Henryk M. Broder / 26.04.2017 / 05:59 / 37 / Seite ausdrucken

Demokratie leben?

Die amtliche Propaganda-Kampagne „Demokratie leben“ behauptet: „Demokratie lebt nicht von der schweigenden Mehrheit“. Das stimmt nicht. Die schweigende Mehrheit ist Teil der Demokratie und hat bei der Wahl eine Stimme. Nur Diktaturen fordern Ihre Bürger ständig auf: Mitmachen! Auf der richtigen Seite stehen! Unsere Demokratie lebt und ist quicklebendig. Gefährdet wird sie durch totalitäre Vereinnahmung.

Die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Manuela Schwesig, hat ein Projekt auf den Weg gebracht, mit dem sie „die Zivilgesellschaft im Kampf gegen demokratiefeindliche und menschenverachtende Tendenzen in unserem Land stark machen“ möchte. Sie hat, wie alle Minister der Bundesregierung, bei ihrer Amtseinführung einen Eid geleistet: „Ich schwöre, dass ich meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das Grundgesetz und die Gesetze des Bundes wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“ Man sollte meinen, diese Formel sei weitestgehend inklusiv, sie umfasse auch den „Kampf gegen demokratiefeindliche und menschenverachtende Tendenzen in unserem Land“. Ein Arzt, der sich dem Eid des Hippokrates verpflichtet fühlt, wird nicht zusätzlich betonen, er wolle den Kampf gegen Grippe und Rheuma in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit rücken.

Ministerin Schwesig geht noch weiter. Sie will den „Kampf“ den Patienten übertragen, den Job, der ihr obliegt, outsourcen. Mit einer wahrhaft und wahnhaft kreativen Begründung: Demokratie sei „ein Teamsport“, also so etwas wie Tauziehen oder Völkerball. „Sie entfaltet ihre Wirkung am besten, wenn alle mitmachen.“ Klingt erst einmal harmlos, oder? Ist es aber nicht. Es ist eine totalitäre Idee, nett verpackt.

Demokratie ist eine arbeitsteilige Angelegenheit. Das Volk erteilt der Regierung einen befristeten Auftrag, die Regierungsmitglieder sind Angestellte des Volkes. Machen sie ihre Arbeit ordentlich, bekommen sie eine zweite Chance. Versagen sie, werden sie abgewählt. So einfach ist das. Eine Regierung – oder eine Ministerin –, die das Volk um Hilfe bei der Erfüllung der ihr übertragenen Aufgaben bittet, hat das Demokratieprinzip nicht verstanden.

Nur in Diktaturen werden die Bürger ständig mobilisiert

Eine Demokratie zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie es den Bürgern überlässt, ob und wofür sie sich engagieren wollen. Wer sich nicht engagieren will, der wird dazu nicht genötigt. Nur in Diktaturen werden die Bürger ständig mobilisiert. Fröhlich winkend ziehen sie an den Tribünen mit den Funktionären vorbei. Für den Frieden! Für die Völkerfreundschaft! Für internationale Solidarität! Seit kurzem im Kampf gegen demokratiefeindliche und menschenverachtende Tendenzen in unserem Land. Und was diese „Tendenzen“ sind, das bestimmt die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Notfalls mit einem „Demokratieförderungsgesetz“ wie es unter dem Label „Demokratie leben!“ propagiert wird.

Der selbstverständliche Antipode des Vertrauens ist in der Demokratie das Misstrauen. Machtmissbrauch lässt sich gewiss nicht dadurch verhindern, dass die Bürger im Gleichklang mit dem politischen System und seinen Amtsinhabern funktionieren. Eine Aktion wie die von Manuela Schwesig hat gründliches Misstrauen verdient. Diese Propaganda-Kampagne entlarvt eine Politik, die dem Bürger einen Dauerkonsens über die Richtigkeit regierungsamtlichen Handelns verordnen will. Wer nicht mitmacht, macht sich verdächtig. Wer widerspricht, führt Böses im Schilde und erhält Hausverbot im Volksheim. Es ist keine Kampagne für offene Diskurse, sondern für mehr Zensur.

Misstrauen und Widerspruch sind das Kennzeichen freier Medien. Deshalb lebt "Die Achse des Guten" vom Widerspruch. Wir haben unseren Einspruch „Demokratie lebt!“ genannt, weil letztere keiner ideologischen Notbeatmung bedarf. Die deutsche Nachkriegs-Demokratie hat sich schon mehrfach erfolgreich gegen Anfeindungen von rechts und links gewehrt. „Wer gesund ist, war nur nicht lange genug beim Arzt“, heißt es im Volksmund. Sinngemäß könnte man ergänzen: Eine Demokratie, die lebt, wurde nicht lange genug von Volkserziehern betreut.

Die deutsche Demokratie muss gegen totalitäre Vereinnahmung in Schutz genommen werden. Die Achse des Guten stellt mit „Demokratie lebt!“ die Staatsaktion „Demokratie leben!“ vom Kopf auf die Füsse, die Manuela Schwesig mit Hilfe von 100 Millionen Euro und der Werbeagentur Scholz & Friends unters Volk bringt. Unsere Demokratie lebt – und besteht manchmal darin, U-Boote zu versenken.

Hier gehts zu "Demokratie lebt!".

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Marina Blach / 26.04.2017

Diese Politiker werden wir nicht aendern. Eine vernuenftige Alternative gibt es nicht. Man kann die AfD aus Protest waehlen, mehr aber auch nicht. Wohin das fuehren kann wissen wir leider nicht, oder doch?

Dr. Corinne Henker / 26.04.2017

Prinzipiell stimme ich mit Ihnen überein. Mit Zwangsbeteiligungen an Demonstrationen wurde ich während meiner Jugend in der DDR ausreichend beglückt und kann somit aus eigener Erfahrung bestätigen, dass das mit gelebter Demokratie absolut nichts zu tun hat. Nur eine Anmerkung: Der hippokratische Eid für alle Ärzte ist eher ein moderner Mythos. Ich habe mein Medizinstudium 1993 (in NRW) beendet, zunächst die vorläufige und nach Ableisten der damals vorgeschriebenen 18 Monate als “Arzt im Praktikum” (in Bayern: mit symbolischer Aufwandsentschädigung bei voller Verantwortung) 1995 die vollständige Approbation als Ärztin erhalten. Die jeweiligen Urkunden wurden per Post zugesandt (ebenso wie die spätere Promotionsurkunde). Zu keinem Zeitpunkt musste ich einen Eid o.ä. ablegen. Gleiches gilt für meinen ärztlichen Bekanntenkreis.

Wilfried Paffendorf / 26.04.2017

Herr Broder. Den Vergleich mit dem Mannschaftssport finde ich interessant. Jeder sportliche Wettbewerb und jede Mannschaft benötigt einen Gegner. Die beste Fußballmannschaft ist nutzlos und wertlos, wenn es keinen Gegner gibt. In der Politik und Ideologie scheint es so zu sein, dass immer neue Gegner produziert werden müssen. Die Gegner dürfen nicht ausgehen. An sich hat der Normalbürger (zumindest in Deutschland) kein großes Interesse an Politik, Ideologie oder Religion, sofern seine Sicherheit und sein Einkommen zum Lebensunterhalt gesichert ist. Der durchschnittliche Bürger will keine Gegner, da der ständige Kampf nur sein Bedürfnis nach Ruhe, Ordnung und Sicherheit im Alltag stört. Das aber ist nicht gut für Ideologen und Politiker, denn die definieren sich über die Gegnerschaft zu anderen Meinungen und Vorstellungen von Gesellschaftsordnung. Wo die Gegner auszusterben drohen, müssen sie folglich neue erfinden. Dabei gehen sie nicht gerade zimperlich vor, und es scheint ihnen egal zu sein, im Kampf für Demokratie, Freiheit, Menschenrechte und Meinungsfreiheit genau dieselben zu zerstören. Sie setzen sich mühelos über Gesetze hinweg im angeblichem Kampf, Recht und Gesetz durchsetzen zu wollen. Ich bin mir scher, dass die meisten Politiker nicht so dumm sind, dass sie die Folgen ihres Redens und Handelns nicht erkennen könnten. Daraus folgt für mich, dass diese Personen in Wahrheit nicht die Menschenrechte, die Demokratie und alles, was Voraussetzung für die Verwirklichung dieser Rechte ist, in den Vordergrund ihres Denkens und Strebens stellen, sondern der reine Opportunismus, Materialismus und Eigennutz ist die Triebfeder ihrer Politik.

Volker von Tein / 26.04.2017

Als 78-jähriger gehöre ich zu den Deutschen, die schon altersbedingt nicht verantwortlich gemacht werden können, die Nazis gewählt zu haben. Aber ich bin alt genug, um von der ersten Stunde nach dem Krieg den Wiederaufbau Westdeutschlands und das Entstehen unserer Demokratie erlebt und mitgestaltet zu haben. Damit ist es mir auch möglich die Evolution unserer Demokratie in der BRD zu beurteilen. Viele ältere Deutsche haben einen ähnlichen Hintergrund, d.h. für die sind derartige Belehrungen ebenfalls eine Zumutung, denn auch sie haben schon in einer Demokratie gelebt und den Wohlstand der ehemaligen BRD erarbeitet, da hat Frau Schwesig noch nicht mal in die Windeln gemacht! Für mich lässt diese Aktion eigentlich nur den Schluss zu, dass bei einigen die DDR in ihren Hirnwindungen noch nachwirkt. Ein weiterer Beweis, dass Propaganda funktioniert.

JF Lupus / 26.04.2017

Was uns Schweig und Co als Demokratie verkaufen wollen, ist eine Diktatur der Unanständigen.

Walter Ranft / 26.04.2017

Auf den Punkt gebracht. Endlich sagt es mal jemand. Schon dafür gibt es noch eine Patenschaft.

Th.F. Brommelcamp / 26.04.2017

Sehr geehrter Herr Broder. In der Kampagne der Frau Schwesig sehe ich den Versuch das von “wir schaffen das!“ auf “ ihr schaft das“ zu verlagern. Die bankrott Erklärung der Regierung, nicht nur politisch sondern auch finanziell, die aus Unfähigkeit entstandene Einwanderungskrise selbst zu meistern und so auf Ehrenamtliche abzuwälzen. Eine Kritik oder andere Meinung würde stören. Die SPD, links von der Kanzlerin überholt, bleibt nur übrig nach Grünen Art zu agieren. Widerreden werden nicht geduldet und sollten mit der Nazikeule verstummen. Wir müssen allerdings berücksichtigen, dass unsere Demokratie erst 27Jahre ist und viele der jetzigen Akteure anderen Sytemen Politik gelernt haben oder unter Westallierten Schutz geübt haben. Ich kann Achgut nicht genug für ihren Einsatz und Mut für die Demokratie danken.

Peter Gegesy / 26.04.2017

Manuela Schwesig hat wieder mal 100 Millionen Euro an Steuergeldern locker verpulvert, für ein vollkommen unsinniges und rechtlich bedenkliches Vorhaben.  Gelder, die an anderen Stellen dringend benötigt werden, z.B. zur Sanierung der maroden, verwahrlosten Infrastruktureinrichtungen, die fast jeder bemängelt. Uli Höneß hat 28 Millionen Euro aus seinem Gewinn nicht abgeführt, den er unter eigenem Risiko erwirtschaftet hat - und hat dafür 3,5 Jahre Knast gekriegt und außerdem seine finanzielle Schuld begleichen müssen. Ich fordere 10 Jahre Knast für Manuela Schwesig! - oder Rückzahlung der vergeudeten Steuergelder. PS. Wenn Wolfgang Scheuble so um seine Schwarze Null besorgt ist, warum hat er gegen solch leichtfertige Geldverschwendung nichts einzuwenden? Offensichtlich hat das Ministerium von Frau Schwesig mindestens 100 Millionen Euro zu viel im Budget.

Matthias Thiermann / 26.04.2017

Ich finde es langsam langweilig bei Ihnen auf achgut Herr Broder. In allen Online Medien muss ich mir ständig einen Wolf kommentieren, hier reicht meist ein schlichtes Ja.

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