Quentin Quencher / 04.04.2020 / 10:00 / 45 / Seite ausdrucken

Denunzieren im Namen der Bürgerpflicht

„So wurden allein am Samstag landesweit bei gut 5.000 Personen mehr als 1.000 Verstöße gegen das Infektionsschutzgesetz festgestellt“, wird aus Baden-Württemberg gemeldet und: „Die Erfolgsquote beruht auch auf der emsigen Mithilfe von Bürgern.“

Was bringt die „Bürger“ nun dazu, in dieser Menge, ihre Mitmenschen bei der Polizei zu melden? Ein paar Bilder entstanden dabei, als ich diese Meldung las, vor meinem geistigen Auge. Das erste Bild war das vom pflichtbewussten Deutschen, der es als seine Aufgabe ansieht, bei der Bekämpfung der Corona-Krise dafür zu sorgen, dass sich alle an die neuen Regeln halten. Zu lesen war ja auch, „wenn es nach Innenminister Strobl geht, sollte es davon ruhig noch mehr geben“. Der Anständige wird gelobt, der Unanständige gemaßregelt. Wir sind in Deutschland, da funktioniert so was ganz gut.

Doch schnell verblasst dieses Bild vom pflichtbewussten Deutschen wieder, hin zu einer Karikatur, die mit der Wirklichkeit nicht viel zu tun hat. Freilich gibt es diese Typen, die jede Regelüberschreitung melden, den Nachbarn anzeigen, weil der was Verbotenes tut, den Falschparker, den Schwarzarbeiter, wen oder was auch immer. Eine Mehrheit tut das nicht, im Gegenteil, die, welche dies notorisch tun, werden als Sonderlinge eher ausgegrenzt, mit denen man nicht viel zu tun haben möchte. Möglicherweise war das in vergangenen Zeiten einmal anders, und falls es mal anders war, so stimmt es heute nicht mehr. Ein gewisses „Laissez-faire“ ist schon lange den Deutschen eigen oder, wie der alte Fritz sagen würde, ein jeder soll nach seiner Fasson selig werden.

Natürlich ist es noch nach wie vor so, dass die Bürger ihre Regeln lieben. Fast siebzig Prozent, wenn man dieser Civey-Umfrage trauen kann, stört es, wenn sie mitbekommen, dass andere Menschen ihren Müll nicht richtig trennen. Aber nur die allerwenigsten von denen, die sich daran stören, zeigen ihren Nachbarn deswegen an. Und wer trennt denn schon den Müll vorschriftsmäßig, ich schon mal nicht.

Protest gegen „Political Correctness“

Etwas anders sieht die Sache, die Bereitschaft eine Unkorrektheit zu melden oder anzuzeigen, allerdings aus, wenn damit eine politische oder weltanschauliche Frage verbunden ist. In den sozialen Medien, Twitter und Facebook zuvörderst, ist geradezu eine Meldeflut ausgebrochen. Diese speist sich aber nicht aus der Sorge um das Gemeinwohl oder weil so viele einem Regulierungsfetisch frönen würden, sondern aus dem Wunsch, dem, der anderer Meinung ist, eins reinzuwürgen, zu schaden. Sanktionierungen und Aufregungen über Verstöße gegen die „Political Correctness“ fallen in die gleiche Kategorie. Die politische Stimmung im Lande ist meilenweit von der „Laissez-faire“-Haltung entfernt, die sonst im gewöhnlichen Mit- oder Nebeneinander herrscht und wird vor allem von fanatischen Minderheiten vergiftet.

Ein Verdacht keimt auf: Ist es möglicherweise so, dass die „emsige Mithilfe von Bürgern“ bei der Durchsetzung des Infektionsschutzgesetzes auch politische Gründe hat? Das Bild vom pflichtbewussten Bürger falsch war und sich nun in Bilder des Widerstandes und des politisierten Bürgers wandelt, der hier ein Ventil gefunden hat, seinen Unmut über gesellschaftliche Entwicklungen auszudrücken? Das vielleicht sogar, ohne dass ihm das so richtig bewusst ist?

Ich weiß, mein Verdacht wird jetzt hoch spekulativ, denn es gibt kaum Meldungen darüber, welche Gruppen denn angezeigt wurden. Vereinzelt ist von Gaststätten oder Kneipen die Rede, von einer größeren Aktion wird bei der Kontrolle einer Shisha-Bar berichtet, bei der die Feuerwehr die Türen aufbrechen musste und 26 Teilnehmer einer verbotenen Party in einem verbarrikadierten Kellerraum entdeckt wurden. Letztlich dürfte die Mehrzahl der Meldungen ebensolche Lokalitäten wie Bars betreffen, den einen oder anderen Dienstleister und vor allem Ansammlungen von Personen in der Öffentlichkeit. Gerade was letztere betrifft, muss ich eher an Personen denken, die einem südlichen Phänotyp entsprechen. So jedenfalls meine Erfahrungen in der Vergangenheit, an bestimmten Plätzen, in Parks und dergleichen.

„Emsige Mithilfe der Bürger“ hat vor allem politische Gründe

Nun will ich den emsigen Bürgern, die für ihre Mithilfe gerade noch von hohen politischen Amtsträgen gelobt wurden, wie vom Innenminister von Baden-Württemberg, nicht unterstellen, sie würden aus rassistischen Motiven handeln. Das nicht, aber es könnte durchaus ein Protest gegen eine so empfundene Überfremdung des öffentlichen Raumes sein, den man sich sonst nicht zu formulieren getraut, aus Angst davor, gegen die „Political Correctness“ zu verstoßen und damit sogleich unter Nazi-Verdacht zu geraten.

Doch nun sieht die Lage auf einmal ganz anders aus. Ich bin auf der moralisch guten Seite, wenn ich diese Personengruppen, die sich weiterhin an ihren gewohnten Plätzen treffen, nun anzeige, weil sie gegen das Infektionsschutzgesetz verstoßen. Ich kann vorgeben, es ginge mir um die Gesundheit und den Schutz aller. Die Denunziation wird zur moralisch guten Tat.

Freilich ist das alles nur ein Gedankenspiel meinerseits, es sind die Bilder, welche sich bei mir vorm geistigen Auge entwickeln, wenn ich die Nachrichten lese, zum Einkaufen oder spazieren gehe. Dennoch bin ich überzeugt, dass dieses Infektionsschutzgesetz nun ein Ventil für Protest öffnet, der bislang aus moralisch-politisch-korrekten Gründen den meisten verwehrt war. Nun ist die Moral auf ihrer Seite, sie können damit argumentieren. Die „emsige Mithilfe der Bürger“ hat also vor allem politische Gründe.

Dieser Beitrag ist auch auf Quentin Quenchers Blog „Glitzerwasser“ erschienen.

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Leserpost

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W. Herold / 04.04.2020

Ich denke es ist recht banal: Die Leute können sich nicht ausstehen und nun gibt es eben eine moralisch korrekte Möglichkeit sich eins auszuwischen. Der Nachbar der immer auf “meinem” Parkplatz parkt und nun einen Kindergeburtstag feiert? Gleich mal anrufen. Oder die Leute von der Bar gegenüber, deren Gäste immer bei “mir” an die Mauer pinkeln? Gleich mal anrufen, wenn da verdächtig viele Leute reingehen und nur wenige wieder gehen. Die Situation wäre sicher besser, wenn wir nicht alle dichtgedrängt leben müssten, sondern Raum um uns hätten. Aber nein, im Außenbereich was bauen? Geht ja gar nicht!

Frances Johnson / 04.04.2020

@ S. Niemeyer: Falsch. Die Polizei würde mit betenden Christen nicht anders umgehen. Sie unterstellen etwas Nicht-Existentes, denn Christen ist das Gebet nicht ganz so wichtig, so dass sie sich derzeit nicht treffen.

Florian Bode / 04.04.2020

Der Denunziant ist voller Neid auf den Mut der Anderen.

Frances Johnson / 04.04.2020

Diese kleinen Petzer sind nochmal eine Klasse niedriger angesiedelt als ein kleiner Mafia-Verpfeifer oder Edward Snowdon. Ein kleiner Mafia-Verpfeifer riskiert wenigstens eine Kugel im Kopf, und Ed hat sein Leben damit zerstört wie auch Assange, der Whistle-Blower. Diese kleinen armseligen Petzer, von denen schon Heerscharen von SS und Stasi profitiert haben, machen wohlfeiles Petzen, denn es passiert ihnen nichts. Sie riskieren nichts, werfen nur Dreck auf den Mitbürger, fühlen sich plötzlich mächtig und kriegen abends ausnahmsweise einen Ständer. Die Frauen fühlen sich plötzlich wichtig. Ich frage mich, wie Walt Disney sie im Dschungelbuch dargestellt hätte. Hyänen? Geier? Jedenfalls haben sie nichts gemeinsam mit Balou, dem Lebenskünstler oder Baghira, dem Weisen. Auch nicht mit Shir Khan, dem Top Predator. Der ist auf sie angewiesen und dürfte sie dabei verachten. Petzer sind in der sozialen Ordnung ganz unten anzusiedeln, egal wo sie herstammen. Unterhalb eines die Omertà einhaltenden Mafioso. Weit unterhalb. Sie gehören für mich zu den Lebewesen niedriger Klasse. Tatsächlich ziehe ich ihnen jedes Tier vor und sogar einen Mafioso. Schimmelpilze, Schmarotzer, da würde ich Petzer ansiedeln. Ich verachte sie. Sie sind ubiquitär. Im Normalfall sprechen sie einen an, wenn man falsch parkt. Was man zu ihnen sagen möchte, darf man nicht: Gfys idiot. Selbst für die hintere Hälfte können sie schon vor Gericht gehen. Es sind dieselben Leute, die um einen Zaun streiten, der an einer Stelle einen halben Zentimeter zu weit auf ihrem Grundstück steht. Petzer sind für Polizeistaaten wie Hefe für Brot.

Andreas Rochow / 04.04.2020

Gut anderthalb Jahrzehnte hat die Merkelregierung die verborgene deutsche Diffamierungs- und Denunziationslust wieder für sich genutzt und gefördert. Alles,  was sich unter den Begriff “Gegenrächts” subsumieren lässt, ist zum Millionen- wenn nicht sogar Milliardenmarkt geworden, in dem Aktivisten ihre Brötchen verdienen, Tendenz exponentiell steigend! Hier wirken auch Milliardensummen aus globalistischen Stiftungen, die eine gut organisierte und ideologisch gefestigte außerparlamentarische Opposition installieren, um die Parlamente in entscheidenden Fragen zu umgehen. Eine demokratisch verfasste Gesellschaft hätte das nicht nötig! Das “Non-Governmental” ist eine dreiste Lüge, AN DIE WIR UNS NIE GEWÖHNEN DÜRFEN! Der Souverän - das Volk - hat nichts mehr zu sagen. Inzwischen werden entscheidende Weichenstellungen von NGOs und übernationalen Institutionen vorgenommen, die durch Wähler nicht kontrolliert werden und deswegen immer hemmungsloser antidemokratisch behaupten: “Wir sind mehr”. Dass Merkel mit dieser Masche erfolgreich ist, erkennt man nicht nur bei PISA und schulfreiem Freitag, sondern auch daran, dass ihre Lämmer sie bei der “Sonntagsfrage” hochloben und ihre Staatsmedien im Chor singen, sie habe das richtige Wort gesprochen und den richtigen Ton getroffen! Dass die Demontage des Krankenhauswesens und die Pseudoprivatisierung der Politik in die Ära Merkel fallen, kommt nicht zur Sprache. Sonst hätte sie sich in dieser Position nicht halten können. Antidemokratie pur ist es, wenn unternehmensnahe Stiftungen wie Bertelsmann sich mit Denunziationsprojekten ein internationales Medienkartell “verdienen” und zugleich politisch das große Rad drehen dürfen/wollen/müssen. Die Kritiker dieses Merkelfilzes werden konsequent durch Diffamierung und Denunziation ausgeschaltet. Öffentliche Debatten sind nur noch Simulationen. Man möchte meinen: Endlich schafft ein tödliches Virus die willkommene Alternativlosigkeit für die Einschränkung von Freiheitsrechten und Demokratie.

Dr. Karl Wolf / 04.04.2020

Wenn ein tiefergelegter Spaßbürger mit 70 km durch meine von Kindern und Alten bewohnte Tempo30-Zone brettert, melde ich ihn. Wenn ich momentan eine große Gruppe von Merkels Lieblingen im Park sehe, melde ich sie. Ist das nun denunziatorisch oder vielleicht einfach nur verantwortungsvoll.

F.Bothmann / 04.04.2020

Dem deutschen Bürger wohnt ein gewisses Maß an alltäglichem Faschismus inne. Damit meine ich die Gleichmacherei und das Denunzieren des Andersdenkenden.  Das dies in der letzten Zeit gesamtgesellschaftlich oder zumindest in den Medien zum guten Ton gehört, erschreckt mich sehr. Ich kann es mir nur über diesen versteckten latenten Faschismus erklären. Eine Vielfalt von Meinungen ermöglichen, die Diskussion von Alternativen und gemeinsam die beste Lösung finden - das ist doch für das gegenwärtige Deutschland nur eine Fiktion.

Henri Brunner / 04.04.2020

@toni Keller Genau das sehe ich auch so: in der Firma mehrere Leute in Quarantäne, die Wirtschaft schwer geschädigt, die Leute arbeitslos zuhause, aber keiner da, der schwer krank ist. Na ok, die sind halt alle im Spital. So wie man es halt kennt bei > 80 und Infekten, Grippen unsw. Und sonst ist keiner erkrankt ? Zum Meldewesen muss man halt feststellen, dass hier die übelste und dreckigste Charaktereigenschaft der Menschen zutage tritt: in den 30ern kamen nach einer Meldung die SA, später wars die SS. Heute kommt die Polizei. Aber es sind damals wie heute dieselben miesen, dreckigen Charakter, welche sich mittels Meldung und Denunzion über andere Menschen stellen wollen, sich an ihnen für irgendwas rächen wollen, es gibt dutzende Gründe, bloss keiner dieser Gründe klingt gut.

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