Demokratie-Förderung auf Amerikanisch

Eine offiziell dem amerikanischen Außenministerium unterstellte Organisation unterstützte die ungarische Opposition während der Wahlen im April mit vielen Millionen Euro.

Wie wir wissen, sind saubere, demokratische Wahlen eine Herzenssache der westlichen Demokratien, der EU und der Vereinigten Staaten, weshalb sie und ihre Institutionen jedes Mal, wenn Wahlen in so problematischen Ländern wie Ungarn stattfinden, sofort strengste Wahlbeobachtungen fordern und veranlassen. So geschehen auch bei den ungarischen Wahlen im April dieses Jahres, als Viktor Orbáns Fidesz Partei mit einer Zweidrittelmehrheit gewann. Es wurde sehr genau bei Fidesz und ihrem Bündnispartner, der Christlich-Demokratischen Volkspartei, nachgeschaut, wann, wo und wie sie betrügen könnten, um die vereinigte Opposition ihrer Wahlchancen zu berauben. Doch die Beobachter von OSZE und EU berichteten von weitestgehend regelkonformen Prozeduren, Orbán hat nicht geschummelt. 

Wie sich nun zeigt, hätten die Kontrolleure ganz anderswo nachsehen müssen. Im August, als die Wahlschlachten längst geschlagen waren, hat sich der Spitzenkandidat der vereinigten Opposition „Einheit für Ungarn“ (Egységben Magyarországért), der von seinen verbalen Eskapaden und sprunghaften Ideen bekannte Péter Márki-Zay (Oben im Bild), bei einem Fernsehauftritt verplappert. Es ging um die Abgabe der Bilanzen über Einnahmen und Ausgaben des Wahlkampfes, wozu alle Parteien gesetzlich verpflichtet sind. 

Márki-Zay, den man schon lange vor den Wahlen versucht hatte, als konservatives Gegenstück zu Orbán aufzubauen, ist damals durch eine Verkettung bis heute ungeklärter Umstände zum Spitzenkandidaten der vereinigten Opposition geworden. 2018, als die vereinigte Opposition mit ihm an der Spitze das Zusammengehen zum ersten Mal bei den Kommunalwahlen erprobt hatte, gründete der parteilose Márki-Zay eine eigene Bewegung, dessen Namen man mühsam als „Ungarn-gehört-allen-Bewegung“ (Mindenki Magyarországa Mozgalom, kurz MMM) übersetzen könnte. Die sollte ab dann seinen politisch-organisatorischen Hintergrund bilden. Obwohl MMM als Bewegung registriert wurde, blieb es immer unklar, ob es sich hier um eine neue Partei, eine NGO oder eine Bewegung handelt, mal verhielt sich MMM wie das eine, mal wie das andere. Mit gutem Grund, wie wir sehen werden. 

Wahlunterstützung aus dem Ausland ist in Ungarn gesetzlich verboten

Nun erklärte Márki-Zay während des Fernsehinterviews, er habe die Wahlbilanz nicht fertig, weil noch im Juni weitere Spenden für MMM eingegangen seien. Auf die Frage von Journalisten, wer denn die edlen Spender seien, sagte er, es könnte sich um in den USA lebende ungarische Emigrées handeln. Diese Aussage hatte eine Wirkung, als hätte er eine Handgranate in die Runde geworfen.

Wahlunterstützung aus dem Ausland ist in Ungarn gesetzlich verboten, obwohl dort jeder weiß, dass sie zugunsten der Opposition Orbáns seit langem stattfindet. Aber die Kanäle sind schwer zu durchschauen, weil sie kaum nachvollziehbar über Stiftungen, wohltätige Zwecke und NGO zu den Kassen der Opposition führen. Und so begann eine fieberhafte Recherche der konservativen Medien, die wissen wollten, woher, von wem und wofür diese und andere Spenden denn während des Wahlkampfes eingegangen seien. Danach weiteten sie ihre Recherchen auf das gesamte Finanzwesen der Opposition und insbesondere auf Márki-Zays MMM aus. Aufgrund dessen, was da zum Vorschein kam, hat die nationale Strafverfolgungsbehörde eine Untersuchung wegen Geldwäsche und Veruntreuung in Gang gesetzt.  

Was wir bisher wissen, ist Folgendes: Eine amerikanische Organisation mit dem Namen Action for Democracy hat seit Februar 2022 in mehreren Tranchen insgesamt etwas mehr als sieben Millionen Euro – das heißt, drei Milliarden Forint – an MMM und an mit ihr verbundene Organisationen und Firmen, das heißt praktisch an das oppositionelle Parteienbündnis, überwiesen. Das sind für ungarische Verhältnisse ungeheure Summen. Die Gesamtsumme scheint immer noch nicht ganz geklärt, so hat möglicherweise auch die „99 Bewegung“, gegründet vom Budapester Oberbürgermeister Gergely Karácsony, Zuwendungen in unbekannter Höhe von einer amerikanischen Organisation erhalten. Karácsony ist Mitglied der linksgrünen Partei „Dialog“ (Párbeszéd), die zur oppositionellen Vereinigung bei den Wahlen gehört hatte.

Es ging um die Bekämpfung der „Systemrisiken“

Die Organisation Action for Democracy ist zweifelhaften, oder vielmehr eindeutigen Ursprungs. Sie ist im Februar 2022 kurz davor gegründet worden, dass die Überweisungen nach Ungarn begannen. Das war drei Monate vor den Wahlen. Die Organisation hat auch einen ungarischen „executive director“, Dávid Korányi, der, wie das Leben so spielt, seit 2019 Chefberater des oben schon erwähnten Budapester Oberbürgermeisters war. Nach einiger Zeit verlegte Korányi seinen Sitz nach New York, wurde jedoch weiterhin von der Hauptstadt bezahlt. Erst nachdem die illegale amerikanische Wahlfinanzierung immer offenkundiger wurde, musste er sein ungarisches Amt im November verlassen.

Laut Korányi sollte Action for Democracy ein Gegengewicht zur „Clique von Autokraten und Diktatoren“ aufbauen. Sie sollte für die Zivilgesellschaft und die unabhängigen Medien in gefährdeten Ländern in Zusammenarbeit mit deren „Diaspora-Gemeinschaften“ Finanzmittel beschaffen, um dort die demokratische Teilhabe auszuweiten. Es gehe nicht allein um Ungarn, sagte Korányi, sondern um die Bekämpfung der „Systemrisiken“, die dadurch entstehen, dass andere das „nationalistisch-populistische Modell“ des Viktor Orbán zu kopieren versuchten. 

Action for Democracy ist eine Tochterorganisation des National Endowment for Democracy, eines staatlichen, steuerfinanzierten, direkt dem amerikanischen Außenministerium unterstehenden Think Tanks, dessen Aufgabe die weltweite Verbreitung der liberalen Demokratie ist. Der Führung der neugegründeten Tochtergesellschaft Action for Democracy gehören allgemein bekannte linksliberale Aktivisten und Denker an wie Kati Marton (Vorsitzende), Anne Applebaum, Timothy Garton Ash, Timothy Snyder, Francis Fukuyama, Charles Gati, und der pensionierte General Wesley Clark. 

Sehr schnell als Lüge erwiesen

Action for Democracy wies auf Anfrage den Vorwurf der Wahlkampffinanzierung zurück, und verteidigte sich damit, sie hätte MMM nicht als Partei, sondern als „zivile Organisation“ unterstützt. Das freilich ist in Anbetracht der Rolle, die die Bewegung bei den Wahlen gespielt hat, eine sehr feinsinnige Unterscheidung, auf die sich jedoch auch Márki-Zay beruft. Die zweite Linie seiner Verteidigung war, dass es bei den Überweisungen gar nicht um ausländische Einmischung handeln konnte, denn die Spenden seien von Kleinstüberweisungen ungarischer Emigranten zusammengekommen, die ja schließlich Ungarn seien. Das hatte sich sehr schnell als Lüge erwiesen, denn Action for Democracy konnte gerade mal 14 Überweisungen dokumentieren, von den Spendern wurden weder Namen noch Reisepässe verlangt, die bewiesen hätten, dass es sich um ungarische Staatsbürger handelt.

Inzwischen beschäftigen sich sowohl der Sicherheitsausschuss des Parlaments als auch die Organe der Strafverfolgung sowie der Geheimdienst mit den amerikanischen Spenden. Woher das Geld auf das Konto von Action for Democracy kam, ist bis zum heutigen Tag ungeklärt, mit der freiwilligen Kooperation der Organisation beziehungsweise des amerikanischen Außenministeriums ist nicht zu rechnen.

Versuch, in Ungarn einen Systemwechsel herbeizuführen

Fassen wir an dieser Stelle die Geschichte des Versuchs, in Ungarn einen Systemwechsel herbeizuführen, vorläufig zusammen: Eine Organisation, in dessen Führungsgremium weltbekannte Vorkämpfer der linksliberalen Demokratie sitzen, und die Teil eines vom amerikanischen Außenministerium finanzierten Think Tanks ist, schickt während des ungarischen Wahlkampfs drei Milliarden Forint (mehr als sieben Millionen Euro) an eine bewusst verschwommen definierte oppositionelle Organisation, die den politischen und finanziellen Hintergrund des gemeinsamen Spitzenkandidaten der Opposition, Péter Márki-Zay bildet. Ob alle sechs dem Parteienbündnis angehörenden Parteien über die Kanäle zu MMM von den amerikanischen Zuwendungen profitiert haben, wird noch untersucht. 

Und jetzt stellen wir uns einmal für einen Moment Folgendes vor: Nicht die Opposition, sondern Fidesz oder Viktor Orbán hätten die Millionen von einem konservativen Think Tank erhalten. Was wäre dann in der EU, der UN, dem US Kongress los? Nicht auszudenken.

Foto: Draskovics Ádám CC BY 4.0 via Wikimedia Commons

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Leserpost

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Klaus Schmid / 21.12.2022

Na und? Mit ähnlich krummen Touren hatten die USA ja auch den regime change in der Ukraine organisiert, siehe Frau Nuland & Co. Aber gute Demokraten dürfen so etwas natürlich. Westliche Werte eben.

T. Schneegaß / 21.12.2022

@T. Weidner: Es ist jetzt schon kurz vor 23 Uhr und immer ist noch kein Biden-Fan hier aufgetaucht. Ach doch, der Herr Luhmann. Der kriegt immer wieder den Bewusstseins-Spagat hin: Im Falle Putin ist die linke Biden-Administration ok., ansonsten gefällt sie ihm so gar nicht.

Arthur Dent / 21.12.2022

Bitte verwenden Sie nicht das Wort “linksliberal”.  “Linksliberal” ist ein Oxymoron. Entweder man ist links oder man ist liberal, aber beides zusammen geht nicht.

S.Buch / 21.12.2022

Die Amis haben ihre dreckigen Hände überall drinnen - so übrigens auch in der Ukraine. Ist es dort was anderes als in Ungarn?

Lutz Liebezeit / 21.12.2022

Linksliberale sind das also. Und die beackern mit vielen Millionen Euros widerborstige Staaten? Und die Wall Street wettet auf die Waffenindustrie. Was haben die Linksliberalen vor? Wollen die die Deutsche Bank verstaatlichen? Ich weiß beim besten Willen nicht, wer uns mehr Sand in die Augen streut. Ich glaube fast, das sie sind die alternativen Autoren?  

Max Mütze / 21.12.2022

Sind die Amis nun unsere Freunde oder nicht? Frage für einen ehemaligen FDJler…

Werner Arning / 21.12.2022

Oho, alle Achtung, dass achgut diesen Artikel zulässt. Selbstverständlich versucht die USA ihre Interessen mit absolut allen Mitteln, entgegen allen Lippenbekenntnissen, auf der ganzen Welt durchzusetzen, wenn nicht demokratisch, dann eben undemokratisch. So what? Etwas anderes zu unterstellen, wäre wohl der Naivität eine Spur zu dick aufgetragen. Und Orbán passt offensichtlich nicht ins Konzept. Das macht ihn um so glaubwürdiger (und sympathischer, weil wahrscheinlich demokratischer).

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