Gastautor / 20.02.2022 / 12:00 / Foto: Imago / 109 / Seite ausdrucken

Das war’s

Harald Martenstein verlässt "nach einem halben Leben" den Tagesspiegel. Hier lesen Sie warum. 

Von Harald Martenstein.

Als Reaktion auf die Löschung des unten stehenden Textes (siehe hier auf Facebook), durch die Chefredaktion des Tagesspiegels, veröffentlichte ich diese Schlusskolumne.

Am 2. Mai 1988 habe ich beim Tagesspiegel angefangen, also kurz nach der Mondlandung. Mit Ironie sollte man übrigens vorsichtig umgehen, so hat es mir damals der Redaktionsleiter Günter Matthes eingeschärft: „Die Leser verstehen das nicht.“ Von allen großartigen Journalisten, die ich beim Tagesspiegel kennenlernen durfte, war er, ein unbeugsamer Liberaler, einer der eindrucksvollsten. Er war nicht links, er war nicht rechts. Er war geradeaus. Bis heute denke ich, wenn ich mich an ein Thema setze, manchmal: „Was würde wohl Matthes dazu sagen?“ Mein Kollege Bernd Matthies schrieb über ihn, er habe „ein paar Mal die Empörung der halben Stadt West-Berlin derart auf sich gezogen, dass die ganze Stadt davon geredet hat – er war in seinen prononcierten Meinungen von politischen Lagern ebenso unabhängig wie von der eigenen Anzeigenabteilung.“

Das war meine Schule. Nur so kann man als Journalist glaubwürdig sein. Man sollte nicht Handlanger eines ideologischen Lagers sein, und man darf keine Angst vor Wutstürmen haben. Genau dazu ist die Meinungsfreiheit ja da: um Dinge zu sagen, die manche nicht hören möchten. Es zu tun, habe ich an dieser Stelle viele Jahre lang versucht, mal besser, mal schlechter, manchmal fehlerhaft. Ich danke all den Leserinnen und Lesern, die mich wieder und wieder ermutigt haben. Ich entschuldige mich bei denen, deren Briefe ich nicht beantworten konnte, weil die Zeit fehlte.

Dies ist meine letzte Kolumne für diese Zeitung, mit der ich fast genau mein halbes Leben verbracht habe. Ich war, was für ein Zufall, etwa genau so lange Autor des Tagesspiegels wie Günter Matthes. Wer meinen Sound gemocht hat, sollte regelmäßig die Wochenzeitung DIE ZEIT aufschlagen, dort findet man mich im Magazin.

Es ist kein Geheimnis, dass die Chefredaktion des Tagesspiegels sich in aller Form von einem meiner Texte distanziert und ihn gelöscht hat. Ich war in diese Entscheidung nicht eingebunden. So etwas bedeutet in der Regel, dass man sich trennt, den Entschluss dazu habe ich gefällt. Ich finde, jeder sollte in der Lage sein, sich zu diesem Text selbst ein Urteil zu bilden. Er steht auf meiner Facebook-Seite und meiner Website harald-martenstein.de. Wie immer habe ich geschrieben, was ich denke. Leute, die Judensterne benutzen, um sich zu Opfern zu stilisieren, sind dumm und geschichtsvergessen. Leute, die auf ihren Demos zur Vernichtung Israels aufrufen, sind etwas gefährlicher. Ich habe meine Meinung nicht geändert. Vielleicht irre ich. Wo man glaubt, nur man selbst sei im Besitz der Wahrheit, bin ich fehl am Platz.

Sollte die Redaktion die Größe besitzen, mir diese Abschiedsworte zu gestatten und sie nicht zu löschen, danke ich ihr dafür.

 

Lesen sie zum gleichen Thema von Henryk M.Broder auf Achgut: Und jetzt auch der Martenstein

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Klaus Lang / 20.02.2022

Sehr geehrter Herr Martenstein, 95% Zustimmung zu Ihrer Kolumne vom 06. Februar und meinen vollen Respekt, dass Sie als Reaktion auf das unsägliche Verhalten Ihres Arbeitgebers von sich aus die Reißleine gezogen haben. Ob die Redaktion die Größe besitzt, Ihnen “nach einem halben Menschenleben Zusammenarbeit” obige Abschiedskolumne zu gewähren, wird sich zeigen. Dass Sie darin “Leute, die Judensterne benutzen, um sich zu Opfern zu stilisieren, als dumm und geschichtsvergessen” bezeichnen, hat für mich - leider - den Anschein eines Kotaus vor dem pc-Establishment, den Sie vermutlich machen mussten, um auch weiterhin für das ZEIT Magazin schreiben zu dürfen. Wie Sie richtigerweise schrieben, identifizieren sich die “modernen Träger des Judensterns” implizit mit den verfolgten Juden. Auf den aktuellen Demonstrationen und Spaziergängen gegen die Corona-Politik - für Freiheit und Selbstbestimmung geht die Botschaft der wenigen, die sich trauen, einen solchen mit der Aufschrift “ungeimpft” zu tragen ganz sicher nicht in eine antisemitische Richtung. Polemik, Übertreibung und Dramatisierung sind übliche Stilmittel der Politik. Die Kategorien Anmaßung und Verharmlosung (des Holocaust) gehen im konkreten Kontext meines Erachtens fehl und dienen lediglich der Diffamierung des politischen Gegners. Die Vokabeln “dumm und geschichtsvergessen” sind ebenfalls unpassend, denn derzeit gilt vor allem eines: Wehret den Anfängen! Dass das Unheil dieses Mal nicht vom braunen SA-Straßenmob, sondern “von oben”, aus Parlamenten, Ministerien und den ihnen unterstellten Behördern und Organen kommt, ändert nichts daran.

Esther Burke / 20.02.2022

Als eine der vielen, deren Leserbriefe Sie nicht beantworten konnten, bin ich gerührt… Die ZEIT habe ich bereits in den frühen 60ern - als Schülerin in der Provinz auf meinen Bus nachmittags 2x in der Woche 1   1/2 Stunden wartend - versucht zu lesen , dann ab den 70ern - gltl mit wachsender , später mit eher abnehmender Begeisterung - gelesen, am Ende ca 2016 hat dann hauptsächlich noch der Martenstein interessiert . Manche Zeitautoren vermisse ich . Dafür finde ich mich entschädigt mit der JF . (ist außerdem so viel handlicher !) - Danke für Ihren Gruß  !

Ludwig Luhmann / 20.02.2022

@T. Schneegaß / 20.02.2022 - “@Ludwig Luhmann: Wieder mal TOP, Herr Luhmann. Das bewusste Gleichsetzen von vergleichen und gleichsetzen genau durch DIE, die einerseits die Demonstranten gegen ihre faschistische Politik den Nazis GLEICHSETZEN, sich aber andererseits als Mahner vor für sie entlarvenden VERGLEICHEN aufspielen, ist die gewohnte Heuchelei und Demagogie der getroffenen Hunde.”—- Wittgenstein hat mal irgendwo geschrieben, dass das, was man klar denken kann, auch klar mit Worten ausdrücken kann. Wenn man unser Spiel mit “vergleichen” und “gleichsetzen” ein bisschen weitertreibt, dann gerät man z.B. an das Wort “unvergleichlich”, welches ja eine außerordentliche Einzigartigkeit bezeichnet. Man kann also in der Altagssprache völlig banalen Gegenständen des Interesses einen nahezu heiligen oder poetischen Anstrich verpassen,. Googlen Sie mal nach “unvergleichlich lecker” - ich bin ein großer Freund von Werbung, weil die oft intelligenter ist, als Filme oder Serien, die die Werbung leider immer wieder unterbrechen. Die oft bewusst irreführende Verwendung von Sprache in der Werbung, hat ganz sicher Auswirkungen auf das Denken der Zuschauer. -  Seltsamerweise war ein Mathematiklehrer am Gymnasium, der ziemlich gut erlären konnte, derjenige, von dem ich zum ersten Mal gehört hatte, dass man Äpfel nicht mit Birnen vergleichen könne. Das hat mich damals augenblicklich zu Widerspruch animiert. ... Cheers;) und ein weiteres Mal vielen Dank für Ihre freundliche Antwort!

Dr. med. Jesko Matthes / 20.02.2022

Hoffentlich können wir Herrn Martenstein hier wiedersehen!

J.-F. grauvogel / 20.02.2022

Sehr geehrter herr martenstein, zunächst dachte ich, das hat aber gedauert. aber nach einigem nachdenken wundert es mich nicht. auch nicht in bezug auf ihre person. lange genug habe ich versucht, den tagesspiegel und seine kampfkommentatorenriege zu lesen. selten genug gelang mir das bis zum ende. zu widerlich waren und sind der journalistische hochmut, die selbstgefälligkeit und ja, auch die ideologische einfärbung dieses blattes, das neutralität schlicht unmöglich macht. es geht nicht um rechts oder links, mir zumindest nicht. es geht, wie sie schon richtig bemerkten, um “gerade aus”. und eben dieses liessen auch sie oft genug vermissen. sie sind zu bedauern, dass sie sich in ihrem journalistischen stolz jetzt offenbar unentschuldbar gedemütigt sehen. mitleid mit ihnen habe ich nicht.

Ludwig Luhmann / 20.02.2022

@armin_ulrich / 20.02.2022 - “@Ludwig Luhmann:“ch gehe jetzt jede Wette ein, dass dieser gehypte M. den Unterschied zwischen “vergleichen” und “gleichstellen” nicht kennt und auch nicht versteht. “ Am besten ist, Sie wenden sich an den/die Gleichstellungsbeauftragte/n.”—- Wir teilen denselben Humor! ... Cheers;)

Arne Ausländer / 20.02.2022

@ Gerd Quallo: Zustimmung! Erst kürzlich habe ich in einem Buch über Zeugenaussagen im Eichmann-Prozeß, gedruckt 1962, gelesen, daß noch im Januar 1945 viele in Theresienstadt den Nachrichten über Auschwitz nicht glauben mochten - obwohl doch jahrelang Menschen von dort nach dort auf Nimmerwiedersehen verschwunden waren. Die Fähigkeit zur Realitätsverleugnung scheint grenzenlos.—Klaus Schwab hat 2020 im Namen seiner mächtigen WEF-Mafia das baldige Ende des Menschen als biologischem Wesen verkündet. Das ist gewiß etwas anderes als der systematische Mord an Millionen Juden. Aber ist es besser, harmloser? Ich als biologisches Wesen jedenfalls denke seitdem: Nun sind wir alle “Juden”. Ich verstehe die Corona-Agenda als Versuch einer “Endlösung der Menschenfrage” - und hoffe (wohl vergebens), damit Unrecht zu haben. Ob mich nun jemand als Antisemiten diffamiert, ist mir letztlich egal. Ich habe (wie wohl wir alle) weit größere Sorgen.

Sabine Lotus / 20.02.2022

Oh, der H@rr Klar möchte sich heldenhaft zwischen üns und die Milizen stellen? Rabiater Einsatz. Das finde ich nett und unterstützenswert. For he’s a jolly good fellow…

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