Thomas Rietzschel / 01.11.2019 / 06:00 / Foto: Fabian Nicolay / 141 / Seite ausdrucken

Denn sie verstehen nicht, wie es ihnen geschieht

Im Wettlauf um den Niedergang der Volksparteien liegt die SPD in Führung. Mit aller Kraft stürmt sie voran, so Kopf-los, wie es die CDU zu werden droht. Wetten kann man darauf, ob die Aufholjagd noch drei Monate oder drei Jahre dauert. Mehr nicht. Die Geschichte hat ihr Urteil gefällt. Sie ist über die Volksparteien hinweggegangen.

Zu verfolgen bleibt die Agonie: der letzte Akt. Für den Zuschauer entbehrt das nicht einer gewissen Spannung. Unterhaltsam ist die Aufführung allemal, mitunter zum Lachen schräg, obwohl es sich doch um ein Trauerspiel handelt. Seinem Ende mag man nicht gerade mit Bangen, aber doch mit Wehmut entgegensehen.

Immerhin liegen hier politische Organisationen auf dem Sterbebett, ohne deren prägenden Einfluss die Demokratie bisher nicht vorstellbar war. Beide, Sozial- wie Christdemokraten, haben nach dem Zusammenruch des Dritten Reiches verantwortungsvoll zum Aufbau einer pluralistischen Gesellschaft beigetragen. Die Bürger durften ihnen vertrauen. Nach zwölf Jahren ideologischen Terrors konnten die Deutschen wieder zu ihrer Meinung stehen, sich politisch frei entscheiden, schwarz, rot, auch gelb und später sogar grün wählen. 

Niemand wurde diffamiert oder ausgegrenzt, weil er sich an der Wahlurne für die „Falschen“ entschieden hatte. Verbote drohten indes, wo sich politische Kräfte gegen die bürgerliche Gesellschaft formierten, gegen das Grundgesetz und die darin verbriefte Freiheit der Wirtschaft sowie der Meinung. Für die KPD mit ihren Vorstellungen von einer „Diktatur des Proletariats“ war kein Platz im Parteienspektrum der demokratisch aufstrebenden Bundesrepublik. 

Dienstleister an der Macht

Nicht zuletzt auf dem Respekt vor der Überzeugung des Einzelnen gründete die Macht der großen Parteien. Wie sehr sie auch immer streiten mochten, gemeinschaftlich stärkten sie das Selbstbewusstsein der Bürger mit ihrem Einsatz für die Grundrechte. Gegenseitig hielten sie sich in Schach und sorgten so für die Verfestigung demokratischer Verhältnisse. 

Die Historiker werden das den Volksparteien immer zugutehalten. Damit haben sie sich um Deutschland verdient gemacht. Ebenso unbestreitbar ist freilich auch, dass sie unterdessen den Verführungen der Macht erlegen sind. Auf dem hohen Ross der Herrschaft haben sie ihren Arbeitgeber, das Volk, aus dem Blick verloren. Fixiert auf sich selbst sind die einst führenden Parteien politisch erblindet. Aus den einstigen Dienstleistern der Gesellschaft wurden Obrigkeiten, die den Bürgern vorgeben, was sie zu tun oder zu lassen haben, was sie für richtig oder falsch halten sollen. 

Befangen in der Vorstellung eigener Unfehlbarkeit und mehr noch in dem Wahn, dass das Land ohne sie verloren wäre, halten die Volksparteien ihre internen Angelegenheiten für die wichtigsten der Welt. Was immer sie tun, gleich, ob sich AKK dazu versteigt, den Syrienkonflikt lösen zu wollen, oder ob man uns weismachen möchte, mit dem Umstieg der Deutschen vom Auto auf das Fahrrad ließe sich eine globale Klimakatastrophe abwenden, stets geht es darum, sich vor dem Bürger aufzuplustern. 

The Show must go on, damit es in den Kassen der Parteien klingelt. Nur fehlt es mittlerweile durchweg an Darstellern, die ihre Rollen überzeugend ausfüllen könnten, sofern sich überhaupt noch welche für die Besetzung finden. Die SPD amüsiert uns seit Monaten mit einem Casting für den Parteivorsitz, während sich an der Spitze der CDU eine bedauernswerte Frau bis zur Peinlichkeit überfordert. 

Kopflos abwärts

Längst rekrutiert sich das Personal der Parteien aus der Inzucht ihrer Apparate. Statt der Exzellenz potenziert sich die Unfähigkeit. Kopflos im wörtlichen wie im übertragenen Sinne trudeln die Volksparteien abwärts. So wie sie einst mit ihrer Stärke überzeugten, verschrecken sie heute mit ihrem Taumel. Den Wählern wird angst und bange, sie laufen in Scharen davon. 

Das Desaster und seine Ursachen liegen auf der Hand. Allein die Verlassenen können nicht verstehen, wie es ihnen geschieht. Geistig verschanzt in der Welt von gestern, sind sie dem Untergang ausgeliefert, nicht in der Lage, das Steuer herumzureißen. Wenn sie es versuchen, kommt dabei nicht mehr heraus als das eingeübte Ritual der Postenschacherei unter Knalltüten. TV-Unterhaltung für den Abend.

Alles hat seine Zeit. Auch die Volksparteien haben ihre gehabt. Sie war so groß, dass man es den Anführern kaum verübeln kann, wenn  sie davon nicht lassen wollen, weiter vor sich hin zu wursteln. Auch Ludwig XVI. glaubte ja noch auf dem Weg zum Schafott, dass ihm die verlorene Macht mit Gottes Gnaden verliehen worden sei. Honecker und Mielke konnten sich bis zum Ende nicht erklären, warum ihre DDR abgesoffen ist. 

Sicher wird es noch eine Weile dauern, bis die Letzten bei SPD und CDU das Licht ausmachen. Dass die Volksparteien aber nochmals aufsteigen könnten wie Phönix aus der Asche, dürfte dann doch eher ein Wunschtraum verzweifelter Funktionäre sein. Wer so tief im Sumpf überholter Organisationen steckt, kann sich nicht am eigenen Schopf herausziehen. Die Geschichte entsorgt, wofür sie keine Verwendung mehr hat. Untergehen wird Deutschland deshalb ganz bestimmt nicht.

Foto: Fabian Nicolay

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Leserpost

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Sabine Lotus / 01.11.2019

Kleiner Epilog zum Thema Popkultur: Ich konnte es nicht fassen, es läuft gerade tatsächlich etwas unterhaltsames, lustiges und sehbares bei Arte: Hindafing. Die ersten beiden Staffeln gibt es bei Arte in der Mediathek. Kurzer Plot: Hochkorrupter, Bayrischer Kleinstadtbürgermeister, der sein Dorf u.A. mit einem “Erstauffanglager” beschenkt und Fracking als Gasfärderung verkaufen will.Hervorragend!  Ich denke, an diesem Stöffchen hätten hier einige Spaß.  Ich will ab und zu mal was für diese “Demokratieabgabe”, daher die Werbung ;). Vielleicht haben “die” jetzt mal wenigstens mal “das” verstanden. Ein paar Nachrichten und Wetter ohne Klima wären noch nett. Einen schönen Abend noch.

Dirk Ahlbrecht / 01.11.2019

Auf diese “Revolte”, liebe Marie-Jeanne Decourroux, darf man alsdann gespannt sein. Schon weil ja bspw. der von Ihnen als Hoffnungsträger genannte JU-Vorsitzende Kuban jüngst und anlässlich der CDU-Niederlage in Thüringen seiner CDU andere Themenschwerpunkt empfahl, nämlich “sich um Themen wie die Zukunft der Landwirtschaft, Landärzteversorgung oder bessere Bus- und Bahnanbindungen zu kümmern”. Also exakt jene Themen, die dem potenziellen Wähler zuallererst und vor allem anderen auf den Nägeln brennen… Nein, nein, Thomas Rietzschel hat schon recht: Das wird nichts mehr mit der CDU.

E. Albert / 01.11.2019

Treffend beschrieben. Bei dem Satz ” Nach zwölf Jahren ideologischen Terrors konnten die Deutschen wieder zu ihrer Meinung stehen, sich politisch frei entscheiden, [...]” habe ich als Freudsche Fehlleistung zunächst gestutzt, schließlich haben wir IM Erika schon länger an der Backe. Aber es ging ja auch ums Dritte Reich, klar. Nicht Merkelschland…das dauert wohl noch etwas, bis wir da wieder so weit sind, dass wir ohne Sorge um Diskreditierung und persönliche Angriffe unsere Meinung frei kundtun können.

U.Förster / 01.11.2019

Die Geschichte widerholt sich: Die CDU legt sich mit der SPD den Neo-Kommunisten(Grüne) und der alten SED(Linke) wieder ins Bett der Nationalen Front! Ausgang ungewiss? Nein einfach ein paar Jahrzehnte zurück denken:

H.Roth / 01.11.2019

Lange Zeit waren CDU und SPD die beiden wesentlichen Gegenspieler, etwa wie Tories und Labour in England, oder Republikaner und Demokraten in den USA. Die Vernichtung dieser Positionen ist Merkels größte politische Errungenschaft. Mit der Absicht, alle Positionen in der CDU zu vereinen, um diese mächtiger zu machen, hat sie die SPD in die Wüste geschickt, und die Union gleich hinterher. Die Wähler verlangen nach klaren Standpunkten. Das zeigt sich deutlich in Thüringen.

Bertram Scharpf / 01.11.2019

Volltreffer, Glückwunsch! Dieser Beitrag beschreibt den Zustand der Altparteien komplett und es ist ihm nichts mehr hinzuzufügen. Alles weitere, zum Beispiel die Frage, ob Merz dereinst eine größere Rolle spielen wird als den Macduff, sind Randthemen.

T.Rehbock / 01.11.2019

Pensionen für Politiker nebst privater Krankenversicherung auf Kosten der Steuerzahler sind neben anderen Bonbons vielleicht ein nicht zu unterschätzender Anreiz gerade für unqualifiziertes Nachwuchspersonal ohne nennenswerte Berufserfahrung oder Ausbildung. Anscheinend ein zunehmendes Problem für den Parteienstaat. Evtl. würde die Gesetzgebung unter Verantwortung der Mandatsträger bei Pflichtmitgliedschaft in der BFA und gesetzlichen Krankenversicherung plötzlich ganz anders aussehen. Der Satz “privat vorsorgen” würde eine neue Dimension bekommen. Für ein Bundestagsmandat könnte man auch den steuerlichen Nachweis einer mind. 5 jährigen Berufstätigkeit zusätzlich zur Bedingung machen. Im Gegenzug für die Dauer des Mandats die Diäten etwas anheben. Hier könnte durchaus das Leistungsprinzip greifen. Der Lobbyistenposten winkt ohnehin noch zusätzlich.

Alexander Rostert / 01.11.2019

Dr. Markus Krall erklärt den Verfall der Parteiendemokratie mit “adverser Selektion”: Wer intelligent und gebildet ist, etwas kann und weiß, der verdient in der Wirtschaft allemal mehr denn als Berufspolitiker. Siehe etwa Friedrich Merz. Die Berufspolitik ist folglich, von idealistischen Ausnahmen abgesehen,  das Sammelbecken für all jene abgebrochenen Soziologie- und Theaterwissenschaftsstudenten und überzähligen Juristen, denen, würden sie nicht einer Partei dienen, eine Karriere als Taxifahrer oder Putzhilfe blühte. Folglich eckt man als Abgeordneter auch möglichst nicht mit eigenen Ideen bei der eigenen Führung an, sonst fliegt man vor der nächsten Wahl von der Kandidatenliste. Ein ähnliches Prinzip gilt auch für die öffentliche Verwaltung. Und so sieht man die Folgen dem Land halt allmählich auch an. Was wäre eine Abhilfe? Eine Funktionselite. Die aufzubauen würde allerdings zunächst den Umbau von einer Demokratie in eine Meritokratie erfordern, mithin Revolution, Systemwechsel und neue Verfassung. Da die währungs-, wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Zeichen auf Sturm stehen - eines Sturms, der die Sklerose des bisher staatstragenden politischen, medialen, administrativen und juristischen Personals für jeden Bürger sichtbar machen und es damit völlig diskreditieren wird - ist die Option so abwegig nicht. Deshalb untergehen würde Deutschland jedenfalls in der Tat nicht. Da gab es schon ganz andere Disruptionen.

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