Tobias Kaufmann / 21.02.2007 / 21:47 / 0 / Seite ausdrucken

Der blinde Fleck der Tauben

Sind der Irakkrieg und seine Befürworter schuld am Konflikt mit dem Islam? Nicht nur die „Falken“, sondern auch die „Tauben“ müssen umdenken, wenn der Westen siegen will. Eine Polemik.

Wenn in den führenden deutschen Feuilletons gerade niemand mutig das „Tabu Israelkritik“ anpackt, dann wird bestimmt ein Text gegen die „Falken“ des Irakkriegs gedruckt. Irgendjemand findet sich immer, dem man seine Haltung von 2003 an den Kopf werfen kann.

Ein Beispiel für die „Falken“-Manie hat an Rosenmontag die „Süddeutsche Zeitung“ geliefert. Gustav Seibt hat in der vier Jahre alten Irakdebatte eine „machtvolle intellektuelle Kriegssympathie“ entdeckt und vergleicht diese mit der allgemeinen Kriegsgeilheit von 1914. Im deutschen Reich war damals tatsächlich „jeder Schuss ein Russ’“ und „jeder Stoß ein Franzos’“. Mit dem richtigen Hinweis, dass das Volk 1914 Krieg wollte, 2003 aber nicht, schlägt Seibt sich seinen historischen Vergleich zwar selbst aus der Hand. Doch er hebt ihn wieder auf – lieber ein falscher Gedanke als gar keiner. Aber nur, weil einzelne kluge Menschen wie Wolf Biermann oder Hans Magnus Enzensberger unter gewissen Umständen für Krieg plädierten, werden sie auch im Nachhinein nicht „machtvoll“.

Die letzte große kriegerische Erregung erfasste Deutschland nicht 1914, sondern 1999. Damals fiel die Nato unter allgemeinem Beifall über Jugoslawien her, mit dem Ziel, Massaker an Zivilisten zu beenden. Die Ansicht, dass Menschenrechte für alle gelten, unabhängig von Territorium oder Tradition, lag dem Kriegseinsatz zugrunde. Diese Vorstellung hat 2003 auch viele derjenigen geleitet, die Krieg gegen den Irak zumindest nicht ausschließen wollten. In jener Zeit jedoch rauschte eine Anti-Kriegsbewegung über Deutschland. Der Musiksender „Viva“ blendete ein Peace-Zeichen ein, 24 Stunden am Tag, außer während der Werbung. Die Bürger schritten Seit’ an Seit’ mit der Regierung. Als Kriegstreiber wurde diffamiert, wer Zweifel am Mainstream äußerte oder gar an Saddams Massenvernichtungswaffen glaubte – so wie UN-Kontrolleure, der deutsche Geheimdienst BND und Saddam selbst.

Auch die Kriegsgegner hatten keine Fakten, aber sie hatten die Moral gepachtet. Europas Intellektuellenszene fantasierte eine Gleichschaltung der US-Medien herbei und raunte von „schwarzen Listen“ in Hollywood. Zugleich luden die „Oberhausener Kurzfilmtage“ ohne Ansehen der Person alle Vertreter aus Staaten der Kriegsallianz aus – intolerant sind bekanntlich immer nur die anderen.

Es ist richtig, dass sich viele Menschen in Sachen Irak geirrt haben. Zur falschen Strategie der US-Regierung etwa hat der Kolumnist Thomas Friedman alles gesagt: „Rumsfeld schickt immer genauso wenige Soldaten, dass wir den Krieg knapp verlieren.“ Es haben sich auch jene geirrt, die hofften, der Irak würde erblühen, sobald Saddam weg ist.

Aber war das ein Kriegsziel von „wahnhaftem Zuschnitt“, wie Seibt schreibt? Ist die Vorstellung wahnhaft, arabische Menschen seien demokratiefähig? Ist die Mehrheit der Iraker wahnsinnig, wenn sie in Meinungsumfragen das Ende des Saddam-Regimes begrüßt? Wer unter dem Banner „Eine andere Welt ist möglich“ gegen die Globalisierung demonstriert, erntet Beifall für Idealismus und Widerstandsgeist. Wer unter demselben Banner über den Nahen Osten nachdenkt, dem wird „Literatentum“ unterstellt, ein Euphemismus für Schreibtischtäter, deren Phantasien andere mit dem eigenen Blut bezahlen. Das perfide an dem Vorwurf ist, dass plötzlich „der Westen“ und dessen „liberale Öffentlichkeiten“ schuld sind, dass „ein ganzes Land ins Elend gestürzt“ wurde. So als sei der Irak vorher kein Land im Elend gewesen. Und so, als seien es nicht herzlose Fanatiker, die sich in Bagdad tagtäglich in die Luft jagen, sondern dumpfe Infanteristen aus Ohio, die zu viele Texte von Wolf Biermann gelesen haben.

Die pakistanische Provinzministerin, die vorgestern von einem Islamisten ermordet wurde, weil sie sich nicht züchtig kleidete, kann man leider nicht mehr fragen, was sie von der These hält, der Irakkrieg habe uns in eine „zivilisatorische Auseinandersetzung zwischen dem Westen und der gesamten islamischen Welt“ gestürzt. Allein diese Zweiteilung ist eine Schimäre. Für wen hat der Westen in den vergangenen Jahrzehnten Truppen geschickt? In Bosnien: für Muslime. In Somalia: für Muslime. Im Libanon: unter anderem für Muslime. Wen ermorden muslimische Todesfürsten jeden Tag? Vor allem Muslime.

Aber Moslems sind als Opfer nur relevant, wenn sie unter Westlern oder Israelis leiden. Das ist der blinde Fleck der „Tauben“. Warum wird ihrem Kulturrelativismus nicht all das Elend in Ländern angelastet, die von „westlicher Kriegszuversicht“ verschont blieben? Es waren, nur ein Beispiel, regierende Friedensfreunde in Berlin und Paris, die mit ihrer Totalverweigerung die Kriegsgegner in der US-Regierung enttäuscht und einen „dritten Weg“ in der Irak-Frage verhindert haben. Die Thesen von präventiven Kriegen waren eine Reaktion auf den Kriegszustand, den eine religiös-faschistische Bewegung am 11. September 2001 offen ausgerufen hat – und auf den das „Literatentum“ der Wegseher, Beschwichtiger und Islamistenversteher keine Antwort hat.

„Der Westen braucht den Streit“, hat der Historiker Heinrich August Winkler zu Recht festgestellt. Wir müssten uns in der Tat über Außenpolitik auseinandersetzen, über Abhängigkeit von Öl, intellektuelle und wirtschaftliche Entwicklung in der islamischen Welt, über Fanatiker und über Methoden, sie zu besiegen. Genau das wagen jene, denen „machtvolle Kriegssympathie“ unterstellt wird. Diese „Falken“ müssen widerrufen, heißt es nun. Dann könne der „Kampf der Ideen“ beginnen – wenn auch unklar ist, wozu man diesen Kampf noch braucht. Denn nach landläufiger Meinung ist das Thema doch abschließend behandelt: Der Irakkrieg und seine Befürworter sind an allem schuld. Ohne sie gäbe es keinen Terrorismus, keine Krise des Westens, keinen Konflikt mit dem Islam und im Islam. Es ist ein Wunder, dass noch niemand den Klimawandel mit dem Irak verrührt hat. Wenn man bedenkt, wie viel Sprit Düsenjets und Panzer verbrauchen, dürfte die CO²-Bilanz des Krieges verheerend sein.

Kölner Stadt-Anzeiger, 22.02.07

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