Rainer Bonhorst / 05.05.2021 / 11:00 / Foto: Pixabay / 34 / Seite ausdrucken

Der Abschied von der undeutschen Freiheit 

„Ordnung“, sagte einmal ein englischer Staatsdiener zu mir, „ist in unserem Land nicht oberstes Gebot.“ Und da er das zu einem Gesprächspartner mit deutschem Migrationshintergrund sagte, war klar, was er damit meinte: „In England geht es anders zu als bei euch in Deutschland, wo die Ordnung auf der Richterskala der Werte ganz oben steht.“ Eine durchaus passende Diagnose. 

Den nächstliegenden Beleg liefert ein Blick aus meinem Fenster. Hier im bayerischen Schwaben ist gerade Kehrwoche, und man könnte seine Spätzle vom Straßenpflaster essen. Ich finde das einerseits sehr schön, andererseits erinnert mich der geleckte Anblick an den Kontrapunkt von Ordnung und Freiheit: Je mehr Ordnung desto weniger Freiheit. Und um die Freiheit soll es hier vor allem gehen.

Nun ist die Freiheit, sich eine schmuddelige Straße zu gönnen, kein hochkarätiger Wert. Und wer will schon totale Freiheit in totaler Unordnung. Auch die Freiheit braucht ein vernünftiges Maß an Ordnung. Auf die Balance kommt es an. Problematisch wird es erst, wenn die Balance nicht stimmt. 

In England („We cross this bridge when we get there) hat die bisher chaotische Nichtbewältigung des Brexit gezeigt, was geschieht, wenn die Waage zu sehr in die eine Richtung kippt. Bei uns zeigen die jüngsten freiheitswidrigen Ordnungsmaßnahmen den Ausschlag in die andere Richtung. Die orakelbasierte Umweltentscheidung des Verfassungsgerichts ist das eklatanteste Beispiel. Aber auch die überzogenen Lockdown-Anordnungen und das immer heftigere, föderalismusfeindliche Durchregieren zeigen, dass da etwas aus der Balance geraten ist.

Die deutsche Seele findet endlich wieder zu sich selbst

Der Entzug der Freiheitsrechte ist auf der freiheitsliebenden Achse ausführlich und kundig gegeißelt worden. Ich möchte dieser wohlbegründeten Kritik nur noch eine seitliche Arabeske hinzufügen. Nämlich die: Mit dem schleichenden oder auch rasenden Abschied von der Freiheit findet die deutsche Seele endlich wieder zu sich selbst. Die Freiheit ist nie das gewesen, was unsere deutsche Welt im innersten zusammenhält. Im Zweifel für die Ordnung und gegen die zum Chaos neigende Freiheit. Zuviel Freiheit ist – das lehrt auch die Geschichte – undeutsch.

Wir haben unsere Freiheit nach einem gegen alle Freiheit gerichteten Krieg von den Angelsachsen geschenkt bekommen. Sie wurde im Grundgesetz ausformuliert und hat unser Leben sieben Jahrzehnte lang mehr oder weniger mitgeprägt. Aber 70 Jahre sind keine lange Zeit. Und auch in diesen 70 Jahren hat die Freiheit streckenweise ein Schattendasein geführt. In den 1950er Jahren galten noch die traditionellen autoritären Sitten. In den späten sechziger und den siebziger Jahren gab es mächtige, hier und da rauschhafte Freiheitsausbrüche. Aber auch diese Freiheitler besannen sich bald eines Ordentlicheren und gingen in den öffentlichen Dienst. Oder sie gingen in die Politik und versuchen nun von dieser Plattform aus, das Leben der Regierten in ordentlichere Bahnen zu lenken.

Ein durchgängiges Beispiel ist die Partei, die sich schon in ihrem Namen vorrangig zur Freiheit bekennt. Die FDP hat in all den siebzig Jahren meist ein bescheidenes, fast einsames Leben um die Zehn-Prozent-Marke geführt. Mit dem Thema Freiheit war in Deutschland noch nie ein großer Blumentopf zu gewinnen, auch wenn es immer mal wieder gelang, als Juniorpartner mitzuregieren. Freiheit als Top-Programm blieb das Hobby einer Minderheit.

Von oben herab und auf dem Wege der Verbote

Die Grünen, aus dem Chaos der kurzen Freiheitsorgie geboren, haben sich längst entschieden, unsere Welt von oben herab und auf dem Wege der Verbote und Vorschriften zu verbessern. Ein bemerkenswert schneller Abschied von den Freiheiten, die ihrem Weltbild widersprechen. Also von der eigentlichen Freiheit.

Und was sagt die Geschichte davor? Es gab immer wieder kleine, radikale Minderheiten Freiheitsliebender. Aber sie liefen gegen dicke Wände. Die frühen Bauern des 16. Jahrhunderts haben es schon versucht und wurden niedergeschmettert. Die Freiheitsbemühungen der 1848er sind weitgehend gescheitert, die nach dem Ersten Weltkrieg kläglich und beschämend. Und was ist mit der Selbstbefreiung Ostdeutschlands? Nun, man hat von der großen Unfreiheit rübergemacht in eine Freiheit auf nicht sehr strammen Beinen.

Kurz und schlecht: Mit den aktuellen Beschneidungen unserer Freiheitsrechte findet Deutschland eigentlich wieder zu sich selbst und zu seiner Geschichte. Wir werden trotz bunter Einwanderung und multikultureller Vielfalt wieder deutscher. Also ordentlicher. Strammer. Durchregierbarer. Funktionierender. 

Die deutsche Seele mag nun mal kein englisches oder italienisches Durcheinander. Das erklärt, warum sich so wenig Widerstand gegen den aktuellen Freiheitsklau regt. Und warum jedem Widerstand gleich mit Verbannung in die Schmuddelecke gedroht wird. Nach dem Motto: Darf es denn angehen, dass sich einer gegen etwas wehrt, was der ordnungsliebenden mehrheitsdeutschen Seele so gut tut? Man muss doch nur schauen, wie es bei den anderen aussieht, die keine Kehrwoche haben. Bei denen macht man Urlaub, um mal frei durchzuatmen. Aber dann begibt man sich aufatmend zurück in die seelische Sicherheit unseres durchregierten, ordentlichen Deutschlands.

Zum Schluss noch dies: Sollte ich bei dieser Gedankenspielerei hier und da etwas übertrieben haben, so ist das darauf zurückzuführen, dass ich mir unter Verzicht auf strikte Ordnung ein paar Freiheiten genommen habe.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Marcel Seiler / 05.05.2021

“Wir werden trotz bunter Einwanderung ... wieder deutscher. Also ordentlicher. Strammer. Durchregierbarer. Funktionierender.” Nein, wir werden es *wegen* der Einwanderung. Denn diese, das fühlen im Unterbewusstsein alle, ist bedrohlich. Und gegen Bedrohung wappnet man sich mit Disziplin, Ordnung, Strammstehen und Stechschritt.

Jörg Mathes / 05.05.2021

Dem Autor kann ich nur aus vollstem Herzen zustimmen.Es gibt in Deutschland nicht nur den Ordnungsfanatismus,sondern auch den unheimlichen Perfektionismus-im Guten wie im Bösen.Ferner die Kultur der Verherrlichung des Sterbens für Deutschland,die Todessehn- sucht.Der konservative Historiker Arnulf Baring erklärte einmal sinngemäss,er fände es gut, wenn Menschen wieder bereit wären,für Deutschland zu sterben.Einfach nur gruselig! Die lebenslustigen Italiener übrigens waren im Zweiten Weltkrieg nicht bereit,den Deutschen bis zum bitteren Untergang zu folgen.Als sich nach der Landung der Westalliierten auf Sizilien 1943 die Niederlage abzeichnete,stimmte selbst der faschistische Grossrat für die Absetzung Mussolinis.Und ratzfatz- war der Faschismus in Italien Geschichte! Realitätssinn für das Machbare und Vernünftige hatte in Deutschland noch nie Tradition.

j. heini / 05.05.2021

Wenn man die Regierungsformen in Europa anschaut, dann waren Diktaturen nicht die Ausnahme. Nicht nur bei uns Deutschen. Vielleicht sind die Ursprünge überall anders. In D - da stimme ich Ihnen zu - liegt es an unserem Ordnungssinn verbunden mit unserer Effektivität. Was uns in der Wirtschaft nutzt, ist der Tod für jegliche Freiheit.

Ulf Martin / 05.05.2021

Zur tragischen Geschichte des Liberalismus in Deutschland empfehle ich Udo Leuschner, “Zur Geschichte des deutschen Liberalismus” und “Die Geschichte der FDP”, online. — Im letzten Abschnitt der FDP-Geschichte, “Noch eine Chance für die Liberalen?” von letzterer zitiert er Karl-Hermann Flach: “Liberalismus heißt Einsatz für größtmögliche Freiheit des einzelnen Menschen und Wahrung der menschlichen Würde in jeder gegebenen oder sich verändernden gesellschaftlichen Situation. Der Liberalismus ist nicht auf ein Gesellschaftsmodell festgelegt. Liberalismus bedeutet demnach nicht Freiheit und Würde einer Schicht, sondern persönliche Freiheit und Menschenwürde der größtmöglichen Zahl. Freiheit und Gleichheit sind nicht Gegensätze, sondern bedingen einander. Die Freiheit des Einzelnen findet ihre Grenze in der Freiheit des anderen Einzelnen, des Nächsten. Insoweit ist Liberalismus nicht Anarchismus, sondern auch eine politische Ordnungslehre.” — Das bleibt eine Dauerbaustelle.

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