Seit einigen Tagen berichten englischsprachige Medien, dass der Suchmaschinenanbieter Google offenbar bewusst die Great Barrington Declaration diskreditieren will. Zur Erinnerung: Die Declaration ist ein Aufruf, der von Sunetra Gupta (Universität Oxford), Jay Bhattacharya (Uni Stanford) und Martin Kulldorff (Uni Harvard) initiiert wurde. Die drei medizinischen Forscher weisen auf die wirtschaftlichen und gesundheitlichen Kollateralschäden von Lockdowns hin, welche die gesamte Bevölkerung betreffen, und plädieren dafür, die meisten Lockdown-Maßnahmen gegen Covid-19 aufzugeben und stattdessen Personen mit hohem Risiko gezielt zu schützen.
Laut dem britischen Online-Magazin Spiked wird vielen Google-Nutzern aus englischsprachigen Ländern zunächst Kritik an der Great Barrington Declaration angezeigt, wenn sie danach suchen, und nicht die Webseite der Initiative selbst. Ganz oben in den Suchergebnissen seien eine Art Verriss der Declaration durch die Byline Times, ein Beitrag des Guardian, der darauf herumreitet, dass auch falsche Namen wie „Johnny Bananas“ zu den hunderttausenden Unterzeichnern aus aller Welt gehören, sowie weitere kritische Meinungsbeiträge aus dem Guardian und Wired.
Als ich am 14. Oktober 2020 von Deutschland aus den Test machte und „Great Barrington Declaration“ bei google.com eingab, bekam ich zuoberst zwei kritische Beiträge von The Berkshire Edge und Byline Times als „Top Stories“ angezeigt. Dann folgten in den eigentlichen Suchergebnissen der eher kritische Nachrichtenartikel „‚Great Barrington Declaration‘ sorgt für Diskussionen“ des Deutschlandfunks und der sehr kritische SZ-Beitrag „Erklärung mit Hintergedanken“. Erst darunter wurde mir die offizielle Webseite der Declaration angezeigt. Einen Tag vorher, am 13. Oktober, war die offizielle Webseite das erste Suchergebnis gewesen, „Top Stories“ wurden mir keine angezeigt.
Auch vom Social-News-Aggregator Reddit zensiert
Ein britischer Google-Nutzer, der sich in einem Support-Forum darüber beschwerte, dass die offizielle Webseite von einem Tag auf den anderen ganz aus den Suchergebnissen verschwunden sei, erhielt am 13. Oktober von einem Google-Mitarbeiter folgende Antwort, die jede bewusste Manipulation des Google-Rankings abstreitet:
„Es kann eine Weile dauern, bis unsere automatisierten Systeme genug über neue Seiten lernen, um sie besser gemäß relevanter Begriffe einordnen zu können. Diese Verzögerung kann von Land zu Land unterschiedlich sein. Diese Seite [also die offizielle Webseite gbdeclaration.org] war und ist in den USA auf der ersten Seite der Suchergebnisse und ist auch in anderen Ländern in den Suchergebnissen aufgestiegen, was sich wahrscheinlich automatisch fortsetzen wird.“
Wer’s glaubt…
Die liberale Denkfabrik „American Institute for Economic Research“, die die Declaration logistisch und finanziell unterstützt, weist darauf hin, dass diese auch vom Social-News-Aggregator Reddit zensiert wird. Postings, die auf die Declaration hinwiesen, seien aus den Reddit-Unterforen r/COVID-19 (mehr als 300.000 Mitglieder) und r/Coronavirus (rund 2,3 Millionen Mitglieder) gelöscht worden.
Als Begründung hätten die Moderatoren von r/COVID-19 angegeben, dass in diesem Forum nur Links zu wissenschaftlichen Primärquellen, peer-reviewten Forschungsarbeiten, Vorabdrucken von etablierten wissenschaftlichen Veröffentlichungsplattformen und Forschungsarbeiten oder Berichten von Regierungen und anderen namhaften Organisationen erwünscht seien. Die Moderatoren des größeren, allgemeineren Forums r/Coronavirus hätten als Begründung für die Löschung angegeben, dass der Hinweis auf die Declaration „Spam“ sei. Ein ziemlich banales Promi-News-Posting über die Sängerin Lana Del Rey, die statt eines echten Mund-Nasen-Schutzes ein Netz im Gesicht trug, ist interessanterweise in diesem Forum weiter verfügbar.
Versuche die Debatte um Covid-19 inhaltlich zu steuern
Die aktuelle Zensur (oder im Fall Google mutmaßliche Zensur) der Great Barrington Declaration ist nicht das erste Mal, dass große Internetkonzerne versuchen, die Debatte um Covid-19 inhaltlich zu steuern. Im Juli 2020 begannen Twitter und YouTube damit, systematisch Videos zu löschen, die das Anti-Malaria-Medikament Hydroxychloroquin als Heilmittel für Covid-19 anpriesen. Sicher, der Nutzen von Hydroxychloroquin ist umstritten. Aber gleiches gilt für den Nutzen von Alltagsmasken, und Pro-Masken-Statements wurden von diesen Plattformen interessanterweise nicht gelöscht.
Bei YouTube (was zu Google gehört) wird ohnehin viel gelöscht. Mit Bezug auf Corona traf es im April 2020 zunächst die Videos des britischen rechtsesoterischen Verschwörungstheoretikers David Icke, der an eine Verbindung zwischen dem Coronavirus und der Einführung des 5G Mobilfunkstandards glaubt. Im selben Monat wurde dann ein Interview mit dem viel mainstreamigeren, lockdown-kritischen Onkologie-Professor Karol Sikora gelöscht (die Löschung wurde später, nach einem öffentlichen Aufschrei, wieder rückgängig gemacht).
Laut Spiked hat YouTube außerdem ein Interview mit dem Lockdown-kritischen britischen Journalisten Peter Hitchens ge-shadowbanned, also aus den Suchergebnissen gefiltert. Auch der britische Autor Toby Young und der amerikanische Epidemiologe Knut Wittkowski geben an, dass ihre Lockdown-kritischen Videos von YouTube gelöscht worden seien. Nach Angaben des Deutschlandkuriers wurde zudem das Video „Reisewarnung: Virusirrsinn auf Mallorca!“ mit dem rechtskonservativen Netzaktivisten Oliver Flesch nach 24 Stunden entfernt.
Nur eine Meinung zu den Corona-Maßnahmen zugelassen
Löschungen mögen sinnvoll sein, wenn es darum geht, Werbung für Quacksalber-Kuren für Covid-19 einzudämmen, die Menschen ernsthaft gefährden könnten. Die Lösch-Entscheidungen von YouTube, Twitter und Co. gehen aber weit darüber hinaus. Es soll nur eine Meinung zu den Corona-Maßnahmen zugelassen werden, also im Wesentlichen die Sichtweise, dass eine harte Lockdown-Politik richtig ist und andere Ansätze – etwa der liberalere schwedische – fahrlässig.
Das kann man so sehen, aber es gibt auch immer mehr Kritiker die plausibel argumentieren, dass die Kosten einer harten Lockdown-Politik größer sind als der Nutzen. Die Great Barrington Declaration ist Teil einer laufenden Debatte über den richtigen Umgang mit dem Coronavirus, die nicht abgewürgt werden darf. Natürlich könnte man argumentieren, dass private Unternehmen das Recht haben sollten, zu entscheiden, welche Inhalte auf ihren Plattformen erscheinen. Aber die großen Social-Media-Plattformen sind die de facto Marktplätze unserer Zeit. Und Suchmaschinenergebnisse bestimmen maßgeblich, was überhaupt ins öffentliche Bewusstsein gelangt.
Warum sind die Netzkonzerne beim Thema Corona so zensorisch? Eine wichtige Rolle spielt wohl die Tatsache, dass die (oft anarchische und emotional aufgeladene) Diskussionskultur im Netz in den letzten Jahren allgemein problematisiert worden ist. „Fake News“ und „Hate Speech“ in den Sozialen Medien werden für den Brexit, die Trump-Wahl und die Erfolge anderer „rechter“ Politiker verantwortlich gemacht, so als würden die Wähler ohne diese Einflüsse total zufrieden mit dem politischen Establishment sein. Man beklagt, dass das Internet eine allgemeine Abwendung von „Expertenmeinungen“ bewirkt habe, so als hätten die „Experten“ (etwa Apokalypse-predigende Klimaforscher oder Euro-begeisterte Ökonomen) in den letzten Jahrzehnten niemals völlig falsche Vorhersagen oder andere grobe Fehler gemacht.
Löschen, sperren und shadowbannen, was das Zeug hält
Die Plattformbetreiber geben sich reumütig und arbeiten hart daran, wieder vom linksliberalen Mainstream gemocht zu werden. Sie löschen, sperren und shadowbannen, was das Zeug hält – nicht nur in Deutschland, wo vom strengen NetzDG besonderer Druck ausgeht. Facebook versieht allerlei Posts mit Links zu Gegendarstellungen von „unabhängigen Faktencheckern“, und bei YouTube-Videos zu kontroversen Themen wird seit einigen Jahren automatisch ein Link zum betreffenden Wikipedia-Artikel mitgeliefert, der wohl für seriöser gehalten wird. Facebook richtete kürzlich sogar virtuelle „Informationszentren“ für Klimawissenschaften und Covid-19 ein, um die Nutzer von den „falschen“ Informationsquellen wegzulocken.
Aber die Heiligung „der Experten“ und „der Wissenschaft“, das in Stein Meißeln einer „etablierten Lehre“ zu Corona, dem Klimawandel oder welchem Thema auch immer, ist eben nicht wissenschaftlich. Wissenschaft ist eine permanente Kontroverse, ein nie endender Prozess des Infragestellens, Widerlegens, Relativierens, Ergänzens und Modifizierens. Wie absurd, dass im Namen „der Wissenschaft“ genau das eingeschränkt wird, was die Wissenschaft zum Gedeihen braucht: Ein offenes Diskussionsklima.