Felix Perrefort / 03.11.2019 / 16:00 / Foto: achgut.com / 29 / Seite ausdrucken

Den Islam reformieren? Das Problem: Mohammed war Islamist

Noch vor der Premiere von Güner Balcis sehenswertem Dokumentarfilm über die muslimische Feministin Seyran Ateş fiel ein bemerkenswerter Satz in der Aula der Neuköllner Otto-Hahn-Schule. Er richtete sich an ein Publikum, das zu einem großen Teil aus Schülerinnen mit Kopftuch bestand und stammt weder von der Filmemacherin noch von der von ihr Porträtierten: „Ich finde es gar nicht gut, wenn so viele junge Frauen um mich herum das Kopftuch tragen. Ich mag das einfach nicht.“

Ausgerechnet Sawsan Chebli sagte dies, was darauf verweist, dass die Menschen außerhalb der sozialen Medien meistens sympathischer auftreten als inmitten hitziger Debatten auf Twitter. Dort nämlich fällt die Berliner „Staatssekretärin für Bürgerschaftliches Engagement und Internationales“ insbesondere mit ihrem „anti-islamophoben“ Engagement auf und nicht mit geäußertem Unbehagen gegenüber der islamischen Verschleierung. 

Dass sich Chebli mit ihrem stilsicheren Auftreten im figurbetontem Hosenanzug und High Heels nicht wohlfühlt, wo die allgegenwärtige Verschleierung weiblicher Reize dieselben als sündhaft stigmatisiert, liegt an der rigiden Sexualmoral, die mit dem Herrschaftsinstrument des Kopftuchs durchgesetzt wird. Sie sorgt dafür, sich permanent und obsessiv mit Sexualität zu beschäftigen. In einer Szene des Films rechtfertigt ein muslimischer Mann in einer Diskussion in der gerade eröffneten Moschee die traditionelle Geschlechtertrennung beim Beten damit, dass die Männer so nicht abgelenkt würden, sich nicht ständig umschauen müssten. 

Befreiung von der Familie

Wer so tickt, kontert Ateş, habe ein psychologisches und sexuelles Problem, was mit der rigiden Sexualmoral zu tun habe, die im Reformislam überwunden sei. Unabhängig davon, was man von Seyran Ateş’ Reformprojekt hält, wäre ihr dafür zu danken, dass sie die Essenz der Kopftuch-Kritik in seltener Klarheit in die deutsche Öffentlichkeit bringt: Die Triebkontrolle des Mannes wird im Islam der Frau aufgebürdet, die durch Bedecken ihrer Reize den Mann nicht „verführen“ solle. Entsprechend unterstützt sie auch das Kopftuchverbot von Terre des femmes

Die Unterdrückung der Sexualität war schon zentral in Balcis Dokumentarfilm „Der Jungfrauenwahn“, der mit dem Bayerischen Fernsehpreis und dem Juliane-Bartel-Preis ausgezeichnet worden ist. Während für Balci, die in Berlin Neukölln als Tochter einer türkischen Gastarbeiterfamilie aufwuchs, der biographische Auslöser für die Beschäftigung mit diesem Thema ein dort verbrochener Ehrenmord war, erklärt der Film Ateş’ Kampf für einen liberalen Islam mit ihrer Emanzipation von ihrer Familie. 

Die zumeist recht konventionelle und für eine öffentlich-rechtliche TV-Produktion nicht ungewöhnliche Ästhetik wird immer dann durch Sequenzen mit ungewöhnlichen Kamerafahrten und -winkeln, fast schon meditativ untermalter Musik und ruhigen Schwarz-Weiß-Bildern unterbrochen, wenn Ateş aus dem Off aus ihrer Kindheit erzählt. In der hat sie Gewalt durch Vater und Brüder erlitten, wurde frauenfeindlich und sexuell konnotiert beleidigt, auch Selbstmordversuche hat sie hinter sich. Falls ihre Eltern sie geliebt haben, so ihr Resümee, dann nicht als Tochter, sondern als ihr Eigentum. Diesen Erfahrungen entsprang ihr Bedürfnis nach Selbstbestimmung, dem sie nun – Todesdrohungen vieler Moslems zum Trotz – in ihrem Reformprojekt Ausdruck verleiht. Ohne Zweifel erfordert dies eine gehörige Portion Mut. 

Dass individuelle Autonomie innerhalb des Islams flächendeckend zu erkämpfen ist, das darf man allerdings auch nach dem Film bezweifeln. Auf die naheliegende Frage, warum sie nicht aus dem Islam austrete, antwortet Ateş, sie sei schließlich in ihn hineingeboren, Gott habe das so entschieden. Mit dieser Argumentation ist das voraufklärerische, identitäre Bedürfnis ausgesprochen, das offenbar die Triebfeder ihres Reformprojekts ist. Sie teilt es mit jenen, die von Reformen nichts halten und lieber orthodox bleiben wollen.

Vom Minirock zur Religion

In der an die Premiere anschließenden Diskussionsrunde mit einigen Schülerinnen, die Ateş’ Kopftuch-Kritik im Sinne ihrer „religiösen Freiheit“ herausforderten, fragte sie zurecht, was denn seit ein paar Jahrzehnten nur passiert sei. Ging es ihrer Generation damals noch um jene weibliche Freiheit, zu der auch der Minirock gehört, sei für die jungen Musliminnen das religiöse Bedürfnis zentral. Dabei bedient sie dieses mit ihrem Reformislam ja ebenso, anstatt sich zu fragen, ob und inwiefern eine Religion überhaupt konsistent zu reformieren ist, deren Stifter gemordet, geherrscht, geraubt und versklavt hat. 

Solche sich aufdrängenden Fragen kann auch der Film nicht beantworten. Sie verweisen auf den Grundwiderspruch, den keine noch so progressiv eingestellte Theologie wird auflösen können: Ein humanistisch reformierter Islam müsste seinen Religionsstifter verachten. Denn: „Mohammed war Islamist.“ Paulette Gensler, von der das Zitat stammt, weist die theologische Haltlosigkeit der Islamreformer minutiös nach. So schlägt sie beispielsweise jene Sure im Koran nach, die in einer Freitagspredigt in der Ibn Rushd-Goethe Moschee herangezogen wird (hier nachlesbar), um die im Koran angeblich vorhandene Aufforderung zum Nachdenken zu belegen, und merkt an, dass es sich bei jener „ausgerechnet um eine der kriegerischsten Suren des gesamten Koran“ handelt. „’Nachdenken‘“, schließt Gensler, „ist im Koran immer verbunden mit einem einzigen legitimen Ergebnis – die Unterwerfung unter Allah und Mohammed.“

Man muss keine aufwendigen theologischen Studien betreiben, um zu erkennen, dass die Reform des Islam zum Scheitern verurteilt ist. Auch ein Laie, der den Mut hat, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, und in einer Buchhandlung für nur drei Minuten im Koran blättert, wird erkennen, dass ihm kein auch nur ansatzweise humanistisches, freies Denken abzutrotzen ist. Ja, genauso einfach ist es.

Keine falsche Bescheidenheit

Es ist völlig unangebracht, sich bei der Beurteilung des Islam in Bescheidenheit zu üben und sie irgendwelchen „Experten“, gar den Islamwissenschaftlern zu überlassen. Die Wahrheit ist in ihrer leider sehr hässlichen Trivialität jedem zugänglich, der sich ihrer nicht aus ideologischer Borniertheit verstellt. Im Grunde dürfte sie auch den meisten Menschen ersichtlich sein; es ziemt sich nur nicht sonderlich, sie öffentlich zu äußern. Aber das kann sich auch ändern. 

Seyran Ateş präsentiert sich glaubwürdig als Vertreterin jener geknechteten Frauen, die frei leben und trotzdem muslimisch bleiben wollen, und darin liegt das Problem. Der orthodoxen Dogmatik entkommen, versucht der Reform-Islam, ein neues Gemeinschaft und geistige Geborgenheit stiftendes System an ihre Stelle zu setzen, dessen Regeln mit den Bedürfnissen und liberalen Ansichten moderner Menschen übereinstimmen, doch zugleich auf die heiligen Schriften zurückgehen sollen – ein Unterfangen, das bei den meisten Moslems leider völlig zu Recht nicht als glaubwürdig islamisch wahrgenommen wird. 

Ein nüchterner Blick in den Koran und die Hadithen sowie auf die Lebensrealität in den islamischen Staaten und den westlichen Gegengesellschaften lässt nur einen konsequenten Schluss zu. Der Islam ist hinter sich zu lassen, statt ihm reformiert verhaftet zu bleiben. Idealerweise zieht man auch aus diesem eigentlich sehr trivialen Schritt nicht allzu viel „Identität“, wird also nicht „Ex-Muslim“, sondern einfach ein freier Mensch. 

Der sehr sehenswerte Dokumentarfilm findet sich hier in der ZDF-Mediathek. 

Bei diesem Artikel handelt es sich um eine stark ergänzte Version eines Berichts, der in der Septemberausgabe der Jüdischen Rundschau erschienen ist. 

Foto: achgut.com

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Volker Voegele / 03.11.2019

In Erweiterung des Schlusssatzes des sehr gut recherchierten und durchdachten Artikels bitte der folgende Gedanke: Im Islam kann der Mensch nicht frei sein und einer vermeintlich aufgeklärten, westlichen Gesellschaft stünde es deshalb wohl an, darüber nachzudenken, wie sie dem Islam-Spuk auch gesetzlich endlich ein Ende bereiten kann. Oder?

Dr. Gerhard Giesemann / 03.11.2019

Wenn selbst Frau Ates, die ich sehr schätze, es nicht fertig bringt, sich von ihrem “identitären(!) Bedürfnis” zu befreien, wer denn dann? Kopftuch ist eher unwichtig, aber wenn Frau Chebli hier etwas sagt und auch weiterhin mehr Vernunft zeigen sollte, so wäre ich sehr, sehr gerne bereit, meine Vorstellung von ihr zu änderen, zu revidieren, hin zu etwas Positivem. Denn es gibt nicht viele Muslimas, die hierzu in Frage kämen, weiß Allah. Man muss alles nehmen, was kommt, es ist nicht viel. ISIS hat nichts anderes gemacht als das, was der Prophet betrieben hat, sobald er die Macht dazu hatte, so Hamed AbdelSamad. Deshalb auch die mekkanischen und die medinischen Suren im Quran. Sunniten halt, Leute, die die Sunna, das Leben des Propheten haarklein nachleben wollen und müssen. Nichts Neues, die zwei Dutzend Tötungsbefehle Allahs im Hl. Quran sind klar und eindeutig und sie sind Allahs Wort und Befehl, keine Widerrede, basta. “Nicht du hast geschossen, sondern Allah. Eine schöne Prüfung”, Sura 8:17 aus “koransuren.com” Das ist strafbar nach mindestens einem der §§ 129 bis 131 StGB, kriminelle Vereinigung, Aufruf zu Mord und Totschlag, Verherrlichung dessen. Der Befehlsnotstand wird gleich mit geliefert, Allähuäkhbär. Solange das nicht aus dem Quran raus ist, solange ist ein Zusammenleben mit zumindest potentiellen Mördern angesagt - wer das duldet, den wird der Scheitan holen, sobald die Zeit gekommen ist. Es gilt “das islamische Grundgesetz” von Waqar Tariq, gucksdu im ww-net. Tariq, Jurist in F. am Main ist aktiv beim LIB von Lamya Kaddor. Frau Balci ist unschlagbar. A. Mansour auch.

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