Martin Böcker
Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen möchte die Bundeswehr zu einem der „attraktivsten Arbeitgeber Deutschlands“ machen. Ihre Kernidee dafür: Familienfreundlichkeit durch flexible Arbeitszeitmodelle. Gleichzeitig plädiert sie für eine verstärkte Präsenz der Bundeswehr im Ausland.
Mal abgesehen von der Frage, was für ein seltsames Land das sein müsste, wenn kaum Unternehmen „attraktiver“ wären als dessen Armee, sind beide Aussagen in der Summe blanker Hohn. Auslandseinsätze bedingen eine zeitaufwändige Vorbereitung, die Neuausrichtung bedingt Standortschließungen, je nach dienstlicher Notwendigkeit müssen Soldaten versetzt werden. Das ist politisch gewollt, Teil des Soldatenberufs und absolut in Ordnung. Aber wie man es auch dreht und wendet: Es ist nicht familienfreundlich.
Mit solchen Schlagzeilen fügt sich die neue Verteidigungsministerin nahtlos in das schon seit Jahren praktizierte Selbstdarstellungskonzept der Bundeswehr ein: Diese verspricht eine „Bundeswehr-Karriere“ und wird nicht müde, sich als Arbeitgeber wie jeder andere auch darzustellen. Selbst die geistige Grundlage der Bundeswehr, die „Innere Führung“, wird als „Unternehmensphilosophie“ bezeichnet. Und so werben die Streitkräfte für sich wie ein ziviler Betrieb, in dem die Angestellten schon in jungen Jahren viel Verantwortung übertragen bekommen und einer Tätigkeit nachgehen, die ein wenig abenteuerlicher ist als andere.
Und genau mit diesen Punkten, Verantwortung und Abenteuer, wird der Kern des soldatischen Auftrags zwar nicht ganz verschwiegen, aber doch bis zur Unkenntlichkeit verschleiert. Alles, was die Bundeswehr leistet, könnte – mit entsprechendem Gerät – auch das Technische Hilfswerk oder der Deutsche Entwicklungshilfedienst leisten. Es sei denn, Töten und Sterben kommen in Betracht, in sehr zynischen Worten eben „Verantwortung und Abenteuer“.
Somit haben wir trotz aller berechtigen Hinweise darauf, dass in den derzeitigen Einsätzen der Soldat nicht nur die Rolle des Kämpfers, sondern auch die des Diplomaten und Helfers einnehmen muss, einen Kern des Soldatischen freigelegt, der per se nicht „familienfreundlich“ sein kann.
Zum Thema Sterben könnte man einwenden, dass ja auch Vertreter anderer Berufsgruppen ihr Leben riskieren. Der Dachdecker arbeitet zum Beispiel in großer Höhe, der Feuerwehrmann muss in ein brennendes Haus, und der Polizist wird mit teilweise erheblichem Gewaltpotential konfrontiert. Das alles ist zutreffend und ehrenwert, aber keine der genannten Berufsgruppen begibt sich auf Befehl in Lebensgefahr und macht sich bei Ungehorsam strafbar.
Zudem haben Dachdecker und Feuerwehrleute kein Gegenüber, das ihnen gezielt nach dem Leben trachtet. Und sollte ein Polizeibeamter in dieser Form bedroht werden, dann ist der andere immer ein Krimineller und handelt, aus bürgerlicher Sicht jedenfalls, moralisch verwerflich. Der Soldat hingegen darf legitimer- und legalerweise von einem Feind getötet werden, den er wiederum genau so legitim und legal töten darf, wohl eher – muss.
Das darf keinem Soldaten verschwiegen werden, insofern er verantwortungsvoll erzogen und ausgebildet werden soll: Unter Umständen wirst du töten müssen, unter Umständen wird ein Feind dich töten müssen – und dürfen!
Das allein macht den Soldaten jedoch nicht aus, hinzu kommt die Bindung an den Staat, sonst wäre er ein Söldner oder irgendetwas anderes. In einer Idealvorstellung muss dieses Band so fest sein, dass der Soldat die Möglichkeit des Tötens und Sterbens im Auftrag dieses abstrakten Gebildes vor sich selbst und seiner Familie rechtfertigen kann.
Und hier kommen wieder unsere Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr ins Spiel. Denn zwei Dinge erschweren diese individuelle Rechtfertigung und Auseinandersetzung mit dem Ernst der Sache in außerordentlichem Maße: Das peinlich berührte Verschleiern des soldatischen Alleinstellungsmerkmals, Töten und Sterben, sowie der damit verquickte Versuch, den Soldatenberuf als Beruf wie jeder andere auch darzustellen.
Wie soll ein Soldat sich über die Sonderstellung seiner Aufgabe und die damit verbundenen Opfer bewusst werden, wenn seine Ministerin flexible Arbeitszeitmodelle an die Spitze ihrer öffentlichen Agenda setzt? Diese Kritik soll nicht falsch verstanden werden, nichts spricht dagegen, die Spannungen zwischen Soldatenberuf und Soldatenfamilie zu lindern. Wer diesen Beruf jedoch als das Besondere, Gesonderte versteht, was er ist, wird diese Punkte zwar gewissenhaft und fürsorglich, aber doch nachgeordnet betrachten.
Es ist auch keine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die Sonderstellung der Streitkräfte einzugestehen, wie die oft genannte Angst vorm „Staat im Staate“ es suggeriert. In den jungen Jahren der Republik war diese Sorge nachvollziehbar. Nach 60 Jahren Bundeswehr in der Demokratie mutet sie jedoch seltsam und in einem neuen Sinne ewiggestrig an.
Die Gefahr rührt nämlich von der anderen Seite her: Wenn sich die Rhetorik von der „Bundeswehr-Karriere“ und dem „Arbeitgeber Bundeswehr“ nach Abschaffung der Wehrpflicht und mit mehr Einsätzen nicht der Einsatzrealität anpasst, dann wird sich unter dieser Oberfläche ein neues Selbstbild entwickeln – unkontrolliert und mit der Gewissheit, es besser als „die da oben“ zu wissen. Und eben das ist nicht im Sinne einer Bundeswehr für die Demokratie.
Die Kommunikation der Streitkräfte und des Verteidigungsministeriums darf sich also nicht nur eine an seichte Rhetorik gewöhnte Öffentlichkeit richten, sondern muss auch die Soldaten selbst ansprechen. Und die benötigen etwas anderes, als Nachwuchswerbung im Sinne eines zivilen Arbeitsmarkts.
Martin Böcker, 33, gebürtiger Westfale, lebt mit seiner hessischen Frau in Dresden. Nach einer militärischen Ausbildung zum Offizier der Pioniertruppe und dem Studium der Staats- und Sozialwissenschaften an der Universität der Bundeswehr München dient er seit 2012 als Oberleutnant im Schwarzenbörner Jägerregiment 1