat es lieber hübscher. Das aktuellste Beispiel dafür ist der eingangs versprochene, von Armin Laschet erfundene Brücken-Lockdown.

Eine Brücke ist von Hause aus etwas Wunderbares. Sie verbindet über tosende Gewässer oder klaffende Täler hinweg. Sie führt zusammen, was eigentlich getrennt ist. Ein Brücken-Lockdown kann also nur etwas Schönes sein. Handelt es sich um eine Brücke, die den tosenden Lockdown-Abgrund überbrückt und hinüber in bessere Zeiten führt? 

Wie lange halten diese sprachlichen Eselsbrücken?

Naja. Laschets Brücken-Lockdown ist unausgesprochen, aber in Wahrheit ein Lockdown heavy, ja sogar extra heavy. Er wird scheinbar erträglich gemacht mit der Aussicht auf ein Licht am Ende des Tunnels. Gemeint ist also eigentlich ein Tunnel, durch den wir nochmal hindurchgehen sollen, mit ungewissem Lichtblick am Ende.

Also ein Tunnel-Lockdown? Das wäre der korrektere Begriff, aber für die aufpolierte politische Sprache kommt so ein dunkler Tunnel nicht in Frage. Er wirkt und ist einfach zu düster. Richtig gerne geht man da nicht durch. Höchstens schnell mal mit dem Auto auf dem Weg nach Italien. Da hat die unter freiem Himmel elegant schwebende Brücke doch eine ganz andere Ausstrahlung. So eine Lockdown-Brücke vermittelt den Eindruck von Leichtigkeit, auch wenn sie heavy ist. Wir betreten sie frohen Herzens und spüren erst zu spät, dass uns damit wieder etwas Schweres aufgebrummt wird.

Die Frage ist: Wie lange halten diese sprachlichen Eselsbrücken? Erste Wahlen und Umfragen deuten an, dass sie einsturzgefährdet sind. Die normative Kraft des Faktischen bringt sie ins Wanken. Wenn bei der Bundestagswahl im September die ganz schweren Gewichte aufgefahren werden, werden wir sehen, ob die Lockdown-Brücke und die anderen Sprachkreationen halten, was sie versprechen sollen.

Foto: Imgo

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Leserpost

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Rudhart M.H. / 06.04.2021

Brücken-Lock-down ? Gemacht von Polit-Clowns ? Was soll das? Ich bin für General-Lock-down ! Gemacht vom Wähler ! Früher nannte man das einen GENERALSTREIK ! Und zwar bis zum Rücktritt der Regierung ! Auflösung des Bundestages und SOFORTIGE NEUWAHLEN!

Thomas Koch / 06.04.2021

Über Sieben Lockdowns musst du geh’n Sieben harte Shutdowns übersteh’n Sieben mal wird’s Mutti’s Rache sein Michel wird es ihr stets gerne verzeih’n

W. Pfaller / 06.04.2021

Lockdown, Knockdown, Mission: Impfpossible, Vir(en) schaffen das, wollt ihr den totalen Lockdown. “Und er machte weiter, noch ein wenig verwirrt, aber ohne Zögern - mit der Sicherheit dessen, für den andere denken” (Nach Herbert W. Franke)

Peter Thomas / 06.04.2021

Zuerst war der “flatten-the-curve-lockdown”, mit den landesweiten Schulschließungen unerhört neu in der Nachkriegsgeschichte - halt, in der Schulgeschichte hierzulande überhaupt (?). Der ging über in Maskenzwang und “AHA”-Verarsche (2020 - Sommer ohne Schwimmbad). Es folgte ein Schuljahresbeginn mit Maskenzwang für Schulkinder, dann kam der “Wellenbrecher-lockdown” im November (“zwei bis drei Wochen Zähne zusammenbeißen”), der bis heute anhält. Weil aber sechs Monate Wellenbrechen nichts gebrochen haben, fordern die Potentaten nun den potenzierten lockdown ein, genannt “harter l.” (Söderwitz) oder “Todesl.” (Grökatzwitz) oder “Brückenl.” (Lascherwitz). Brückenlockdown meint natürlich den lockdown vom vorhergehenden l. zum folgenden l. Insofern ist der “Brückenlockdown” die originellste Kreation, weil er den geplanten immerwährenden l. in einen zeitlich begrenzten umlügt: Hätten nicht auch die DDR-Bürger nach Errichtung des weltweiten Kommunismus die “volle Reisefreiheit” erhalten? // PS: “Sobald das letzte Virus gekillt ist, steht der unbeschränkten Geltung der Grundrechte nichts mehr im Wege!” isch schwör!

Hans Ludwig Jacoby / 06.04.2021

Sowas nennt man “slogan-framing”. Die US-Amerikaner können sowas wesentlich besser. Ausserdem sollte der Slogan beim erstenmal sitzen. Zu viele Slogans verderben den Geist und werden letztendlich wirkungslos.

Michael Schweitzer / 06.04.2021

Herr Bonhorst,bin mir sicher ,daß der Laschetbridgelockdown bis zum Ende des Jahrzehnts hält,wird aber zu einem bankrupt führen.Vorher werden aber noch die Brücken über dem Rhein in stupidbridge umgenannt.

Sylvia Hegewald / 06.04.2021

“Wenn bei der Bundestagswahl im September die ganz schweren Gewichte aufgefahren werden, werden wir sehen, ob die Lockdown-Brücke und die anderen Sprachkreationen halten, was sie versprechen sollen.” Wer glaubt denn noch an eine Bundestagswahl im September? Wo unsere lieben Politiker gar keine Wahlkampftermine wahrnehmen können? Das Ganze wird vermutlich verschoben, und Mutti bleibt weiter im Sitz kleben. Es ist so unendlich traurig, was aus unserem Land wird.

S.Müller-Marek / 06.04.2021

Wie wäre es mit never-ending-lockdown oder forever-lockdown? Ach nee, geht gar nicht, ist zu negativ. Jede noch so bescheuerte Kreation TÄUSCHT nicht über den illegalen Entzug unserer GRUNDRECHTE hinweg! Diese ganzen Politikermonster sollen sich ihren lockdown dahin schieben, wo nie die Sonne scheint!!!!!

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