Thomas Rietzschel / 23.02.2019 / 11:00 / 21 / Seite ausdrucken

Das Volk, die Politiker und der Fussball

Nach der Wahl ist vor der Wahl. Allein in diesem Jahr sind die Bürger aufgerufen, über die Zusammensetzung von vier Landtagen zu entscheiden, in Bremen, Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Hinzu kommt die Wahl des Europäischen Parlaments am 26. Mai. Es geht zu wie in der Bundesliga. Immer wieder müssen die Mannschaften gegeneinander antreten.

Nur dass sich die Fußballer nach dem Sieg nicht auf ihren Lorbeeren ausruhen können. Champions, die bloß noch ihr eigenes Ding machen, ohne sich weiter um das kümmern, was sie den Fans zuvor versprachen, steigen schneller ab, als sie nach oben gekommen sind.

Nicht einmal die Bayern dürften es sich leisten, so auf ihre Anhänger zu pfeifen, sie so wenig ernst zu nehmen, wie es sich für die gewählten Politiker von selbst versteht. Längst haben die deutschen Blockparteien den mündigen Bürger zum Mehrheitsbeschaffer runtergestuft, zu einem Stimmvieh, das man mit Zuckerbrot verlockt, um es nachher mit der Peitsche zu führen. Erst wird ihm geschmeichelt, indem man an seine Vernunft appelliert. Im Vertrauen auf seinen Verstand legen die Kandidaten ihr Schicksal in die Hände des Wählers. Mit seiner Stimme soll er jenen aufs Pferd helfen, die nachher nicht allein im Auftrag, sondern mehr noch im Sinne des Volkes regieren oder opponieren wollen – großes Indianer-Ehrenwort.

Wie der Bürger zum Mündel wird

Dass hinter dem Versprechen eine ehrliche Absicht stecken mag, kann man glauben oder auch nicht. Fest steht nur, nach dem Einzug ins Parlament ändert sich die Vorstellung der Volksvertreter von den Menschen draußen im Land grundlegend. Die, die sie eben noch für gescheit genug hielten, zu ihren Gunsten zu entscheiden, erscheinen ihnen plötzlich hilflos, beschränkt und so unbedarft, dass sie der politischen Vormundschaft bedürfen. Plötzlich erfährt der mündige Bürger die Behandlung eines Mündels.

Qua Mandat erleuchtet, fühlen sich die Gewählten berufen, den Rest der Gesellschaft an die Hand zu nehmen, den Leuten zu sagen, was sie denken, was sie zu begrüßen oder abzulehnen haben, was sie „schaffen“ werden und wem sie misstrauen sollen, die Lektüre welcher Bücher zu vermeiden sei, weil sie „nicht hilfreich“ ist. Sogar für die Gestaltung unseres Speiseplans fühlen sich die Parteien unterdessen verantwortlich. Ohne Scheu missachten sie geltende Gesetze, wenn es gilt, durchzusetzen, was sie für richtig halten.

Denn wer schließlich sollte besser wissen, wann etwas „alternativlos“ ist als jene, denen wir es überlassen haben, die Politik als Beruf auszuüben.

Ihnen wegen dieser Hybris einen moralischen Vorwurf zu machen, wäre aber insofern verfehlt, als wir es hier eher mit einer Anmaßung zutun haben, die im Wesen der Politik begründet liegt. Ist doch jeder gewählte Politiker schon per se der erste Feind der Demokratie. Einerseits soll er gestalterisch auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einwirken – weshalb sonst würden ihm unsere Stimmen geben. Andererseits aber läuft er genau damit Gefahr, gegen den Willen vieler, mehr oder weniger großer Teile des Volkes zu handeln.

Wenn Politik zum Beruf wird

Das ist die Krux jeder Demokratie. Sie ist eben doch nur, sagte einst Winston Churchill, einer, der wissen musste, „die schlechteste aller Regierungsformen – abgesehen von all den anderen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind“. Damit es dabei bleibt, bei der besten unter allen unzulänglichen Gesellschaftsformen, bedarf es freilich auch einer selbstbewussten Bürgerschaft, einer, die ihre Vertreter nicht einfach machen lässt. Nur wenn sie beides zugleich tut, den Mandatsträgern Gestaltungsräume eröffnet und ihnen dabei zugleich auf die Finger sieht, kann die Gratwanderung einer demokratisch freiheitlichen Gesellschaft gelingen.

Werden die politischen Geschäfte dagegen ausgelagert, ausschließlich „Berufspolitikern“ überlassen, die existenziell darauf angewiesen sind, verkommt die Demokratie zusehends. Die Politik fällt in die Hände einer Kaste. Es entstehen autokratische Strukturen, wie sie sich die deutschen Blockparteien unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel geschaffen haben. Das Volk wird von Wahl zu Wahl hofiert und ansonsten betüttelt, als habe es nicht alle Tassen im Schrank – „durchregiert“ von dem Personal, das es verdient.  

Ginge es zu wie im Fußball, wären die politischen Mannschaften längst aus der ersten in die sechste Liga abgestiegen.

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Leserpost

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Lothar Kempf / 23.02.2019

“Jedes Volk hat die Regierung, die es verdient”. Nun, in D nicht ganz zutreffend. Direkt wählen wir 299 Abgeordnete in den BT; diesen werden via Landesliste 410 Abgeordnete indirekt zugeordnet. FDP, Linke, und Grüne können auf 0 oder max. 6 Direktmandate in 2018 verweisen, werfen aber 210 indirekte BT-Mandate aus. Die SPD kann auf (fast) doppelt so viel indirekte Mandate wie Direktmandate verweisen. Was sagt uns das als Wähler, Bürger, Demokrat? Unseren 299 direkt gewählten Abgeordneten stehen 410 Parteifunktionäre, -Ideologen und eigeninteressierte Karrieristen gegenüber. Oftmals ohne Bildung, Erfahrung und Bürgernähe.

Claudius Pappe / 23.02.2019

Sorry liebe Fußballer. Ich habe euch mit Politikern verglichen. Ihr leistet mehr. Weniger als Politiker kann man nicht leisten, selbst ein Faultier leistet mehr !

F.Jung / 23.02.2019

Stimmt zu 100% ! Nur, was nutzt es, das zum 100sten Mal niederzuschreiben? Die Masse des Volkes ist träge, faul, und wacht nur in dem Moment auf, wenn es den Anschein hat, daß man relativ gefahrlos mitmachen kann im Widerstand. Dann waren alle schon immer dagegen, im Widerstand.  Und die paar Initiatoren werden dann nicht mehr benötigt, weil die große Masse jetzt erneut schaut, wie sie problemlos weiter leben kann, ohne sich selber Probleme zu machen. Den Politiker in den verschiedensten Ebenen ab Dorf/Stadt/Kreis/Land/Bund freut es, denn er kann sich eine sichere Existenz aufbauen.

Stefan Riedel / 23.02.2019

It takes two to tango. Die Servilität, Anpassungsbereitschaft und Bequemlichkeit der Bürger bilden die weitaus größte Gefahr für die modernen Demokratien (frei nach John Stuart Mill). Wobei D in Servilität, Anpassungsbereitschaft und Bequemlichkeit der Bürger sicher Weltmeister ist.

Rudolf George / 23.02.2019

Die Auslagerung ist ja schon viel weiter gediehen. Die meisten „Berufspolitiker“ sind genau aufgrund der materiellen Abhängigkeiten ihrer Berufswahl selbst zu unmündigen Schafen verkommen, abhängig von Parteioberen, die Karrieren machen oder verhindern können. Darum fällt es auch so leicht den Bürger als zu lenkendes Objekt anzusehen: das ist die Projektion der eigenen Situation. Die Hoheit ist somit auf wenige Gremien und Kommissionen ausgelagert worden, die durch Kontrolle von staatlichen Geldflüssen (Steuergeld!) an externe Berater und „Aktivisten“ Politik am Souverän vorbei machen können.

Claudius Pappe / 23.02.2019

Wäre es in der Politik doch genauso wie im Fußball-wie im Vereinsfußball- nicht wie in der (National) Die Mannschaft. Läuft es im Fußball nicht wird zuerst der Trainer entlassen-also wie aktuell Heiko Herrlich . Analogie Politik :Merkel weg. Läuft es dann immer noch nicht ,wird die halbe Mannschaft ausgetauscht-also wie beim BVB. Analogie Politik: Scholz, Heil, Maasmännchen, usw…………….Geht’s dann ganz den Bach runter kommt der Manager an die Reihe. Wie beim VFB Stuttgart der Reschke. Analogie Politik: Altmeier, Nahles……….. Ist man dann in der zweiten Liga angekommen wird auch mal der Präsident abgewählt wie demnächst beim S04 (sorry Schalke-ich als Lüdenscheider mag euch ) Analogie Politik: Steinmeier. Im Vereinsfußball gibt es bei Erfolglosigkeit noch ehrliche Trainer die von selbst gehen. Was ist der Unterschied zw. Klopp und Merkel. Klopp ist von selbst gegangen.

Richard Streicher / 23.02.2019

Mit der Demokratie verhält es sich so, wie mit dem Sozialismus. Zuerst ist Sozialismus toll, also implementiert man diesen, dann scheitert er, aber das war kein richtiger Sozialismus, denn Sozialismus ist toll, dann implementiert man diesen, dann scheitert er, aber das war kein richtiger Sozialismus, denn Sozialismus ist toll, also implementiert man ihn, und so weiter. Das ist eine Endlosschleife. Der Gott Sozialismus ist toll, deshalb kann kein Sozialismus sein, was nicht toll ist. Die Funktionsabläufe, die in der Realität auftreten, sobald man das System Sozialismus implementiert, und die notwendigerweise zu einem schlechten Ergebnis führen, werden von den Gläubigen des Gottes Sozialismus ignoriert. Die selbe Endlosschleife höre ich ständig in Bezug auf Demokratie. Seid ehrlich zu Euch selbst, Leute. Das, was Ihr jetzt habt, ist das, was bei Demokratie raus kommt. Genau wie Sozialismus hat Demokratie inhärente Funktionsabläufe, die zu dem führen, was wir haben. Das, was wir haben, ist, was dabei heraus kommt, wenn man versucht, den Gott Demokratie zu realisieren. Man kann Demokratie nicht so einrichten, dass die Mehrheit nicht auf Kosten einer besonders leistungsfähigen Minderheit lebt, oder eine zur Politik befähigte Minderheit auf Kosten der Mehrheit. Man kann das Wachstum des Staats nicht begrenzen, weil man Wähler mit dem Geld kaufen kann, das man anderen wegnimmt. Man kann den Staat auch nicht an der Langfristigkeit orientieren, weil Politiker, die an das Morgen auf Kosten des Heute denken, abgewählt werden, während Politiker, die ans Heute auf Kosten des Morgen denken, gewählt werden. Politiker orientieren sich an ihrem Wahlergebnis, und nicht am langfristigen Ausgang ihrer Politik. Und Wähler verstehen nicht, was sie wählen, weils zu kompliziert ist. Es dauert Jahre, sich das notwendige Wissen anzueignen, um die Folgen einer Gesetzesänderung abschätzen zu können. Weder Politiker noch deren Wähler haben dazu die Möglichkeit.

Robert Jankowski / 23.02.2019

“Wer soll es denn sonst machen?” Zumindest dieses “Argument” wird bei den anstehenden Wahlen nicht zum tragen kommen. Aber das Geschrei nach den Wahlen in Brandenburg wird “NAZI” lauten, genau wie nach der Wahl in Thürigen und vor allen Dingen in Sachsen (wo die SPD ja mittlerweile bei 5% stehen soll :) ). Bremen wird weiterschlafen, darum ist es auch nicht schade. Die Europawahl aber dürfte eine Möglichkeit sein, endlich einen Punkt gegen den Zentralismus zu setzen und ich hoffe sehr, dass das auch passiert! Nebenbei: die Partei mit den wenigsten Berufspolitkern ist, wieder mal, die AFD. Also auch NAZI.

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