Thomas Rietzschel / 17.07.2016 / 16:26 / 21 / Seite ausdrucken

Das war kein Militärputsch. Das war ein schlechter Witz der Regierung

Für die Politiker, zumal für die deutschen und ihre öffentlich-rechtlich bestallten Hofsänger, mag es Gründe geben, sich für dumm verkaufen zu lassen. Wir müssen das nicht. Weder müssen wir Statements abgeben, in denen wir Sultan Großmaul unserer Solidarität im Kampf gegen die Putschisten versichern. Noch müssen in den „Brennpunkten“ von ARD und ZDF Rätsel raten, so tun, als glaubten wir, es habe sich bei dem Aufruhr in der Türkei vor zwei Tagen um einen Staatsstreich gehandelt, der Recep Tayyip Erdogan unverhofft in die Hände spielte.

Als freie Bürger brauchen wir nur eins und eins zusammenzählen, um den Drahtzieher hinter dem blutigen Spektakel auszumachen. Dabei muss man Erdogan bloß selbst ernst nehmen, um ihm auf die Schliche zu kommen. Bereits gute zwölf Stunden, nachdem das Militär am Freitag gegen 21.00 als Agent Provokateur aufmarschiert war, erklärt er, ganz Herr der Lage zu sein: „Wir werden diese Operation zu Ende bringen.“  Sie sei „wie ein Geschenk Gottes“.

Eine Floskel war das keineswegs, eher eine Information aus erster Hand. Agiert der einstmals gewählte Präsident doch längst als der Stellvertreter Allahs in der Türkei. Um diesen Status juristisch zu sanktionieren, strebt er seit geraumer Zeit eine Verfassungsänderung an. Sie soll seinen Anspruch auf  Alleinherrschaft endlich zum Staatsrecht erheben. Ein Ziel, dem er nun über Nacht, sozusagen außerparlamentarisch, ein gutes Stück näher gekommen ist.

Eine wohl durchdachte Operation

Vor diesem Hintergrund erweist sich das Scheitern des „Putsches“ viel weniger als das Resultat dilettantischer Organisation denn als Teil einer wohl durchdachten „Operation“. „Es ist wie in einem Drehbuch inszeniert“, sagte ein Mann in Istanbul gestern gegenüber dem ZDF. Andere, die es ebenso sehen, trauen sich nicht mehr auf die Straße, geschweige denn vor Kameras und Mikrofone.

Tatsächlich sucht dieser „Putsch“ seinesgleichen in der Geschichte. Bei näherem Hinsehen ist leicht zu erkennen, dass im „Chaos der Nacht“ alles wie am Schnürchen lief. Der für derartige Ereignisse typische Zufall spielte eine untergeordnete Rolle. Vergleiche mit dem vom Hitler 1934 veranstalteten Röhm-Putsch mögen den historisch Beschlagenen in den Sinn kommen. Wie damals in Deutschland, so war jetzt, wenn die Fakten nicht trügen, auch in der Türkei die Niederschlagung des Aufstands von vornherein akribisch vorbereitet.

Das Hotel, in dem sich Erdogan zunächst aufhielt, wurde genau eine halbe Stunde, nachdem er es verlassen hatte, bombardiert, ebenso wie das Gebäude des Parlaments, das in Zukunft ohnehin keine Rolle mehr spielen soll. Regierungsgebäude und die Wohnsitze Erdogans blieben dagegen verschont. Als hätten sie seinen Aufruf erwartet, strömten seine Anhänger dann mitternachts massenhaft auf die Straßen, um die Panzer mit bloßen Händen zu stoppen und einzelnen Soldaten die Kehlen durchzuschneiden. Schlagartig standen die Muezzine auf den Minaretten, um die Gläubigen zur Verteidigung ihres islamischen Präsidenten aus den Betten zu holen.

Binnen weniger Stunden waren zunächst 1.400 und wenig später 3.000 höherrangige Soldaten verhaftet. Im Chaos ein Ding der Unmöglichkeit, wären die Sicherheitsorgane nicht vorab darüber informiert worden, wen sie festzusetzen haben. Die Verhaftungskommandos müssen sich in Alarmbereitschaft befunden haben. Auch die namentliche Auswahl der 2.745 Richter, die gestern abgesetzt wurden, kann nicht ad hoc, in der Schockstarre eines unerwarteten Putsches, geschehen sein. Selbst die Nationalsozialisten haben nach dem gescheiterten Attentat von 1944 Wochen gebraucht, um alle ausfindig zu machen, die sie bei dieser Gelegenheit aus dem Weg räumen konnten.

Der Kämpfer hat wieder gewonnen

Nein, so wiederum eine bei SpiegelOnline zitierte Instanbulerin, „das war kein richtiger Militärputsch. Das war doch ein schlechter Witz der Regierung, um uns Angst zu machen“.    Dass dabei  wenigstens 265 Menschen ums Leben kamen, wird diejenigen wenig kümmern, die jetzt von dem Putsch-Märchen profitieren. Erdogan jedenfalls hat bereits angekündigt, die Streitkräfte, deren Führung ihm die Gefolgschaft bei der Einschränkung der Demokratie wiederholt versagte, nun mehr „zu säubern“. Von der Wiedereinführung der Todesstrafe ist die Rede.

Respektvoll nennt SpiegelOnline den türkischen Präsidenten „einen Kämpfer“. Jetzt hat er abermals gewonnen. Für ihn, und allein für ihn, war der „Putsch“ ein voller Erfolg, eine gelungenen „Operation“ auf dem „Durchmarsch zur Diktatur“, so die Hufftington Post.

Politiker, gleich, ob sie nun Merkel, Obama oder Steinmeier heißen, die das nicht sehen wollen, weil sie sich schon viel zu eng an den Autokraten gebunden haben, machen sich da nolens volens zu Spießgesellen eines Autisten, der offenbar glaubt, die ganze Welt für dumm verkaufen zu können. So weit, anzunehmen, dass sie ihn ihrer „Solidarität“ versichern, weil sie seine Stärke insgeheim bewundern, wollen wir noch nicht gehen. Lieber nehmen wir an, dass sie in der Tat die Tölpel sind, als die sie von Erdogan schon des öfteren abgefertigt wurden, auch diesmal wieder.

PS. Wenn es galt, der Geschichte auf die Sprünge zu helfen, um Vorwände für ihre Machterweiterung zu schaffen, waren die Politiker dieser Welt noch nie um eine Schmierentheater verlegen. Bismarck lancierte 1870 die Emser Depesche, um den Deutsch-Französischen Krieg vom Zaun zu brechen. Hitler inszeniert 1939 den „polnischen“ Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz, um gegen den Nachbarn losschlagen und den Zweiten Weltkrieg beginnen zu können. Ulbricht verbreitete die Legende von einer „faschistischen“ Bedrohung der DDR durch die Bundesrepublik, um die Mauer hochzuziehen. 

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Leserpost

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Alfred / 18.07.2016

Erdogan wird jetzt kurzfristig seine Macht sichern, aber es dauert nicht mehr lange, dann endet er wie der Schah. Was danach kommt weiß man nicht…

Walter Ernestus / 18.07.2016

Ich glaube nicht das hier was durchgesickert sein soll. Nein, so was macht der Präsident nicht! Hier wurden die besonders Klugen der türkischen Armee ermuntert einen Putsch durchzuführen (durch wen?, dreimal darf man raten!). Die besonders Klugen der Armee hatten dann auch einen sehr ausgefeilten Plan!!! (von Wem wohl?)  Wer die Berichterstattung verfolgte, fragte sich beispielsweise was eine Besetzung von Brücken sollte, warum nicht die Medien konsequent besetzt wurden und statt dessen unwichtige Gebäude. Alles Schauspielerei, bei der eben die klügsten der Klügsten aus der Armee am Werk waren. Nein, nein dies war kein Putsch-Versuch!!!  Wer glaubt wird selig!!!  Allahu akbar, Gott ist groß, Erdogan ist größer!!!  Er sollte sich einen neuen Drehbuchautor zulegen. Wenn er mir ein Sümmchen überweist schreibe ich ein besseres, glaubwürdigeres! Dieses Drehbuch war Mist, und gehört leider nur ich das Vorabendprogramm!

Claudia Hansmann / 18.07.2016

Ich bin nur eine <einfache> Frau aus Hamburg. Ich bin weit davon entfernt einen ``Aluhut``zu tragen. Als ich aber die Nachricht von dem Putsch hörte, war mein allererster Bauch- und Hirngedanke : Ist das sein Ernst, nimmt ihm das jemand ab, das dies nicht <getürkt> ist ? Und in der Türkei von ``demokratischen``Wahlen zu sprechen, ist als wenn ich zu meiner Familie sagen würde : Natürlich dürft ihr machen was IHR wollt, aber wer das macht was ICH sage bekommt auch sein Wunschhandy/haustier/jeden Tag S… und ein 3Gänge Menue. Wenn ich dann meine Versprechungen nicht halten kann/will…....dann lass ich mir einfach was einfallen (so Krankheit/finanzielleSchwierigkeiten etc.pp). Dann bekomme ich sogar noch Mitleid und alle vergessen, mehr oder minder, was ich mal versprochen habe.

Andreas Rochow / 18.07.2016

Die in diesen Text eingeflossenen Gedanken von Thomas Rietzschel sind allemal mehr wert als die stundenlange Ausbreitung artiger Vermutungen mit einem Hinweis auf “die Geschichtsschreibung in 10 Jahren” (zweimal gehört in den öffentlich rechtlichen Rundfunkanstalten). Das würde bedeuten: Abwarten und Tee trinken. In der Zwischenzeit kann der Ex-General Kujat das Putschen als Straftat erklären und prominente muslimische Islamerklärer darlegen, dass “die Kurden” und “das Ausland” dahinter stecke. Die Schnelligkeit, in der sich Erdogan sicher fühlte und von einem “Gottesgeschenk” jubelte, spricht eine andere Sprache. Die knapp 300 und vermutlich weitere Todesopfer sind noch nicht zugeordnet. Der nächtliche “Antiputsch” tausender Türken - auch in Deutschland - weist auf gut funktionierende Organisation hin. Kein Wunder im Zeitalter der flash mobs.

Rainer H. / 18.07.2016

Mich hat stutzig gemacht, dass Erdogan seine Untertanen ermutigt hat, sich gegen die Panzer zu stellen, was einige besonders Mutige theatralisch darzustellen wussten. Sinngemäß schob er noch nach, dass von den Putschisten nichts zu befürchten sei. Der Regisseur hat alles im Griff und er weiß, wovon er spricht. Dass es dabei dennoch Tote gab, ist wahrscheinlich nicht dem Durchsetzungswillen der Putschisten geschuldet, sondern eher Missverständnissen und maskuliner Überhitzung seiner Anhänger zuzuschreiben, die politisch gesehen noch an den Weihnachtsmann glauben. Und wo und wie sind denn so viele Leute umgekommen? Ich habe nur ein paar Särge gesehen und Militär, was ständig in die Luft geschossen hat. Sorry, aber da haben die Bilder vom Maidan 2013 bei mir einen ganz anderen Eindruck hinterlassen. Aber es wäre ja schön, wenn die Anzahl der Toten ebenfalls nur “getürkt” sind.

Jörg Pfaffmann / 18.07.2016

Also ich schließe mich dem Kommentar von Johannes Fritz an: Plausibler ist, dass ein echter Putsch geplant war, Egowahn rechtzeitig durch den Militärgeheimdienst davon Kenntnis bekam und das zu seinem Vorteil nutzte. Ähnlich wie Roosevelt 1941 von seinen Geheimdiensten rechtzeitig im Vorfeld vom Angriffsplan der Japaner auf Pearl Harbor informiert war aber nichts unternahm (außer die Flugzeugträger unter einem Vorwand rechtzeitig auf Manöver zu schicken) damit er einen Grund vorweisen konnte, um sein Volk davon zu überzeugen, dass die USA in den 2. Weltkrieg eintreten.

Ulrich Jäger / 17.07.2016

Schlechte Witz? Das war Erdogans Reichstagsbrand. Und wie damals wurden auch sofort tatsächliche und vermeintliche Gegner verhaftet. Die Listen waren wohl auch schon lange vorbereitet. Ich bin gespannt, wann die Verfassung den Wünschen des Führers (darf man das schon sagen?) angepasst wird.

Paul Mittelsdorf / 17.07.2016

Danke, Herr Rietzschel. Soweit ich es überblicke, sind Sie der erste, der das Offensichtliche abseits der Kommentarspalten unmißverständlich benennt.

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