Das hat sich noch nicht mal der Erich getraut, die Bürger in ihrer Wohnung und einem Radius von 15 Kilometer herum einzusperren. Aber das reicht der Bundeskanzlerin noch lange nicht: „Wir müssen noch strenger werden… Können wir nicht das Reisen ganz verbieten?“ Gelernt ist eben gelernt, da lachen sich Honecker und Mielke im Grab gleich noch mal tot – Sieg auf der ganzen Linie. Und der Seehofer Horst ist ja der willigste aller Vollstrecker des Kanzlerinnenwillens, da kommt noch nicht mal der dicke Peter mit.
Deshalb forderte der Horst einen Verzicht auf jede „nicht zwingend notwendige Reise ins Ausland“. Der Bundeshorst twittert erst mal einen Versuchsballon und erklärt die Wohn-Haft als Bürgerpflicht. "Jetzt ohne wirklich zwingenden Grund in Mutationsgebiete zu reisen, das muss ich deutlich sagen, wäre geradezu töricht", betonte er. Zwingende Gründe aber gibt es ausschließlich für Politiker, ob bei Haarschnitten oder bei Auslandsreisen.
Der Minister schloss Reiseverbote für die Zukunft nicht aus, das heißt, es kommt. "Für ein generelles Ausreiseverbot sind die verfassungsrechtlichen Anforderungen sehr hoch", sagte Seehofer. Klingt irgendwie bedauernd.
Was heute die „Mutationsgebiete“ sind, war für DDR-Bürger dereinst das „NSW“. NSW hieß „Nicht Sozialistisches Wirtschaftsgebiet“ und meinte alle Länder der Welt, die nicht unter der Fuchtel der Kommunisten standen und an ihren Grenzen DDR-Bürger nicht abschossen wie Wachteln. In den Westen zu reisen, war für den gemeinen Ossi so töricht, dass es bei Strafe verboten werden musste.
So wie heute die böse Mutante in „Risikogebieten“ darauf wartet, einfältige deutsche Bundesbürger anzufallen, so wartete früher der böse Imperialist im „NSW“, um ahnungslose DDR-Bürger anzufallen. Davor mussten die Ossis natürlich von einer weisen Regierung geschützt werden. Nur Regierungsmitglieder und ihre Günstlinge waren stark genug, der furchtbaren Gefahr zu trotzen.
Die Zeiten drehen sich im Kreise. Die DDR feiert fröhliche Wiederauferstehung. Gleichwohl kann ich mich beim Hören über regierungsamtliche Pläne für Ausreiseverbote einer geheimen hämischen Freude nicht enthalten: Ja, liebe Alt-68er, nehmt das – von Eurer eigenen Medizin.
Aus der Sicht eurer vollgefurzten, weichen Westkissen
Meine Häme kommt spät. Es ist jetzt fast 40 Jahre her, dass ich Gelegenheit hatte, mit einigen von euch zu diskutieren. Die DDR war ja aus der Sicht eurer vollgefurzten, weichen Westkissen ja immer das bessere Deutschland.
Ihr wart mit Eurem Volvo Kombi – der mich zutiefst beeindruckte – in die DDR gekommen, wohl um mit der „richtigen“ Währung ein paar Mädels einer Optik zu beeindrucken, bei denen ihr zu Hause nicht mal ein müdes Kopfschütteln erregt hättet. Und nun saßen wir in der Kneipe beim Bier für 51 DDR-Pfennige und führten politische Diskussionen. Ihr riskiertet Euren Zwangsumtausch. Ich riskierte meinen Hals – die Stasi war beim NSW-Kontakt immer dabei. Treffen mit Menschen aus dem Westen, auch zufällige, liefen unter Kontaktverbot und waren der Stasi meldepflichtig.
Auf den Schwingen des dritten Halbliterglases Gerstensaft, der in der DDR statt des guten alten Hopfens schon mal Kuhgalle als Bitterstoff enthalten konnte, jammerte ich euch die Ohren voll. Mein Kummer – dass ich nicht ausreisen durfte, mir nicht die Welt anschauen und daher keine richtige Weltanschauung erwerben könne.
Das, liebe Alt-68er, wolltet ihr gar nicht verstehen. Für Euch war die DDR ja ein durch und durch kommodes System. So erklärtet Ihr mir mein Vaterland: alle hätten Arbeit, Brot und Wohnung billig, Kindergarten auch für alle, keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, alles paletti eben, wie Ihr es bei euren AStA-Versammlungen gehört und bekakelt habt.
Ich aber blieb stur dabei, ich wollte reisen. Nicht nur nach Ungarn, Bulgarien und in die Tschechoslowakei. Ich wollte nach Paris, nach Amerika, nach China. Dabei hatte Hamburg in meinen Ohren schon den Klang von Tahiti, zumindest war es gleich unerreichbar.
Ich wollte nicht nach Lauscha, auf keinen Fall
Und da entblödete sich einer von Euch, mich zu fragen: „Warst du denn schon mal in Lauscha? Du weißt doch gar nicht, wie schön dein Heimatland ist?“ Das fragte ein zotteliger Typ, der vorher über seinen letzten Italienurlaub geprotzt hatte und darüber, wie viele Signorinas er aufgerissen hatte – was ich trotz aller Bewunderung für den Volvo stark anzweifelte. So einen Geschmack konnten die Italienerinnen gar nicht haben.
Ich war außer mir. Ich wollte nicht nach Lauscha, auf keinen Fall. Nicht nach Lauscha! Wahrscheinlich tat ich Lauscha damit sehr unrecht. Die Frage „Warst du schon mal in Lauscha?“ hat mich gallig ein halbes Leben lang begleitet, auch bei meiner Republikflucht. Wer nie in seinem eigenen Land eingesperrt war, kann die unglaubliche Dummheit einer solchen Frage nicht verstehen.
Und jetzt, nach so langer Zeit, kommt am Horizont eine Genugtuung daher. Die Bundesregierung will ein generelles Ausreiseverbot erlassen. Danach kommt als logische Folge eine Mauer um Deutschland, der inverse Igel, kennen wir schon. Natürlich muss dieses Mal die Mauer wieder semipermeabel sein. Früher war es wegen des Westbesuchs, heute wegen der Geflüchteten.
Sollte sich jedoch ein Achtundsechziger bei mir darüber beschweren, dass er sich von Merkel und Seehofer in einer Wohn-Haft eingesperrt fühlt, werde ich ihn ganz unschuldig fragen: „Warst du eigentlich schon mal in Lauscha?“ Aber so nachtragend will ich eigentlich gar nicht sein. Im Gegenteil, ich möchte den eingesperrten Alt-68ern sogar eine kleine Formulierungshilfe anbieten, die auf der Erfahrung vieler leidgeprüfter Ossis basiert.
Obwohl niemand die Absicht hat, eine Mauer zu errichten und nur für den Fall, dass die verfassungsrechtlichen Hürden doch nicht hoch genug sind, um ein generelles Ausreiseverbot aus der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern, wollen wir doch schon mal prophylaktisch das Formular für einen zünftigen Ausreiseantrag entwerfen. Ausreiseanträge sind ja in der BRD etwas Unbekanntes, das aber im Merkel-Deutschland vielleicht bald wieder in Gebrauch kommt. Da muss auch der Wessi den richtigen Ton treffen, sonst wird’s nichts mit dem Ausreisen.
Stadt/Datum
An das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat
Alt-Moabit 140
10557 Berlin
Sehr geehrter Herr Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, Herr Horst Lorenz Seehofer,
Hiermit stelle ich einen Ausreiseantrag aus der Bundesrepublik Deutschland. Als Zielland hatte ich so an ………… (auf keinen Fall ein Land innerhalb der EU) gedacht.
Mir ist klar, dass ich mich mit meinem verabscheuungswürdigen feigen Flucht aus dem besten aller #fedidwgugl‘s abseits unserer demokratischen Grundordnung stelle, unsere demokratischen Blockparteien und unsere Staatsführung schwer enttäusche und den gerechten Zorn sowie die tiefste Verachtung aller demokratisch empfindenden Bundesbürger auf mich ziehe.
Mir ist auch klar, dass die ordnungsgemäße Bearbeitung eines derart unverschämten Ansinnens mehrere Jahre in Anspruch nehmen kann. Ich bin bereit, zwischenzeitlich die Konsequenzen zu tragen, dass ich bis zu meiner Ausreise aus jeglicher öffentlichen Diskussion ausgeschlossen werde, dass ich keinerlei berufliche Chancen zu erwarten habe und die Organe der Staatsmacht künftig jede meiner Handlungen sorgfältigst als Verdachtsfall überprüfen werden.
Mir ist auch klar, dass die sozialen Medien, die staatlichen Organe und mein Arbeitgeber mein klägliches Versagen würdigen werden und auch harte strafrechtliche Konsequenzen nicht auszuschließen sind.
Ich werde ab sofort jegliche Kontakte zu den Mitgliedern meiner Familie einstellen, um keine gesellschaftliche und juristische Nachteile für sie zu erzeugen.
Sollten Sie meinem Antrag großzügigerweise stattgeben, verpflichte ich mich, nach meiner Ausreise auf jede herabwürdigende Äußerung über politischer Repräsentanten sowie Symbole des öffentlichen Lebens zu verzichten. Ich werde auch nicht die Energiewende, die Agrarwende, die Ernährungswende und die Verkehrswende kritisieren – möge mich die gerechte Strafe des Auslandsgeheimdienstes ereilen, sollte ich mich nicht daran halten.
Ich weiß auch, dass im Falle der Genehmigung meiner Ausreise innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen muss und mein gesamtes Eigentum entschädigungsfrei der Staatskasse zufällt.
Ich bitte um eine Eingangsbestätigung und wohlwollende Bearbeitung meines Ausreiseantrags.
Mit sozialistischem Gruß
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Voller Name / Bürgernummer / Geburtsdatum / Wohn-Haft
Manfred Haferburg ist Autor des Romans „Wohn-Haft“, der ganz ohne sein Zutun von einer spannenden Zeitgeschichte zu einem Science-Fiction Roman wird. (141 Leserbewertungen: 4,8 von 5 Sternen)