Gastautor / 11.10.2021 / 09:20 / Foto: Pixabay / 95 / Seite ausdrucken

Denn sie hätten wissen müssen, was sie tun

Hier setzen wir einen persönlichen Akzent, um einmal zu skizzieren, wo wir eigentlich herkommen und in den Augen manches zeitgenössischen Mitmenschen zu dem geworden sind, was wir heute wohl sind: Corona-Anwälte. Eine Verortung.

Von Antonia Fischer, Dr. Justus Hoffmann und Marcel Templin

Es liegen nun gut zwanzig Monate „epidemische Lage nationaler Tragweite“ hinter uns und es ist Zeit, einmal darzustellen, welchen Weg wir gemeinsam zurückgelegt haben, wo wir stehen und was noch vor uns liegt. Das unser Leben überspannende Wort „Corona“ hat den Alltag gewaltig durcheinander gewirbelt, althergebrachte Denk- und Sichtweisen verschoben und bis zum Beginn des Jahres 2020 geltende Sicherheiten infrage gestellt. Das Virus, welches all das ausgelöst hat und bis heute unseren Diskurs beherrscht, ist nicht nur ein krönchenartiges Gebilde auf dem Feldzug gegen die Volksgesundheit, sondern seit dem ersten „Lockdown“ Schwebteilchen der politischen Debatte. Ob es (allein) auf die medizin-wissenschaftliche Bühne getreten ist, um unser Gesundheitssystem in die Überlastung zu treiben, kann angesichts der Datenlage in der Rückschau bezweifelt werden. Es darf in einer Gesellschaft freien Meinungsaustauschs auch bezweifelt werden. Ebenso soll man die Sorge vor der Gefährlichkeit des Virus respektieren. Der dahinter stehende wissenschaftliche Sachverhalt ist kompliziert und dadurch, dass über diesen notwendigen Expertenstreit die Käseglocke des Politischen gestülpt worden ist, verschwand die Note einer streitbaren Wissenschaft hinter einer Sicht auf Wissenschaft, bei der es nur ein „richtig“ oder „falsch“ geben soll, entschieden durch Mehrheiten. 

Wissenschaft ist keine Fragen von Mehrheiten

Das ist aber schon einer der Kardinalfehler bei der Betrachtung der Wissenschaft, und dabei spielt sicherlich eine Rolle, dass dieser Fehler an den Gerichten, quasi als Übersetzungsfehler aus dem Deutschen ins Juristische, und zugleich in unseren Gazetten durchs Land transportiert worden ist. So schnell konnte sich das Virus gar nicht ausbreiten, wie die Debatte ihm vorauseilte. Wissenschaft ist nämlich keine Frage von Mehrheiten. Es ist, ähnlich dem „diffusen Infektionsgeschehen“, ein „dynamischer Prozess“. Theorien, Thesen, Annahmen, alles, was ständiger Überprüfung und im Zweifel des Beweises bedarf – und natürlich werden genau die Thesen verbreitet, die einen öffentlichen Widerhall erfahren. 

Darum fällt es natürlich den in den vergangenen Monaten medial hofierten Wissenschaftlern leichter, ihre Annahmen, Ideen und Prognosen breit zu streuen. Wer hingegen diesen Resonanzraum nicht hat und dennoch vertretbare Überlegungen unter die Leute bringen könnte, geht im allgemeinen Marktgeschrei unter. 

Wir erläutern das in dieser epischen Breite, weil es aus unserer Sicht notwendig ist, die grammatikalischen Unschärfen der letzten Monate zu verstehen und warum es manchem kritischen Protagonisten so leicht über die Lippen geht, bereits das Ableben unseres Rechtsstaats ins erschrockene Publikum zu donnern. Nicht das Frühableben unseres Rechtsstaats hat dazu geführt, dass die Pandemie nahezu ungebremst durch unsere Gerichte wuchern konnte, sondern seine systematischen Schwächen. Schwächen, die wir bereits vor dem schicksalhaften Jahr 2020 immer wieder angemahnt haben, gleichwohl niemanden so wirklich interessiert haben. Im „besten Deutschland aller Zeiten“ ging es uns auch (vermeintlich) einfach viel zu gut. 

Die offenen Flanken unseres Rechtssystems konnte jedoch jeder sehen, der sie in den vergangenen Jahren erkennen wollte. Just durch diese Schwachstellen sickerte das Virus, auf das unser juristisch-gesellschaftliches Immunsystem nicht vorbereitet gewesen ist. Geradezu unkontrolliert prallte eine Notlage auf den Rechtsstaat, die bis zu Beginn des Jahres 2020 undenkbar gewesen ist. Keiner konnte und wollte sich vorstellen, dass die Exekutive zu Mitteln greift, die das gesamte gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben schlagartig zum Erliegen bringen würden. Hieß es vorher noch allerorten, „man könne doch nicht…“ oder „wie soll sowas gehen?“, wurde es im ausklingenden Winter des Jahres 2020 zur Gewissheit: Doch, es geht. Der Rechtsstaat reagierte schlichtweg überfordert, weil seine Handlungsformen, übermäßigem Exekutivhandeln kurzfristig Einhalt zu gebieten, nicht für eine Zeit passen, in der ein Zahlensturm über das Land fegt und alle Angst haben, von diesem Orkan mitgerissen zu werden. Dabei kommen wir zur soeben eingeleiteten Gegenüberstellung zwischen Natur- und Rechtswissenschaft. Juristinnen und Juristen lernen seit dem Studium in Kategorien zu denken, um Vertretbares von Abwegigem zu scheiden und ordnen sich dabei – auch, um dem Korrektor im Examen zu gefallen – gerne Meinungen unter, schlicht weil sie von einer überwiegenden Anzahl „über ihnen“ stehender Juristen vertreten werden.

Verwechslung zwischen herrschender Meinung und Meinung der Herrschenden

Als Jurist muss man in erster Linie wissen, wo etwas (im Gesetz) steht. Es macht natürlich das berufliche Leben leichter, wenn man Lesen und damit im Gesetzestext nachlesen kann. Damit wiederum, etwas überspitzt formuliert, Rechtsanwälte ihre Daseinsberechtigung haben, sind viele Gesetze so formuliert, dass eben nicht jederfrau und -mann sofort etwas mit dieser Information anfangen kann. Gesetze bedürfen der Auslegung, der Erläuterung. Rund um deren Anwendung gibt es Theorienstreit, der in der Literatur in der Regel zwischen herrschender Meinung, Mindermeinung und (wer hätte das gedacht) vermittelnder Meinung geführt wird. Daneben ist auch die gängige Rechtsprechung ein gern gesehener Leitfaden. In der Praxis ist es also für die Bestimmung des Maßgeblichen wurscht, was das Amtsgericht in Kleinhintertupfingen sagt (auch wenn es vertretbar klingt), solange zum Beispiel der Bundesgerichtshof mit seinen Hotels in der Schlossallee das juristische Debattenspiel abräumt. Kurzum: Wir Juristen sind also seit dem ersten Semester darauf getrimmt, uns in solchen Kategorien zu orientieren, die eben zwischen herrschender Meinung und Mindermeinung scheiden. Wenn man in solchen Kategorien denkt, dann fällt es einem berufenen Gericht verhältnismäßig leicht, auch Unverhältnismäßiges zu stützen, weil die eigene Urteilsbegründung durch das altehrwürdige Robert-Koch-Institut (RKI) ein berufenes Fundament findet. Aber es wäre in einer Zeit wachsender Verkomplizierung zu einfach, die Verantwortung für die zahlreichen niederschmetternden Entscheidungen unserer Gerichte allein auf den Richterbänken zu suchen. Man musste den Richterinnen und Richtern auch die Gelegenheiten geben, derart zu entscheiden, wie sie es in vielfältiger Weise in den letzten Monaten getan haben.

„Corona-Anwälte“ werden geboren

Hier setzen wir einen persönlichen Akzent, um einmal zu skizzieren, wo wir eigentlich herkommen und in den Augen manches zeitgenössischen Mitmenschen zu dem geworden sind, was wir heute wohl sind: Corona-Anwälte. Also Anwälte, die eben „auch solche Leute“ vertreten, wie man sich hier und da zuraunt. Mit diesem Attribut müssen wir wohl leben, vielleicht wird das auch irgendwann als eigene Kategorie Eingang in unser anwaltliches Berufsrecht finden. Fachanwälte für Schwurbelei und Quatschjura. Wir drei nehmen das sportlich. Es ist auch kein in der Rechtsgeschichte einmaliger Vorgang, dass Anwälte mit den Attributen derer behangen werden, die sie rechtlich vertreten. Das gehört quasi zum Berufsrisiko, um genauer zu sein, sogar zum Berufsethos, denn dem Rechtsanwalt wird aus guter rechtsstaatlicher Sitte gerade nicht vorgegeben, wer vertreten werden darf und wer nicht. Auch das gehört zu den Missverständnissen dieser zurückliegenden Monate. Ebenso wie die Tatsache, dass wir alle nicht im März 2020 morgens aufgestanden sind und beschlossen haben, nunmehr „Corona-Anwälte“ zu werden. So einfach funktioniert Geschichte dann doch nicht; wobei wir hier nur für uns sprechen können, die diesen Text zu verantworten haben. Diese drei wurden durch Corona ebenso überrascht und überrumpelt wie der Rest des Landes und offenbar fast der gesamten Menschheit. Es begann mit einem juristischen Störgefühl, welches durch einen befreundeten Juristen laut ausgesprochen wurde. Der Staat kann nicht in den Kern unserer Grundrechte allein aufgrund von Verordnungen eingreifen. Der Notstand rechtfertigt eben nicht alle Mittel. 

So trafen wir uns mit unseren Mandanten, in erster Linie die geradezu von allem überfahrenen Gastronomen, und erläuterten die juristische Lage. Die entscheidende Weichenstellung war der Einwand, den wir vielfach vernahmen: „Was nutzt es uns, wenn die Verwaltungsgerichte die Schließung unseres Ladens aufheben. Davon kommen die Gäste auch nicht. Die Menschen haben Angst.“ Das konnten wir auch verstehen, denn auch für uns überwog im März 2020 noch das Unbehagen im öffentlichen Raum. 

Also stand für uns ab diesem Zeitpunkt eine Kernthese fest, die wir bis heute unerschrocken vertreten und für die wir seitdem arbeiten: Der Staat kann Unternehmern und Unternehmen nicht den Lebensunterhalt entziehen, gleich aus welchem Grund, ohne klar zu definieren, wo denn das Geld sonst herkommen soll. Billigkeitszahlungen aus Überbrückungstöpfen konnten jedenfalls nicht die Lösung sein, und wenn man sich anschaut, wohin die Reise zu den Firmenpleiten in 2022 gehen soll, dann war und ist das auch nicht die Lösung. Bei dieser Gelegenheit sei erwähnt, dass allein diese vertretbare Annahme wunderbar verfolgt werden kann, ohne über die Gefährlichkeit von Corona diskutieren zu müssen. Es ist ein Fehlschluss, dass die Beurteilung der Frage der Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit eines Virus mit dieser – bis vor kurzem – rechtsstaatlichen Selbstverständlichkeit denklogisch irgendetwas miteinander zu tun haben.

Diese Verquickung kam, wie viele wissen, die unsere Arbeit verfolgt haben, erst später. Auch hier bleiben wir auf dem Boden unserer Berufsbeschreibung: Hat jemand, den wir anwaltlich vertreten, einen Schaden erlitten oder ist dieser Betroffener einer staatlichen Maßnahme oder hat jener einen irgendwie gearteten Anspruch, dann machen wir uns das ganze Bild und dazu gehört auch die Frage, ob der Staat angemessen reagiert hat und dazu zunächst seinerseits seine Hausaufgaben gemacht hat. 

Großer Plan oder kopfloser Staat?

Es ist müßig, über die Wirrungen in der Entscheidungsfindung während der Corona-Monate zu sprechen. Man kann sich dem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Papier, nur anschließen, der die Corona-Politik als irrational und kopflos bezeichnet. Auch mit dieser Aussage positioniert man sich in keiner Weise zum dahinter stehenden medizinischen Sachverhalt. Bei der Frage, wie sicher der Kapitän der Titanic im dunklen Nordmeer auf das mögliche Vorhandensein von Eisbergen reagiert, welche Vorsichtsmaßnahmen er ergreift und ob er kopflos reagiert, wenn eine Kollision droht, muss ich nicht die Antwort mitgeben, ob der Eisberg tatsächlich existiert oder nicht. Es muss lediglich klar sein, ob der Kapitän die Regeln der Seefahrt beherrscht und damit ein riesiges Schiff übers Meer sicher ans Ziel bringen kann. Wenn jeder den Eisberg sehen kann, braucht man über die Frage, womit die Titanic kollidiert und letztlich gesunken ist, nicht diskutieren. Bei Corona liegt es eben in der Sache, dass man das Virus nicht sehen kann. Stattdessen sieht man lediglich die Reaktion darauf, und das sind die allgegenwärtigen Maßnahmen. Da die Maßnahmen politisch sind, ist eben auch die Debatte darüber politisch, und sie wird auch gerade dann nicht weniger politisch, wenn sich alle Protagonisten in der Debatte – gleich auf welcher Seite – im politischen Raum bewegen. Das ist auch ein wesentlicher Grund, warum wir uns dazu entschieden haben, gerade nicht politisch aktiv zu werden. Wir sind Juristen. Als Anwälte vertreten wir mittlerweile die Interessen sehr vieler Menschen aus der Wirtschaft, die Nöte von Eltern und Kindern, beraten bei Konflikten am Arbeitsplatz oder mit dem Auftraggeber bzw. Auftragnehmer. Dabei nehmen wir zunehmend zur Kenntnis, dass sich die Positionen in einigen Bereichen auseinander bewegen.

Das hat aus unserer Sicht mehrere Ursachen:

Wie wir mittlerweile wissen, war die Wahl der Mittel, um auf die Notlage zu reagieren, politisch motiviert. Das liegt allerdings zunächst in der Natur der Sache, denn offenbar reagierte die Ministerialbürokratie auf das einrückende Corona-Virus, wie die Ministerialbürokratie eben reagiert. Mit dem Robert-Koch-Institut hatte man als dem Bundesgesundheitsministerium nachgestellte Bundesoberbehörde die Expertise gleich „um die Ecke“. Dessen Zahlen wurden zum Gradmesser für die folgenden Monate. Zweifel, ob die Spitze des Hauses immer richtig gezählt hat, werden mittlerweile lauter. 

Infolge der politisch aufgeladenen Debatte in Gesundheitsfragen feuerten die Kritiker sofort aus allen Rohren. Die Verwaltungsgerichte wurden von Anträgen im einstweiligen Rechtsschutz überrannt, und allseitig wurde schnell der Fokus darauf gelenkt, ob die Maßnahmen verhältnismäßig seien. Beide Seiten übersahen leider, dass die Verhältnismäßigkeit erst am Ende der Prüfung kommt. Die Zeit, einmal genauer einzusteigen, was überhaupt die tatbestandlichen Voraussetzungen einer infektionsschutzrechtlichen Maßnahme genau sind, nahm sich kaum jemand. Die Gerichte verschanzten sich zudem nicht nur hinter Corona, sondern auch hinter den prozessrechtlichen Eigenarten des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens und machen es seither jedem leicht, der bereits den endgültigen Abgesang auf den Rechtsstaat anstimmt.

Ferner begann ein „Katz-und-Maus-Spiel“ zwischen der Exekutive und denen, die die Maßnahmen ablehnen. So wurde das Thema „Masken“ zum Gegenstand heftiger Auseinandersetzungen. Genügte am Anfang noch die Glaubhaftmachung, dass man aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen könne, so wurde der Staat offenbar skeptisch, als die Gründe aus seiner Sicht immer unhaltbarer wurden. Also kam nach und nach die Pflicht auf, die Glaubhaftmachung durch Attest zu unterstreichen, was wiederum einige Ärzte dazu verleitete, offen damit zu werben, dass sie jedem ein solches Attest ausstellen würden. Hierauf reagierte wiederum der Staat, indem er die Anforderungen an ärztliche Atteste zur Maskenbefreiung immer weiter hochschraubte und jeden Arzt, der ein solches Attest ausstellt, unter Generalverdacht stellt. Plötzlich erhielten gänzlich unbescholtene Ärzte nur aus diesem Grund Post von der Staatsanwaltschaft. Das haben wir eben leider auch jenen überengagierten Ärzten zu verdanken, die ihre „Blanko-Atteste“ im Internet zum Download anboten. Gut gemeint ist eben nicht immer gut gemacht. Der Druck auf die Ärzte ist mittlerweile so groß, dass sich kaum noch ein Mediziner wagt, ein solches Attest auszustellen, selbst wenn der Patient schon ohne Maske wegen Luftnot zu kollabieren droht. Es geht dabei nicht um Schuldzuweisungen, nur um das Aufzeigen gewisser Inkonsequenz: Wer es – vollkommen zu recht! – bemängelt, dass Medizin und Wissenschaft politisch vereinnahmt werden, der trägt just zu dieser Vereinnahmung bei, wenn er aus dem Privileg der Heilberufe heraus politischen Aktionismus betreibt.

Wieso? Weshalb? Warum? Wer nicht fragt, bleibt…?

Ähnlich verhält es sich in den Schulen, um einen der wohl prominentesten der vielen betroffenen Bereiche zu nennen. Dort setzten Schulleiter und Lehrer die Maßnahmen teils in einer Weise um, die kein Morgen mehr kennt und welche nicht nur die pädagogische Kompetenz des Lehrkörpers infrage stellt, sondern auch aufwirft, welches Menschenbild in den Schulen eigentlich vermittelt werden soll. 

Schüler wurden seither von Menschen, die an unseren Lehranstalten möglichst behütet und in erster Linie beschult heranwachsen sollen, zu „Virenschleudern“ degradiert, zu wandelnden Infektionsgefahren, deren einziger Lebensinhalt die strikte und unbedingte Einhaltung aller Schutzmaßnahmen darstellt. Gerade Deutschland hat die Pandemie auf dem Rücken unseres Nachwuchses ausgetragen (etwa im Gegensatz zu Schweden). Was das für eine Wirkung hat, wenn man Kindern ausdrücklich sagt oder es ihnen vermittelt, dass ihre bloße Anwesenheit die Oma, die halbe Familie oder die ältere Lehrerin mit Vorerkrankungen umbringen kann, wird die Zukunft zeigen. Gleichwohl bekommen wir jetzt schon einen Vorgeschmack auf das, was der Staat hier seinen schwächsten Mitgliedern, die zu schützen und zu behüten er besonders verpflichtet ist, hat angedeihen lassen, ohne sich auch nur einen Moment zuvor über die Auswirkungen seines Handelns Gedanken zu machen

Auf der anderen Seite sehen sich Schulen mit Eltern konfrontiert, die mit allen Mitteln für die Rechte ihrer Kinder kämpfen (was an sich wohl nur natürlich und eigentlich auch wünschenswert ist) und leider schlecht beraten waren, wenn man ihnen an die Hand gab, dem Schulleiter bereits im Erstgespräch mit mannigfaltigen Strafanzeigen und dem Ruf nach dem internationalen Strafgerichtshof zu drohen. 

Dabei sitzen Schulen, Eltern und Schüler in einem Boot: Sie müssen das auslöffeln, was uns gerade an den Schulen in mitternächtlicher Runde, teils am Handy daddelnder Ministerpräsidenten, eingebrockt wurde.

Das gilt auch für alle anderen Bereiche unseres täglichen Lebens. Aufgaben, die originär den Gesundheitsbehörden oder jedenfalls den Bediensteten des öffentlichen Dienstes zugewiesen sind, warteten nun auf den Wachmann vor dem Supermarkt (Einhaltung der Maskenpflicht), den Lehrer (schickten teils gleich Schüler und Familienangehörige in Quarantäne), den Gastronomen (Abfrage sensibler gesundheitlicher Daten, wie nach 1G/2G/3G verlangt). Genau dort werden die Konflikte ausgetragen, während über allem auf beiden Seiten verbal immer weiter aufgerüstet wurde und immer noch weiter wird. Es muss sich aber auch keiner wundern, wenn Skepsis und Wut wachsen, wenn man sich auf staatlicher Seite einer plausiblen Begründung der Maßnahmen enthält, weil man mangels Evaluierung der verhängten Maßnahmen auch keine Begründung liefern kann (z.B. Alter der Intensivpatienten war jedenfalls bis zum Frühjahr 2021 überhaupt nicht erfasst) und zeitgleich mit der x-ten Coronawelle die nächste Löschungswelle durchs Internet rauscht. Der gestrenge, paternalistisch anmutende Appell eines Lothar Wieler, bloß nicht mehr zu hinterfragen, weil sonst weitere Maßnahmen wieder dazukommen müssten, wurde unausgesprochen zur obersten Staatsraison erklärt. Wer von seinem Volk blinden Gehorsam erwartet, der sieht natürlich sehr schnell keinerlei Veranlassung mehr, sich für irgendetwas erklären zu müssen.

Spätestens morgen Mittag ist die Pandemie vorbei

Wer sich von dem folgenden Satz angesprochen fühlt, wird diesen sicher reflexartig zurückweisen: Es gibt Akteure in dieser Corona-Krise, die nicht gerade ein gesteigertes Interesse daran haben, dass Corona allzu bald zu Ende ist. Diese Akteure sitzen nicht (oder zumindest nicht nur) in Peking oder in einem beschaulichen Örtchen in der Schweiz, sondern unter uns allen. Wer sich – aus welchen Gründen auch immer – auf die anhaltende Krise in diesem Land trefflich eingerichtet hat, wird dem (vermutlich) plötzlichen Ende der Notlage mit Unbehagen entgegensehen. 

Dieser Gedanke lässt sich auch nicht einfach wegwischen. Auf beiden Seiten des gesellschaftlichen Grabens gibt es durchaus Motive, nicht unbedingt auf ein schnelles Ende der epidemischen Lage zu hoffen. Das sind mit Sicherheit Einzelfälle, aber solche, die man nicht ignorieren kann. 

Bei anderen Menschen setzt sich wiederum der Gedanke, dass das Thema Corona niemals ein Ende finden würde, wie Mehltau aufs Gemüt. Das ist allerdings allzu verständlich, wenn man in der Rückschau sieht, wie Hoffnungen gemacht und immer wieder zerstört worden sind – demnächst werden wir wohl eine Impfquote von 115 Prozent erreichen müssen, bevor man den „Freedom Day“ als Karotte an das Stöckchen bindet. Wer in dieser Metapher der Esel sein möge, der den Impfbus über die pandemische Buckelpiste zieht, wird der Interpretation des Lesers anheimgestellt; sicher ist eigentlich nur, dass wir ohne Plan auf Sicht fahren und lediglich bei jeder Variante auf den Rastplatz fahren, um Hoffnung nachzutanken. Ausfahrt Richtung „Freiheit“ in drei Monaten nach einem „letzten Kraftakt“(?).

Diese falschen Hoffnungen und gebrochenen Versprechen wiederum führen eben auch zu dem Effekt, den wir in diesem Text bereits skizziert haben: Die Positionen lassen sich irgendwann nicht mehr zusammenbringen, und dennoch ist es notwendig, dass aus dem Gegeneinander wieder ein Zueinander wird. Auch solche Überlegungen gehören zum anwaltlichen Berufsalltag. An welcher Stelle gibt es treffende Argumente, die Positionen beider Seite wieder zueinander zu führen, um einen jahrelangen Rechtsstreit zu vermeiden und dennoch eine für beide Seiten befriedigende Lösung zu finden. 

Aufarbeitung der Corona-Pandemie

Der hier von uns bereits zitierte ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Papier, hat eine rechtsstaatliche Aufarbeitung der Corona-Pandemie gefordert. Diese Mahnung klingt fast wie ein obiter dictum, denn in dieser Mahnung steckt etwas so Einleuchtendes, dass man es eigentlich nicht extra fordern müsste. Wer sonst, außer der Rechtsstaat selbst, sollte den rechtsstaatlichen Umgang mit einer solch mannigfaltigen Wucht an Maßnahmen aufzuarbeiten. Die Frage ist dabei nur, in welchem Verfahren das stattfinden soll?

Von der Politik wird hier wenig zu erwarten sein. Die Forderung nach einem baldigen Abtritt von Lothar Wieler als Kopf des RKI klingt eher nach einem Bauernopfer als nach echter politischer Aufarbeitung der Versäumnisse des RKI im Umgang mit den von dort verkündeten und von den Gerichten dankbar aufgenommenen Zahlen. Für den Gesundheitsexperten (wann wurde er öffentlich eigentlich das letzte Mal noch als „Epidemiologe“ bezeichnet?) und Aspiranten auf das Amt des Gesundheitsministers Karl Lauterbach glauben manche – außer ihm selbst – schon an eine Comedy-Karriere. Seine eigene Einschätzung, dass er zu unlustig sei, scheint diesmal wenigstens zu treffen.

Bleiben die Gerichte, die, nachdem der Pulverdampf verzogen ist, schauen müssen, woher der ganze Lärm eigentlich kam. In den Eilverfahren war hier in der Rückschau wenig zu erwarten. Hier und da wurden Verordnungen teilweise gekippt, aber im Großen und Ganzen sahen die Verwaltungsgerichte unter dem Eindruck von Corona wenig Spielraum. Ganz besonders sticht eine Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs in einem Eilverfahren vom 27.04.2020 ins Auge. Die seinerzeit mögliche Öffnung von Läden unter 800 Quadratmetern verstoße zu Lasten größerer Läden gegen den Gleichheitsgrundsatz. Dass Geschäfte mit größerer Ladenfläche nicht öffnen dürften, sei verfassungswidrig. Damit wäre eigentlich alles gesagt, aber das Gericht setzte die verfassungswidrige Vorschrift der Coronaverordnung wegen der „pandemischen Lage“ nicht außer Kraft, was eben so klingt, wie „ist eigentlich rechtswidrig, aber wir haben Corona, denn geht das halt mal“ (). 

Gerade eben jenes Gericht haut mit seiner Entscheidung vom 04.10.2021 der Bayerischen Staatsregierung die Ausgangssperre aus dem Frühjahr 2020 um die Ohren (). Positiv an der Entscheidung ist nicht nur der Nachdruck, mit dem das Gericht auf die eklatanten Verstöße gegen verfassungsmäßige Grundsätze (wie das „Übermaßverbot“) hinweist, sondern auch die Ausführungen zum Rechtsschutz gegen Verordnungen, die bereits wieder außer Kraft gesetzt worden sind. Das Gericht hat damit klar gemacht, dass die Tatsache, dass eine Rechtsverordnung, die in der Vergangenheit außer Kraft gesetzt worden ist, bevor das Verwaltungsgericht über ihre Gültigkeit im Hauptsacheverfahren entscheiden konnte, nicht notwendigerweise dazu führt, dass die Klage unzulässig wird. Das ist ein Hinweis, den die vielen Antragstellerinnen und Antragsteller, deren Klagen gegen die verschiedenen Coronaverordnungen jetzt noch in der Hauptsache zu entscheiden sind, gerne vernehmen werden. Kritikwürdig an der Entscheidungsbegründung ist allerdings, dass hier der Politik der „Schwarze Peter“ zugeschoben werden soll. Da sich das Gericht in seiner Entscheidung beim Thema Verhältnismäßigkeit ausschließlich auf rechtliche Fragestellungen stützt, ist daher zu fragen, warum das Gericht diese Erkenntnisse nicht damals schon im einstweiligen Rechtsschutz hatte und die Ausgangssperre in Bayern nicht schon im Frühjahr 2020 gekippt hat. Es bedarf zumindest einer einleuchtenden Erklärung, warum die Ausgangssperre derart eklatant rechtswidrig gewesen sein soll, dass man sie vor den Augen der Landesregierung mit ausgesprochen deutlichen Worten in der Luft zerfetzen kann, diese Offensichtlichkeit jedoch gerade nicht so offensichtlich gewesen ist, dass man sie auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren hätte erkennen können.

Es bleibt also fraglich, ob wir von den Verwaltungsgerichten eine umfassende Aufarbeitung der Pandemie zu erwarten haben. Denn dann müssten sich die Gerichte auch selbstkritisch mit ihrer eigenen Rolle während der Pandemie befassen. Gerade da sind Zweifel angebracht, ob das bei diesem Kraftakt, der vor uns liegt, wirklich gelingt. Auch das Bundesverfassungsgericht wäre ein Adressat, den man ins Auge fassen würde. Eine ernsthafte und vor allem unvoreingenommene Aufarbeitung wäre jedoch eine Überraschung von einem Gericht, dessen Präsident mitten in Zeiten elementarer Grundrechtseingriffe mit Regierungsvertretern diniert und dabei hinter verschlossenen Türen über Themen spricht, die laufende Verfahren vor dem Gericht gegen eben jene Regierung berührt haben sollen. Es wäre zumindest einmal interessant zu erfahren, ob die AHA-Regeln bei diesem Festakt eingehalten worden sind. Das hängt wahrscheinlich maßgeblich davon ab, wie viele Politiker der SPD anwesend waren. 

Die rechtsstaatliche Aufarbeitung der Pandemie und vor allem deren Folgen kommen daher maßgeblich den Zivilgerichten und deren Beweiserhebungen zu. Damit schließt sich auch der Kreis zu dem Zeitpunkt, an dem wir im Frühjahr 2020 begonnen haben. Schon damals haben wir gesehen, dass die Maßnahmen erhebliche Folgen haben werden. Und die Frage, wer am Ende die Rechnung dafür bezahlen muss, wird vor den Zivilgerichten beantwortet werden müssen, damit auch die nach den Verantwortlichen. In den Medien, im Internet, den sozialen Netzwerken oder verschiedenen Plattformen überschüttet man sich gerade zum „Wer hat Schuld?“ gegenseitig teils mit verbalem Unrat, als würde sich dadurch jede Frage beantworten lassen. Es macht jedoch wenig Sinn, nach der Brandursache zu suchen, wenn das Gebäude noch brennt und alle Beteiligten damit beschäftigt sind, bei dem Versuch des Legens von Gegenfeuer auf Gegenfeuer das Haus komplett abzufackeln.

Wenn wir die Chance ernsthaft ergreifen, dann wird es stattdessen der Gerichtssaal sein, in dem ein Urteil dazu gesprochen wird. Wenn wir damit dem Rechtsstaat helfen, sich nach den zurückliegenden Monaten wieder aufzurichten, dann helfen wir uns auch selbst dabei, uns gegenseitig wieder eine Chance zu geben. Wir haben jedenfalls nicht aufgegeben und haben das auch nicht vor, denn die eigentliche Arbeit liegt noch vor uns.

 

Die  Autoren engagieren sich anwaltlich im Corona Ausschuss.

Foto: Pixabay

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Dirk Freyling / 11.10.2021

Zur aktuellen Lage: Die neuesten Zahlen aus dem Vereinigten Königreich [UK] zeigen, dass die Covid-Infektionsraten unter den Geimpften inzwischen in jeder Altersgruppe über 30 Jahren höher sind als unter den Ungeimpften. [UK] Health Security Agency COVID-19 vaccine surveillance report Week 40 Prof. Dr. Thomas Rießinger bilanziert, nachdem er die Sachlage ausführlich beschreibt, “Die britischen Daten zeigen, dass es nicht den geringsten Grund gibt, Menschen ab einem Alter von 30 Jahren in irgendeiner Weise wegen ihres Impfstatus zu diskriminieren, denn die Ungeimpften dieser Gruppe tragen zum Infektionsgeschehen weniger bei als die Geimpften.”...“Es gibt daher nur eine mögliche Reaktion: Jede Form von 3G-, 2G- oder 1G-Regel muss sofort im Giftschrank der Geschichte verschwinden.”

W. Hoffmann / 11.10.2021

Das BVerfG logiert also in der „Schlossallee“ und gibt die juristische Wegweisung. Da hier politisch für Regierungstreue gesorgt wurde, sind Feinheiten in der Bewertung der Fälle unerheblich. Es findet also eine Rechtsprechung im Sinne des Regimes statt. Genau wie in totalitären Staaten üblich.

Frank Baumann / 11.10.2021

Ich korrigiere: Die wußten sehr genau, was sie taten. Und sie wissen auch sehr genau, was sie tun und was sie tun werden.

Jörg Haerter / 11.10.2021

“Denn sie hätten wissen müssen, was sie tun.” Ich glaube, sie wussten ganz genau, was sie taten. Damit haben wir hier den Vorsatz. Strafe sollte auf dem Fusse folgen, hoffentlich. Und das Thema ist noch nicht durch, ich meine die Massen, die “geimpft” wurden. Schon jetzt gibt es massenhaft Schäden und etliche Tote, sehen wir mal, was die Jahre noch so bringen. Ich bin für Nürnberg 2.0.

Frank Meusel / 11.10.2021

„Also Anwälte, die eben „auch solche Leute“ vertreten, …..“ Ist für mich ein Ehrentitel.

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