Der Unterhalt des Deutschen Bundestags kostet den deutschen Steuerzahler rund eine Milliarde Euro jährlich. Exakt wurden 2019 für den Betrieb des Hohen Hauses 974 Millionen aufgewendet. Mehr noch dürfte der Saldo 2020 ergeben. Verglichen mit den 1,5 Billionen, die das Finanzministerium für die Finanzierung der Corona-Erregung im laufenden und dem kommenden Jahr veranschlagt, mag das kaum der Rede wert sein. Dennoch ist es eine Stange Geld, die sich ohne Verlust einsparen ließe, seit der Staat dazu übergegangen ist, per Verordnung zu führen.
Mit dem, was die Regierung tut und beschließt, werden die Abgeordneten, 709 an der Zahl, kaum mehr befasst. Corona hat der parlamentarischen Demokratie das Wasser abgegraben. Die Exekutive herrscht nahezu unumschränkt, einzig die Judikative macht ihr, wie jüngst bei der Verhängung des Beherbergungsverbotes, gelegentlich einen Strich durch die Rechnung, indes sich die Legislative wegduckt. Ehe ihre Ohnmacht peinlich auffällt, schlagen sich die Abgeordneten in die Büsche, auf der Bundes- wie auf der Länderebene.
Wer schert sich noch um ihre gesetzgebende Funktion? Die Kanzlerin hat darauf ohnedies nie viel gegeben. Und nun, da die befeuerte Corona-Angst beinahe alles möglich macht, will auch das regierende Fußvolk nachziehen. Autokraten wie Söder und Spahn sehen ihre Stunde gekommen. Der Gesundheitsminister will sich die zunächst zeitlich begrenzte Möglichkeit, par ordre du mufti, ohne parlamentarische Diskussion und Absegnung, durchzuregieren, „verstetigen“ lassen.
Natürlich, räumt er großmütig ein, könne man darüber „auch im Bundestag“ reden, wegen ihm sogar „noch öfter“. Mit anderen Worten, es kümmert ihn sowieso nicht, was bei den Debatten herauskommt. Der gesetzgebende Vorrang des Parlaments geht ihm am Allerwertesten vorbei. Kein Gedanke daran, dass es nicht „auch“, sondern zuerst beschließen muss, wozu er, der Minister, berechtigt ist, was er zu veranlassen oder zu verbieten hat.
Es gibt keine „Notverordnung“ im Grundgesetz
Stattdessen ein autoritäres Machtgehabe, fadenscheinig gestützt auf eine Infektionsschutzgesetz, das vieles ermöglicht, aber gewiss nicht die Missachtung des Hohen Hauses. Dazu bedürfte es einer wiederum parlamentarisch beschlossenen „Notverordnung“. Allein sie würde es den Herrschenden erlauben, die gewählten Volksvertreter von der Politik auszuschließen, sie zur schnelleren Bewältigung einer Krise zu entmachten. Im Grundgesetz ist diese Möglichkeit nicht vorgesehen.
Vielmehr wurde sie bewusst ausgeschlossen, nachdem Hitler den in der Weimarer Verfassung berücksichtigten „Ausnahmezustand“ verstetigt hatte, um die Diktatur zu rechtfertigen. Daran haben auch die später ins Grundgesetz eingefügten Passagen zur politischen Organisation im Katastrophenfall nichts geändert.
Es liefe selbstverständlich auf einen historischen Fehlschluss hinaus, würde man die damalige mit der heutigen Situation vergleichen. Das wäre blanker Unsinn. Wenn wir aber einerseits und zu recht bei jedem Aufmarsch rechtsradikaler Rüpel die Alarmglocken läuten, um dem Rückfall in unselige Verhältnisse vorzubeugen, gilt es ebenso den Anfängen auf höherer Ebene zu wehren. Wer sich im Zuge der Corona-Krise ermuntert fühlt, die Rechte der Bürger einzuschränken, vergreift sich an der Demokratie.
Sind doch die lautstark beschworenen Vorsichtsmaßnahmen allemal Akte autoritärer Machtanmaßung. Das mag von Fall zu Fall unvermeidlich sein, wäre unter Umständen sogar berechtigt, wenn es nicht an den Parlamenten vorbei geschehen würde, sich die Regierenden nicht als Köche aufspielten, obwohl sie bloß Kellner sind.
Eine Sperrstunde für die Viren?
Die Behauptung, all das geschehe ja nur, um die Pandemie wieder unter „Kontrolle“ zu bringen, die Verbreitung der Viren einzudämmen, ist ebenso lächerlich wie dummdreist. Oder sollen wir wirklich glauben, die Erreger ließen sich mit politischen Maßnahmen an die Kette legen, wir bräuchten die Sperrstunde, weil sie sich zwischen 23:00 Uhr abends und 6:00 Uhr morgens rasanter verbreiten als tagsüber? Soll ein mehr oder weniger grobmaschiger Lappen vor Mund und Nase Aerosole aufhalten, die mit bloßem Auge nicht wahrnehmbar sind?
Und dennoch, obwohl der Schwindel und der Missbrauch der tatsächlich bestehenden Gefahr zu machtpolitischen Zwecken auf der Hand liegt, lassen sich die braven Bürger belügen, dass sich die Balken biegen. Eben erst war bei SPIEGEL-ONLINE zu lesen, dass wir „in einer Zeit“ leben, „in der zwischen dem Schutz von Gesundheit und dem Schutz von Freiheit und Bürgerrechten abgewogen werden muss“. Heißt: entweder das eine oder das andere. Carte Blanche für alle, die sich herrschaftlich berufen fühlen. Obwohl es sie de jure nicht gibt, können sie de facto nach dem Reglement einstiger Notverordnungen regieren oder „brachial durchgreifen“, um kurz in den Jargon der Kanzlerin zu verfallen.
Wie weit muss aber auch die Erosion der parlamentarischen Demokratie bereits fortgeschritten sein, dass die Abgeordneten das alles hinnehmen, dass sie sich ihrer Rechte so unverschämt berauben und an den Rand des politischen Geschehens drängen lassen?
Der schöne Schein des Parlaments
Zwar haben unterdessen wenige zaghaft aufgemuckt. „Wenn wir als Parlament unsere Aufgabe jetzt nicht wahrnehmen, dann hat die Demokratie einen dauerhaften Schaden“, sagte Wolfgang Kubicki vor Tagen. Denn: „Es ist die Aufgabe des Parlaments, wesentliche Entscheidungen zu treffen, und nicht die Aufgabe von Regierungsmitgliedern.“ Ähnlich klang es aus den hinteren Reihen der CDU. „Derzeit wurde“, konstatierte ihr Abgeordneter Andreas Mattfeldt, „der Bundestag bei Entscheidungen, die zu einer noch nie da gewesenen Einschränkung der Freiheits- und Grundrechte geführt haben, nahezu entmachtet. Das dürfen wir über einen so langen Zeitraum nicht dauerhaft hinnehmen.“
Wohl wahr, alles richtig! Nur, ist die Botschaft auch nach oben durchgedrungen, etwa bis zu Jens Spahn, der weiterhin darauf besteht, seine Sondervollmachten zu „verstetigen“? Was nützt es, wenn Wolfgang Schäuble verlangt, der Bundestag müsse „seine Rolle als Gesetzgeber und öffentliches Forum deutlich machen“, damit nicht der Eindruck entstünde, die „Pandemiebekämpfung sei ausschließlich Sache von Exekutive und Judikative“? Wozu braucht es ein Parlament, dessen Präsident so defensiv bemüht ist, den schönen Schein zu wahren. Weshalb soll dafür eine Milliarde Jahr um Jahr auf den Kopf gehauen werden.
Wenn die Politik ohnehin freihändig schaltet und waltet, wäre es da nicht sinnvoller, den alten Reichstag anderweitig zu nutzen, etwa als einen Wellness-Tempel mit Spaßbad, Riesenrutsche aus der Kuppel hinunter in den gefluteten Plenarsaal, mit Kraft- und Massage-Räumen entlang der Gänge?
Die Abgeordneten könnten im Rahmen eines Sozialplans zu Bademeistern und Physiotherapeuten umschulen. Dienstag und Donnerstag wäre Frauentag in den Saunen. Die Inschrift draußen über dem Portal – DEM DEUTSCHEN VOLKE – entspräche wieder dem, was drinnen geboten wird.