Rainer Bonhorst / 14.01.2019 / 16:00 / Foto: Eluveitie / 12 / Seite ausdrucken

Der Brexit als Muppet Show

Eine Woche ist eine lange Zeit in der Politik. Oder eine kurze. In einer Woche kann viel geschehen, auch wenn man seine Ruhe haben möchte. Oder gar nichts, auch wenn man sich dringend wünscht, dass etwas geschieht. Theresa May dürfte sich in den kommenden acht Tagen dringend etwas wünschen: ein Wunder. Das Wunder, dass sie am 21. Januar im Unterhaus eine Mehrheit für das Brexit-Abkommen findet, das sie mit Brüssel ausgehandelt hat. Aber es will einfach nichts geschehen. Sie hat keine Mehrheit und kriegt wohl auch keine. Bleierne Zeit.

Oder wäre es ihr lieber, wenn nichts geschähe und sie die Abstimmung einfach nochmal nach hinten verschieben könnte? Da haben ihr die Abgeordneten einen Riegel vorgeschoben. Und diese Mehrheit steht. Sollte Theresa May in einer Woche die Stunde der Wahrheit verweigern, läuten die Abgeordneten selber diese Stunde ein und damit zugleich Theresa Mays letztes Stündchen als Premierministerin.

Vielleicht freut sie sich ja schon darauf. Endlich kann sie den Kram hinschmeißen und wie Friedrich August sagen: Macht euren Dreck alleene. Endlich frei, ohne ihr Gesicht zu verlieren und wie ein Krisenflüchtling auszusehen. Schließlich hat sie lange genug durchgehalten. Eineinhalb grausige Jahre. Ihre ganze Zeit in 10 Downing Street war eine einzige Brexit-Krisensitzung. Das muss ihr ein Strohfeuer-Politiker wie Boris Johnson erst einmal nachmachen. Oder ein Labour-Linker wie Jeremy Corbyn, der Mrs. May vor ihren eigenen Torys retten könnte, aber nicht will. Warum will er nicht? Weil er ein wilder Brexit-Fanatiker ist? Nö. Weil er selber in Downing Street einziehen möchte, mit oder ohne Brexit. Ein sehr englisches, frivoles Spiel.

Englisch abgedrehter geht es kaum

Die verbeamteten Brüsseler schütteln natürlich den Kopf, wenn sie das Chaos jenseits des Kanals sehen. Dabei gab es schon vor dem Brexit-Drama diesen Zusammenstoß der Kulturen. Kontinentales Ordnungsdenken trifft auf insulares Durchwurschteln. Gesamtkonzept stößt auf „we cross this bridge when we get there“. Stromlinienform gegen Hang zum Exzentrischen. Briefmarkensammler und An-der-Ampel-Stehenbleiber-auch-wenn-kein-Auto-kommt gegen trainspottersplanespotters und lighthouse baggers.

Lighthouse baggers? Na klar: Das sind Leute, die Leuchttürme sammeln. Nicht zum Mitnehmen sondern einfach nur hinfahren, angucken und abhaken. Englisch abgedrehter geht es kaum noch. Prinzessin Anne – um ein königliches Beispiel zu nennen – gilt als eine führende Leuchtturm-Sammlerin. Achtzig Stück soll sie schon gebaggt, also im Sack haben. Congratulations. Angela Merkel oder Elke Büdenbender kann man sich nicht als Leuchtturm-Sammlerinnen vorstellen. Und, zugegeben, wir haben weniger Küsten für so ein Hobby.

Wie bin ich auf die Leuchttürme gekommen? Ach ja, über den Brexit und den damit verbundenen clash of cultures. Treibt also auseinander, was nicht zusammengehört? So sieht es wohl aus. Aber es ist eine Schande. Die Kontinental-EU wird ohne die Prise Exzentrik und Freiheitsverrücktheit von der Insel ärmer und langweiliger sein. Und den Insulanern, mit ihrer Neigung zu frivolem Unernst, kann gelegentlich etwas Trockenluft vom Kontinent nicht schaden.

Vernunft als Minderheitsprogramm

Aber täuschen wir uns nicht: Die Briten haben auch ohne preußische Disziplin eines der tüchtigsten Länder der Welt geschaffen, das wir nun verlieren werden. Sogar ein Weltreich haben sie gebaut, von dem einige Brexit-Fanatiker noch träumen. Kreativität ist bekanntlich genauso wichtig wie Pingeligkeit. Und zu den preußischen Tugenden sage ich nur eines: Flughafen Berlin. 

Tja, der Abschied rückt näher. Theresa May hat ihr Bestes versucht, diesen Abschied halbwegs vernünftig zu gestalten. Leider ist ihre Vernunft zur Zeit ein Minderheitsprogramm. Ihr Parteifeind Boris Johnson, ein hochbegabter Hallodri, würde es gerne mal mit Vernunftverzicht versuchen. Vielleicht gelingt es ihm ja. Dann kriegen wir neben Putin und Trump noch ein Johnson-Problem. Alles nur wegen dieser verkorksten Volksabstimmung vor knapp zwei Jahren. 

David Cameron, der seinen Landsleuten und uns Kontinental-Europäern den Schlamassel eingebrockt hat, ist derweil als Politik-Rentner abgetaucht. Ob er demnächst Theresa May auf der Rentner-Bank im Hyde Park trifft? Sie wären ein schönes Paar. Wie Statler und Waldorf könnten sie dann amüsiert beobachten, was die, die noch auf der Bühne stehen, so alles treiben. Der Brexit als Muppet Show – das wäre ein würdiger Ausgang. Schließlich hat der Brexit auch als politische Muppet Show begonnen – mit Boris Johnson als Ernie und David Cameron als Bert.

Nachtrag

Eine Woche ist in der Politik manchmal nur ein Tag. Die Brexit-Abstimmung, die ich für den 21. Januar angekündigt habe, ist am 15. Januar schon in vollem Gange. Das Schicksal ereilt die Briten und uns Kontinentaleuropäer schneller als mir lieb ist. Im Prinzip aber bleibt es dabei: Der Brexit wird immer mehr zur Muppet Show. Darum: Demnächst mehr zu diesem Theater.

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Thomas Bonin / 14.01.2019

Wie immer, ein launig-amüsant verfasster Artikel von Herrn Bonhorst (ein unverkennbar gebliebener Freund spezifisch britischer Eigen- und Schrägheiten) über ein wichtiges Thema. Dennoch: “David Cameron, der seinen Landsleuten und uns Kontinental-Europäern den Schlamassel eingebrockt hat, ... .” würde ich so nicht stehen lassen. Erinnern wir uns. Lange vor der dem “angedrohten” Abstimmungsdatum hat Cameron zig Vorschläge zu (überfällig gewesenen) Reformvorschlägen Brüssel unterbreitet. Anfänglich wurden diese sogar im Grundsatz von Merkel positiv aufgenommen, allerdings nie wirklich an die große (mediale) Glocke gehängt. Insbesondere die Mittelmeer-Anrainer, allen voran Frankreich (mit dessen unkaputtbarer Frankreich-First-Strategie) hat als vermeintlicher resp. ewig erhoffter Busenfreund Neu-Germaniens und umtriebiger Souffleur im EU-Machtgefüge regelmäßig dafür gesorgt, dass Cameron & Friends einen ordentlichen Dämpfer verpasst bekamen. Der britische Ex-PM hatte irrtümlich auf die als (angeblich) nüchtern-rational geltende deutsche Kanzlerin gesetzt und ließ sich deshalb selbst (wie später in britischen Medien zu lesen war) von der Vorstellung leiten, dass eine tatsächliche Brexit-Abstimmung obsolet wäre. Seitdem sind die Unwuchten, vor denen die Briten gewarnt hatten, innerhalb der EU sogar noch größer geworden; Fliehkräfte (Visegrad, Italien) gesellen sich hinzu, und dritte Gegenspieler (RU, USA) halten ihre Füße nicht still. Dass UK nun doch die Reißleine gezogen hat, ist also nicht primär der Schnapsidee eines Alexander Boris de Pfeffel Johnson geschuldet, sondern dem Versagen der Brüsseler Nomenklatura. Dass sich die Abgeordneten im Unterhaus fetzen (traditionell nichts Ungewöhnliches auf der Insel) ist eher die Folge der seinerzeit von Frau May durchgezogenen Neuwahl. Leider hat diese dem (politisch fast schon abgesoffenen) Altkommunisten (und passionierten Anisemiten) Corbyn obendrein noch Oberwasser beschert.

Walter Elfer / 14.01.2019

Nun, Herr Bonhorst, eine Frage zum Nachdenken: hätte Mrs. May bessere Karten gehabt, wenn die Brüsseler Bürokraten ein besseres und faireres Angebot gemacht hätten? Haben sie aber nicht. Warum wohl? (OK, sind 2 Fragen; wollen wir mal nicht über-bürokratisch sein…)

Felix Eimer / 14.01.2019

Man will den Brexit nicht wirklich. Daher diese Schmierenkomödie, seitens eines Teils der Tories. Ich verwette meinen Hubschrauber, es wird kein Brexit geben. Oder eine harte Variante. Die Briten sind durcheinander? In der Opposition wartet ein lupenreiner Kommunist darauf, die Regierung zu übernehmen. Spannend bleibt es allemal. Meine Güte, wie leicht ist es geworden, den modernen Menschen zu betrügen.

Andreas Rühl / 14.01.2019

Eine Muppetshow, bei der allerdings die Zeche von allen Arbeitnehmern in allen EU-Ländern gezahlt werden wird, eine wirtschaftspolitische Geisterbahnfahrt. In der Geschichte Groß-Britanniens kann man wunderbar sehen, dass Demokratien nicht davor schützen, das mediocre Gestalten mit mediocren Ideen und zum Teil sogar komplette Scharlatane und Verbrecher an die Macht gelangen. Groß-Britannien hatte mehrmals Glück, dass im richtigen Moment die richtigen Leute da waren - aber eben nicht immer, wie zum Beispiel im Vorfeld der amerikanischen Revolution, die letztlich durch Inkompetenz, Ignoranz und schlichte Unfähigkeit von Politikern in London mitverursacht wurde, die vor lauter Machtspielchen, Intrigen, Eitelkeiten und anderem Unfug eine falsche Entscheidung nach der anderen getroffen haben. Dass man, wenn man “das Volk” fragt, nicht gerade die beste aller Antworten erhält, dürfte zudem klar sein. Soviel zur Schwarmintelligenz. Das ganze hat durchaus witzige Züge, nur eine Muppetshow, die uns Abermilliarden kostet, kann ich nicht wirklich geniessen.

Arnim Kuhn / 14.01.2019

Lieber Herr Bonhorst, ich schätze ja Ihre Ironie, aber Sie mögen es den Briten nachsehen, dass sie die Angelegenheit des Brexit mit etwas mehr Bierernst betrachten als das so Ihre Art ist. Ich glaube nicht, dass die Freude darüber, auch weiterhin in eher unwirksamer Weise den libertären Sand im Getriebe einer im rasanten Tempo mächtiger werdenden EU-Bürokratie spielen zu dürfen, für die faktische demokratische Entmündigung durch jene auf Dauer entschädigt. Wenn ich also UK-Bürger wäre, wäre mir Ihr (auch für Sie selbst durchaus nicht existenzielles) Bedauern über die künftige Abwesenheit der lieben Briten in der EU weit weniger wichtig als die echte Souveränität meiner Nation und meine damit einhergehenden Möglichkeiten, mittels meines Wahlzettels zur effektiven Abwahl meiner Regierung beitragen zu können. Ja, es ist nur eine knappe Mehrheit der Briten, denen das wirklich wichtig zu sein scheint. Aber is halt so. Gruß, Kuhnibert

Richard DAWSON / 14.01.2019

I am beginning to think that the UK may stay in the EU by default and that the posturing ninnies in Brussels will wake up and say, Fuck me, now the buggers are still with us and will add to the difficulties with yellow vests, Di Maio/ Salvini and all countries east of Germany. Then they will say to themselves that if only we had showed a bit of imagination we could have got rid of the buggers at a reasonable price.

Marcel Seiler / 14.01.2019

Ich begrüße es, wenn die Briten zeigen, dass man auch außerhalb der EU leben kann. Es wird dann vielen als Vorbild dienen. Etwa der Schweiz. Dann vielleicht Italien. Oder gar: DEUTSCHLAND. Ich bin wirklich nicht gegen gute europäische Zusammenarbeit. Wohl aber gegen die Zusammenarbeit, die die EU gegenwärtig vorantreibt, in der die europäische Bürokratie sich zum sozialistischen Diktator aufschwingt und die reichen Länder, also Deutschland, für den entstehenden Unsinn zahlen. Die Einwanderung in die deutschen Sozialsysteme aus EU-Ländern halte ich für Diebstahl an Deutschland und damit für verwerflich.

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