Die Arbeitslosigkeit hat im Juni kräftig zugenommen. Die ukrainischen Flüchtlinge werden nun in den Jobcentern erfasst und dadurch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar. Im August wird Andrea Nahles Chefin der Arbeitsagentur. Sie wird viel zu tun haben.
Deutschland, das Land der Gewissheiten. Die Tagesschau läuft um 20.00 Uhr und endet um 20:15 Uhr mit dem Wetter. Beim Eurovision Song Contest wird vom Good old Germany die Tabelle zuverlässig von hinten angeführt, während der FC aus München beim Fußball seit zehn Jahren die Liga dominiert. Was ebenfalls eine traurige Gewissheit ist: dass mit einer bedrückenden Zuverlässigkeit denunziert wird, bis der sprichwörtliche Doktor kommt. Das hat diese Plattform in diesen Tagen schmerzhaft erfahren müssen.
Gewiss sind auch die falschen Zahlen aus Nürnberg: Monat für Monat, zuverlässig wie überfüllte Regionalbahnen, produziert die Bundesagentur für Arbeit (BA) Fake News. Die Rede ist von den Arbeitslosenzahlen, die Medien zwölfmal im Jahr verbreiten, was der eigentliche Skandal ist.
Vermutlich mehr als 10 Prozent Arbeitslose
Immerhin: Trotz monatelanger, scheinheiliger Erfolgsverkündungen seitens der Agentur werden für den Juni zum ersten Mal ernste Töne angeschlagen. „Der Arbeitsmarkt insgesamt ist weiterhin stabil. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung haben zwar im Juni kräftig zugenommen. Diese Anstiege gehen aber darauf zurück, dass die ukrainischen Geflüchteten nun in den Jobcentern erfasst und dadurch in der Arbeitsmarktstatistik sichtbar werden“, sagte der Vorstandsvorsitzende der BA, Detlef Scheele. So präsentierte er 2.363.000 Arbeitslose, was einer Quote von 5,2% entspricht.
Die Zahl dürfte jedoch, wenig überraschend, wesentlich höher sein. Diese Aussage ist völlig falsch, in den rund 2,4 Millionen sind lediglich die Arbeitslosen abgebildet, die im Sinne SGB II („Hartz IV-Empfänger“) und SGB III (Personen in Fördermaßnahmen, Behinderte etc.) nicht erwerbstätig sind. Arbeitslose, die über 58 Jahre alt sind, werden in der Arbeitslosenzahl gar nicht berücksichtigt – immerhin rund 122.000 Personen. Diese sowie Teilnehmer an Programmen zur Integration in den Arbeitsmarkt und Arbeitsunfähige sind laut den Statistikern der Agentur für Arbeit unterbeschäftigt.
Vermutlich sind mehr als 10 Prozent im Juni ohne Job. Sie sind arbeitslos, werden aber anders genannt. Im engeren Sinne unterbeschäftigt sind rund 3,1 Millionen Menschen, also rund 800.000 Arbeitslose mehr als in der Zahl, die Tagesschau und Co. präsentieren. Das sind mehr als 20 Prozent und durchaus üblich. Nach meiner Erfahrung bewegt sich die Differenz der sogenannten Arbeitslosen und der Unterbeschäftigten zwischen 20 und 30 Prozent. Weitere Details meiner Schätzung finden Sie hier.
Arbeitslosigkeit, während Stellen unbesetzt bleiben
In einer Reportage für ein anderes Medium sprach ich mit Flüchtlingen aus der Ukraine. Das einhellige Echo war, und das berichten auch viele Helfer vor Ort, dass die Flüchtlinge – sobald der Krieg beendet ist – wieder in ihr Land zurückkehren wollen. Doch das hehre Ziel scheint in weiter Ferne zu liegen, und bis zum Tag der Rückkehr müssen die Ukrainer am Arbeitsmarkt teilnehmen. Da die zweithäufigste Fremdsprache nach Englisch Deutsch ist und das Bildungssystem in vielen Punkten durchaus mit dem deutschen vergleichbar ist, sehe ich auch gute Chancen für eine Integration in den Arbeitsmarkt.
Auf der anderen Seite sind „so viele freie Stellen auf allen Ebenen gemeldet wie seit vielen Jahren nicht mehr, vom Helfer- bis zum Fachkräfteniveau“, erklärte Heidrun Schulz, Chefin der Regionaldirektion in Rheinland-Pfalz. So wurden im Juni allein in RLP 46.900 offene Arbeitsstellen registriert, 200 (oder 0,5 Prozent) mehr als im Vormonat. Im Vergleich zum Vorjahresmonat bedeutet das ein Plus von 10.000 Stellen bzw. 27,8 Prozent.
„Traumduo“ Hubertus Heil und Andrea Nahles ab August
Während offene Stellen im Fachkräftebereich ein Resultat verfehlter Bildungs-, aber auch Einwanderungspolitik ist, können freie Jobs im Bereich der Lager, - und Produktionshelfer nur durch ein verfehltes Anreizsystem erklärt werden. Oder anders gesagt: Offenkundig ist Arbeitslosengeld attraktiver, als in der Lebensmittelproduktion oder im Lager zu arbeiten. Dieses Problem wird sich nicht zuletzt dank das Wegfallens vieler Sanktionsmöglichkeiten verstärken.
Der Juli wird der letzte Monat für den Chef der Bundesagentur Scheele sein. Ab August übernimmt die ehemalige Arbeitsministerin und SPD-Vorsitzende Andrea Nahles den Posten. Ob es dann „auf die Fresse gibt“, eine beliebte Formulierung der ehemaligen Juso-Chefin, ist nicht bekannt. Was jedoch klar ist: Die BA wird mit dieser Personalie endgültig zum sozialdemokratischen Beiboot, nachdem Arbeitsminister (besser: Arbeitsverhinderungsminister) Hubertus Heil mit Verve und Ahnungslosigkeit ganze Branchen ruiniert.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ukrainische Flüchtlinge in der Arbeitslosigkeit angekommen sind. Wie lange sie dort bleiben, hängt neben der Infrastruktur vor Ort und der Dauer des Krieges vor allem von den Ukrainern selbst ab. In der nächsten Ausgabe werde ich mich mit dem Mindestlohn von 12 Euro befassen, der ab 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Ist dieser wirklich ein Segen in Zeiten der Inflation? Oder haben die Kritiker recht, die sagen, er erzeuge Arbeitslosigkeit?
Julian Marius Plutz ist 1987 geboren und betreibt seinen eigenen Blog neomarius. Hauptberuflich arbeitet er im Personalbereich. Einmal monatlich kommentiert er die neuesten Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt.