Gerd Buurmann / 18.06.2020 / 13:00 / 33 / Seite ausdrucken

Denkmalschutz für die “Judensau”?

Calbe (Saale) ist eine kleine Stadt mit etwas mehr als 8.600 Einwohnern in Sachsen-Anhalt. Das Wahrzeichen dieser Stadt ist die St.-Stephani-Kirche mit ihren beiden 57 Meter hohen Zwillingstürmen. Vor einigen Monaten wurden an dieser Kirche Restaurationsarbeiten vorgenommen, bei der an der Nordseite der Kirche die Chimären abgenommen wurden. Chimären sind unechte Wasserspeier. Bei einer Chimäre handelt es sich um eine sogenannte „Judensau“.

„Judensäue“ sind eindeutige und obszöne Beleidigungen, die in deutlicher Bildsprache zeigen, für wie dreckig und widerwärtig Juden erachtet werden. Der „Judensau“ von Calbe mangelt es nicht an Deutlichkeit. Sie zeigt einen Juden, der das Arschloch eines Schweins leckt.

Nachdem diese brutale Beleidigung von der Kirche entfernt worden war, beschloss die Gemeinde einstimmig, die Beleidigung nicht wieder an der Kirche anzubringen. Die Denkmalschutz-Behörde verlangt jedoch, dass der mittelalterliche Originalzustand der Kirche wieder hergestellt wird und die „Judensau“ wieder an der Außenfassade angebracht wird. Da stellt sich die Frage:

Judenhass in Deutschland unter amtlichem Schutz?

Die Gemeinde in Calbe erklärt, die „Judensau“ sei „nicht mehr die Botschaft, die wir als Christen in die Welt geben wollen“, aber eine deutsche Behörde zwingt sie dazu, den Hass weiterhin in die Welt zu tragen.

Die St.-Stephani-Kirche ist zwar auch ein Wahrzeichen und ein Denkmal, aber in aller erster Linie ist sie eine lebendige Kirche. Dass dieser lebendige Körper von einem deutschen Amt gezwungen wird, die alten Zeichen des Hasses weiterhin zu tragen, ist ein Skandal.

Die St.-Stephani-Kirche ist keine Leiche, die man so beerdigt, wie man sie vorgefunden hat, sondern lebendig und daher berechtigt, sich von dem Hass zu lösen, den sie einst verbreitet hat. Das Dokument des Hasses kann problemlos an einem separaten Ort ausgestellt werden, wo sich jede Person, die sich dafür interessiert, über die Geschichte des Christentums informieren kann.

Die Gemeinde in Calbe hat ein Recht auf Reue, Buße und Umkehr. Die Einsicht, einen falschen Weg eingeschlagen zu haben und die stets vorhandene Hoffnung auf Vergebung ist Kern des christlichen Glaubens. Kein deutsches Amt darf einem Christen dieses Recht nehmen und darauf bestehen, dass der Christ weiterhin Judenhass verbreitet.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Gerd Buurmanns „Tapfer im Nirgendwo“.

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Leserpost

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Archi W. Bechlenberg / 18.06.2020

Lieber Herr Buurmann, Sie haben natürlich Recht - wenn die Gemeinde das scheußliche Teil nicht mehr haben will, ist das zunächst einmal ihre Entscheidung. Ich darf zwar an meinem Haus (18. Jahrhundert) nicht mal den Türknauf ändern, aber der ist auch nicht “kontaminiert”. Offen bleibt für mich allerdings die Frage: will man sich dort nicht auf elegante Weise eines Teils seiner Historie entledigen? Aus den Augen, aus dem Sinn?Antisemitismus gehört aber nun einmal zur christlichen Geschichte. Das sollte man gerade in einer lutherischen Gemeinde wissen. Ich las vorhin, dass sich in der Kirche eine Gemälde befindet, das Luther darstellt. Ist daran gedacht, auch diese Abbildung zu entfernen? Immerhin huldigt sie einem besonders üblen Vertreter des Judenhasses. Man kennt doch gewiss Luthers “Werk” in Bezug auf die Juden. In der Art wie “Wenn ich einen Juden taufe, will ich ihn an die Elbbrücke führen, einen Stein an den Hals hängen und ihn hinabstoßen und sagen: Ich taufe dich im Namen Abrahams.” Falls sie an Luthers Bild keinen Anstoß nimmt, ist die Gemeinde in meinen Augen ein Haufen scheinheiliger Heuchler.

Thomas Bonin / 18.06.2020

Im Klartext: Es handelt sich um eine beschissene Botschaft eines steingewordenen Reliktes an originär-ordinärstem Judenhass, das unter einem Dach, unter dem sich Menschen zwecks Andacht und Einkehr versammeln, rein gar nichts verloren hat - so nach einhelliger Auffassung der Gemeinde höchstselbst. Was einer Beamtenseele, die auf Buchstabentreue (ergo nicht zwangsläufig auf historisches Drumherum mit der Lizenz zum Abwägen) antrainiert wurde, gepflegt am Sitzfleisch vorbeigehen darf. Erstaunlich (oder typisch?), dass recht viele Stimmen ausgerechnet für diesen Fall auf Denkmalschutz abstellen. Dass Juden (darunter quicklebendige Nachkommen mit Elefanten-Gedächtnis; nicht zu verwechseln mit gewissen Lieblingsfiguren bei Hofe hierzulande) sich - höflich formuliert - angepisst fühlen, sind freilich vernachlässigbare Feinheiten, solange man (noch) nicht zum Ziel seitens unfreundlicher Dritter erklärt wurde, nicht wahr? Nebenbei bemerkt, was wissen wir über die etwaige kunst-handwerkliche Qualität des Objektes? Vom Weltkulturerbe (wie etwa die seinerzeit von den Taliban & Friends gesprengten Statuen) ist jedenfalls nicht die Rede. Oder doch? Wenn ja, kann das Teil ja vorerst eingemottet und (dann ggf. vor dem Kanzleramt) aufgestellt werden ... etwa bei Anbruch der neuen “Friedensperiode” (nach Vollzug einer Kristallnacht ohne “halbe Sachen”, versteht sich).

Michael Müller / 18.06.2020

Da Sie meinen ersten Leserbrief (Bilderstürmer) nicht gebracht haben, nun ein zweiter. Die Judensau hin oder her, die Meinung der Gemeinde hin oder her - Geschichte (zumindest die deutsche) ist unbequem, manchmal schmutzig, manchmal nicht. Geschichte zeigt den Nachgeborenen wie die Welt war und ermöglicht u.a. durch ihre Brüche und schlechten Seiten, die damalige und damit die jetzige Welt zu reflektieren und sich als Individuum und Kollektiv einzufinden. Das ist der große Wert von Geschichte. Wer etwas anderes will, möchte eine klinisch reine Welt, die im Sine des Wortes keine Substanz mehr hat und die Menschen leer macht. Das ist die große Vision z. B. des Sozialismus - unbeschriebene Welt, unbeschriebene Menschen, alles ohne Verbindung zu Vergangenheit und MItmenschen. Wer die Geschichte akzeptiert und reflektiert, wächst an ihr und wird ein souveräner Mensch. Und das finde ich erstrebenswert.

Uwe Klamm / 18.06.2020

Als Bürger der Stadt und Mitglied des Heimatvereins Calbe bin ich relativ nahe dran am Geschehen.  Ich bin froh, dass der Urzustand wieder hergestellt wurde. Wenn man sich mit den anderen Chimären beschäftigt, wird man feststellen, dass auch ihre Darstellung und die damit verbundenen Aussagen Anlaß zur Kritik geben könnten. Unser Chefhistoriker formulierte es einmal so: ZA” Der gesammte Figurenkranz an der Dachtraufe der St.-Stephanie-Kirche stellt ein “Gruselkabinett” von 14 “Unholden"dar, die als Wächter gegen das Böse aufgereiht waren, damit im Kircheninnern das Göttliche und Heilige herrschen konnte. Sie wiederspiegeln als künstlerisch gestaltete Skulpturen das zeitgemäße Verständnis von Satiere, die im Spätmittelalter oft grottesk und abscheulich böse war, wie auch das Buch “Ein kurzweilig Lesen von Tyl Ulenspiegel” von 1510 zeigt, das nur so von Juden- und Frauenfeindlichkeit sowie von anderen Unmenschlichkeiten und Boshaftigkeiten strotzt. Die späteren Ausgaben sind “entschärft” und nicht mit dem teils haarsträubenden Original zu vergleichen. Im Mittelalter konnte man also ganz anders und oft auch unmenschlicher lachen als heute” ZE. Abgesehen davon, das es schon immer Erklärungen zu der Bedeutung der Chimären bei Vorträgen zur Stadtgeschichte, speziell während des Reformationsjubiläums 2017 und danach gegeben hat, war speziell die “Judensau” nie im Fokus einer Kritik. Während der über 20jährigen Arbeit des Heimatvereins in der Heimatstube waren es gerade mal 2 Besucher, die sich kritisch über die besagte Skulptur äußerten. Man kann weiterhin feststsellen, dass von der einheimischen Bevölkerung nur ganz wenige diese Darstellung kannten, zumal sie mit bloßem Auge auf der dunklen Nordseite schwer erkennbar war.  Eine Erklärungstafel ist eine gute Lösung!

Hans-Peter Dollhopf / 18.06.2020

Herr Schuster, Sie schreiben: “Hirnlos ist das Amt, hirnlos seine Schafe- ihre Tuen ist verdammt und ihr Dasein eine Strafe.” Nun, “Denkmalschutz dient dem Schutz von Kulturdenkmalen ... Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Denkmale dauerhaft erhalten und nicht verfälscht[SIC], beschädigt, beeinträchtigt oder zerstört werden und so diese zumeist architektonisch ausgeführten Kulturgüter dauerhaft gesichert werden.” (Wiki) und: Kulturdenkmale “gelten auch als das Gedächtnis eines Gemeinwesen und sind daher heute im Rahmen einer modernen asymmetrischen Kriegsführung besonders gefährdet. Das kulturelle Erbe des Feindes soll dabei nachhaltig geschädigt oder gar vernichtet werden.”  Who is who and who are you. Warum sollen an der Kirche von Colbe Steine wandern wie am Grunde der Moldau, wenn doch bereits, soweit ich mich erinnere, eine salomonische Lösung verfügbar ist. Die belässt den Stein des Anstoßes vor Ort. Er wird fortan umzäunt sein von Infotafeln, auf denen dann auch zu erfahren sein würde, dass sich diese “Judensau” bis zur Wiedervereinigung unbescholten unter DDR-Jurisdiktion befand! (Die bereits geahnt haben musste, was der Bundestag am 22. April 2020 beschließen würde: “Kultur ist systemrelevant”!) Also seien Sie unbesorgt, Herr Buurmann, es werden sich welche finden, die dieses Denk mal! bei Nacht und Nebel beseitigen werden, indem sie die ganze Kirche anzünden! Was nicht passt, wird passend gemacht. no pasaran

U. Langer / 18.06.2020

Hitler, Stalin, Mao, die Taliban usw. haben Denkmäler zerstört - alle natürlich mit der Überzeugung, das Böse auszurotten. Nun will Herr Burmann ein Denkmal zumindest teilweise zerstören - natürlich auch mit der Überzeugung, damit zu den Guten zu gehören. Was kommt als Nächstes? Werden die Kreuze der Kirchen abgenommen, weil unter diesem Zeichen früher einmal der Sklavenhandel betrieben wurde? Was bleibt dann übrig von unserer Geschichte und Kultur - ein Pappschild mit der Aufschrift “Wir sind die Guten”?

Martin Krüger / 18.06.2020

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass die Judensau erhalten bleibt, gerade WEIL dadurch die Geschichte jüdischer Diskriminierung anschaulich bleibt. Aber nein, ein übereifriger Hirnwaschautomat muss die Erhaltung als Zwang einer deutschen Behörde, den Hass weiterhin in die Welt zu tragen, anprangern und glaubt durch die Beseitigung solcher Spuren würde die Welt besser. Herr Buurmann, wenn Sie und Habeck, der das Wort Rasse aus dem Grundgesetz tilgen möchte, ihre Köpfe mit deutscher Gründlichkeit, um die Wette in den Sand stecken, weiß ich nicht, wer gewinnt.

Wolf Hagen / 18.06.2020

@Gerd Buurmann Genauso wenig, wie das Schleifen der Hakenkreuze die “nationalsozialistische Idee” aus der Welt geschafft hat, oder auch nur aus Deutschland, wird das Schleifen, oder Verstecken der “Judensau” es schaffen den Antisemitismus zu vernichten. Beides war und ist nur Kosmetik. Ein offener und durchaus kritischer Umgang mit Zeitzeugnissen dürfte da mehr bewirken.  Es ist nicht weniger dümmlich Zeitzeugnisse zu zerstören, zu verstecken, oder aus dem Kontext zu reißen, weil es den aktuellen Zeitgeist stört, als Bücher zu verbrennen, deren Aussagen einem (heute) nicht mehr passen.  Auch die Bibel musste sich schon solchen Angriffen ausgesetzt sehen, momentan wird sie gerade von der Ev. Kirche gegendert, was, man ahnt es schon, ein ziemlich chaotisches, wie idiotisches Ergebnis hervorruft. Und Ihr “Eigentümerargument” ist auch nicht valide, gerade bei sakralen Bauwerken für die Ewigkeit, denn da waren die Vorbesitzer ja auch Eigentümer und die nach Ihnen kommen, werden auch wieder Eigentümer sein, aber womöglich sehen sie die Sache anders, zum Beispiel als mahnendes Zeitzeugnis.

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