Woran erkennt man einen Antisemiten? Die Frage klingt einfach, aber die Antwort ist ein wenig kompliziert. Denn kein Antisemit gibt sich als solcher zu erkennen, es sei denn, er trifft sich mit Gleichgesinnten in einem muffigen Hinterzimmer, um mit ihnen einen Aktionsplan gegen die jüdische Weltverschwörung (heute: die Israel-Lobby) auszuarbeiten. Nicht einmal ein abgebrochener Aktions-Künstler wie Dieter Kunzelmann, der die Deutschen von ihrem „Judenknacks“ befreien wollte und der 1969 an einem missglückten Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindehaus in Berlin beteiligt war, möchte heute als Antisemit bezeichnet werden. Dennoch gibt es ein paar verlässliche Kriterien, die eine Qualifizierung möglich machen:
- Der authentische Antisemit hat immer „jüdische Freunde“, auf die er sich beruft, die er als Alibigeber bemüht. Gibt es sie wirklich, sind sie genauso gaga wie er, nur eben auf die jüdische Art, vom Selbsthass angefressen und vom Wunsch, „gute Juden“ zu sein, angetrieben.
- Der authentische Antisemit kommt mit seinem eigenen Leben nicht klar, ist in neun von zehn Fällen eine gescheiterte Existenz, will aber die Welt vor der jüdischen Gefahr retten, ersatzweise den Nahostkonflikt lösen, an dem natürlich nur die „Zionisten“ schuld sind, weil sie die „Palästinenser“ aus ihrer Heimat vertrieben haben.
Er spricht gerne von einem „Völkermord“, übersieht dabei aber, dass es sich um den einzigen „Völkermord“ der Geschichte handelt, dessen lebende Population sich mindestens verfünffacht hat. Er kann den Dativ nicht vom Genitiv und Transjordanien nicht von Cisjordanien unterscheiden, weiß aber genau, dass den „Palästinensern“ nur 22% von „Palästina“ übrig geblieben sind, die ihnen jetzt auch noch streitig gemacht werden. Er hat keine Ahnung, wo Tschetschenien liegt, was im Sudan passiert und wie viele Moslems von Moslems in den letzten Wochen im Irak und in Algerien massakriert wurden, denn das einzige, das ihn interessiert, sind die „Verbrechen der Zionisten“.
Mehr noch: Er ist davon überzeugt, der einzige zu sein, der „unbequeme Wahrheiten“ unter das Volk bringt, die ohne seine selbstlose Hingabe ungesagt blieben, ein Armleuchter, der davon träumt, als Kandelaber anerkannt zu werden, denn labern, das kann er.
- Der authentische Antisemit würde gerne seinen inneren Schweinehund von der Leine lassen und „Juda verrecke!“ rufen, weil das aber nicht geht, findet er es ersatzweise „verständlich“, dass palästineneische „Märtyrer“ Linienbusse in die Luft jagen und dass Sderot von Gaza aus mit Raketen beschossen wird, denn die Palästinenser handeln ja nur aus Notwehr. Und das ist es auch, was den authentischen Antisemiten ausmacht: Er setzt sich zur Wehr. Das ganze Dritte Reich war eine große Notwehrmaßnahme der Nazis gegen die Juden, die den Deutschen den Krieg erklärt hatten. Der authentische Antisemit fühlt sich verfolgt, er ist das Jagdopfer sinister Mächte, die ihn mundtot machen wollen. Was immer er unternimmt, dient nur der Selbstverteidigung. Er klebt an dem Juden wie Rotz an der Backe, schreibt aber: „Der Jude lässt mich nicht los!“ Der Jude ist grundsätzlich der Aggressor. Er hat „angefangen“, einfach deswegen, weil er da ist und er sich nicht aus der Geschichte verpissen möchte. Deswegen solidarisiert sich der authentische Antisemit am liebsten mit den Palästinensern (und nicht mit den Moslems in Darfur), denn die sind, wie er, die Opfer der Juden bzw. Zionisten. Und nichts bringt den authentischen Antisemiten dermaßen auf die Palme wie der Vorwurf, dass er ein Antisemit ist. Denn er meint es gut mit den Juden – unter einer Voraussetzung: Sie müssen schon lange tot sein.