Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 20.10.2013 / 02:19 / 2 / Seite ausdrucken

David Cameron, ein wiedergeborener Tory

Neben dem britischen Premierminister David Cameron könnte ein Chamäleon vor Neid erblassen. Acht Jahre nach seiner Wahl zum Parteivorsitzenden der Konservativen und kaum mehr als drei Jahre, nachdem er Premierminister einer Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten wurde, hat Cameron sich selbst schon wieder neu erfunden. Die einzige Überraschung: Diesmal klingt er endlich wie ein richtiger Tory.

Beim jährlichen Parteitag der Konservativen in Manchester in der letzten Woche hat Cameron vielleicht nicht sein bestes rhetorisches Feuerwerk gezündet. Dagegen machte seine erste Rede jeden in der Partei glücklich: seine Unterhausabgeordneten, die Tory-Basis und sogar seinen langjährigen Erzkritiker Simon Heffer, Kolumnist der Daily Mail.  Ohne den geringsten ironischen Unterton schrieb Heffer: „Wie außerordentlich erfrischend. Endlich hat David Cameron in dieser Woche einige überzeugende Gründe geliefert, konservativ zu wählen.”

Schwer zu sagen, was erstaunlicher ist: Dass David Cameron einige traditionelle Tory-Werte unterstützt oder dass Simon Heffer David Cameron lobt. In diesem Fall ereignete sich beides gleichzeitig, und das aus einem einfachen Grund: Cameron muss einen Angriff der politischen Rechten abwehren.

Die politische Landschaft in Großbritannien sah noch erheblich anders aus, als Cameron Ende 2005 Parteichef wurde. Die Konservativen hatten soeben die dritte Wahl nacheinander gegen den Labour-Premier Tony Blair verloren. Nach William Hague, Iain Duncan Smith und Michael Howard brauchten sie einen weiteren Oppositionsführer, um New Labour herausfordern zu können.

Damals wirkte Blair fast unangreifbar und die Wirtschaftslage begünstigte Labour – zumindest an der Oberfläche. Die Arbeitslosigkeit war niedrig, die Staatsverschuldung auch und die Konjunktur befand sich in ihrer längsten Periode ununterbrochenen Wachstums. Das war nicht das leichteste Klima für die Arbeit einer Oppositionspartei. Es ist schwierig, eine Regierung zu kritisieren, die anscheinend alles richtig macht.

Als Cameron die Führung der Partei übernahm, versuchte er einfach, Blair und New Labour zu imitieren, wo er nur konnte. Die Ausgabenpläne der Konservativen? Von Labour abgeschrieben. Ihre Umweltpolitik? Wie Labour auf Speed. Ihre Sozialpolitik? Noch homosexuellenfreundlicher und der ethnischen Vielfalt zugeneigt als Labour.

Selbst die nichtssagende Selbstdarstellung der Konservativen war direkt dem Handbuch der Labour Party entnommen. „Lassen wir den Optimismus über den Pessimismus siegen. Lassen wir den Sonnenschein gewinnen“, rief Cameron auf dem Parteitag 2006 pathetisch aus – als ob er Seife verkaufen wollte und nicht Politik. Das klang wie der Soundtrack zu Tony Blairs erstem Wahlkampf mit dem Motto: „Es kann nur besser werden”, nur einen Hauch poetischer.

Cameron gab sein Bestes, um alles und jeden loszuwerden, der die Wähler an die alte Conservative Party erinnerte. Er sprach nicht über Europa, dieses schreckliche Thema, das die Tories seit den Zeiten von Margaret Thatcher entzweit hatte. Er räsonierte nicht über Steuern und dass sie gesenkt werden müssten.

Er schaffte sogar das Parteilogo ab. Im Jahr 1987 hatte Thatcher eine Fackel als Symbol für Freiheit, Stolz und Einheit eingeführt. Cameron ersetzte sie durch einen stilisierten Baum, gemalt mit dicken Pinselstrichen, neben denen jede Zeichnung eines Dreijährigen wie ein Kunstwerk aussah. Das einzig Positive, das Tory-Traditionalisten über den Baum sagen konnten, war, dass er zumindest leicht nach rechts geneigt war. Davon abgesehen war mit der Partei, die einst von Margaret Thatcher geführt wurde, nicht mehr viel Ähnlichkeit zu erkennen.

Zu seinen Gunsten ist zu sagen, dass die Nachahmung von Labour sich eine Zeitlang für David Camerons Konservative recht ordentlich auszahlte. Sie ermöglichte der Partei einen Neubeginn, den sie dringend nötig hatte. Nur die nettere (oder besser gekleidete) Version von Labour zu sein, reichte allerdings nicht aus, um in den Parlamentswahlen 2010 die absolute Mehrheit zu gewinnen. Cameron musste eine ungewöhnliche Koalitionsregierung mit den Liberaldemokraten eingehen, die seinen Stil erneut veränderte.

Der Cameron von heute ist jedoch ein neuer Cameron. Zugleich repräsentiert er das authentischste Bild, das die Tories seit Jahren abgegeben haben. In seiner Parteitagsrede in Manchester legte Cameron endlich den Tarnanstrich der Konservativen der vergangenen Jahre ab und zeigte sein wahres Gesicht. Oder zumindest das Gesicht, mit dem er für eine zweite Amtszeit gewählt werden könnte.

Also stellte Cameron die Tories als Partei der Wirtschaft und des hart arbeitenden britischen Volkes dar. Er erklärte die Notwendigkeit eines Abbaus der Abhängigkeit von Sozialleistungen, das Haushaltsdefizit und die Steuern. Er hielt sogar eine große Laudatio auf Margaret Thatcher, „den größten Premierminister in Friedenszeiten, den unser Land je hatte“. Er muss die Falklands vergessen haben, aber nun denn ...

Vor einigen Jahren wäre eine solche Rede undenkbar gewesen. Sie hätte wie ein Relikt aus der Tory-Vergangenheit gewirkt. Wie kommt es also, dass sie heute möglich ist?

Der Hauptgrund dafür, dass Cameron derzeit nach rechts rückt - oder vielmehr zu den Tory-Wurzeln zurückkehrt – ist die Bedrohung seitens der UKIP, der United Kingdom Independence Party. Was einmal als Splittergruppe verärgerter ehemaliger Tories begann, die sich gegen Großbritanniens Mitgliedschaft in der Europäischen Union wehrten, hat sich zu einer ernsten Herausforderung für die konservative Partei entwickelt. Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr könnte die UKIP Meinungsumfragen zufolge die Tories in Verlegenheit bringen.

Die Tories sind wegen der UKIP derartig nervös geworden, dass sie nicht einmal wagten, eine Anzeige für eine Veranstaltung mit dem UKIP-Chef Nigel Farage in ihrem offiziellen Parteitagsprogramm abzudrucken, obwohl die UKIP diese bereits bezahlt hatte und daraufhin eine Erstattung dafür erhielt.

Mit einer Labour Party, die sich unter ihrem Vorsitzenden Ed Miliband nach links bewegt hat, und angesichts des gleichzeitigen Angriffs seitens der rechten UKIP, ist für Cameron der Zeitpunkt gekommen, ebenfalls nach rechts zu rücken. Vielleicht ist er zu dem Schluss gekommen, dass er um Wähler der Mitte nicht mehr kämpfen muss, da diese kaum Miliband nach links folgen dürften. Er muss hingegen fürchten, dass die Konservativen zu viel Boden an die UKIP verlieren, die Cameron in seiner Rede überhaupt nicht erwähnte.

Diese Umstände lassen einen interessanten politischen Wettstreit bei den nächsten Wahlen in Großbritannien erwarten, die 2015 anstehen. Zum ersten Mal seit vielen Jahren würde dieser nicht nur zwischen zwei überwiegend der Mitte zuzuordnenden Parteien ausgetragen, sondern als ein altmodischer Kampf Links gegen Rechts. Die Labour Party von Miliband will die Funktion des Staates ausweiten und die Conservative Party von Cameron will zu ihren einstmals wirtschaftsliberalen Neigungen zurückkehren und einen schlanken Staat befürworten.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt lassen sich nur schwer Wetten auf den Ausgang der nächsten britischen Wahl abschließen. Das Ergebnis wird jedoch erheblich größere Auswirkungen haben als bei früheren Urnengängen. Bei der nächsten britischen Wahl geht es darum, was für ein Land Großbritannien sein will: ein marktwirtschaftliches Land oder ein Umverteilungsstaat. Wer hätte gedacht, dass David Cameron das Wahlvolk jemals über diese Frage entscheiden lassen würde?

Dr. Oliver Marc Hartwich ist Executive Director der New Zealand Initiative (www.nzinitiative.org.nz).

‘David Cameron, a Tory reborn’ erschien zuerst in Business Spectator (Melbourne), 10. Oktober 2013. Aus dem Englischen von Cornelia Kähler (Fachübersetzungen - Wirtschaft, Recht, Finanzen).

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Leserpost

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Theo Leu / 20.10.2013

Wollte Herr Cameron nicht einst auch sein Volk über den weiteren Verbleib in der EU befinden lassen?

Chris Deister / 20.10.2013

Ohne UKIP wäre diese Wende nie erfolgt.  Ich könnte mir vorstellen, dass diese und Nigel Farage von den Medien drüben weitgehend totgeschwiegen oder als “rechtspopulistisch” diffamiert werden, oder?

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