Hubertus Knabe, Gastautor / 18.11.2021 / 11:00 / Foto: Imago / 18 / Seite ausdrucken

Das Versagen der CDU bei den SED-Opfern

Viele Opfer der SED-Diktatur leiden bis heute unter den Folgen ihrer Verfolgung in der DDR. Die neue Opferbeauftragte hat der scheidenden Regierung jüngst die Leviten gelesen.

Viel war von der Bundesbeauftragten für die Opfer der SED-Diktatur bisher nicht zu hören. Und manchem Politiker dürfte dies auch ganz recht gewesen sein. Schließlich hatte der Bundestag im Juni mit Evelyn Zupke eine weitgehend unbekannte ehemalige DDR-Bürgerrechtlerin in das neue Amt gewählt – als Trostpflaster für die Auflösung der Stasi-Unterlagen-Behörde.

Ob das Kalkül der Abgeordneten aufgeht, ist zweifelhaft. Nach nicht einmal fünfmonatiger Amtszeit hat die neue Opferbeauftragte dem Bundestag vergangene Woche einen Bericht übergeben, der es in sich hat. Mitten in den Koalitionsverhandlungen listet das sechsseitige Dokument zahlreiche Missstände im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur auf.

Der unaufgefordert abgegebene Bericht zeigt vor allem das Versagen der CDU. Denn in deren Zuständigkeitsbereich lag das Thema, seitdem Angela Merkel vor 16 Jahren Bundeskanzlerin wurde. Nicht einmal das, was die Koalitionsparteien selbst beschlossen hatten, wurde von der verantwortlichen Staatsministerin Monika Grütters umgesetzt.

Mehrfach hatte der Bundestag zum Beispiel entschieden, ein zentrales Mahnmal für die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft zu errichten. Bereits 2015 forderten Union und SPD die Bundesregierung auf, eine parlamentarische Initiative für das Denkmal „an einem zentralen Ort in Berlin vorzubereiten und zu begleiten.“ Nachdem vier Jahre nichts geschehen war, verlangten sie 2019, eine Machbarkeitsstudie in Auftrag zu geben und dem Bundestag regelmäßig einen Sachstandsbericht vorzulegen.

Lauter unerledigte Aufgaben

Die Studie gibt es bis heute nicht, geschweige denn das Denkmal. Nicht einmal einen Standort hat die scheidende Beauftragte für Kultur und Medien vorgeschlagen. „Die Suche“, so teilte Grütters Sprecher auf Anfrage mit, „dauert noch an“. In ihrem Bericht mahnt die Opferbeauftragte jetzt, „zeitnah die Prüfung möglicher Standorte abzuschließen.“ Diese Aufgabe bleibt nun der neuen Bundesregierung überlassen.

Bei anderen erinnerungspolitischen Themen agierte die CDU-Ministerin wesentlich schneller. So ließ Grütters gerade erst die sowjetischen Siegesdenkmäler in Berlin (die auch Zitate Josef Stalins zur Schau stellen) für acht Millionen Euro sanieren – zum zweiten Mal seit der Wiedervereinigung. Für die Aufarbeitung von „Sammlungsgut aus kolonialen Kontexten“ richtete sie in ihrem Haus sogar ein eigenes Referat plus Haushaltstitel ein, wie sie dem Bundestag stolz berichtete. Dank Grütters Einsatz überprüfen Deutschlands Museen derzeit mit Millionenbeträgen aus Steuermitteln tausende einschlägige Objekte auf ihre Herkunft.

Dem Bericht der Opferbeauftragten ist zu entnehmen, dass das Denkmal nicht der einzige unerledigte Auftrag des Parlaments ist. So wurde die Regierung bereits vor zweieinhalb Jahren beauftragt, zu prüfen, ob Gesundheitsschäden von SED-Verfolgten nicht nach einem ähnlichen Verfahren anerkannt werden können wie die von NS-Opfern. Da viele ehemalige DDR-Häftlinge bis heute unter den Folgen ihrer Haft leiden, haben sie einen gesetzlichen Anspruch auf eine Berufsunfähigkeitsrente – theoretisch.

Denn während bei NS-Opfern die Tatsache ausreicht, dass sie in Haft waren, müssen SED-Opfer den kausalen Zusammenhang zwischen Krankheit und Gefängnis beweisen – womit sie in 90 Prozent der Fälle scheitern. Auch dazu stellt die Opferbeauftragte fest, dass die alte Bundesregierung „kein Prüfergebnis vorgelegt“ hat. Ebenso wenig wurde das 2019 beschlossene Kompetenzzentrum zur Begutachtung und Behandlung von Langzeitfolgen bei SED-Opfern geschaffen.

Verweigerte Rehabilitierung

Ein weiterer Auftrag lautete, die Einrichtung eines Härtefallfonds für SED-Opfer zu prüfen. Einen solchen gibt es zwar in einigen ostdeutschen Ländern, so in Berlin, Brandenburg, Sachsen und bald auch in Thüringen. Doch wer in einem westdeutschen Bundesland lebt, bekommt keinerlei Unterstützung, wenn er sich in einer wirtschaftlichen Notlage befindet. Die Opferbeauftragte kommt auch hier zu der Feststellung: „Eine Berichterstattung durch die Bundesregierung zur Prüfbitte des Deutschen Bundestages ist in der zurückliegenden Wahlperiode nicht erfolgt.“ Dasselbe gilt für den Beschluss, die Schaffung eines Forschungszentrums über die Diktaturen des 20. Jahrhunderts zu prüfen.

Außer den unerledigten Aufträgen spricht der Bericht der Opferbeauftragten aber noch weitere Probleme an, die von der alten Bundesregierung nicht geregelt wurden. So wird Personen, die in einem der gefängnisähnlichen DDR-Jugendwerkhöfe untergebracht waren, oft die Rehabilitierung verweigert. Dasselbe gilt für Opfer des DDR-Staatsdopings. Wurde der Antrag einmal abgelehnt, wird zudem die Wiederaufnahme des Verfahrens häufig abgelehnt – selbst wenn sich die Rechtslage für die Betroffenen inzwischen verbessert hat.

Die Opferbeauftragte kritisiert darüber hinaus, dass die ohnehin geringfügigen Hilfen für mittellose SED-Verfolgte ab dem Eintritt in die Rente von 240 Euro auf 180 Euro sinken. Bei der Überprüfung der Bedürftigkeit wird zudem das Einkommen des Lebenspartners mitgerechnet. Angesichts der zunehmenden Inflation sorgen sich viele ehemalige politische Häftlinge außerdem um ihre Opferrente, die – anders als bei einer normalen Rente – bei derzeit 330 Euro eingefroren ist.

Vor diesem Hintergrund überrascht die Reaktion der stellvertretenden Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Union, Gitta Connemann auf den Bericht der Opferbeauftragten. In einer Presseerklärung kommentierte sie diesen mit der Feststellung: „CDU und CSU standen wie keine andere Fraktion fest an der Seite der Opfer von Diktatur und Widerstand. Wir werden weiter standhaft bleiben.“

Ob die geplante Koalition aus SPD, Grünen und FDP die Missstände engagierter beseitigen wird als die bisherige Bundesregierung, bleibt abzuwarten. Zumindest bei den Liberalen haben die SED-Opfer mit Linda Teuteberg eine kompetente Fürsprecherin. Entscheidend ist jedoch, was am Ende im Koalitionsvertrag steht.

Immerhin haben die Verfolgten schon einmal von der Abwahl der Union profitiert: 1999, als die rot-grüne Koalition nach dem Regierungswechsel ein altes Wahlversprechen einlöste und die Haftentschädigung für SED-Opfer verdoppelte.

Foto: Imago

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Leserpost

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Ferdinant Katz / 18.11.2021

@Holger Büchert Wenn sie es so verstanden haben “Wir werden weiter Standhaft gegen die Opfer und die Aufarbeitung unserer Verbrechen sein” dann, verstehe ich es wohl so wie sie.

S.Wietzke / 18.11.2021

“Die neue Opferbeauftragte hat der scheidenden Regierung jüngst die Leviten gelesen.” Und in Shanghai soll letzte Woche ein Fahrrad umgefallen sein. Lochen, abheften.

Thomas Taterka / 18.11.2021

Bis auf den heutigen Tag ist die CDU / CSU die ” Schwamm drüber - Volkspartei ” geblieben und das ist auch das einzig Christlich- Authentische an ihr .

Alex Micham / 18.11.2021

Einem einfachen Wähler wie mir scheint es, als wäre E. Zupke die einzige Person in diesem Laden, die tatsächlich ihren Job macht. Die Reaktion Connemanns auf den Bericht ist kafkaesk. Alle wissen, was passieren wird: Nichts.

Hartmut Laun / 18.11.2021

Um daran zu erinnern, weil es passt, der 09. November 2021, “Der Fall der Mauer”, in den Gazetten und im Fernsehen nix.

Horst Jungsbluth / 18.11.2021

Ein Trauerspiel, aber eigentlich hatte ich nichts anderes erwartet, da die für die Verbrechen verantwortliche Partei SED ganz einfach unter neuem Namen nicht nur “weitermachen” durfte, sondern sogar in Koalitionen sitzt und schwer belastete Personen dreist zu hohen Posten verhilft. Die Union hat schwer versagt, aber wenn man sich daran erinnert, dass die Stasi in Berlin die Parteibüros, die Dienstwagen der CDU abhörte und der RB Diepgen als Redenschreiber einen vom KGB hatte, dann ahnt man auch, warum. Die wussten von allen Schweinereien und so wurde eben geschwiegen. Nicht nur geschwiegen, sondern sogar mitgemacht hat dann die CDU, als 1989 der von der SED gewollte und mit kriminellen Methoden ins Amt gehievte SPD/AL-Senat nach einem Strategiepapier mit gefälschten Vorschriften und unzutreffenden Gründen unter schlimmstem Missbrauch der Verwaltungsgesetze unbescholtene Bürger wie Verbrecher jagte, während man denen den roten Teppich ausrollte, da die Justizsenatorin Limbach “Täter interessanter als Opfer” fand. HMB hat schon vor Jahren Deutschland als Irrenhaus bezeichnet, es hat sich herausgestellt, dass das eher eine Untertreibung war.

Walter Weimar / 18.11.2021

So wie die Linke aus alten Kadern der SED nicht nur hervorging, sondern der Geist weiter besteht, ist die CDU mit der Einverleibung der Blockflöteost-CDU nichts anders geworden. Man stelle sich vor, Aufarbeitung, ein Henker oder Mörder zieht Bilanz, dann nennt er es reumütig Aufarbeitung. Na dankeschön.

Holger Büchert / 18.11.2021

Typisch Grütters. Nichts anderes war von dieser Dame - enge Busenfreundin der scheidenden Staatsratsvorsitzenden - zu erwarten. „Wir werden weiter standhaft bleiben“. Verstehen auch noch andere den Satz so, wie ich ihn verstehe…….? :-)

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