Julian Marius Plutz, Gastautor / 02.07.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 23 / Seite ausdrucken

Der Arbeitsmarkt im Juni – Gefasel der Entspannung

Detlef Scheele, Chef der Agentur für Arbeit (AfA), schien erfreut, als er am 30.06.2021 die Arbeitslosenzahlen für Juni 2021 in Nürnberg verkündete: „Die umfassende Besserung am Arbeitsmarkt setzt sich im Juni fort. Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung sind weiter kräftig gesunken. Die Unternehmen reduzieren weiter die Kurzarbeit und suchen wieder mehr nach neuem Personal.“

Und in der Tat: Laut der Pressemeldung sind rund 73.000 Menschen weniger arbeitslos. Jedoch ist es so, dass die monatlichen Zahlen der Pressemitteilungen der AfA in etwa den Wert der Verlautbarungen über die Wirtschaftsleistung der DDR in der Zeitung „Neues Deutschland“ haben. Beides haben vor allem eines gemeinsam: Sie dienen der Propaganda. 

Hubertus Heil darf sich Monat für Monat ans Revers heften, wie grandios er doch die Beschäftigung in Schwung hält, obwohl er mit Testbürokratie, Arbeitsschutzkontrollgesetz und vielem mehr Einstellung erschwert, teurer macht und somit verhindert. Hubertus Heil ist der Arbeitsverhinderungsminister par excellence. 

Hubertus Heils Himmelszahlen

Die Zahl 73.000 ist Unsinn, was auch Herr Scheele weiß und daher die etwas näher an der Realität gehaltene Zahl von 38.000 nachreicht. 38.000 waren „saisonbereinigt“ weniger arbeitslos als im Mai. Saisonbereinigt bedeutet, dass Statistiker entsprechende externe Faktoren mit berücksichtigen, um die Erhebung ein wenig realitätsnäher zu gestalten. So beginnt die Produkton für Grillware häufig im Februar/März, Glühwein und Lebkuchen im Sommer. Doch auch die Tatsache, dass im Sommer sich Abiturienten häufig, bis ihre Ausbildung oder ihr Studium beginnt, arbeitslos melden, wird berücksichtigt. Aber die Pressemitteilung spricht von den 73.000, die kritiklose Medien wie üblich übernehmen dürften. 

Soweit der Monatsbericht der AfA dies hergibt, sind immer noch rund 6 Millionen Menschen arbeitslos. Die entsprechende Herleitung erörterte ich in der Kolumne vom April. Wichtig zu wissen ist, und auch, wenn ich mich jeden Monat wiederhole: Die 2.614.000 Arbeitslosen im Juni 2021, die die Agentur für Arbeit in die Medien bringt, sind Fake News. 

Eigentlich sollten sich die ARD und Co. der Realität widmen statt Monat für Monat Hubertus Himmelzahlen zu propagieren. Weshalb zum Beispiel sind so viele Stellen unbesetzt, gleichzeitig aber erleben wir 6 Millionen Arbeitslose? Warum liegen bei Personaldienstleistern Aufträge offen, gleichzeitig aber beziehen so viele Leistungen, statt zu arbeiten? Herauskommen könnten Fakten, die in Teilen die Menschen verunsichern. 

Die Mär von der armen Pflegekraft

Eine große, inzwischen kaum mehr zu bewältigende Herausforderung hält seit Jahren an und wurde schon oft beschrieben: Es fehlt an Fachkräften. Wir – ich arbeite für einen Personaldienstleister – erleben es bei jeder internen Stelle, die wir für uns ausschreiben, aber auch bei Bedarf unserer Kunden. Bäcker, Elektroniker, aber auch Lebensmitteltechniker, Metzger oder Krankenpfleger fehlen an jeder Ecke. An den Gehältern kann es meines Erachtens nicht liegen. So bekommt ein Bäcker im Durchschnitt (Median) laut Stepstone rund 31.000 Euro. Aus meinem Alltag kann ich auch von deutlich höheren Löhnen, je nach Qualifikation und Berufserfahrung, sprechen. Hinzu kommen Schichtzulagen und ein durchaus attraktiver Tarifvertrag. 

Während der Corona-Krise wurde viel über Pflegekräfte gesprochen. Und tatsächlich: Es handelt sich um einen Beruf, in dem man sowohl körperlich, aber auch mental und intellektuell stark gefordert ist. Ich selbst arbeitete in dem Bereich, zwar bereits vor einiger Zeit, aber immerhin. Ich kann die Diskussionen in Teilen nachvollziehen. Nicht nachvollziehbar ist jedoch das Gejammer über den Lohn.

So verdienen Pflegekräfte im Durchschnitt rund 37.000 Euro im Jahr. Die seit Covid-19 viel zitierten Fachkräfte für Intensivpflege liegen zwischen 43.000 Euro und 60.000 Euro. Das sind Summen, für die sich ein Bäcker oder Metzger, aber auch ein Elektroniker lange nach der Decke strecken muss. Von Fachkräften aus dem Dienstleistungssektor, Einzelhandelskaufleute oder Personalkaufmänner möchte ich gar nicht sprechen. Die werden im Regelfall ihrer Karriere ein solches Salär, zumindest in der Spitze, nicht erreichen. Aber auch Akademiker werden Zeit und Ausdauer benötigen, bis sie dieses Gehalt beziehen werden.

Duale Ausbildung wird unterschätzt

Der Fachkräftemangel liegt also weniger am Gehalt, sondern eher an falschen Anreizen und schlechter Kommunikation. Wenn immer mehr junge Menschen lieber im Hörsaal Platz nehmen als sich an die Werkbank zu stellen, müssen sich Politik und Unternehmen fragen, woran das liegt. 

Kommunikation kann vieles ermöglichen, aber auch einiges zerstören. Wenn Pflegekräfte laut vielen diejenigen sind, „die die Hintern abputzen“ und Einzelhandelskaufleute „nur an der Kasse sitzen“, letzteres hörte ich als Jugendlicher in meinem Umfeld ständig, dann läuft etwas gehörig schief. Es ist immer eine unangenehme Angelegenheit, wenn Menschen über Dinge sprechen, von denen sie keine Ahnung haben. Das gilt für so ziemlich jeden Lebensbereich.

Wir erleben also eine zunehmende Akademisierung der Arbeitswelt. Selbst aus der Pflege kommt die Forderung, den Beruf wie in anderen Ländern als Hochschulstudium anzubieten. An der Fernuni Hagen kann man sich jetzt schon in den Studiengang „Pflege“ einschreiben. Ob Online-Vorlesungen im praktischen Alltag auf der Station weiterhelfen, darf bezweifelt werden. Hier wird der enorme Vorteil der dualen Ausbildung völlig außer Acht gelassen. 

So kann eine frisch ausgebildete Fachkraft bereits auf ein bis zwei Jahre Berufserfahrung zurückblicken. Ein Hochschulabsolvent durchlief möglicherweise Praktika. Diese sollte man auch nicht unterschätzen. Eine strukturierte Ausbildung, in der Theorie und Praxis dicht aufeinander abgestimmt sind, kann ein Praktikum jedoch nicht kompensieren. Die Politik sollte sich gut überlegen, bewährte Ausbildungsberufe durch praxisferne Studiengängen zu ersetzen. 

Ich fasse zusammen: Trotz offener Stellen haben wir es mit mehr als 6 Millionen Arbeitslosen zu tun. An den Löhnen liegt es offenbar nicht. Vielmehr können Stellen schlicht nicht besetzt werden, weil geeignetes Personal fehlt. Möglicherweise ist für viele das Sozialsystem noch zu attraktiv. Zwar erhält man daraus in aller Regel weniger Geld. Jedoch könnte der Freizeitgewinn einiges kompensieren. 

Woran es liegen könnte, dass auch im Helferbereich händeringend Mitarbeiter gesucht werden und inwiefern dieser Engpass zu Problemen bis hin zu Preissteigerungen von Grundnahrungsmitteln führen könnte, erfahren Sie in der nächsten Kolumne.

Dieser Beitrag erschien zunächst auf Neomarius.

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Ricardo Sanchis / 02.07.2021

“Der Personaler” wieder, der sich seine Welt als “Zuhälter” schön redet. “Möglicherweise ist für viele das Sozialsystem noch zu attraktiv.” Dann versuchen sie doch mal von H4 zu leben ( ohne Schwarzarbeit ). Viel Spaß...aber bitte nicht wie Herr Sarazin nur ein paar Wochen, denn fasten ist nicht dasselbe wie hungern ;-) Das einzige was am Artikel stimmt ist die Tatsache das einige Pflegekräfte gut verdienen und der Allgemeinplatz das der Staat die Arbeitslosenzahlen seit Jahrzehnten schön lügt.

Heiko Stadler / 02.07.2021

Die DDR war ein Beschäftigungswunder. Fast jeder im arbeitsfähigen Alter stand oder saß irgendwo rum.  Heute ist es wieder so. Gestern ließ ich mir erklären, dass das Corona-Regime wieder einmal einen neuen Gaga-Beruf kreiert hat: den Hygienekonzept-Genehmiger. Das ist nur einer von über hundert kontraproduktiven steuerfinanzierten Schikanetätigkeiten. Die unzähligen “Beauftragten” sind weitere Beispiele der neu erschaffenen Gängelungs- und Stasibranche. Viele produktiv arbeitende Bürger lassen sich die Schikanen nicht mehr bieten und sagen sich: ehrliche Arbeit lohnt sich nicht mehr. Diese Leute lassen sich dann lieber fürs Nichtstun schlecht bezahlen oder, falls sie die nötige Skrupellosigkeit besitzen, für Spitzeltätigkeiten gut bezahlen.

Rainer Niersberger / 02.07.2021

Das “möglicherweise” kann man streichen. Es sind 2 Faktoren, die den Markt dramatisch eingrenzen, der Druck der hohen Unzerstuetzungsleistungen von “unten”, vermutlich aber noch mehr die inflationäre Entwicklung von “oben”, die aber nun alles andere als verwundert. Wenn man den Menschen inzwischen sogar in Bayern nicht das Abitur, sondern die “Einser-Abis” hinterherwirft, sollte man angesichts der Propaganda und der Statusfrage nicht lange ueberlegen. Hinzu kommt, dass von den inzwischen gefuehlt 5000 Studiengängen, alle mit ueberaus getwohlklingenden Namen und vor Wichtigkeit strotzend, nicht gerade wenige hervorragende Optionen anbieten, das spätere Leben im Job ziemlich komfortabel zu gestalten und diese Jobs nehmen ja ebenfalls inflationäre zu. Irgendwas mit Medien, was Soziales, was mit Helfen oder was mit theoretischem Nonsensschreiben oder einen (Polit) Funktionär unterstützen usw.. Die allermeisten dieser erfundenen Jobs waeren ohne weiteres verzichtbar, ohne es zu merken. Aber sie “Verlagerung” auf die Berufe, wo es um Leistung, vor allem. Konkrete Ergebnisse, Verantwortung und Produktivität, auch um F&E geht, gestaltet sich sehr schwierig. Die Damen vor allem bleiben in den anderen Bereichen, wie Journalismus, Politologie, Soziologie, Genderforschung, Sozialpädagogik und viele andere, fuer Deutschland zukünftig “wichtige” Felder. Auch dieses Feld ist nur ein Ausschnitt, kein unwichtiger, eines Gesamtphaenomens, das uns zusammen mit den vielen Anderen noch massive Probleme bereiten wird. Eine Umkehr wird es trotzdem auch hier nicht geben. Da muesste man wieder einmal an die Wurzeln und Ursachen ran, aber will das von denen, die selbst exakt aus dieser Kultur kommen.

Alfons Hagenau / 02.07.2021

Es liegt vielleicht auch daran, daß sich viele Leute nicht für einen Arbeitsplatz impfen lassen wollen. Und auch nicht den ganzen Tag mit Maske herumlaufen wollen. Gerade in der Pflege, wo die meisten Fachkräfte um Impfrisiken und Schäden der Atemwege durch zu langes Maskentragen gründlich Bescheid wissen.

j. heini / 02.07.2021

Und wenn der Staat seine Ausgaben wuchern lässt und dafür Abgaben und Steuern erhöht, dann ist es kein Wunder, wenn angeblich Unterbezahlung vorliegt. Hinterher soll das geringe Netto dann von den Unternehmen ausgeglichen werden. Aber die müssen den EUR Mehrgehalt bereits für andere Zwangsabgaben wie die EEG Umlage ausgeben. Dummerweise haben die Unternehmen auch keine EZB im Keller. Und jetzt nicht über die Unternehmen herziehen. Jeder kann Aktien kaufen und zum Unternehmer werden. Wenn das unmöglich ist, wie auch z. B. Wohneigentum liegt das nicht am Unternehmen oder Immobilieneigentümer. Es stimmt das gesetzliche Umfeld nicht. Es liegt am Raubrittertum des Staates.

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