Der Fraktionschef der im Land Brandenburg regierenden SPD Mike Bischoff freute sich in der Landtagssitzung: „Wir haben hier eine Vorreiterrolle eingenommen.“ Natürlich träumt jeder Politiker von einem Platz im Geschichtsbuch, doch was die von ihm gefeierte Abstimmung angeht, könnte der Genosse Bischoff durchaus richtig liegen. Denn erstmals hat ein Parlament in der Bundesrepublik Deutschland beschlossen, die freien Wahlen durch staatliche Quotenvorgaben einzuschränken und Bewerber um Parlamentsmandate aufgrund ihres Geschlechts von der Kandidatur auszuschließen.
Abgestimmt wurde am letzten Januartag des Jahres 2019 über das Inklusive Parité-Gesetz, auch Drittes Gesetz zur Änderung des Brandenburgischen Landeswahlgesetzes genannt. Die Grünen hatten es initiiert, die rot-rote Landesregierung hat es sich mit einigen Änderungen zu eigen gemacht: Ab 2020 müssen Parteien, die zur Landtagswahl antreten, jeweils eine Männer- und eine Frauenkandidatenliste beschließen. Diese werden dann nach dem Reißverschlussprinzip zusammengefügt. Ob auf Platz eins ein Mann oder eine Frau steht, dürfen die Parteien sogar noch selbst entscheiden. Doch wenn beispielsweise die Frauenliste kürzer als die Männerliste sein sollte, weil gar nicht so viele Damen aus der Partei ein Mandat anstreben, haben die überzähligen Männer Pech gehabt. Sie dürfen nicht kandidieren.
Wichtiger als alle Voten von Wahlparteitagen und Wählern ist die künftig vorgeschriebene Parität zwischen Frauen und Männern auf den Wahllisten. Letztlich kommt dies einer Entmündigung von Parteimitgliedern und Wählern gleich, weil eine staatliche Behörde die Kandidaten nach eigenen Kriterien vorsortieren darf. Mit dem Prinzip freier Wahlen ist das schlicht nicht vereinbar.
Fortschritt in Antragsprosa
In der Antragsprosa der Beschlussempfehlung des Innenausschusses liest sich das so:
„Landeslisten, die nicht geschlechterparitätisch besetzt sind oder keine alternierende Reihenfolge aufweisen, sind vom Landeswahlausschuss im Grundsatz zurückzuweisen. Entspricht eine Landesliste nur hinsichtlich einzelner Bewerberinnen und Bewerber nicht den gesetzlichen Anforderungen, so sollen ihre Namen vom Landeswahlausschuss aus der Landesliste gestrichen und die Landesliste soll gemäß den Anforderungen, die sich aus den gesetzlichen Vorgaben für geschlechterparitätische Landeslisten ergeben, neugebildet werden.“
Nun ist das Wahlgesetz zwar beschlossen, findet aber für die Landtagswahlen in diesem Jahr noch keine Anwendung. Offenbar gibt es auch innerhalb der rot-rot-grünen Quotenmehrheit Restskrupel bei einem so eklatanten Eingriff in die demokratischen Wahlrechtsgrundsätze. Manches in der Beschlussempfehlung liest sich wie eine Rechtfertigung.
„Gerechtfertigte Eingriffe in die Wahlrechtsgrundsätze gebe es auch an anderer Stelle etwa durch die Festlegung eines bei Nichterreichen das Wahlrecht ganz ausschließenden Wahlalters; in die Parteienfreiheit werde beispielsweise auch durch wahlrechtliche Vorschriften eingegriffen, die ein Panaschieren und Kumulieren ermöglichten.“
Eine irrwitzige Argumentation, denn beim Kumulieren und Panaschieren wird in die Parteienfreiheit zu Gunsten der Wähler eingegriffen, nicht zu Gunsten einer Behörde. Wenn Länder, in denen das Kumulieren und Panaschieren zulässig ist, auch dem Brandenburger Vorbild folgen, wird es interessant sein, zu sehen, ob die Wähler dann die Geschlechter auf der Liste neu mischen dürfen oder sich auch nur im Rahmen der Kandidaten-Geschlechtertrennung bewegen dürfen.
Doch zurück nach Brandenburg: Hier heißt es weiter: „Mit den beabsichtigten Änderungen werde rechtliches Neuland betreten. Einschlägige verfassungsgerichtliche Entscheidungen lägen naturgemäß nicht vor. Man sei nach einer gründlichen Abwägung und auch aufgrund der aus Verhältnismäßigkeitsgründen vorgenommenen Modifizierungen des Gesetzentwurfes sicher, ein verfassungskonformes Gesetz zu beschließen.“
Dass Abgeordnete ein verfassungskonformes Gesetz beschließen wollen, sollte eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Doch die rot-rot-grüne Innenausschussmehrheit muss das für ihre Gefolgschaft noch einmal zur Gewissensberuhigung betonen, denn der Parlamentarische Beratungsdienst des Landtags kam im Oktober 2018 in einem Gutachten zum eindeutigen Ergebnis, dass auf staatliche Anordnung hin quotierte Wahllisten verfassungswidrig seien. Aus eigenem Antrieb können die Parteien selbstverständlich ihre Listen gern nach Quoten besetzen, aber niemand darf dazu gezwungen werden.
Kein Platz für mehr Geschlechter?
Den Punkt, an dem sich die rot-rot-grünen ideologischen Vorgaben beißen, nämlich die Frauenquote einerseits mit der Aufhebung der Zweigeschlechtlichkeit andererseits, versuchten die rot-roten Genossen mit ihren grünen Gefährten recht einfach zu umschiffen:
„Um die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum dritten Geschlecht und in deren Folgen die Änderungen des Personenstandsgesetzes zu berücksichtigen, soll eine Regelung eingeführt werden, nach der Personen, die weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht zuzuordnen sind, frei entscheiden können, für welche Liste sie sich um einen Listenplatz bewerben wollen.“
Stünde nicht so etwas Elementares wie die freie Wahl auf dem Spiel, müsste man hier laut auflachen. Diejenigen, für die derzeit in vielen öffentlichen Einrichtungen extra Unisex-Toiletten gebaut werden, weil sie bei der Notdurft von der Entscheidung fürs Damen- oder Herren-Örtchen überfordert sein könnten, sollen sich umstandslos für die Männer- oder Frauenliste entscheiden müssen? Wir könnten hier die Unisex-Wahlliste empfehlen und dann könnte im Wahlrecht alles beim Alten bleiben.
Aber das ist noch nicht der Gipfel des Absurden. Von der Quotierung verschont bleiben jene, die konsequente Geschlechter-Apartheid betreiben. In der nun erfolgreichen Beschlussempfehlung heißt es:
„Die gesetzlichen Vorgaben sollen keine Anwendung auf Parteien, politische Vereinigungen oder Listenvereinigungen finden, die satzungsgemäß nur ein Geschlecht aufnehmen und vertreten wollen.“
Rettung vom Verfassungsgericht?
Nun hat der Brandenburgische Landtag das Gesetz beschlossen. Dass es ein Fall für das Verfassungsgericht werden wird, ist klar. Die ersten Verfassungsklagen sind schon angekündigt. Doch kann man sich sicher sein, dass das Verfassungsgericht hier wirklich noch die freien Wahlen rettet?
Immerhin haben die SPD-Bundesministerinnen Barley und Giffey auf den Brandenburger Beschluss mit der Wiederholung ihrer Forderung nach einer Wahlrechtsreform zu Gunsten von Frauen reagiert. Dass sich ausgerechnet die Justizministerin Barley an die Spitze dieser Bewegung stellt, lässt baldige gesetzgeberische Aktivitäten auf Bundesebene erahnen.
Andere Länder könnten dem Brandenburger Beispiel ebenfalls folgen. In Hamburg haben die Grünen bereits den Antrag für ein Parité-Gesetz eingebracht. Der rot-rot-grüne Senat von Berlin will einen entsprechenden Gesetzentwurf noch vor dem Frauentag, Berlins neuem Feiertag am 8. März, ins Abgeordnetenhaus einbringen. Das Ganze könnte unter das Motto „Weniger Demokratie wagen“ gestellt werden. Wer mehr Frauen im Parlament haben will, der muss sie motivieren, zu kandidieren. Außer ein paar Postenjägerinnen hilft aber eine Quote niemandem, schon gar nicht der Legitimation der Parlamente, dafür nimmt die Demokratie Schaden.
Wie wäre es stattdessen mit einem reinen Mehrheitswahlrecht? Es gäbe keine Listen mehr, die gesetzlich zu regulieren wären. Wer wählbar ist und das Mandat seines Wahlkreises will, kandidiert. Wer dann eine Mehrheit bekommt, zieht ins Parlament ein. Niemanden muss es interessieren, ob Kandidat bzw. Mandatsträger Frau, Mann, divers oder irgendetwas anderes aus dem bunten Strauß neu erfundener Geschlechter ist. Es wäre ein Demokratiegewinn.
Der Wächterrat hat die Spielwiese verlassen
Doch um Demokratie geht es nicht. Egal, ob bei der sprachlichen Umgestaltung, weil im einst völlig vom Geschlechterkampf abgekoppelten grammatikalischen Geschlecht Diskriminierungstatbestände entdeckt wurden, oder immer neuen Lebensbereichen, die quotiert werden müssen. Wer sich zum Wächterrat einer Ideologie berufen fühlt und zudem heutzutage dafür auch noch auskömmlich bezahlt wird, muss immer neue Missstände oder Feinde finden, die es zu bekämpfen gilt. Natürlich sollen es keine wirklichen Gegner sein, denn die machen Mühe. Das hat viele Liberale zu dem Trugschluss verführt, hier wollten sich nur ein paar Aktivistinnen und Aktivisten auf einer Spielwiese austoben, weshalb sie ihnen die Spielwiese großherzig gönnten.
Doch jetzt geht es längst nicht mehr um das Spiel mit kuriosen Sprachregelungen, Gendersternchen und Ampelweibchen, bei dem es Posten für Frauenbeauftragte zu gewinnen gab. Jetzt geht’s ans Wahlrecht, an die freien Wahlen, also an das Herzstück jeder Demokratie. Und wenn die erste Quote akzeptiert ist, dann werden weitere folgen. Muss der Staat nicht auch die angemessene Vertretung von Migranten, Muslimen oder Veganern sicherstellen? Hat nicht jede Gruppe auch einen Anspruch auf parlamentarische Repräsentanz? Am Ende steht anstelle eines frei gewählten Parlaments eine Ständevertretung. In eng reglementierten Grenzen kann der Bürger seine Stimme abgeben, weshalb man auch das womöglich Demokratie nennen wird.
Nein, das ist ja alles Schwarzseherei. Vielleicht kippt das Verfassungsgericht den Brandenburger Sonderweg umstandslos. Immerhin hatten auch Juristen frühere Vorstöße der Grünen nach vorgeschriebenen Quoten für Wahllisten in manchen Bundesländern als verfassungswidrig bewertet. Also scheitert das Brandenburger Gesetz womöglich und alle anderen nach seinem Vorbild auch. Aber ist dann alles gut? Beängstigend bleibt die Leichtigkeit, mit der demokratische Grundwerte inzwischen zur Disposition gestellt werden, wenn sie der Durchsetzung des eigenen Weltbildes hinderlich sind.
Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, wenn die Brandenburger CDU vor einer Staatskrise warnt. Was passiert denn, wenn vor einem Verfassungsgerichtsurteil Neuwahlen nötig werden? Angesichts der zu erwartenden Schwierigkeiten der Regierungsbildung nach der nächsten Wahl kein ganz unwahrscheinliches Szenario. Wählt man dann einen Landtag, den man vielleicht wieder auflösen muss, weil er verfassungswidrig zustande kam?
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