Bernhard Lassahn / 23.12.2017 / 08:00 / Foto: Tim Maxeiner / 4 / Seite ausdrucken

Der Achgut-Adventskalender (23): Honeckers Lyrik

Anmerkung zum lyrischen Schaffen von Erich Honecker

Zu seinen bekanntesten Werken zählt der Vers:

Den Sozialismus in seinem Lauf
halten weder Ochs noch Esel auf.

Was will uns der Dichter damit sagen? Der fortschreitende Sozialismus ist nicht aufzuhalten. Vordergründig liegt darin die Aussage dieses populären Zweizeilers, und Honecker hat dazu tief in die poetische Trickkiste gegriffen und daraus zwei vertraute Sinnbilder hervorgeholt: „Ochs“ und „Esel“.

Doch es muss auch die Fragen gestattet sein, ob es eine gute Wahl war? Der „Ochs“ steht für unbändige Kraft. Eine gute Wahl. Dass der Sozialismus eine Bedrohung, die aus einem Kräftevergleich der Systeme hervorgeht, nicht fürchten muss, spricht für ihn.

Wie aber sieht es mit dem „Esel“ aus? Der steht gemeinhin für Dummheit. Hier liegt ein poetisches Eigentor vor; denn es spricht eher gegen die Abwehrkraft eines Systems, wenn es sich mit Lappalien aufhält und meint, extra betonen zu müssen, dass es einem so unbedeutenden Gegner wie dem Esel standhält? Was würde denn im umgekehrten Fall ein Esel bewirken können, wenn er aufgerufen wäre, den Kapitalismus in seinem Lauf aufzuhalten? Ebenfalls nichts.

Dass Honecker dennoch die Zweierpackung „Ochs und Esel“ gewählt hat, erlaubt gewisse Rückschlüsse auf sein eigenes Wertesystem und lässt eine unfreiwillige Aussage durchschimmern – so wie eine an die Hauswand gesprayte politische Parole, die nur flüchtig übertüncht wurde, sich nach kurzer Zeit wieder deutlich abzeichnet. Hier offenbart sich uns eine hintergründige Botschaft, die auch vom weiteren Verlauf der Geschichte bestätigt wurde: In Wirklichkeit ist es die Wirkungsmacht der Sinnbilder vom Christkind und der Krippe in Gesellschaft von Ochs und Esel, die sich durch nichts aufhalten lässt, schon gar nicht von einem Lyriker mit sozialistischem Menschenbild.

Foto: Tim Maxeiner

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Jörn Weidemann / 23.12.2017

Der Spruch: Den Sozialismus in seinem Lauf, hält weder Ochs noch Esel auf, ist ein Zitat aus der Zeit des Sozialistengesetzes. Das ist keine Erfindung von Erich Honecker. Mit Ochs war Fürst Otto von Bismarck gemeint und mit Esel Wilhelm I. (der Kartätschenprinz oder auch Lehmann von liberalen Kreisen genannt)  

Helmut Driesel / 23.12.2017

Ich bezweifle, dass es heute von geistiger Größe zeugt, sich über Honeckers rhetorisch gepflegte Straßen-Kalauer der zwanziger Jahre lustig zu machen. Dass ein Mann wie Honecker ein führender deutscher Politiker werden konnte, gehört zu den größten Rätseln der jüngeren deutschen Geschichte. Selbst, wenn er nur eine Marionette gewesen wäre, fragt man sich doch, welches seine überzeugenden Qualitäten als Marionette gewesen sein könnten. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass er das Kapital nicht vollständig gelesen hatte, geschweige die vielen Marx/Engels- und Leninbände, die man normalerweise in der damaligen Zeit einem führenden Kader zumutete. Er war von einer verzweifelten Kleingeistigkeit, wahrscheinlich wäre er in Tränen ausgebrochen, wenn man ihn hätte zwingen können, öffentlich mit Oppositionellen zu diskutieren. Dieser unglückliche Diktator war wenig mehr als eine geschwollene Leber mit Klassenbewusstsein. Wie sehr also muss jemand von den heutigen Tendenzen der Gesellschaft nach links, ja und sogar zurück zum Gemeineigentum erschüttert sein, wenn ihm das “Ochs und Esel” als würdiger Aufguss von Gesellschaftskritik erscheint? Ich wünschte, wir hätte etwas mehr sozialistische Realität, meinetwegen auch national, dann könnten sich alle, die sich für rationalen Geister halten, sinngebend daran abarbeiten. Anstatt zur bloßen eigenen Performance auf historischen Witzfiguren herum zu turnen und dabei die eigene Arbeitsscheu einzunebeln.

Elmar Schürscheid / 23.12.2017

Hehe, sehr schön! Und das auch noch in der seeligen Zeit, ich kann mich kaum halten vor Lachen.

Wilfried Cremer / 23.12.2017

Genau. Und der zweite Erguss beinhaltete, dass die (saarländische) Herkunft der (sozialistischen) Heimat DDR nicht widerspricht. Umgekehrt wird ein Esel daraus. Wie dumm!

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