Gerd Buurmann / 23.06.2023 / 06:25 / Foto: Imago / 141 / Seite ausdrucken

Der Böhmi, die Maischberger und der Nazi

Im Strafgesetzbuch von Deutschland gibt es §130 StGB, der auch als Volksverhetzungparagraph bezeichnet wird. Jan Böhmermann sollte sich den mal zu Gemüte führen. Oder erst denken und dann schießen. Aber das kann er wohl nicht.

„Sandra Maischberger lädt Nazis in ihre Talkshow ein, damit Nazis nach der Machtergreifung Sandra Maischberger auch ihre Talkshow einladen.“

Das schrieb Jan Böhmermann am Vormittag, des 21. Juni 2023 auf Twitter. In dem Satz fehlt eine Präposition, nämlich die Dativpräposition „in“ zwischen „auch“ und „ihre“. Das ist allerdings nicht das einzige, was in diesem Satz fehlt. Es fehlt auch eine konkrete Erklärung, wen der ZDF-Hofnarr denn in der letzten Folge von Maischberger als Nazi ausgemacht hat. 

Folgende Gäste waren am 21. Juni 2023 bei Sandra Maischberger zu Gast und kommen daher in Betracht, für Jan Böhmermann ein Nazi zu sein: der Journalist Giovanni di Lorenzo, die Moderatorin Pinar Atalay, der Verleger Wolfram Weimer, der Politiker Tino Chrupalla und der Politiker Christian Dürr. Mindestens eine von diesen Personen ist laut Jan Böhmermann ein Nazi. Wer ist der Nazi?

Es ist nicht das erste Mal, dass Jan Böhmermann Nazis sieht und darüber auf Twitter schreibt. Am 3. September 2017 schrieb er zum Beispiel dies auf Twitter: „Nur noch 3 Wochen, 21 Tage, bis zum ersten Mal seit Kriegsende wieder die Nazis im deutschen Parlament sitzen. Eine unverzeihliche Schande.“

Es fällt bei dieser Behauptung auf, dass er nicht erklärte, es würden Menschen ins Parlament einziehen, die so seien wie Nazis, nein, er sprach ganz konkret davon, dass „die Nazis“ in das Parlament einziehen würden. So konkret er grammatisch war, so schwammig war er semantisch, denn wieder erklärte er nicht, wen er meinte.

Zwischen 1949 und 2017 keine Nazis im Deutschen Bundestag?

Dafür erklärte Jan Böhmermann im Jahr 2017 deutlich und unmissverständlich, dass zwischen 1949 und 2017 keine Nazis im Deutschen Bundestag gesessen hätten, denn er sprach von den ersten Nazis seit Kriegsende. Das stimmt jedoch nicht!

Von 1949 bis 1960 war die Deutsche Partei (DP) an der Bundesregierung beteiligt, und viele Mitglieder der DP waren vorher Mitglieder der NSDAP gewesen, zum Beispiel Richard Langeheine und Hans-Christoph Seebohm. Letzterer war von 1949 bis 1966 Bundesminister für Verkehr. Bis 1960 war er Mitglied der DP, dann wechselte er zur CDU. Im Jahr 1941 wurde er Vorsitzender des von ihm mitgegründeten Aufsichtsrats Egerländer Bergbau AG, die als „Auffanggesellschaft“ eigens zur Übernahme „arisierten“ Eigentums gegründet wurde und sich bis zu deren Verkauf in Reichsbesitz befand. Ab 1949 erklärte er, das Grundgesetz sei den Deutschen von den Alliierten aufgezwungen worden. Er sprach zudem von einer Sozialdemokratie mit „asiatischen Wurzeln“, die nicht zum Deutschtum führen könnten.

Auch in anderen Parteien gab es ehemalige Mitglieder der NSDAP. Der bekannteste unter ihnen ist der CDU-Politiker Kurt Georg Kiesinger. Er wurde im Jahr 1966 von der CDU und der SPD zum dritten Bundeskanzler der Bundesrepublik gewählt. Im Jahr 1933 trat er der NSDAP bei und arbeitete ab 1940 als Angestellter im Auswärtigen Amt der Nazis. In dieser Funktion war er für das Reichspropagandaministerium direkt für die Beeinflussung des ausländischen Rundfunks verantwortlich. Um auf diese nationalsozialistische Vergangenheit hinzuweisen, initiierte die Journalistin Beate Klarsfeld damals eine Kampagne mit verschiedenen öffentlichen Aktionen. Am 2. April 1968 rief sie im Bonner Bundestag von der Besuchertribüne „Nazi, tritt zurück!“ Während des CDU-Parteitags in Berlin am 7. November 1968 bestieg Klarsfeld das Podium der Berliner Kongresshalle, ohrfeigte Kiesinger und rief: „Nazi, Nazi, Nazi!“

Böhmermann leugnet die Nazivergangenheit der Bundesrepublik

Indem Jan Böhmermann im Jahr 2017 behauptete, in der Zeit, wo Kiesinger Kanzler war, aber auch in den Jahren darauf, hätte es keinen Nazi im deutschen Parlament gegeben, leugnete er den Fakt, dass es sehr wohl Nazis im Parlament der Bundesrepublik gab. 

Es gab zum Beispiel Hasso Eccard von Manteuffel. Er war ein Mitglied des Deutschen Bundestages und gehörte ab 1949 erst der FDP an und später der DP. Beim Ausbruch des Zweiten Weltkrieges war er Oberstleutnant und wurde noch vor dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion Bataillonskommandeur in der 7. Panzer-Division. Am 31. Dezember 1941 wurde er mit dem Ritterkreuz des Eisernen Kreuzes ausgezeichnet. Nach Angaben des britischen Geheimdienstes nahm er 1950 Kontakte zu einer Vereinigung von Altnazis rund um den ehemaligen Gauleiter Karl Kaufmann auf, die die Bundesrepublik Deutschland unterwandern wollte.

Als die Grünen im Jahr 1983 in den Bundestag einzogen, wurde Werner Vogel über die Landesliste Nordrhein-Westfalen gewählt. In der Zeit des Nationalsozialismus war er bereits sehr früh ein aktives Mitglied der SA und wurde 1938 auch Mitglied der NSDAP, deren Mitgliedschaft er 1933 beantragt hatte. 1938 kam er als Beamter ins Berliner Reichsministerium des Inneren.

Hans Georg Schachtschabel wiederum war ein deutscher Politiker der SPD. Er gehörte von 1969 bis 1983 dem Deutschen Bundestag an. Im Jahr 1933 trat er der SA bei, 1935 der SS und 1937 der NSDAP. Der SPD-Politiker Karl August Fritz Schiller war von 1966 bis 1972 Bundesminister für Wirtschaft und von 1971 bis 1972 zusätzlich Bundesminister der Finanzen. Von 1933 bis 1938 war er Mitglied der SA. Am 1. Mai 1937 trat er in die NSDAP ein. Im Rahmen seines Studiums und seiner Lehrtätigkeit war Schiller zusätzlich Mitglied des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds, des NS-Rechtswahrerbunds und des NS-Dozentenbunds. Einer der letzten ehemaligen Mitglieder der NSDAP, der ebenfalls Mitglied des Bundestags war, war Friedrich Zimmermann, der bis 1991 für die CSU Bundesminister für Verkehr war.

Dies sind nur ein paar Beispiele der vielen, vielen (ehemaligen) Nazis, die nach 1949 im Bundestag saßen. Der erste Bundestag, dem nachweislich kein ehemaliges Mitglied der NSDAP mehr angehört, war der 14. Deutsche Bundestag, der sich durch die Bundestagswahl an 27. September 1998 konstituierte.

Volksverhetzung?

Obwohl seit 25 Jahren keine Nazis mehr im deutschen Parlament sitzen, sieht der Jan vom ZDF sie heute im deutschen Parlament und in Talkshows sitzen. Man fragt sich, ob die Nazis, die er sieht, auch Andere sehen können und wenn ja, um wen es sich bei diesen Nazis handeln soll.

Ich habe mir alle Mitglieder des aktuellen deutschen Bundestags und alle Gäste bei Maischberger vom 21. Juni 2023 angeschaut. Ich habe ein paar mehr oder weniger unappetitliche Personen gefunden, ich habe jedoch niemanden entdeckt, den ich als Nazi bezeichnen würde. Ich möchte sogar so weit gehen, dass die Behauptung, irgendeine dieser Personen sei ein Nazi, die barbarischen Taten der Nazis verharmlost und relativiert. 

Das bringt mich dann allerdings auf das Strafgesetzbuch von Deutschland, denn dort gibt es §130 StGB, der auch als Volksverhetzungparagraph bezeichnet wird. Dort heißt es unter anderem:

„Mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer eine unter der Herrschaft des Nationalsozialismus begangene Handlung der in § 6 Abs. 1 des Völkerstrafgesetzbuches bezeichneten Art in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, öffentlich oder in einer Versammlung billigt, leugnet oder verharmlost.“

Foto: Imago

Achgut.com ist auch für Sie unerlässlich?
Spenden Sie Ihre Wertschätzung hier!

Hier via Paypal spenden Hier via Direktüberweisung spenden
Leserpost

netiquette:

armin_ulrich / 23.06.2023

Kauleiter Garl Gaufmann

Nico Schmidt / 23.06.2023

Sehr geehrter Herr Buurmann, ich wußte immer, dass Frau Atalay etwas zu verbegeren hat! Den lieben Herrn Böhmermann kann man sich wirklich nur nach einer 2L Flasche Rotwein vom Discounter antun. Ansonsten könnte er gut das Fernsehprogramm in Nordkorea leiten. MfG Nico Schmidt

Hans-Joachim Gille / 23.06.2023

Herr Buurmann, natürlich zogen 1998 Nazis in den Deutschen Bundestag ein. Heute nennen sie sich Bündnis 90/Die Grünen. Die Nationalsozialisten waren weltweit die Ur-Grüne Partei per se, was Tier- & Umweltschutz angeht. Alle umweltpolitischen Organisationen sind quasi in die Stiefel der Nationalsozialisten gestiegen. Auch schrieb ich gestern bei einem Kollegen, daß Adolf Hitler bis zum heutigen Tage mit an jedem Bundeskabinetts-Tisch sitzt & mit dem Reichskonkordat die wohlverhaltenen politischen Aussagen der Kirchen (inklusive der Jüdischen Gemeinde in Deutschland) kauft. Da hat ein “Kampf gegen Rechts”, wenn man die Nazis überhaupt dort verorten will, völlig versagt. Auch unser ZDF-Hanswurst Böhmermann scheint mit der Art & Weise seines nicht mal ansatzweise lustigen Humors doch auch eher von sich auf andere zu projizieren. Auch das zentralistische ZDF hätte es im III. Reich gegeben, wenn dies einen Fortbestand erfahren hätte. Sind das nicht tatsächlich geistige Nachfolger des Bocks vom Babelsberg? Auch das weltweit vorbildliche Bundesbank-Gesetz ist ein Resultat der Nazi-Zeit. Die Schweizer & die Russen orientieren sich daran. Aber von Geld haben die heutigen Grünen Khmer im Kalkutta an der Spree eh keine Ahnung.

M.Bingel / 23.06.2023

dann muss der Jan ja in den Knast….

Rolf Mainz / 23.06.2023

Böhmermann ist DAS Paradebeispiel für den unfassbaren Auswuchs an Opportunismus, welcher das Land stetig mehr zersetzt. In überheblichster Weise zieht er seine Rolle durch, mit billigsten Mitteln den Effekt heischend. Und die Masse scheint nicht zu begreifen, wie maximal nahe er damit den “Nazis” tatsächlich ist. Wer weiss, wen er 1933 bis 1945 derart angepöbelt hätte. Sicher nicht die “Nazis”.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gerd Buurmann / 14.06.2025 / 11:00 / 1

Morgen bei Indubio: Auswandern aus Deutschland

Mehr als ein Viertel aller Menschen, die nach Deutschland eingewandert sind, denkt mittlerweile über eine Ausreise nach. 26 Prozent – das sind hochgerechnet 2,6 Millionen…/ mehr

Gerd Buurmann / 13.06.2025 / 16:32 / 10

Die Iraner, die sich über Israels Angriffe freuen

Wenn die israelischen Angriffe auf den Iran es schaffen, die normale Zivilbevölkerung weitgehend zu schonen, treffen sie unter oppositionellen und vom Regime verfolgten Iranern auf ungeahnte Sympathien.  „Unser…/ mehr

Gerd Buurmann / 07.06.2025 / 11:00 / 0

Morgen bei Indubio: Bargeld und die Freiheit

Am kommenden Sonntag geht es auf Indubio um Geld, Bargeld und die Freiheit, die eine Währung ausstrahlen kann. „Du liebst Bargeld. Aber hat Bargeld dich…/ mehr

Gerd Buurmann / 06.06.2025 / 16:00 / 13

Plötzlich darf man Juden wieder hassen

Vor wenigen Tagen wurde in den USA ein Brandanschlag auf pro-israelische Demonstranten mit acht Verletzten verübt. Plötzlich ist Judenhass wieder salonfähig und seine Bekämpfung anrüchig.…/ mehr

Gerd Buurmann / 06.06.2025 / 12:00 / 29

Musk und Trump: Bitte mehr Drama!

Es kracht gewaltig zwischen Donald Trump und Elon Musk. Trumps protektionistische Haltung zum Schutz amerikanischer Industriearbeitsplätze trifft auf Musks global orientiertes Unternehmerdenken. Endlich mal wieder…/ mehr

Gerd Buurmann / 31.05.2025 / 11:00 / 0

Morgen bei Indubio: Erinnerungen eines Skeptikers

Am kommenden Sonntag spricht Gerd Buurmann mit Wolfgang Herles über sein Leben, Deutschland, den Journalismus und was einen guten Journalisten ausmacht. Die Bundesrepublik Deutschland und…/ mehr

Gerd Buurmann / 24.05.2025 / 11:00 / 4

Vorschau Indubio: Wer ist Giorgia Meloni?

Die italienische Ministerpräsidentin galt vielen deutschen Politikern und Medienschaffenden schon vor ihrem Wahlsieg als mindestens „umstritten“. Doch ausgrenzen lässt sie sich nicht. Im Gegenteil. Sie…/ mehr

Gerd Buurmann / 21.05.2025 / 16:00 / 33

Die Demenz der Qualitätspresse

Viele sogenannte Qualitätsmedien stellen nach fünf Jahren überrascht fest, dass Joe Biden schon seit langem nicht mehr regierungsfähig war. Das zeigt, dass sie selbst längst…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com