Thomas Rietzschel / 15.01.2019 / 15:00 / Foto: Pixabay / 15 / Seite ausdrucken

Demokratie vergessen! Die EU stärken!

Große Ereignisse werfen ihre Schatten voraus. Die Nervosität steigt. Den Anführern des Kontinents schwant nichts Gutes. Bereits vier Monate vor der Wahl zum Europäischen Parlament fürchtet das linke Lager, überrannt zu werden. „Attacke der Rechten“ titelte SPIEGEL ONLINE dieser Tage. Berichtet wurde, als stünde eine Schlacht bevor. Das Wesentliche fasste der Vorspann zusammen. „Die Rechten aus diversen Ländern“, heißt es da, „wollen gemeinsam die EU angreifen. Bei den Parlamentswahlen werden sie wohl deutlich zulegen. Es könnte reichen, um die Gemeinschaft zu sabotieren“.

Nun soll es sich aber nach allem, was wir bisher zu hören bekamen, bei dem Straßburger um ein demokratisch legitimiertes Parlament handeln, seine Zusammensetzung dem Willen der Bürger entsprechen. Um überhaupt politisch handeln zu dürfen, müssen sich die Abgeordneten erst einmal einer Wahl stellen, die so oder so ausgehen kann. Wer dabei das Rennen macht, mag in etwa vorhersehbar sein; festlegen lässt es sich nicht.

Eine Binse, gewiss. Nur scheint das nicht mehr allen so bewusst zu sein, wie es von gestandenen Demokraten zu erwarten wäre. Oder weshalb sonst wird uns die bevorstehende Europa-Wahl als ein „Angriff“ angekündigt, wie eine Machtergreifung, bei der es drauf hinausläuft, „die Gemeinschaft zu sabotieren“?

Wenn die Wahlbeteiligung immer weniger wird

Bisher mussten die Vorkämpfer eines zentralistisch durchregierten Kontinents auf das Votum der Völker nicht viel geben. Die Bürger scherten sich kaum um den Turmbau zu Brüssel; mit Witzen kommentierten sie, was da geplant und beschlossen wurde. Seit der ersten Europawahl 1979 sank die Beteiligung von Mal zu Mal. Zuletzt, beim achten europäischen Urnengang 2014 lag sie bei 43,09 Prozent. Die eingeschworene EU- Gemeinschaft wusste die Minderheit der Gläubigen hinter sich. Martin Schulz und Jean- Claude Juncker verständigten sich auf die Gleichschaltung von Legislative und Exekutive, von Parlament, Rat und Kommission.

Ein Pyrrhussieg. Zeigt doch nicht zuletzt der Zulauf, den die EU-kritischen Parteien und Bewegungen zunehmend verzeichnen, wie unheimlich die Verselbstständigung der Brüsseler und Straßburger Bürokratie den Völkern inzwischen geworden ist, in Italien, auf dem Balkan, in Frankreich, in Polen und mehr und mehr auch in Deutschland. Die Wahlen, mit denen sich die EU früher ein demokratisches Ansehen gab, könnten ihr jetzt schwer zu schaffen machen, wenn auch nicht damit zu rechnen ist, dass sie gleich alles auf den Kopf stellen. An einer Aufkündigung sinnvollen Zusammenwirkens der Nationen kann schließlich niemandem gelegen sein, wohl aber an der Auflösung einer „Gemeinschaft“, einer politischen Elite, die sich zur absoluten Herrschaft über das europäische Großreich berufen fühlt.

Wie einst im Osten

Sie allein hat die kommende Wahl als „Angriff“ zu fürchten. Von „Sabotage“ war schon in den Ländern des einstigen Ostblocks immer dann die Rede, wenn etwas nicht so lief, wie es die herrschenden Parteien vorgaben. Der Vorwurf, das Erstarken des politischen Konkurrenten gefährde die Demokratie, fällt allemal auf die zurück, die ihn erheben.

Der Falschmünzer Robert Menasse sprach ihnen bereits 2012 aus der Seele, als er in seinem Essay „Der europäische Landbote“ schrieb, die EU-vereinigten Länder müssten „sich mit dem Gedanken anfreunden, die Demokratie erst einmal zu vergessen, ihre Institutionen abzuschaffen, soweit sie nationale Institutionen sind, und dieses Modell der Demokratie, das uns so heilig und wertvoll erscheint, weil es uns vertraut ist, dem Untergang zu weihen“.

Nun denn, bei Philippi sehen wir uns wieder. Ende Mai, bei der Europa-Wahl, haben die Bürger das Sagen. Wer davor so bibbert, dass er glaubt, vor dieser „Attacke“ warnen zu müssen, ist schon jetzt aus dem Rennen.

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Leserpost

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Martin Stumpp / 15.01.2019

Die EU hat ein Problem ein sehr großes Problem sogar. Es fehlt ihr an demokratischer Legitimation. Das EU-Parlament ist kaum mehr als ein Feigenblatt, das die wuchernde Brüsseler Autokratie mit ihrer Selbstbedienungsmentalität nicht mehr verdecken kann. Man muss sich sowieso die Frage stellen, ob ein Parlament, dessen Vertreter indirekt und nicht nach dem Prinzip “One man one Vote.” gewählt werden, überhaupt über eine demokratische Legitimation verfügt. Den Eliten fällt jetzt vermutlich zudem auf die Füße, dass ausgerechnet Deutschland, dessen Wähler immer noch mit übergroßer Mehrheit EU-konform wählen, im EU-Parlament weit unterrepräsentiert sind. Nicht zuletzt auch aufgrund der mangelnden Macht, werden die Wahlen, so man sich überhaupt die Mühe macht sich zu beteiligen, gern genutzt um die nationalen Regierungen abzustrafen.  Vor diesem Hintergrund kann kein überzeugter Europäer mit der aktuellen Situation zufrieden sein. Vermutlich wird man ein Schritt zurück gehen müssen bevor man wieder nach vorne geht. Wer Europa will, kann auf jeden Fall das weiter so nicht befürworten. An einem weiter so sind auch nur Politiker interessiert die die europäische Idee entweder zerstören wollen oder denen sie völlig egal ist und die kein Problem damit haben sie auf dem Altar der persönlichen Interessen zu opfern.

armin wacker / 15.01.2019

“Ende Mai, bei der Europa-Wahl, haben die Bürger das Sagen.” Hoffentlich begreifen sie das auch.

Berthold Zorell / 15.01.2019

Zum Beispiel hat das EU-Parlament kein Initiativrecht. Also selbst entworfene Gesetze einzubringen. Dieses Recht ist ein wesentliches, ein Königs-, Recht eines jeden Parlamentes. Und schon ist die Demokratie ein Stück pervertiert.

Thomas Holzer, Österreich / 15.01.2019

1.) Es gibt kein “Europäisches Parlament”, sondern maximal ein EU-Parlament 2.) Es gibt keine “Europa-Wahl”, sondern maximal eine Wahl zum EU-Parlament

Bernd Ackermann / 15.01.2019

Es mag ja sein, dass in irgendwelchen hinterwäldlerischen Ländern wie Frankreich oder Polen EU-kritische Parteien gewählt werden, im Land der Guten und Gerechten werden selbstverständlich wieder 85% für die gleichen Parteien stimmen wie immer. Ein paar Prozentchen hin oder her, das war’s. Hier gibt es weder Attacke noch Sabotage, das ist dem deutschen Wesen fremd. Allerdings haben wir sehr viel Übung darin mit fliegenden Fahnen unterzugehen, hier liegt unsere wahre Stärke und Bestimmung. Ausnahmsweise kommt uns dabei Frau Merkel nicht in die Quere, dass sie die Fahne wegwirft ist in diesem Fall sehr unwahrscheinlich.

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