US-Präsident Joe Biden führte sich vor laufender Kamera selbst als kaum amtstauglich vor, ohne dass sein Herausforderer etwas dafür tun musste. Und wie reagiert Europa? Da sind die Politikdarbietungen nicht minder beunruhigend.
Wenn der Gegner sich mitleiderregend verheddert, nuschelt, krächzt und ratlos ins Leere schaut, hat ein Großmaul, das stramm behauptet und sich durch Fakten nicht verwirren lässt, leichtes Spiel. Die Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump war vor allem eines: beängstigend. Einer von den beiden soll ab Januar die militärisch und wirtschaftlich größte Macht der Welt führen? Keine sehr ermutigende Aussicht.
Wer hat da was verloren? Hat Biden nur eine Debatte verloren? Ist er dabei, die Nominierung seiner Partei zu verlieren? Haben die Demokraten schon jetzt die Wahl verloren? Und wer hat da gewonnen? Ein Mann, von dem kaum einer einen Gebrauchtwagen kaufen würde. Ein Mann, der mit guten demokratischen Sitten auf Kriegsfuß steht. Ist Donald Trump nicht mehr zu bremsen?
Und was, wenn es so ist? An der Heimatfront wird sich Amerika noch mehr zerreißen. (Was bei einem Biden-Sieg allerdings nicht viel besser wäre.) Außenpolitisch würde sich mit Trump weniger ändern, als mancher befürchtet. Die europäischen NATO-Staaten sind längst dabei, Trumps knallharte Forderung zu erfüllen und ihren Verpflichtungen nachzukommen. Wirtschaftlich sind Biden und Trump in ihrer America-First-Politik beinahe Zwillinge, auch wenn der eine sanfter spricht und der andere den Kommando-Ton bevorzugt.
Nach dieser Debatte dürfte allerdings vor allem die Ukraine zittern. Trump wird Selenski die Pistole auf die Brust setzen und Putin mit Zuckerbrot und Peitsche zu Friedensverhandlungen bewegen. Dabei wird die Ukraine nicht ungeschoren davon kommen. Die bisherige Biden- und NATO-Alternative ist, Putin in die Knie zu zwingen. Ein zweifellos langwieriger und weiterhin blutiger Prozess. Ob Trump aber den russischen Großmacht-Träumer auf Dauer zähmen könnte, ist mehr als fraglich. Weshalb auch Polen und die baltischen Staaten beim Gedanken an einen Einzug Trumps ins Weiße Haus zittern.
Nur Trump kann für ein Wunder sorgen
Oder sind die Demokraten kurz vor Toresschluss noch zu retten? Da müsste erst einmal Joe Biden seine Altersschwäche eingestehen. Was unwahrscheinlich ist. Er selber sieht, wenn er in den Spiegel schaut, „den einzigen Mann, der Donald Trump schlagen kann.“ Während sich bei den Demokraten die schon lange schwelende Sorge verstärkt, das Biden genau der Mann ist, den Donald Trump schlagen kann.
Aber was tun? Einen neuen Zampano oder eine neue Zampana aus dem Hut zaubern? Kamala Harris wirkt gegen Trump zwar nicht älter, wohl aber noch schwächer als der Debattenverlierer Biden. Michelle Obama will nicht. Der Kalifornier Gavin Newsom würde wohl ganz gerne, aber er hat ein schweres Handicap: Er ist Gouverneur vom spinnerten Kalifornien und damit für den Rest Amerikas kaum vermittelbar. Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan wäre eine starke Kandidatin. Aber noch stärker dürfte sie sein, wenn sie abwartet, Donald Trump im Weißen Haus seine vier Jahre absolvieren lässt, um dann als Retterin Amerikas in die Bütt zu steigen.
Die brennende Frage bei den Demokraten lautet also: Was ist fataler, sehenden Auges der Niederlage entgegenzuwanken oder auf der Zielgeraden das Pferd zu wechseln? Die Granden der Demokraten sind dieser Tage nicht zu beneiden. Wahrscheinlich bleibt ihnen nichts anderes übrig, als auf ein Wunder zu warten. Das Wunder kann nur Donald Trump heißen. Der unberechenbare Herr von Mar-a-Lago ist immer für eine Katastrophe gut, die ihn disqualifiziert. Und die seinem stolpernden Gegner doch noch die Möglichkeit gibt, sich für ein paar weitere Jahre im Weißen Haus zu verschnaufen.
Wer aber nach der schrecklichen Debatte noch darauf wetten möchte, wie ich es vor einiger Zeit leider getan habe, sollte seinen Einsatz schon mal als Verlust verbuchen.
Und was läuft in Europa?
Während Amerika in Katerstimmung seine Präsidentschaftskandidaten, den Ü-80er und den knapp U-80er betrachtet, hat man in Europa auch reichlich Gelegenheit, den Kopf über die politischen Eliten zu schütteln. Da auf unserem Kontinent gerade Fußballfieber herrscht, wollen wir das Geschehen möglichst sportlich nehmen.
Ganz großes Drama bietet der Präsident von Frankreich. Er antwortet mit einer Schocktherapie auf den Vormarsch der rechtsnationalen Konkurrenz, die sein Mitte-Bündnis bei den Europawahlen nicht nur ausgedribbelt, sondern geradezu überrollt hat. Den Schock, der ihn damit erwischt hat, hat er prompt an seine Landsleute in Form von plötzlichen Neuwahlen gekontert. Abgeordnete standen quasi über Nacht vor verschlossenen Büros und mussten sich holterdipolter in einen Wahlkampf stürzen, ohne vorher trainieren zu können. Ein Befreiungsschlag? Eher eine Aufforderung zu einem neuen Schock. Denn wie es aussieht, muss Emmanuel Macron demnächst mit einem Parlament kohabitieren, das von Marine Le Pens Vordermann Jordan Bardella dominiert wird. Da zeichnet sich ein nicht sehr wunderbares Freundschaftsspiel zwischen dem Präsidenten und dem möglichen Ministerpräsidenten ab.
Holterdipolter auch in Großbritannien. Dort hat der Premierminister aus purer Verzweiflung Neuwahlen ausgerufen. Wie ein Torwart, dessen Verein Null zu Fünf hinten liegt und der nun durch einen Weitschuss wenigstens noch auf einen Ehrentreffer hofft. Vermutlich vergebens. Auch auf der Insel gab's ein Zweierduell, das ausging wie das Hornberger Schießen. Labours Keir Starmer festigte seinen Ruf als begnadeter Langweiler, während Noch-Premierminister Rishi Sunak austeilte wie ein angeschlagener Boxer, der er ja auch ist. Am 4. Juli wird Starmer den jetzt schon geschlagenen Sunak in Nummer 10 Downing Street ablösen. Die Frage ist nur noch, ob die Labour-Mehrheit groß oder gigantisch ausfallen wird.
In der Berliner Luft versucht die Regierungsmannschaft, einen ganz eigenen Beitrag zum fußballerischen Sommermärchen zu liefern. Und zwar durch Holzen und Mauern im eigenen Strafraum, weil keiner dem Anderen den Ball gönnt. Es bedarf nicht viel, und der Ball rollt dem müden Torwart ins Netz, hinein gefummelt vom eigenen Team. Womit der Trend zum Eigentor, der sich bei der Fußball-EM verfestigt hat, auch die Politik erobern würde. Kommt es zum vorzeitigen Spielabbruch oder müssen sich die Zuschauer das Gewurstel bis zum bitteren Ende anschauen? Wahrscheinlich bolzen die Spieler unverdrossen weiter, weil sie Angst vor einem Leben nach dem Schlusspfiff haben.
Stabilität nur in Italien?
Geht es denn nirgendwo ruhig und gelassen zu? Im Prinzip ja. Ausgerechnet in Italien, wo man traditionell an wilde Szenen gewöhnt war. Aber die dortigen Fratelli haben ihr Land in einen Hort der politischen Stabilität verwandelt. Allerdings nicht im Sinne der nördlichen, chaotischen Nachbarn. Denen ist die neue italienische Stabilität zu rechts, weshalb auch die alte und vermutlich neue Präsidentin der EU-Kommission versucht, an Italien vorbeizudribbeln. Das kann ins Auge gehen, weil sich die führende Sorella der Fratelli nicht so leicht austricksen lässt. Giorgia Meloni strotzt vor Kraft und kann notfalls auf die alte italienische Kunst des Catenaccio zurückgreifen, die schon manchen siegessicheren Gegner zu Fall gebracht hat. Mal sehen, wie sie die Mitte-Links-Mauschler der EU noch das Fürchten lehrt. Sie hat ja auf dem rechten Flügel Europas einige Mitspieler.
Kurz und gut: Jenseits und diesseits des Atlantik kann man von Langeweile in der Politik nicht sprechen. Was als Entertainment ganz prima ist, wirkt aber beunruhigend beim ernsthafteren Blick auf die Weltlage.
Rainer Bonhorst, geboren 1942 in Nürnberg, arbeitete als Korrespondent der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung (WAZ) in London und Washington. Von 1994 bis 2009 war er Chefredakteur der Augsburger Allgemeinen Zeitung