Der Artikel macht mehrere Fehler. ++ Er verwechselt Ordnung mit einem administrativen Chaos und einem aufgeblähten, unfähigen Staatsapparat. Schätzungsweise gelten heute weit über 300.000 Vorschriften von EU plus Bund plus jeweiligem Bundesland. Dieses bürokratische Dickicht besteht aus mies formulierten, aufgedunsenen und inkonsistenten Monstrositäten. Heutige Gesetze haben locker mehr als 100 Seiten. Stand 2014 waren es bereits 246.944 Bundesvorschriften, siehe [Alexander Neubacher: Total beschränkt. Wie uns der Staat mit immer neuen Vorschriften das Denken abgewöhnt]. Das ist keine Ordnung, sondern ein nicht mehr ausführbarer bürokratischer Murks. Die Folge ist totale Willkür und damit in Korruption. ++ Deutschland war noch nie ein wirklich liberaler bürgerlicher Rechtsstaat. Das GG, das Staatsrecht und die staatlichen Institutionen konstituieren einen Obrigkeitsstaat. Nach 63 Änderungen an 235 Artikeln ist das GG endgültig vermurkst. Sämtliche Grundrechte sind durch Gesetzesvorbehalte, direkte Einschränkungen und viele andere Hintertüren praktisch entwertet. Und dann noch solche genialen Artikel wie 20a (Umweltschutz) oder 93 (Ermächtigung der EU): Gibt es so etwas auch in anderen (vernünftigen) Verfassungen?
‘68’ jedenfalls war KEIN “rauschhafter Freiheitsausbruch”. Ganz im Gegenteil. Ich habe die roten Hanseln ja hautnah an der Uni. erlebt. Was sie wollten, war, uns Studienanfängern zu verbieten, in bestimmte Vorlesungen missliebiger Professoren zu gehen, “böse” Bücher zu lesen, “schlechte” Dinge zu lernen. Der Studentenfunktionär, der für uns eine Bibliotheksführung machte, ging zu den gesammelten Werken von Marx und Engels und meinte - ganz im Ernst! - “das hier ist alles, was Ihr wirklich lesen müsst!” Wenn wir uns aus Neugier nicht an den Boykott von bestimmten Professoren hielten (wir wollten ja wissen, was die Schlimmes sagen), dann war eben in der nächsten Woche eine linke Sitz-Blockade vor dem Seminarraum. Keiner konnte rein. Das war mein Schlüsselerlebnis mit den linken Freiheitsfreunden. Und die letzten 50 Jahre haben diesen ersten Eindruck mehr als bestätigt. Das ist Pack, verächtliches, herrschsüchtiges Pack. Nichts anderes.
Den deutschen Ordnungssinn sehe ich nicht als größtes Problem für die Freiheit an. Die Ursache der deutschen Freiheitsfeindlichkeit scheint mir in dem Bedürfnis nach einem Staat zu liegen, der den Menschen führt und ihm die Entscheidungen abnimmt. Dazu zählt nicht nur der autoritäre Obrigkeitsstaat, sondern auch der soziale Versorgungsstaat, der sich scheinbar fürsorglich um alle Belange des Bürgers kümmert. Der Staat wird zur Instanz der höchsten Wahrheit und Gerechtigkeit gemacht, der alle Menschen eint, die ihm folgen und an ihn glauben. Man kann, ohne sich mit Eigenverantwortung oder kritischem Nachdenken beschäftigen zu müssen, in der Masse gleicher Menschen aufgehen. Der Staat kümmert sich um alles, als Gegenleistung ist man folgsam. Ganz anders funktioniert die freiheitliche Gesellschaft, die auf den mündigen Bürger setzt. Der mündige Bürger hält eine kritische Distanz zum Staat, weil er sich der ständigen Bedrohung für den einzelnen Menschen bewusst ist, die vom Staat ausgehen kann. Er regelt seine das Leben betreffende Angelegenheiten lieber selbst. Er zieht es vor, Individuum statt Massenmensch zu sein. Doch diese Mündigkeit scheint vielen Deutschen zu anstrengend zu sein.
Die KZs waren auch sehr ordentlich. Sehr reglementiert. Sehr von oben herab. Sehr frei von Freiheit. Nein, danke.
“Funktionierender”? Deutschland im Jahre 2021? “Funktionierender” als einige Sub-Sahara-Staaten vielleicht, aber sicher nicht im Vergleich zur deutschen Vergangenheit. Wenn man sich auf etwas im neuen Deutschland verlassen kann, dann darauf, dass es eben nicht “funktioniert”. Von der Hetzjagd auf Andersdenkende vielleicht abgesehen, zugegeben, das “funktioniert” sehr gut. Gelernt ist eben gelernt.
Adolf hatte wohl die richtigen Saiten zum Klingen gebracht. Heute wird er gebraucht um jene zu makieren, die sich gegen die allseits zunehmende Unfreiheit wehren.
Am Frankfurter Hauptbahnhof bewundere ich die Penner, denn die sind wirklich “frei”: Keiner von oben verdient an ihnen und sagt ihnen, was sie zu tun haben (sie könnten es ja auch nicht mehr). Keiner von untern verlangt etwas (denn drunter geht´s nicht mehr), Keiner will etwas von ihnen, (da nichts zu holen ist). Das ist wahre Freiheit - Ich mag das Wort nicht, es bedeutet Unverantwortlichkeit und Bindungslosigkeit bzw. -unfähigkeit. Lassen Sie uns lieber von persönlichen Rechten sprechen, Selbstbestimmung, Unabhängigkeit im persönlichen und geistigen Sinn. Und das im Rechtsrahmen, sonst geht es zu Lasten anderer, bis diese “frei” sind im o.g. Sinne.
Ach ja, die Freiheit. Sie sollte nur einer Regel folgen: Leben und leben lassen. Also, ich werde so leben, dass ich niemandes Leben gefährde und erwarte, dass ich so leben kann, wie ich es möchte. Dazu braucht man Charakterstärke, weil Toleranz nötig ist. Das ist Mangelware in Deutschland, weil es nicht gelehrt und vorgelebt wird. Lebenslang begleiten uns Verbote, denen Bußgelder auf dem Fuß folgen. Und das Denunziantentum erlebt gerade wieder ein Blütezeit. Da fühle ich mich Ausland vielfach deutlich wohler.
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