Markus C. Kerber, Gastautor / 19.10.2022 / 12:00 / Foto: Imago / 59 / Seite ausdrucken

Demokratie statt Parteioligarchie

Fabian Nicolay hat in den Spalten dieses Mediums am 14.10.2022 die verfassungsrechtlichen Ursachen des politischen Unbehagens weiter Bevölkerungsschichten beim Namen genannt: Die Parteienoligarchie. Was einst im Grundgesetz von 1949 als Mitwirkung der Parteien an der politischen Willensbildung konzipiert wurde, ist zu einem Allmachts-Regime verkommen, das die Medien besetzt und zunehmend unqualifizierte Figuren an die Hebel der Macht gebracht hat. Dies gilt nicht etwa für eine Partei, sondern für alle Parteien, besonders aber für die Grünen und die AfD. 

In der Neujahrsansprache in der Preußischen Gesellschaft am 21.1.2022 versuchte der Verfasser dieser Zeilen, aus der verfassungsrechtlichen Sackgasse einen Weg zu weisen (Siehe auch: Sondieren oder Regieren – Die Krise des deutschen Parteienstaats und wie man aus derselben herauskommt). Wer in der gegenwärtigen Situation das verfassungsrechtliche Übel beseitigen will, der kommt nicht umhin, das Parteienprivileg des Art. 21 GG zu beseitigen, die politischen Stiftungen der Partei zu liquidieren und ein Mehrheitswahlrecht einzuführen, das den Parteien das faktische Monopol bei der Aufstellung von Kandidaten zu den  Parlamenten entzieht. 

Denn immer weniger fühlen sich die Bürger dieses Landes von ihren Abgeordneten repräsentiert. Das tut nicht Wunder, zumal nach dem einfachen Mehrheitswahlrecht und der Aufsplitterung der Parteienlandschaft auch im ersten Wahlgang ein Kandidat, der 21 Prozent der abgegebene Stimmen erhalten hat – im Unterschied zu seinem nächsten Kandidaten mit 20 Prozent –, in den Bundestag gewählt wird und dann sogar den Anspruch verkünden kann, gem. Art. 38 GG das gesamte deutsche Volk zu vertreten.

Die Erstellung von sog. Landeslisten durch Parteien ist die Perversion des Parteienstaats und hat zur Unrepräsentativität der Parlamente geführt. Per Landesliste  werden in völlig undurchsichtigen Gremien Kandidaten gekürt, die überhaupt gar keinen Bezug mehr zur Bevölkerung haben. Die Partei setzt dem Bürger eine Liste vor. Basta! Das Ergebnis ist, dass sich die Menschen in den Parlamenten nicht mehr wiedererkennen und dort Parteiaktivisten, die aus selbstreferenziellen Gruppen und sich selbst genügenden Cliquen hervorgegangen sind, ein üppiges Dasein führen und obendrein proklamieren, das deutsche Volk zu vertreten. 

Ein Bundestag als Akklamationsorgan für die Regierung

Demokratie verlangt Partizipation der Bürger an der Staatsmacht. Dies kann nur durch Abgeordnete geschehen, deren demokratische Legitimität überzeugt und die den Parlamenten Repräsentativität verleihen. Das würde durch ein Mehrheitswahlrecht gewährleistet, bei dem nur derjenige Kandidat als Abgeordneter ins Parlament einzieht, der mindestens (ggf. in zwei Wahlgängen) 50 Prozent der Stimmen erzielt hat.

Angesichts der gegenwärtigen Politikpraxis, ist die Frage drängender  denn je, ob Deutschland mit seinem parlamentarischen Regierungssystem für die Zukunft institutionell gerüstet ist. Ein Bundestag, der als Akklamationsorgan für die Regierung dient, aber keine eigenständigen Interessen artikuliert, ist sicherlich nicht im Sinne seiner Schöpfer. Der Bundestag muss wieder zum institutionellen Widersacher der Regierung werden und sich nicht damit zufriedengeben, für den schlimmsten aller Fälle einen neuen Bundeskanzler zu wählen. 

Fabian Nicolay hat mit  Wortgewalt den Parteienstaat bloßgestellt. Es gilt nun, aus seinen scharfsinnigen und hoffentlich wirkmächtigen Bemerkungen verfassungspolitische Konsequenzen zu ziehen. Anderenfalls verfällt die deutsche Demokratie und unser liebes deutsches Land geht weiter den Bach runter. 

 

Dr. jur., Professor Markus Kerber ist Professorfür öffentliche Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der TU Berlin, Gründer des Thinktanks www.europolis-online.org und Autor des Buches „Europa ohne Frankreich?“ (Neudruck bei Edition Europolis, Berlin).

 

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Nikolaus Szczepanski / 19.10.2022

Ein alter Hut und kalter Kaffee. 1. Der Wortlaut des GG in Art. 38 ist deutlich. Er spricht von “den Abgeordneten”, also allen (!) und erwähnt die “direkte” Wahl. Man nennt das Mehrheitswahlrecht. Von Verhältniswahlrecht ist im ges. GG kein Wort zu lesen. So gesehen waren gem. GG ALLE Wahlen seit 1949 rechtswidrig. Und genau so steht das Land da. 2. Bereits 1993 hat H.H.v.Arnim darüber ausführlich referiert: “Staat ohne Diener”, bei Kindler 1993. ISBN:3-463-40224-6. Hätte dieses Land jemals ein wirkliches Verfassungsgericht gehabt, wäre möglicherweise dem Text des GG entsprochen worden. In Deutschland kann man in eine Verfassung reinschreiben was man will: Völlig bedeutungslos für das tatsächliche politische Leben in diesem Lande.

G. Hamsinger / 19.10.2022

Das alles ist zwar nicht neu, aber natürlich richtig. Die Beendigung des Parteienstaats ist aber nur unter krisenhaften Bedingungen umsetzbar, also erst dann, wenn das System vor aller Augen abgewirtschaftet hat so wie seinerzeit die DDR. Die aktuellen Krisen reichen noch nicht, aber sie sind ein Anfang. Doch schauen wir mal was noch kommt. In einem halben Jahr sieht die Sache eventuell völlig anders aus.

Uwe Schäfer / 19.10.2022

Der Autor beliebt neben den sogenannten Grünen auch der AfD besonders unqualifizierte Figuren an den Hebeln der Macht zu unterstellen. Das ist schon deshalb hanebüchen, da die AfD überhaupt keine Macht hat. Außerdem sind die Abgeordneten der AfD im Bundestag, soweit mir bekannt, durchaus Personen, die zumindest mit einem Berufsabschluss und praktischer Berufserfahrung im richtigen Leben glänzen können. Ich glaube, was die Qualifikation des Personals betrifft, steht die AfD eher ganz oben in der Parteienlandschaft, jedenfalls Lichtjahre vor den sogenannten Grünen und der ehemaligen Arbeiterpartei SPD. Ich würde jedenfalls sofort, und hundertprozentig sicher, mein Schicksal und das unseres dahinsiechenden Landes einer AfD geführten Regierung überantworten und könnte höchstwahrscheinlich wieder wesentlich ruhiger schlafen!

Arne Ausländer / 19.10.2022

Das 50%-Minimum für Direktkandidaten sollte doch fast selbstverständlich sein, auch weil dies das Überhangproblem lösen würde. Nicht gelöst wäre das viel grundsätzlichere Problem, daß Parteien wie Zentrifugen wirken: Karrieristen gelangen nach oben, an vernünftiger Sacharbeit Interessierte bleiben an der Basis und haben wenig Einfluß auf die Politik. Das läßt sich innerhalb der vorhandenen Strukturen auch nicht ändern, denn es liegt die simple Logik zugrunde, daß ein jeder eben seinen Interessen folgt und dort seine größten Fähigkeiten entwickelt. Somit kommen in hierarchischen Systemen notwendigerweise diejenigen nach oben, deren Spezialität die Machtspiele sind. Sonstiger Sachverstand ist zweitrangig. Die wenigen Ausnahmen von dieser Regel kommen durch gelegentliche Patts beim Machtpoker zustande, wenn man sich als Ausweg auf einen Außenseiter verständigt. Der hat dann vielleicht mehr Sachverstand und kann sinnvoll wirken, bis er allzu sehr aneckt und rausfliegt. Oder aber der Außenseiter hatte nur eine andere Strategie im Machtpoker verfolgt und nutzt nun die ihm zugefallene Position erbarmungslos. Wie Merkel z.B. Und bei dieser Beschreibung ist die Einflußnahme von Strukturen im Hintergrund noch gar nicht berücksichtigt. Nein, das Parteiensystem ist untragbar. Aber was dann, wenn doch eine gewissen Delegierung der Interessenvertretung unumgänglich ist? Da wäre die Variante der ständigen Widerrufbarkeit eines Mandats durch den Wähler, etwa wie man seinen Anwalt oder Arzt jederzeit wechseln kann, dies aber logischerweise nur tut, wenn es wirklich nötig wird. Wie bei Arzt und Anwalt würde das nicht alle Probleme lösen, wäre aber doch ein Schritt in die richtige Richtung. Gewiß wären viele praktische Einzelheiten dabei noch zu beachten.

Peter Holschke / 19.10.2022

“Es gilt nun, ... verfassungspolitische Konsequenzen zu ziehen. Anderenfalls ... den Bach runter.” Und wie stellt sich der Autor das vor? Die Füchse schwören dem Hühnerklau ab?

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