Gastautor / 08.05.2018 / 12:00 / Foto: Fabian Thunemann / 3 / Seite ausdrucken

Demokratie als Marktplatz gekränkter Narzissten

Von Fabian Thunemann.

Der moderne Staatsbürger hat einen Internetanschluss. Und er ist schon drin. Sein Anspruch ist nicht minder futuristisch. Abstimmungen alle paar Jahre, Engagement in Parteien oder Vereinen nebst zähen Diskussionen gelten ihm inzwischen als unzeitgemäß. Um seine persönlichen Belange kümmert er sich in der Baugemeinschaft, die bedrückende Weltlage analysiert er unter seinesgleichen, hebt und senkt regelmäßig den digitalen Daumen und bereitet am Ende des Tages die nächste Petition vor.

Während er noch vor einigen Jahren seine ganze Kraft bedrohten Vogelarten in Südostasien, dem Eisbären oder der Absetzung eines Journalisten widmete, sieht er sich nunmehr zu Höherem berufen und weiß das lästige Klein-Klein längst hinter sich. Während sich ehedem die Demokratie bewusst auf das repräsentative Moment einließ, verkommt sie zusehends zu einem Markplatz gekränkter Narzissten.     

Dem Souverän im Wohnzimmer ist diese Entwicklung nicht einmal vorzuwerfen, hört er doch von höchster Stelle immer wieder den Aufruf, sich einzubringen, da er doch nur so die Früchte der Partizipation genießen könne. Allenthalben ist auch die ebenso staatstragende wie paternalistische Fürbitte zu hören, alle mitnehmen zu wollen. Was von Seiten der Politik als zweifelhafter Versuch wirkt, den Kontakt mit dem Bürger nicht zu verlieren, hat auf der anderen Seite zu einer völligen Abkehr einerseits, zu einer Welle der Selbstermächtigung andererseits geführt. Die genaue Abfolge dieser Dynamik lässt sich nicht ermitteln; nicht zu übersehen jedoch ist, dass viele Menschen sich die Aufwertung ihrer eigenen Bedeutung nicht mehr nehmen lassen wollen. Man mag darin eine neue Stufe der Demokratisierung erklommen sehen. Man mag darin jedoch auch eine Entwicklung sehen, die nicht eine zunehmende Politisierung markiert, sondern als Erosion zu begreifen ist.

Seit einigen Jahrzehnten wird in der Politikwissenschaft diskutiert, ob das Versprechen der Partizipation tatsächlich den gewünschten Effekt zeitige oder nicht vielmehr gegenteilige Auswirkungen habe. Das Ergebnis fällt mindestens zwiespältig aus. Hatte der Politikwissenschaftler Robert D. Putnam Mitte der 1990er Jahre den Verlust des Gemeinsinns auf die Formel Bowling Alone gebracht, weisen Studien jüngeren Datums darauf hin, dass Partizipation versprechende Angebote in der Regel die Gräben eher vertiefen als schließen. Einzige Ausnahme, so etwa die Politikwissenschaftlerin Tali Mendelberg, seien Debatten über verifizierbare Fakten.

Das Scheitern der politischen Debatte

Da jedoch im politischen Raum zumeist um Interpretationen und politische Handlungsentwürfe gerungen und weniger über Fakten wie den aristotelischen Satz vom Widerspruch gestritten wird, scheint das Scheitern der politischen Debatte gewissermaßen vorprogrammiert. Ein Blick auf Funk und Fernsehen reicht aus, um zu erkennen, dass diese Art der Politikvermittlung von einem Laienschauspiel mit einstudierten Botschaften an die jeweilige Klientel kaum zu unterscheiden ist. Offene Diskussionen, begleitet von einer demütigen Anerkennung eigener Irrtumsanfälligkeit, sind seltene Ausnahmen und fallen im Nachgang meist dem Gruppendruck zum Opfer. Gerade darin jedoch sieht die Forschung die größte Gefahr für die moderne Demokratie. Suggerierte Öffnung führt zu realer Spaltung und Abschottung.   

Bei näherem Hinsehen erweisen sich also die vermeintlich fortschrittlichen Modi der Teilhabe als Tribalisierung des politischen Raums. Keine Politikveranstaltung ohne Einbeziehung sozialer Medien. In ihnen wähnt man den heißen Draht zum Bürger, wobei die durchschaubare Unterstellung mitschwingt, dass der Menschenpark nicht mehr in der Lage sei, aufmerksam einer Debatte zu folgen, ohne gleich mit einbezogen zu werden. Was in anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens das Ende aller Produktivität bedeuten würde, hält die zeitgemäße Politik für längst überwunden.

Das hehre Ziel allgemeiner Mitnahme entpuppt sich so als richtungsloses Geplapper aller gegen alle. Wem das nicht mehr reicht, wer endlich Taten sehen will, unterschreibt eben noch eine weitere Petition. Sie sind die zivilen Enzykliken des über Jahre infantilisierten Bürgers. Während er sich nun zunehmend in seiner zur Tat rufenden Glaubenskongregation verschanzt, verweigert sich die Politik der Kunst der Staatsführung und harrt verdruckst – wie zuvor der Eisbär – der nächsten Initiative aus dem Dickicht des digitalen Neulands.   

Fabian Thunemann ist ein an der Zukunft interessierter Historiker. Er arbeitet an der Humboldt-Universität Berlin.

Foto: Fabian Thunemann

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Leserpost

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Robert Orosz / 08.05.2018

Ein wissenschaftlicher Mitarbeiter einer philosophischen Fakultät fühlt sich ermuntert “dem Souverän im Wohnzimmer” ein Psychogramm zu erstellen, Diesem unterstellt er, nur in seiner Blase bzw. mit Seinesgleichen seine kruden Weltanschauungen zu kommunizieren. Seinem Konterfei zufolge noch jung an Jahren-womöglich von der Lebenswirklichkeit hier und da noch unbedarft- und seinen Horizont offensichtlich nur bis zur Campusgrenze schweifend.  Nichts desto trotz hofft der Jungautor dem anspruchsvollen Publikum dieses Forums seine blasierte Lebensformel über die Legitimation und Wirkung politscher Partizipation aufdrücken zu können. Den infantlisierten Bürger wird es sicherlich zu Genüge geben, jedoch brauche ich hier auf der Achse keine Akkreditierungsstelle für richtige Wahrnehmungsinterpretation und Handlungsanweisungen für erlaubte politisch/ gesellschaftliche Teilhabe.

Leo Lepin / 08.05.2018

Ich denke, dass sich gar nicht soviele Menschem an Diskussionen im Internet beteiligen. Auch Kommentare in Online-Medien wie Welt u.a. lassen nicht darauf schliessen - wenn es hochkommt, gibt es mal einige Hundert Beiträge. Bei Youtube dominieren schwachsinnige Beiträge die Diskussion, nach meiner Beobachtung. Vermutlich liegt das alles daran, dass jemand, der eine Arbeit und Familie hat, weder Zeit noch Muße hat, sich stundenlang im Netz rumzutreiben und irgendwelchen Debatten zu folgen. Insofern ist das Bild, das sich im Netz bietet, nicht represäntativ für die Gesellschaft.

Andreas Rühl / 08.05.2018

Danke. Also weniger “Teilhabe”, wobei unter “Teilhabe” wohl eher Pseudoteilhabe zu verstehen ist, eine Teilhabe-Illusion, die die totale Entfremdung zwischen politischer Kaste und Wähler übertünchen soll. Beides - echte Teilhabe wie die Illusion - erscheint mir ohnehin kontraproduktiv. Wenn man Politik als eine beherrschbare und erlernbare Kunst oder ein Handwerk versteht, dann ist die Politik auch nicht mehr oder weniger als das, was ein Schreiner oder ein Metzger macht. Ich für meinen Teil gehe aber nicht zum Schreiner und sage dem, wie er das, was ich von ihm will, machen soll. Er soll es einfach nur tun, vertragsgemäß und nach den Regeln der Kunst. Ebenso bin ich an keiner Teilhabe bei der Aufzucht, Schlachtung und Wursterzeugung interessiert. Ich will die Wurst nur essen. Demokratie in diesem Bereich heisst “Marktwirtschaft” - mit der totalen Macht des “Verbrauchers” (= Kunde), der (letztlich) den Preis diktiert und so weiter. Ich will nicht an politischen Prozessen teilhaben. Ich will, dass diejenigen, die dafür (von wem auch immer) gewählt wurden, ihr Handwerk beherrschen und sie den Vertrag erfüllen, den wir mit ihnen geschlossen haben (dem gemeinen Wohl zu dienen). Das genügt mir. Das wäre schon erheblich mehr als das, was wir jetzt bewundern dürfen, nämlich, dass nicht die besten Köpfe und die beeindruckendsten und durchsetzungsstarken Persönlichkeiten dieses Handwerk ausüben (von erlernen kann schon keine Rede mehr sein), sondern diejenigen, die niemand anders haben wollte. Nicht das Handwerk und seine Regeln sind schuld, wenn der Stuhl wackelt und der Auftraggeber kann im Regelfall auch nichts dazu - außer, dass er den falschen Schreiner ausgesucht hat.

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