“Den Ernst der Lage nicht annähernd verstanden”.

Auf der Bundespressekonferenz habe ich gestern und am Mittwoch drei Fragen zum Thema Corona gestellt, die der Arzt und Autor Gunter Frank im Dialog mit mir angeregt hat. Frank ist einer der kompetentesten und aktivsten Kritiker des harten Corona-Kurses der Bundesregierung und hat mit seinem Buch „Der Staatsvirus“ eine bestechende Abrechnung mit der Pandemie vorgelegt (mehr dazu hier). Hier gebe ich die Fragen und die Antworten der Bundesregierung im Wortlaut wieder – und darunter die Kommentare von Gunter Frank.  

Frage Reitschuster: Der Lockdown wurde vor allem mit dem Ziel „Flatten the Curve“ begründet. Das Ziel war nicht die Senkung der absoluten Zahl von Infizierten, sondern die zeitliche Streckung. Finden Sie dieses Ziel angesichts einer im Schnitt ganzjährigen 16-prozentigen Unterbelegung in den Krankenhäusern einschließlich der Intensivabteilungen, wie ich es Ihrem hier bereits am Montag angesprochenen Gutachten entnehme, sinnvoll?

Andreas Deffner (Sprecher des Gesundheitsministeriums): Vielleicht noch einmal ganz grundsätzlich ein Hinweis: Wir sind in Deutschland insgesamt bislang sehr, sehr gut durch diese Pandemie gekommen. Das hat gerade dazu beigetragen, dass die Krankenhäuser im Großen und Ganzen nicht überlastet wurden. Zu der Nachreichung von vorgestern: Die Zahlen haben den gesamten Jahreszeitraum beleuchtet und eben nicht einzelne Schwerpunktmonate, in denen die Belastung besonders hoch war. Ich denke, dass das auch eine gute Antwort auf die Frage von Herrn Reitschuster ist.

Kommentar Gunter Frank: Der Sprecher weicht der Frage aus, um sie gleichzeitig indirekt zu beantworten. Die Frage zielte auf die Zielrichtung der Lockdowns 2020, nämlich Belastungsspitzen abzuflachen. Wenn diese Annahme realistisch gewesen wäre, dann hätte sich dies in einer steigenden Belegung der Krankenhäuser nach den Lockdowns zeigen müssen. Doch es herrschte Unterbelegung. Diese hat mehrere Gründe, aber ganz sicher auch den, dass es eben gar keine außergewöhnlichen Wellen gab, die das Gesundheitssystem hätten überlasten können. Der Sprecher antwortet stattdessen mit der Feststellung „Wir sind in Deutschland insgesamt bislang sehr, sehr gut durch diese Pandemie gekommen. Das hat gerade dazu beigetragen, dass die Krankenhäuser im Großen und Ganzen nicht überlastet wurden.“ Damit belegt er jedoch auf andere Weise, dass die Feststellung einer epidemischen Lage nationaler Tragweite nie gerechtfertigt war. Somit war auch die Strategie des „Flatten the Curve“ unsinnig. Als Nächstes dürfte nun behauptet werden, dies läge an den Maßnahmen. Doch es ist inzwischen de facto bewiesen, z.B. durch die CoDAG-Berichte der LMU München, dass die Maßnahmen auf das Corona-Infektionsgeschehen keinen wesentlichen Einfluss hatten, aber selbst massive Schäden verursacht haben.“

Immer eine medizinische Entscheidung?

Frage Reitschuster: Es geht um invasive Beatmung und den Zeitpunkt. Laut den Ärzten des Verbandes pneumologischer Kliniken besteht ein eklatanter Fehler bei der Behandlung von COVID-Patienten durch zu frühe invasive Beatmung. Ihr Behandlungskonzept, das Moerser Modell, führt zu dramatisch geringeren Sterberaten und viel weniger Intensivbettenbelegung. Ist Ihnen das bekannt? Falls es Ihnen nicht bekannt ist, warum ist es ihnen nicht bekannt? Wenn ja, warum wird in einer Krise die Behebung eines so folgenreichen Fehlers nicht adäquat angemahnt?

Sebastian Gülde (Sprecher des Gesundheitsministeriums): Die Entscheidung für eine medizinische Behandlung, dazu gehört auch die invasive Beatmung, ist immer eine medizinische Entscheidung, keine politische. Insofern obliegt es sowohl den medizinischen Fachgesellschaften als natürlich auch den Ärztinnen und Ärzten vor Ort, diese Entscheidung dann gegebenenfalls selbst zu treffen. Dafür gibt es dann auch entsprechende Richtlinien, die aber von den medizinischen Fachgesellschaften entworfen werden, nicht von der Politik.

Kommentar Gunter Frank: Und was ist mit dem politischen Druck auf die STIKO, eine COVID-Impfempfehlung für 12- bis 17-Jährige abzusegnen, nachdem dieses Gremium sich explizit aus wissenschaftlichen Gründen dagegen ausgesprochen hatte? Wenn es also politisch gewollt ist, nimmt das Bundesgesundheitsministerium die Wissenschaftler nicht in Schutz. Selbst dann nicht, wenn dieses rein politisch zu verstehende „Umfallen“ zur Folge hat, dass nun Jugendliche einer Impfung ausgesetzt werden, von der sie keinen Nutzen haben, die sie aber einem unbekannten Risiko aussetzt.

Der Bundesgesundheitsminister Spahn hatte sich zusammen mit dem Ministerpräsidenten Laschet vor Ort in Moers über den Erfolg dieser Behandlung informiert. Auch anhand mehrerer persönlicher Gespräche mit dem Chefarzt weiß er, dass das Vermeiden der invasiven Frühbeatmung sowohl COVID-Intensivbelegungen als auch COVID-Todesraten dramatisch absinken lässt. Aufgrund der enormen gesellschaftlichen Auswirkungen – eine angeblich drohende Intensivüberlastung war der Grund für den Lockdown – wäre es seine Pflicht gewesen, die Fachleute an einen Tisch zu bringen, um den Sachverhalt im hohen nationalen Interesse wissenschaftlich zu klären. Um eine solche Klärung zu moderieren, gibt es exzellente Fachleute wie den Leiter des IWQiG, Prof. Windeler, dessen Institut im Auftrag der Krankenkassen genau solche Analysen erfolgreich durchführt.

Ich sehe diesen Vorgang als das zweite historische Versäumnis des BGM an. Das erste besteht in der Missachtung des normalen Standards zur Erkenntnisgewinnung bei unklaren Krankheitssituationen, der prospektiven repräsentativen Kohortenstudie, durch das RKI.

Wiederholung der alten Fehler

Frage Reitschuster: Es geht um die COVID-Toten in deutschen Krankenhäusern, die aus Pflegeheimen stammen und dort isoliert und einsam sterben mussten. Gibt es Pläne dafür, wie man das in Zukunft ändern könnte?

Gülde: Ich glaube, die Frage kommt etwas spät. Im Grunde genommen gibt es ja seit Beginn dieses Jahres entsprechende Empfehlungen, wie Hygieneschutzmaßnahmen auch in Pflegeeinrichtungen umzusetzen sind. Es gab auch die Äußerungen des Bundesministers und des Pflegebevollmächtigten, dass so eine Situation, dass Pflegebedürftige einsam in den Heimen in ihren Zimmern verbleiben müssen, nicht wieder vorkommt. Wie gesagt, dafür gibt es Grundlagen. Es gibt Hygieneschutzmaßnahmen, an die sich auch die Einrichtungen halten. Es gibt Testkonzepte für den Besuch von Pflegebedürftigen in Pflegeeinrichtungen. Diese Dinge sind alle in den Empfehlungen des RKI nachzulesen.

Kommentar Gunter FrankDie Antwort des Sprechers zeugt von der fehlenden Empathie des BGM, sich diesem humanitären Drama zu stellen. Man ignoriert die beschämenden Zustände, unter denen alte Menschen schon während der Grippe 2018 und besonders während Corona leiden und sterben mussten. Wer hier also zu spät agiert, bzw. gar nicht, ist die Gesundheitspolitik. Ihr jahrelanges Versagen beim Beheben des katastrophalen Pflegekraftmangels und seine Konsequenzen für die Pflegeheime hat diese Katastrophe erst möglich gemacht.

Regierungssprecher Steffen Seibert: Man kann es nur immer wieder sagen: Wir haben in dieser Bevölkerungsgruppe der Pflegebedürftigen, der Menschen, die in Pflegeeinrichtungen leben, ganz mit Bedacht mit dem Impfen begonnen. Das Impfen bietet den allerbesten Schutz und vermeidet, dass es wie im Frühjahr und Sommer des vergangenen Jahres zu schrecklichen und auch einsamen Toden kommt. Das RKI hat ja in seinem gestrigen Wochenbericht die Impfeffektivität der letzten vier Wochen abgeschätzt. Impfen bietet einen Schutz vor Hospitalisierung für die über 60-Jährigen von 95 Prozent. Für die unter 60-Jährigen sind es 96 Prozent. Impfen bietet einen Schutz vor intensivmedizinischer Behandlung für die über 60-Jährigen von etwa 96 Prozent und für die 18- bis 59-Jährigen von 97 Prozent. Deswegen gilt gerade für diese Gruppe, aber im Grunde für jeden von uns: Impfen bietet wirksamen Schutz.

Kommentar Frank:  Herr Seibert macht denselben Fehler, der von Anfang an die Coronapolitik prägte. Er geht von nicht ausreichend aussagekräftigen Daten aus. So sind die vielzitierten 95 Prozent Schutz aus einer Pfizer-Zulassungsstudie, in der es viel zu wenige Erkrankungsfälle gab, als dass man sich auf diese Zahl verlassen könnte. Gleichzeitig ignorieren die Verantwortlichen bis heute den Warnruf des Heidelberger Chefpathologen Prof. Schirmacher, der bei 30 bis 40 Prozent der Toten im zeitlichen Zusammenhang mit der COVID-Impfung von einem ursächlichen Zusammenhang ausgeht und dringend eine umfangreiche Untersuchung fordert. Wenn sich diese Annahme bestätigt, haben wir es mit einer Anzahl von Toten zu tun, welche die der an COVID-19 Gestorbenen weit übertreffen wird. Herr Seibert dokumentiert ein weiteres Mal, dass der Regierung die Wirklichkeit egal ist, auch wenn dadurch viele Menschen zu Schaden kommen.

Zusatzfrage Reitschuster: Es ging mir nicht um die Zustände für die Sterbenden in den Pflegeheimen, sondern in den Krankenhäusern.

Seibert: Ich denke, wir hatten seine Frage verstanden.

Kommentar Frank: Ich denke, Herr Seibert hat den Ernst der Lage nicht annähernd verstanden.

 

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Reitschuster.de hier. Wir bedanken uns!

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Helmut Driesel / 25.09.2021

  Dr. Frank und der Medienprofi machen das natürlich unheimlich souverän. Vor denen tät mir das als Regierungssprecher auch grausen. Aber zum Thema “Unterbelegung Krankenhaus” ist mir noch ein wesentlicher Aspekt in den Sinn gekommen, den die geschätzten Autoren vielleicht übersehen haben: Es fallen doch in so einer epidemischen Lage auch immer Schwestern und Ärzte aus weil sie sich infiziert haben. Das drückt doch die Zahl der Patienten, die ein Haus vernünftigerweise aufnehmen kann, indirekt herunter. So um 10 bis 20% sind sicher nicht unrealistisch geschätzt. So tragisch der einsame und gegebenenfalls medizinisch verschuldete Tod des Einzelnen auch ist, muss sich ein Politiker immer ganzheitlich orientieren. Auch das Versagen muss letztlich in Bezug auf das ganze System beurteilt werden. Und da kann bis zum heutigen Tage unter Vorbehalt eingeschätzt werden, dass die Zahl der Verstorbenen noch nicht einmal rentenbeitragswirksam ist, denn dafür wären rund eine Viertelmillion zusätzlich Verstorbene erforderlich. Was soll also das ganze Theater? Ich hielte es zunächst für wichtiger, festzustellen, ob derzeit eine Art Weltkrieg vor sich geht, nämlich einer, der nicht mit militärischen Mitteln ausgetragen wird. Der Antwort auf diese Frage würde ich alles andere unterordnen.

HDieckmann / 25.09.2021

Die Bundesregierung war offensichtlich der Auffassung, dass invasive Beatmung immer gut, richtig und unbedingt notwendig ist. Warum hätte Jens Span sonst im Frühjahr (populistisch) 20.000(!) Beatmungsgeräte bestellen sollen. Die erwartete Zahl von schweren Fällen kam dann nicht, so dass bis Sommer 2020 wohl weniger als 2.000 Beatmungsgeräte geliefert wurden (und der Rest abbestellt/eingelagert wurde?). Das BMG hat die Behandlungsmethoden also nicht den medizinischen Fachgesellschaften überlassen, sondern ist der Meinung der Intensivmediziner gefolgt, ohne die Pneumologen zu hören. Durch die ohne medizinischen Sachverstand veranlasste Beschaffung der Beatmungstechnik ist die Bundesregierung mitverantwortlich für den Schaden, den diese Geräte verursacht haben, also auch für die durch invasive Beatmung verursachten Todesfälle.

Johannes Schuster / 25.09.2021

Und ich glaube, daß Gunter Frank “die Macht des deutschen Gehorsams” nicht ganz versteht. Es geht nicht um den Ernst der Lage, sondern den Ernst der Pflicht, das sind in Deutschland zwei vollkommen unterschiedliche Dinge. Ich werde dieses Volkswesen der Pflicht und jener sich auf sie pflichtig einzulassen, selbst wenn man opponiert, nie verstehen. Aber wenn ich mir die Tapes des Eichmann - Prozesses ansehe, dann ist es keine Frage von “Ernst der Lage” sondern dieses typisch deutsche: ein bis zu einem gewissen Grad intelligenter Idiot zu sein, wobei sich das Ende der Intelligenz - so weit sie auch reichen macht in einer Klippe abzeichnet und danach kommt das Meer des Gehorsams am Ende des Ichs. Warum man nicht selber denkt und wirkt und statt dessen hört auf wie man zu wirken habe, diesen Komplex kann ich beschreiben, verstehen werde ich ihn, wie gesagt wohl nie, d.h. wesentlich nicht.

Paul Brusselmans / 25.09.2021

Da waren die Pressekonferenzen des ZK der SED offener…

T. Weidner / 25.09.2021

Hier haben wir schöne Beispiele, wie die Politik mit dem konsequent durchgezogenen Vorsorgeprinzip ein Land gegen die Wand fährt… Wobei es noch viele weitere Beispiele gibt, Energiewende, Feinstaub, NO2, ...,

T. Weidner / 25.09.2021

Hier haben wir schöne Beispiele, wie die Politik mit dem konsequent durchgezogenen Vorsorgeprinzip ein Land gegen die Wand fährt…

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