Kolja Zydatiss / 02.10.2020 / 06:14 / Foto: Steve Jurvetson / 80 / Seite ausdrucken

Der Ausgestoßene der Woche: Richard Dawkins

Der Historische Verein am Trinity College Dublin hat eine Redeeinladung an den Wissenschaftler Richard Dawkins zurückgezogen, und als Grund dessen „Ansichten zum Islam und sexueller Nötigung“ angeführt. Dawkins ist Verhaltensforscher, Evolutionsbiologe und Autor mehrerer populärer Sachbücher. Er ist für sein öffentliches Eintreten für Atheismus und Religionskritik bekannt, unter anderem durch die von ihm gegründete, auch in Deutschland aktive, „Richard-Dawkins-Stiftung für Vernunft und Wissenschaft“. In seinem Bestseller „Der Gotteswahn“ argumentiert der Brite, dass es beinahe sicher keinen Gott oder Schöpfer gibt, und dass religiöser Glaube eine Art Wahn ist. Die britische Tageszeitung Guardian nennt Dawkins „das globale Gesicht des Atheismus“.

In einer ans maoistische China erinnernden Selbstkritik, wie sie typisch für heutige Hochschulapparatschiks mit „Haltung“ ist, schreibt Bríd O’Donnell, Vorsitzende des Historischen Vereins in Dublin:

„Wir werden mit seiner Ansprache nicht vorangehen, da wir den Komfort unserer Mitglieder über alles stellen. Die Einladung an Richard Dawkins, bei unserem Verein zu sprechen, wurde von meinem Vorgänger ausgesprochen, und ich kümmerte mich um alles weitere, ohne viel über Mr. Dawkins zu wissen. Ich hatte seine Wikipedia-Seite gelesen und ihn kurz recherchiert. Leider prüfte ich ihn nicht weiter, bevor ich den Plan, ihn einzuladen, weiterverfolgte. Ich möchte mich bei allen Menschen bedanken, die mich auf diese wertvolle Information hingewiesen haben. Ich hoffe wahrhaftig, dass wir nicht zu viel Unbehagen verursacht haben, und wenn ja, entschuldige ich mich und werde es wiedergutmachen.“

Was ist mit Dawkins‘ „Ansichten zum Islam und sexueller Nötigung“ gemeint? Wer mit seinen Werken vertraut ist, weiß, dass der Autor – der nach eigener Aussage „politisch nach links tendiert“ – generell kein gutes Haar an Religionen lässt. Den Islam sieht er allerdings besonders kritisch. Dawkins hat den Islam als „größte Kraft des Bösen in der heutigen Welt“ bezeichnet. Er hat unter anderem darauf hingewiesen, dass keine andere Gruppe in der Welt momentan Menschen „köpft, steinigt und anzündet“ und dass „alle Muslime der Welt weniger Nobelpreise bekommen haben als das Trinity College, Cambridge“. Den islamkritischen niederländischen Politiker und Filmemacher Geert Wilders hat Dawkins als einen „mutigen Mann, der die Eier hat, es mit einem monströsen Gegner aufzunehmen“ bezeichnet.

„Illiberal, unmenschlich und böse“

Anderseits sagt Dawkins auch: „Es ist sehr wichtig, dass wir normale, gesetzestreue, sehr anständige Muslime nicht dämonisieren, die natürlich die große Mehrheit der Muslime in diesem Land ausmachen.“ Und: „Ich verachte jede Tendenz, einen Menschen auf Basis der Gruppe, zu der er gehört, zu behandeln.“ Donald Trumps Einreiseverbot für einige mehrheitlich muslimische Staaten hat Dawkins als „illiberal, unmenschlich und böse“ bezeichnet.

2011 trug ein launiger Kommentar Dawkins den Vorwurf der  „Islamophobie“ und angeblichen Verharmlosung sexueller Nötigung ein. Er wird ihm seitdem immer wieder gemacht. Die religionskritische Bloggerin Rebecca Watson hatte darüber geschrieben, dass sie bei einer Konferenz in Dublin in einem Aufzug von einem Mann angesprochen worden war, der laut Watson sagte: „Verstehen Sie das nicht falsch, aber ich finde Sie sehr interessant und ich würde mich gerne weiter mit Ihnen unterhalten. Möchten Sie auf meinem Hotelzimmer einen Kaffee trinken?“ Watson fand dieses Verhalten extrem unangemessen. Als ein anderer Autor aus der religionskritischen Szene, P.Z. Myers, das Thema auf seinem Blog aufgriff, schrieb Richard Dawkins darunter folgenden satirischen Kommentar:

„Liebe Muslima,

hör auf rumzujammern, verdammt. Ja, ja, ich weiß, Deine Genitalien wurden mit einer Rasierklinge verstümmelt, und … gähn … erzähl es mir nicht noch einmal, ich weiß, dass Du kein Auto fahren darfst und das Haus nicht ohne einen männlichen Verwandten verlassen darfst und dass Dein Mann dich schlagen darf und dass Du gesteinigt werden wirst, wenn du Ehebruch begehst. Aber hör auf rumzujammern, verdammt. Denk an das Leid, mit dem Deine armen amerikanischen Schwestern leben müssen.

Diese Woche habe ich von einer gehört, sie nennt sich Skep’chick‘.  Weißt Du, was ihr passiert ist? Ein Mann in einem Aufzug lud sie ein, auf seinem Hotelzimmer einen Kaffee zu trinken. Ich übertreibe nicht. Das hat er wirklich gemacht. Er hat sie in sein Hotelzimmer eingeladen, um Kaffee zu trinken. Natürlich hat sie nein gesagt, und natürlich hat er sie nicht angerührt, aber trotzdem…

Und Du, Muslima, denkst, Du müsstest Dich über Frauenfeindlichkeit beschweren? Um Himmels willen, werd‘ erwachsen, oder lass Dir ein dickeres Fell wachsen.

Richard“

Nicht das erste Mal, dass Dawkins betroffen ist

Diese aus meiner Sicht urkomische Relativierung der Befindlichkeiten westlicher Betroffenheitsfeministen sorgte natürlich bei ebenjenen für einen vorhersehbaren Aufschrei, genau wie ein Tweet von Dawkins aus dem Jahr 2014, in dem er zum Thema Vergewaltigung schrieb: „Wenn Du in einer Position sein willst, vor Gericht aussagen zu können und einen Mann ins Gefängnis schicken zu können, betrink Dich nicht.“ Letzteres wurde ihm – aus meiner Sicht nicht ganz zu unrecht – als Täter-Opfer-Umkehr ausgelegt. Viel Aufhebens wird auch um die Tatsache gemacht, dass Dawkins einen Vorfall in seiner Kindheit, bei dem ihm ein Lehrer in die Hose fasste, heruntergespielt hat (Dawkins schrieb, dass er dadurch keine psychischen Schäden davongetragen habe, und man den Lehrer – der laut ihm Selbstmord beging – „nicht nach heutigen Standards“ bewerten solle).

Die Entscheidung des Vereins in Dublin ist nicht das erste Mal, dass Dawkins von dem Phänomen betroffen ist, das wir heute Cancel Culture nennen. 2017 durfte der Biologe nicht bei einer Veranstaltung des kalifornischen Senders KPFA sprechen, weil sich einige Hörer über die Einladung des „Islamhassers“ beschwert hatten.

Ist Richard Dawkins jemand, der aufgrund seiner Ansichten nicht an einer Hochschule als Redner auftreten sollte? Natürlich nicht. Es ist vollkommen absurd, Dawkins als Befürworter sexueller Gewalt darzustellen, oder als Rassisten. Daniela Wakonigg vom Humanistischen Pressedienst (hpd) fasst die verkehrte Logik hinter letzterem Vorwurf wie folgt zusammen: „Wer den Islam kritisiert, der kritisiert in Wahrheit gar keine Religion, sondern diejenigen, die der Religion angehören. Und wer etwas gegen Muslime hat, der ist ein Rassist.“ Aber Dawkins hat – wie die Zitate oben zeigen – immer wieder klar gemacht, dass es ihm um eine Kritik am Islam geht, und nicht um eine Kritik an „den Muslimen“ als Menschen. Um ihre Rasse geht es ihm schon gar nicht. Wie er selbst schreibt: „Etwas, zu dem man konvertieren kann, ist keine Rasse.“ 

Streichelzoo für sensible Nachwuchsgelehrte

Gewiss, Dawkins ist ein streitbarer Kopf, der nach allen möglichen Richtungen austeilt, und dabei vielleicht manchmal übers Ziel hinausschießt. Als Psychologiestudent faszinierten mich seine Bücher über Evolution und Verhaltensbiologie. Später begann ich, seinen radikalen Kampfatheismus („Wer Kinder religiös erzieht, begeht Kindesmissbrauch!“) unsensibel und intolerant zu finden. Aber gerade provokanten, steilen Thesen ausgesetzt zu werden, kann für Studierende nur eine positive Erfahrung sein. Wo sollten offener Ideenaustauch und kontroverse Debatten stattfinden, wenn nicht an einer Uni?

Über das Statement der irischen Vereinsvorsitzenden, demnach man psychischen „Komfort“ über alles stellen müsse und bloß nicht zu viel „Unbehagen“ verursachen dürfe, kann man nur den Kopf schütteln. Es reflektiert das allgemeine Zelebrieren psychischer Verletzlichkeit, das im universitären Umfeld seit Jahren um sich greift und sich nicht nur in Redeverboten für „kontroverse“ Figuren äußert.

Studierende in westlichen Ländern fordern und bekommen heute sogenannte Triggerwarnungen auf angeblich traumatisierenden Büchern, Schutzräume (safe spaces) für allerlei Gruppen – von Schwarzen bis zu Vegetariern, und die Verschiebung von Prüfungen, wenn „rechte“ Politiker gewählt werden. Vorschriften gegen „kulturelle Aneignung“ sorgen dafür, dass niemand traumatisiert wird von einem Kommilitonen, der bei einer Party ein Indianer- oder Mexikanerkostüm trägt. Die britische Nottingham Trent University hat sogar einen Streichelzoo eingerichtet, um den sensiblen Nachwuchsgelehrten beim Abbau von Prüfungsstress zu helfen. Angesichts solcher Entwicklungen ist es fraglich, ob die Hochschulen überhaupt noch Raum für intellektuelle Freiheit und die ergebnisoffene Suche nach der Wahrheit bieten können, oder in therapeutischen Empfindlichkeiten und politisch-korrekten Dogmen erstarren.

Foto: Steve Jurvetson CC BY 2.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Peer Munk / 02.10.2020

Ich finde den satirischen Kommentar “Liebe Muslima…” nicht urkomisch, sondern richtig. Er weist völlig zurecht darauf hin, in welchen moralischen Angründen sich die selbsternannten Frauenrechtlerinnen und linksgrünen Moralapostel befinden, indem sie hierzulande einen Mann der Frauenfeindlichkeit bezichtigen, weil er eine Frau zum Kaffee einlädt oder ihr ein Kompliment macht, während sie das Kopftuch verteidigen und Islamkritiker als Rassisten diffamieren. Somit unterstützen diese Leute im Grunde die Grausamkeiten, die Frauen in muslimischen Ländern angetan werden. Vermutlich wurde ihnen dies klar anlässlich des Kommentars von Dawkins, umso mehr müssen sie nun auf ihn einprügeln.

Archi W Bechlenberg / 02.10.2020

Auch wenn ich nicht immer mit Dawkins d’accord bin, ist er für mich einer der wichtigsten intellektuellen und wissenschaftlichen Köpfe der Jetztzeit, auf einer Stufe mit Jordan Peterson und Michel Onfray. Es war also zu erwarten, dass er dem Cancelwahn “begegnet”. Auf der konservativen Seite wird er vermutlich wenig Unterstützung finden; seine rigorose Freiheit von jeglichen Religionen und Göttern widerspricht zu sehr dem, was bei der Nichtlinken weiträumig gepflegt wird: Gotteswahn.

Fritz kolb / 02.10.2020

Die Ansichten des Mannes sind mir sehr sympathisch. In vielem ist er sozusagen mein Bruder im Geiste. War gestern Abend kurz unkonzentriert und bin deshalb zur Strafe auf dem Heute-Journal gelandet. Eine der ewig jungen Botox-behandelten Moderateusen hängte im Gendersprech, aber grammatisch sehr falsch meinen Geschlechtsgenossen ein -innen an. Dann ist mir vor lauter innerer Abscheu auch noch die Fernbedienung entglitten, sodass ich ihr Geschwafel noch wertvolle Lebenssekunden anhören musste. Übrigens: Aufzugbekanntschaften mit hübschen, nicht genderdeformierten, kopftuchlosen weißen Frauen können sehr unterhaltsam sein, hab da schon reizvolle Erlebnisse gehabt.

Christopher Sprung / 02.10.2020

Das Trinity College in Dublin liefert die Blaupausen für Houellebecqs Fortsetzungsroman zu “Unterwerfung”.

Armin Reichert / 02.10.2020

Ich fühle mich diesem Mann aus tiefstem Herzen verbunden.

B. Oelsnitz / 02.10.2020

Mal so in Worten gedacht: Wenn es Gott tatsächlich gibt, warum bewahrt er mich einerseits mehrere Male vor großem körperlichen Schaden und rettet mich einmal vor dem sicheren Tode und läßt mich andererseits kaum bewältigbare Lasten tragen. Ist es die Vergnügungssucht Gottes oder seine Art der Strafe für die Schwarzen in seiner Herde weißer Lämmer, oder worin kann der Sinn eines solchen Gebaren liegen?

Hans-Peter Dollhopf / 02.10.2020

Es gibt überlegende Menschen, deren Überlegungen von dermaßen vielen anderen überlegenden Menschen akquiriert worden sind, dass bei ihrem gewaltsamen Herausreißen aus dem gemeinschaftlichen Verständnis ein nicht mehr reparierbares Loch unter der Wasserlinie entsteht. Nur, für wen? Sicher! Man kann als Taliban die Buddhas von Bamyan als störend empfinden, und ebenso kann der Sprengmeister des IS die Reste des antiken Palmyra als seiner wüsten Ideologie gegenüber feindlich gesinnt begreifen. Nur! Die Berechtigung für ihre dadurch veranlassten Verbrechen gegen die Menschheit: Niemand hat sie jemals legitimatorisch erteilt, egal, wie sehr sie sich dafür virtuos über #wirsindmehr abstützen. roll back

A.Lisboa / 02.10.2020

Es muss Studenten heißen! “...grösste Kraft des Bösen in der heutigen Welt…”, ich würde gerne ergänzen: auch in der gestrigen.

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