Dirk Maxeiner / 05.04.2021 / 17:00 / Foto: Jacek Halicki / 86 / Seite ausdrucken

Deniz Yücel und Boris Reitschuster

Es ist nicht ganz drei Jahre her, da sprang Achgut.com Deniz Yücel zur Seite. Er war gerade ein Jahr aus türkischer Haft entlassen, als die AfD-Fraktion forderte, die Bundesregierung möge sich jetzt von üblen Aussagen in Yücels alten taz-Kolumnen distanzieren. Dies sei nötig, weil sich die Regierung doch so stark für seine Freilassung aus türkischer Haft eingesetzt hätte, begründete ein Redner dieses Ansinnen. Achgut.com fand das überhaupt nicht nötig.

Yücel war in seiner taz-Kolumne nicht nur zu den Deutschen grob. Im Umgang mit den Kriegern des Islamischen Staats empfahl er auch diesen, sie mögen sich doch möglichst schnell ins Paradies befördern. Kurzum, Yücel machte von seinem Recht auf freie Meinungsäußerung und der Pressefreiheit wirklich großzügig Gebrauch. Und in dieser Hinsicht gibt es für Achgut.com kein Aber. Schon gar nicht, wenn ein Kollege auf die schwarze Liste des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan gerät und von ihm hinter Gitter gesteckt wird. Und wenn er wieder hier bei uns ist, tritt man nicht nach, sondern freut sich, dass er raus ist. 

Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass Medien in einer solchen Situation einem der ihren zur Seite springen. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass eine deutsche Regierung sich für seine Freilassung engagiert. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass man unter solchen Umständen die politischen Meinungsverschiedenheiten einmal zurückstellt. Und so geschah es bei Yücel auch. Der Zeitpunkt, in dem man über die Gräben hinweg für Freiheit und Recht einstehen muss, ist aber eigentlich schon viel früher gekommen. Wenn jemand erst einmal eingesperrt wird, ist es zu spät.

Reitschuster nervt Regierungsmitglieder sichtlich

Und damit sind wir bei Boris Reitschuster. Nein, niemand wird ihn einsperren. Man muss hierzulande nämlich niemanden einsperren, um ihn einzuschüchtern und mundtot zu machen. Das geht in digitalen Zeiten sehr viel eleganter. Reitschuster, ehemaliger Moskau-Korrespondent des „Focus“, wurde den Mächtigen schon in Putins Reich lästig, und er ist sich treu geblieben. Wäre er in Istanbul oder Ankara statt in Moskau stationiert gewesen, hätte er sich auch nicht anders verhalten. Insofern sind er und Yücel Brüder im Geiste. Es ist eine Selbstverständlichkeit, dass wir uns für die Rechte solcher Kollegen einsetzen, weil es schlicht um die Pressefreiheit als solche in diesem Lande geht. 

Reitschuster nervt sichtlich auch hiesige Regierungsmitglieder und Regierungssprecher in der Bundespressekonferenz. Reitschuster stellt die falschen, das heißt die richtigen Fragen. Und er begleitet mit seiner Kamera die sogenannten „Querdenker-Demonstrationen“, wobei er zahlreiche Interviews führt. Damit unterläuft er das verbindliche Narrativ von der moralischen Verwerflichkeit dieser Demonstrationen. Auch das nimmt man ihm übel. Er schaut den Herrschenden und dem Volk aufs Maul. Und er entscheidet selbst, mit wem er spricht und mit wem nicht. Und deshalb ist er lästig und soll weg.

Achgut.com und seine Autoren kennen die Methoden aus reichlicher persönlicher Anschauung. Diffamierung als „rechts“ durch einschlägige Vorfeldorganisationen, wie die Amadeu Antonio Stiftung der Stasi-Zuträgerin Anetta Kahane (IM Victoria). Gezielte Denunziation bei Anzeigen-Kunden, um die persönliche und publizistische Existenzgrundlage zu vernichten. Keine Auftritte mehr in großen Medien oder Talkshows. Sperrungen und Löschungen auf Facebook, Youtube, Twitter & Co. Diskreditierung durch sogenannte „Faktenchecker“ wie Correctiv, die nichts anderes sind als staatstreue Propaganda-Werker. Und jetzt wurden auch noch die gebührenfinanzierten Landes-Medienanstalten als Aufpasser für Youtube-Kanäle per Gesetz installiert. So macht man den Bock zum Gärtner.

Wie dieses ganze Zensurprogramm aussieht und künftig verstärkt aussehen wird, darauf wirft der Fall Reitschuster ein Schlaglicht. Unter tätiger Mithilfe übrigens von Medien wie der Süddeutschen Zeitung, die sich mit einem besonders niederträchtigen Stück über Reitschuster staatlicher Unterstützung anempfohlen hat. Sie bildete gleichsam die Vorhut dessen, was am Osterwochenende geschah. Reitschusters erfolgreicher Youtube-Kanal wurde gesperrt. Über 200.000 Abonnenten wurden von einer Informationsquelle abgeschnitten, die die Regierungspolitik nicht gut aussehen lässt. Seine Vergehen: Er hat seine Arbeit gemacht und auch Menschen zu Wort kommen lassen, die sonst nicht zu Wort kommen. Möglich macht dies eine perfide Mischung aus neuen Gesetzen und damit der Privatisierung von staatlicher Zensur. Sie ist ausgelagert, und man wäscht in Berlin seine Hände wie immer in Unschuld.

Angeblich enthalten Interviews und Redeausschnitte in der Stuttgart-Berichterstattung von Reitschuster falsche Aussagen. Wenn das ein Kriterium für das Erlaubtsein von Interviews und Talkshows wäre, müssten praktisch alle einschlägigen Politiker-Interviews und Talkshows verbannt und abgeschaltet werden. Am heutigen Montag machte Youtube nach anfänglicher Zurückweisung von Reitschusters Widerspruch schließlich einen Rückzieher, Reitschusters Kanal ist wieder frei. Willkürlicher und undurchsichtiger gehts nicht. Ohne den massiven Protest wäre das kaum so schnell erfolgt. Der Druck entstand durch Leser und neu entstandene kritische Medien wie Achgut.com. Doch die Zensurschraube wird weiter gedreht werden, solche Maßnahmen sind ja stets auch ein Wink mit dem Zaunpfahl für andere, damit sie gar nicht erst auf die Idee kommen, aus dem erlaubten Meinungsspektrum auszubrechen. Frei nach Mao: Strafe einen und erziehe hunderte.

Diejenigen im Medienbetrieb, die solche Anschläge auf Meinungs- und Pressefreiheit mit klammheimlicher Freude verfolgen oder auch noch befeuern, werden ihre Hände nicht in Unschuld waschen können. Vor allem nicht vor sich selbst. Denn sie sind, wenn es so weitergeht, eher früher als später auch an der Reihe. Zensur und Unterdrückung schreckt sehr bald auch vor ihren eigenen Propagandisten nicht zurück. Erstaunlicherweise scheinen viele Kollegen das vergessen zu haben. Dabei sollte es gerade für jene eine Selbstverständlichkeit sein, den Reitschusters in diesem Lande beizuspringen, die sich vor ein paar Jahren so vehement für Deniz Yücel eingesetzt haben. Besonders schön wäre es natürlich, wenn Deniz Yücel selbst ein paar Worte dazu verlieren könnte.

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E Ekat / 05.04.2021

Danke, Herr Maxeiner, fast alles wurde gesagt. Zu Deniz Yüzel, dessen Behandlung auch hier verurteilt wurde, als er im Knast saß, Wäre gut, wenn er den Mt findet, nun ebenfalls was zusagen. Die Süddeutsche wurde erwähnt, deren Aktion wohl in Zusammenhang mit dem Verhalten von Youtube gesehen werden sollte. Ob also Prantl, und dann auch der Spiegel dazu ein paar Bemerkungen beisteuern: spannende Frage. Was also fehlt noch? Wir alle müssen uns ernste Gedanken machen, kreativ werden, wie wir diesem Treiben wirksam entgegentreten können. Boykott bringt s nicht, Die Wahlen sind es nicht. Die Gerichte sind es nicht, weil dem Recht die Zähne gezogen werden.  Ich glaube nicht, daß man über sichtbar gewordene, oder ausgehobene Gräben noch Solidarität wird herstellen können. Dennoch: es muß etwas geschehen, mehr geschehen als in Nachhinein lediglich seinen Frust abzuladen.

Bernd Neumann / 05.04.2021

Yücel, der mit der “Köterrasse”? Nun gut. Pressefreiheit muß man aushalten, also auch das. Wer aber als Türke sich zustätzlich zu seinem türkischen Paß einen deutschen besorgt, darf sich nicht beklagen, daß die Türkei ihn in der Türkei trotzdem nur wie einen Türken behandelt. Echte Pressefreiheit gibt es in der Türkei nicht, und das Land wird sich nicht ändern - so wenig übrigens, wie Deutschland. Aber das muß ich der Redaktion von Achgut dann auch unter die Nase reiben: Die Unterstützung von Achgut für den sehr ähnlichen und in seinen Konsequenzen sehr viel härter gelagerten Fall Billy Six (der Mann war danach physisch am Ende und ist, auch nach seiner Freilassung, als Journalist von der Bildfläche verschwunden) war sehr mau, oder habe ich das nur nicht mitbekommen? Außer seinem Stammblatt “Junge Freiheit” hat niemand zu ihm gehalten, doch deren Reichweite ist viel zu gering, als daß Druck aufgebaut werden konnte. Ganz anders der linke Sonnyboy Yücel, der auch rechts alle zu faszinieren scheint, schon weil er dem Affen vom deutschhassenden Yalla-Türken Zucker gibt und man sich an ihm abarbeiten kann wie an Böhmermann. Nur daß er besser aussieht. Auch das ist ein Geschäftsmodell. Und nein: ich fand es nicht richtig, was Yücel in der Türkei widerfuhr.

Swami Angora / 05.04.2021

Bei allem Respekt vor dem gut geschriebenen und engagierten Artikel, aber sie sollten Deniz Yüzel nicht öffentlich auffordern, hier Stellung zu nehmen. Schließlich waren Sie es, der seinen Namen überhaupt erst eingebracht hat. Und das ohne, dass die Fälle wirklich vergleichbar wären. Yücel hat seinerzeit übrigens die Freilassung von Billy Sixt gefordert, dies ein Fall, der viel eher mit seinem eigenen in Verbindung zu bringen ist.

Mats Skinner / 05.04.2021

(Nach Bleyers „Code of ethics for journalism“Wisconsin 1925: „1. Wir glauben, daß Journalismus ein ehrenvoller Beruf ist, der im Dienste der menschlichen Gesellschaft eine wesentliche Aufgabe zu erfüllen hat. 2. Wir glauben, daß der Erfolg der Demokratie von einer gesunden öffentlichen Meinung abhängt und daß die Zeitungen durch Veröffentlichung der wichtigsten Nachrichten und redaktionellen Erläuterungen in Leitartikeln dahin wirken sollen, eine gesunde öffentliche Meinung zu schaffen und zu erhalten. 3. Wir glauben, daß die Zeitungen die Wahrheit berichten sollen, die volle Wahrheit und nichts als die Wahrheit in allen Angelegenheiten, die für die Leser als Staatsbürger und als Glieder der Gemeinschaft und Gesellschaft von Bedeutung sind. 4. Wir glauben, daß eine Zeitung, die ins Haus mitgenommen wird, nichts enthalten soll, das nicht im Familienkreis laut vorgelesen werden könnte. 5.Wir glauben, daß Berichte über Verbrechen, Skandale und Laster so gehalten sein sollen, daß sie die Leser abschrecken, dem Beispiel des Bösen zu folgen. 6. Wir glauben, daß alle Einzelpersonen und Verbände ein Anrecht darauf haben,in den Spalten der Zeitung fair behandelt zu werden. 7. Wir glauben, daß niemand das Recht hat, Angelegenheiten des Privatlebens öffentlich zu erörtern, sofern das öffentliche Interesse nicht berührt wird. 8. Wir glauben, daß keine Reklame und Propaganda veröffentlicht werden soll, wenn diese nicht Informationen bringt,die zu erfahren die Leser ein Anrecht haben.Bei allen solchen Veröffentlichungen soll die Quelle deutlich angegeben werden. 9. Wir glauben, daß der Autor des Leitartikels bemüht sein soll, die Wahrheit darzustellen, wie er sie sieht, doch frei von Vorurteil, Voreingenommenheit und Parteilichkeit. 10. Wir glauben, daß nur solche Zeitungen die Unterstützung der Allgemeinheit verdienen, die in ihrer Berichterstattung und in ihren Leitartikeln den höchsten Anforderungen der Wahrheitsliebe, der Redlichkeit und des Anstandes genügen.

Ulrich Viebahn / 05.04.2021

‘Diejenigen im Medienbetrieb, die solche Anschläge auf Meinungs- und Pressefreiheit mit klammheimlicher Freude verfolgen oder auch noch befeuern,’ ... sind schon längst an der Reihe: Sie arbeiten für wenig Lohn in einem engen, langweiligen Meinungskorridor.

Reinmar von Bielau / 05.04.2021

Ich freue mich, dass Reitschuster frei geschaltet wurde. Aber es nützt Alles nix, wenn wir nicht beginnen Youtube, Whatsapp und Co. den Rücken zu kehren und auf andere Platt formen umzusteigen. Ich befürchte, dass es uns ansonsten nicht oder nur sehr schwer gelingen wird zensurfrei und offen diskutieren zu können.

Bernhard Krug-Fischer / 05.04.2021

Lieber Herr Maxeiner, Ihr Beitrag ist auch auf der Seite von Reitschuster erschienen. Finde ich sehr gut, vor allem weil einzelne Foristen auf Reitschuster die Seite Achgut.com noch nicht kannten. Man sollte als Leserbriefschreiber immer auf andere Blogs hinweisen, denn die alternativen Medien müssen gestärkt werden, auch durch Spenden!!

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