Wolfram Weimer / 05.05.2017 / 06:25 / Foto: Robert Dimov / 14 / Seite ausdrucken

De Maizières Leitkultur: Die Kluft zwischen Worten und Taten

Von Wolfram Weimer.

Thomas de Maizière ist eine Art Michael Ballack der deutschen Politik. Begabt, fleißig, mittig spielend, von Sachsen auf die ganz großen Bühnen vorgestoßen – doch schließlich unglücklich und unvollendet, im entscheidenden Moment auf dem falschen Fuß erwischt. Wenn Deutschland mit der Flüchtlingskrise in allerlei Schwierigkeiten geschlittert ist, wenn Grenzsicherung wie innere Sicherheit wanken, Terroranschläge das Land und seine politische Architektur erschüttern, dann ist das gewiss nicht allein seine Schuld – aber doch seine Hauptverantwortung. Zur tragischen Wahrheit dieser Legislatur gehört es, dass die Fehler der Berliner Migrationspolitik mit ihm nach Hause gehen. Und so gilt Thomas de Maizière am Ende der Wahlperiode zwar als integrer und würdiger, aber doch als unglücklicher Innenminister.

Er versucht nun sein Bild mit einer Identitätsdebatte aufzuhellen. “Wir sind nicht Burka”, schreibt er in einem plakativen Gastbeitrag der “Bild am Sonntag”. Sein Zehn-Punkte-Katalog für eine deutsche Leitkultur löst seither eine muntere Debatte aus – wie weiland im Oktober 2000 schon bei Friedrich Merz, als der forderte, Einwanderer müssten sich an die “freiheitliche deutsche Leitkultur” anpassen.

Politisch ist die Leitkultur-Initiative ein legitimer Impuls für die Selbstvergewisserung einer verunsicherten Gesellschaft. Die Bewältigung der Zuwanderung und ihrer Konflikte erfordert tatsächlich eine offene Debatte darüber, was eine Gesellschaft wirklich zusammenhält und welche Regeln für ein konfliktfreies Miteinander beachtet werden müssen. Auch für die Neubürger ist es wichtig zu wissen, wohinein, in welchen kulturellen Zusammenhang man sich denn nun genau integrieren soll.

Billiges Manöver – aber die Taktik geht auf

Taktisch ist der Vorstoß freilich ein billiges Manöver im Wahlkampf-Jahr. Die Union will ihre skeptisch gewordenen Stammwähler mit der Leitkultur-Frage wieder an sich binden und Deutungshoheit zurückerlangen. Wenn über Werte und Leitkultur geredet wird und nicht über soziale Gerechtigkeit, dann bestimmt die Union die Agenda. Die SPD wittert die Taktik und reagiert darum gereizt, für SPD-Vize Thorsten Schäfer-Gümbel ist der Vorschlag “eine peinliche Inszenierung”. Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt lästert über “Leitkulturbeschwörerei” und fordert den Minister auf, lieber bei der Lösung der vielen praktischen Probleme mit anzupacken. FDP-Chef Christian Lindner wirft de Maizière direkt vor, mit seinen zehn Punkten billigen Wahlkampf zu führen: “Der Beitrag von Herrn de Maizière ist ein Ablenkungsmanöver. Die CDU bringt eine moderne Einwanderungspolitik mit gesetzlicher Grundlage nicht zustande. Stattdessen werden jetzt alte Debatten aufgewärmt.” 

Tatsächlich aber ist die Breite der losgetretenen Debatte ein Indiz dafür, dass die Taktik de Maizières aufgeht. Der plötzlich wie abgestellt wirkende Martin Schulz hätte in dieser Woche dringend einen eigenen Aufschlag gebraucht, doch de Maizière hat ihm Show und Thema gestohlen. Persönlich ist der “Wir sind nicht Burka”-Ruf des Innenminister ein Akt der Rehabilitierung. Wie bei Ballack und dessen legendären Manövern um Abschiedsspiele, versucht de Maizière sich noch einmal ins rechte Licht zu setzen. Allzu lange hat der Innenminister seiner Kanzlerin blinde Treue in deren Flüchtlingspolitik gehalten. Er begab sich dabei immer wieder in die Pose des Integrationsbeauftragten, Besänftigers und Versöhners – obwohl viele seiner Wähler und Parteifreunde lieber einen schwarzen Sheriff erlebt hätten.

Selbst als die Sicherheitsrisiken der Migrationspolitik offenbar wurden, blieb de Maizière der tapferste Merkel-Verteidigungsminister und redete Gefahren eher klein. Nach jedem Anschlag und Übergriff mahnte er vor “Generalverdacht” wie “voreiligen Schlüssen” und forderte “Besonnenheit”. Die eigene Partei aber erwartete von ihm eher Entschiedenheit, Sicherheit und klare Worte. Nun findet er sie in der Leitkulturfrage demonstrativ zurück.

Doch zugleich gibt er sich damit eine Blöße – die Kluft zwischen Worten und Taten nämlich. Die Opposition erinnert ihn genüßlich daran, dass er bereits Anfang des Jahres Vorschläge zur Sicherheitsarchitektur gemacht habe, die folgenlos geblieben seien. FDP-Chef Lindner findet: “Wir brauchen keinen Innenminister, der folgenlose Debatten anstößt, sondern einen, der real existierende Probleme löst.” Ähnlich reagiert auch die Grünen-Chefin Simone Peter. Deutschland brauche keine Debatte über eine Leitkultur, sondern “eine neue Innenpolitik, die Integration voranbringt, rechte Netzwerke prüft und islamistische Gefährder im Auge hat.”

Das Leitkultur-Comeback kommt zu spät

Für de Maizière kommt das persönliche Leitkultur-Comeback wohl auch darum zu spät, weil in der eigenen Union ein Nachfolger bereits offiziell ausgerufen worden ist. Die CSU schickt Joachim Herrmann als künftigen Innenminister Deutschlands demonstrativ ins Rennen. Herrmann ist in Bayern ein ungewöhnlich populärer Innenminister, gerade weil er die Migrationskrise ganz anders als de Maizière angepackt hat. Herrmann schlüpfte konsequent in die Rolle des Polizisten, Mahners und Beschützers. Er gewinnt damit an Akzeptanz  – so sehr, dass manche in ihm bereits den “gefühlten Ministerpräsidenten” der Zukunft sehen. Mit Blick auf die offene Seehofer-Nachfolge jedenfalls steigen seine Chancen.

Wo de Maizière merkelhaft besänftigt, spricht der Bayer stets Klartext über die Sicherheitskrise im Land, äußert auch unbequeme Wahrheiten zum Zusammenhang von Flüchtlingszustrom und Terrorismus. Immer wieder wurde Hermann damit zum innenpolitischen Taktgeber der Republik und trieb de Maizière vor sich her. Im Zuge der Flüchtlingskrise drängte er die Bundesregierung zur Verschärfung des Asylrechts und zur Ausweitung der sicheren Herkunftsstaaten. Dass Deutschland wieder Kontrollen an der Grenze zu Österreich einführte, gilt als Herrmanns Verdienst. “Es kann nicht sein, dass wir nicht wissen, wer sich in unserem Land aufhält”, so wiederholte Herrmann immer und immer wieder.

Außerdem brachte er eine Obergrenze für Flüchtlinge ins Spiel. Nun fordert er den Einsatz der Bundeswehr zur Terrorbekämpfung sowie eine Verschärfung der Asylregeln für straffällig gewordene Migranten. “Wir müssen auch anderen deutlich machen: Jeder hat die Rechtsordnung dieses Landes zu akzeptieren.” Das deutsche Recht stehe über dem Recht des Korans oder der Scharia. Nun hat de Maizière diese Tonlage ein wenig kopiert. Der Zehn-Punkte-Plan wirkt daher so als habe ihn Herrmann schon vor Jahresfrist geschrieben – ein wenig trotzig nach “Mia san mia”.

Dieser Beitrag erschien zuerst in The European.

Foto: Robert Dimov CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sepp Kneip / 05.05.2017

Ach Herr Weimer, es hat doch hier in Deutschland gar keinen Sinn, sich mit verbalen Aktionen irgend eines Ministers zu beschaäftigen. Sie sind Makulatur, wenn sich die omnipotnte Kanzlerin nicht voll dahinter stellt. Die Diktatorin Merkel ist hierzulande leider das Mass aller Dinge. Es sei nur an die doppelte Staatsbürgerschaft erinnert, bei der Merkel sogar einen Parteitagsbeschluss ignoriert. Der konturlose de Maiziere hat nur die Pflicht, dem Wähler Honig ums Maul zu schmieren. Das alles ist den Wahlen geschuldet. Danach ist die “Leitkultur” wieder in der Versenkung verschwunden. Deutschland, die deutsche Identität, Kultur und Nation interessiert unsere politische Elite einen Dreck. Sie hat den Auftrag der globalistischen und multikulturalistischen Strippenzieher zu erfüllen. Zur Ablenkung werden halt mal solche nationalen Bonbons wie die “Leitkultur” verteilt. Eine vorübergehende Besänftigung des Wahlvolkes.

Herwig Mankovsky / 05.05.2017

Es ist doch ein Witz, dass die Brandverursacher sich nun als effiziente Brandbekämpfer aufspielen - und der tragische Teil des Witzes: Laut Umfragen ist eine überwältigende Mehrheit der Wähler zu, na, wie sagen wir es, um nicht ausfällig zu werden, unkritisch, diese verlogene Taktik abzustrafen.

Julia Westermann / 05.05.2017

Sehr treffende Zusammenfassung, die das eigentliche Debakel unserer Politik auf den Punkt bringt.  Die grassierende Begriffsverwirrung in den Medien und der Politik hat dazu geführt, dass ich nicht mehr sicher bin, ob die Forderung der CSU nach einer Obergrenze sich auf Zuwanderung allgemein oder Flüchtlinge bezieht. Im Ergebnis wäre das ein gravierender Unterschied. Vielleicht hat ja einer der anderen Kommentatoren eine Antwort auf meine Frage.

Dr. Bredereck, Hartmut / 05.05.2017

Sehr geehrter Herr Weimer, Michael Ballack wurde von einem gewissen Kevin Price Boateng so schwer verletzt, dass er seine glänzende Karriere vorzeitig beenden musste. Es ist zu befürchten, dass die Karriere von de Maiziere noch lange nicht beendet sein wird. Obwohl er nach den Recherchen von Robin Alexander es in der Hand gehabt hätte, im Herbst 2015 geeignete Maßnahmen zur Verhinderung der massenhaften Zuwanderung zu unterbinden, hat er sich feige ins Unterholz verdrückt. De Maiziere hat jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Während Ballack nur um ein Abschiedsspiel kämpfte, wird de Maiziere um weitere Spiele im Machtzentrum der CDU kämpfen.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Wolfram Weimer / 26.06.2020 / 06:00 / 80

Corona als Kanzlermacher

In der CDU knistert es. Die Kanzlerkandidatur-Frage legt sich wie eine Krimispannung über die Partei. Im Dreikampf und die Merkelnachfolge zwischen Markus Söder, Armin Laschet…/ mehr

Wolfram Weimer / 18.06.2020 / 06:29 / 104

Der Rassist Karl Marx

Die Rassismus-Debatte eskaliert zum Kulturkampf. In Amerika werden Kolumbus-Denkmäler geköpft oder niedergerissen, in England sind Kolonialisten-Statuen zerstört oder in Hafenbecken geworfen worden, in Antwerpen trifft…/ mehr

Wolfram Weimer / 12.06.2020 / 10:00 / 47

Nichts ist unmöglich: AKK als Bundespräsidentin?

„Das ist die größte Wunderheilung seit Lazarus“, frohlocken CDU-Bundestagsabgeordnete über das Comeback ihrer Partei. Die Union wankte zu Jahresbeginn dem Abgrund entgegen, immer tiefer sackten…/ mehr

Wolfram Weimer / 21.05.2020 / 12:00 / 23

Warren Buffet traut dem Braten nicht

Warren Buffetts Barreserven liegen jetzt bei sagenhaften 137 Milliarden Dollar. Das ist so viel wie das Bruttosozialprodukt der 50 ärmsten Staaten der Welt zusammengenommen –…/ mehr

Wolfram Weimer / 07.05.2020 / 06:29 / 105

Anders Tegnell: Der Stachel im Fleisch der Corona-Politik

Schwedens Staatsepidemiologe Anders Tegnell spaltet die Gemüter. Er trägt weder Anzüge noch Medizinerkittel. Er vermeidet jedes Pathos und Wissenschaftlergehabe. Im Strickpullover erklärt er mit lässiger…/ mehr

Wolfram Weimer / 23.04.2020 / 06:10 / 183

Robert Habeck: Die grüne Sonne geht unter

Am 7. März erreichten die Grünen im RTL/n-tv-Trendbarometer noch Zustimmungswerte von 24 Prozent. Monatelang waren sie konstant die zweitstärkste Partei in Deutschland, satte 8 Prozentpunkte betrug der…/ mehr

Wolfram Weimer / 17.04.2020 / 06:17 / 90

China blockiert Recherchen zur Virus-Herkunft

Wie kam das Coronavirus von der Fledermaus auf die Menschen? Der Tiermarkt in Wuhan war es wohl doch nicht. Ein Virus-Forschungslabor nebenan spielt offenbar eine…/ mehr

Wolfram Weimer / 03.04.2020 / 06:25 / 100

Die liberale Corona-Bekämpfung

Die Bewältigung der Corona-Krise ist nicht alternativlos. Während viele Länder Europas – auch Deutschland – auf radikale Massen-Quarantänen mit wochenlangen Ausgangssperren und Kontaktverboten setzen, vertrauen…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com