Was haben schüttere Weihnachtsbäume und abgemagerte Eisbären gemeinsam? Sie werden gerne als Klimaopfer inszeniert. Bernhard Stengele, Ex-Umweltminister von Thüringen, führte gerade so ein Stück auf. Dabei gehören krumme Bäume und sterbende Bären schlichtweg zur Natur.
Zum Abschied vom Amt hatte sich Bernhard Stengele, bis dato Umweltminister im Kabinett von Bodo Ramelow in Thüringen, etwas Besonderes einfallen lassen. Einen kleinen Theatercoup – Stengele war schließlich vor seinem Wechsel in die Politik Schauspieler und Direktor diverser Bühnen. Später arbeitete er im „Betrieb seines Bruders“, wie in Wikipedia nachzulesen ist, als „Berater für Nachhaltigkeit“ und wirkte beim Entwicklungsprozess eines ökologischen Tiny Houses mit. Diese Tätigkeit mochte ihn wohl für das Amt eines Ministers für Umwelt, Energie und Naturschutz qualifiziert haben. Eine typische grüne Karriere eben, wobei man Stengele zugutehalten muss, dass er überhaupt etwas gearbeitet hat.
Kurz vor seinem Abgang ließ sich Stengele noch medienwirksam beim Schmücken eines Weihnachtsbaumes im Foyer seines Ministeriums fotografieren. Bei dem Baum handelte es sich allerdings nicht um eine der üblichen, perfekt geformten Nordmanntannen, sondern um eine spillerige, drei Meter hohe Fichte, zur Verfügung gestellt von der Forstbetriebsgemeinschaft Leuchtenburg im Thüringer Saaletal: „Kahl, schief, traurig“, titelte die Lokalpresse. Das dpa-Foto zeigt Stengele, wie er, etwas unsicher auf einer Leiter balancierend, ein paar Christbaumkugeln an den lichten Ästen appliziert. Ein mitleidsvoller Anblick.
Doch die Wahl des missratenen Baumes war kein Fehlgriff von der AfD zugeneigten Forstleuten, die dem grünen Minister eins auswischen wollten, sondern Programm. Laut Stengele handelt es sich um einen von den „Folgen des Klimawandels und der extremen Trockenheit“ geschädigten Baum, der nun in der Weihnachtszeit gewissermaßen als Mahnmal dienen solle, in den Bemühungen um allseitigen Klimaschutz nicht nachzulassen. Dem Wald in Thüringen gehe es zwar etwas besser, doch rund 80 Prozent der Bäume seien „nicht richtig gesund“.
Wer manchmal selbst im Wald unterwegs ist, kennt solche Baumruinen zur Genüge. Sie leiden in aller Regel nicht unter dem Klimawandel oder anderen säkularen Ereignissen, sondern haben sich einfach am falschen Standort niedergelassen, vielleicht auf felsigem Grund ohne ausreichende Humusschicht, sind Opfer von Wind-, Schneebruch oder Wildverbiss geworden und kümmern vor sich hin. In der Regel werden solche Bäume bei Durchforstungsaktionen gerodet, um kräftigeren Exemplaren den Vortritt zu lassen.
„Er braucht nur etwas Wärme und Liebe“
Die Natur ist eben nicht so perfekt, wie es der Mensch gerne hätte. Deshalb gibt es ja auch Christbaumplantagen, wo in Reih und Glied die Klonkrieger der Nordmanntannenarmee heranwachsen. Kerzengerade, dunkelgrün, wie deutscher Tann zu sein hat, und schmückfreundlich mit Nadeln ausgestattet, die nicht so unfreundlich stechen wie die einer Fichte der Forstbetriebsgemeinschaft Leuchtenburg.
Eigentlich geht der Topos des „armen Weihnachtsbäumchens“ auf eine 1965 entstandene Episode der Peanuts zurück: Charlie Brown sucht nach dem Sinn des Weihnachtsfestes abseits vom Konsumterror, der in den USA damals schon das „Fest der Feste“ im Griff hatte. Von seinen Freunden beauftragt, einen schönen Weihnachtsbaum zu besorgen, fällt sein Blick auf ein kleines, verwachsenes Geschöpf, im Cartoon wohl eine Kiefer. Er beschließt, sich des Baumes anzunehmen: „Ich glaube, der kleine Grüne braucht ein Zuhause. Und ich glaube, er braucht mich.“
Zunächst erntet Charlie für seine Barmherzigkeit nur Spott. Ratlos bekundet er, dass er wohl einfach nicht verstehe, um was es bei Weihnachten gehe. Daraufhin erklärt Linus den Sinn des Festes, indem er die „Verkündigung an die Hirten“ aus dem Lukas-Evangelium vorträgt. Jetzt entdecken die Kinder die verborgenen Qualitäten des armen Bäumchens und verhelfen ihm zu einem festlichen Kleid. „Er ist gar nicht so schlecht, er braucht nur etwas Wärme und Liebe.“ Eine rührende Parabel, die Hoffnung verbreitet, während die Jünger der Klimasekte unverdrossen den Untergang prophezeien.
So geht Weihnachten.
Georg Etscheit ist Autor und Journalist in München. Fast zehn Jahre arbeitete er für die Agentur dpa, schreibt seit 2000 aber lieber „frei“ über Umweltthemen sowie über Wirtschaft, Feinschmeckerei, Oper und klassische Musik u.a. für die Süddeutsche Zeitung. Er schreibt auch für www.aufgegessen.info, den von ihm mit gegründeten gastrosophischen Blog für freien Genuss, und auf Achgut.com eine kulinarische Kolumne.