Markus C. Kerber, Gastautor / 09.12.2022 / 11:55 / Foto: Imago / 39 / Seite ausdrucken

Das Verfassungsgericht legalisiert die Schuldenunion

Von Markus C. Kerber

Der Verfassungsrichter Peter Müller stimmte gegen die Mehrheit seiner Richter-Kollegen. Die "Transformation der Europäischen Union in eine Transfer- und Verschuldungsunion" durch die Hintertür hätte man nicht durchwinken sollen.

Beobachtern, die mit der Richteroligarchie in Karlsruhe langjährige Erfahrungen haben, war seit der mündlichen Verhandlung zur Vereinbarkeit des mittlerweile in Gang gesetzten EU-Verschuldungsprojektes „Next Generation EU“ (NGEU) eines klar: Das Bundesverfassungsgericht würde den Fall nicht einmal dem Europäischen Gerichtshof vorlegen, sondern aus eigener Machtvollkommenheit einen Ultra-vires-Akt verneinen. Denn so voreingenommene Richter wie Frau Langenfeld hatten in der mündlichen Verhandlung bereits angedeutet, dass sie trotz des Volumens von 800 Mrd. Euro die Budgethoheit des Bundestags nicht gefährdet sahen. Entgegenstehende Gutachten – wie die quantifizierten Hinweise des Finanzwissenschaftlers Heinemann auf gesamtschuldnerische Ausfallhaftung – wurden vom Zweiten Senat gar nicht erst erörtert.

Doch das Urteil vom 6. Dezember 2022, mit dem das Bundesverfassungsgericht das Verschuldungsprojekt „Next Generation EU“ (NGEU) als „nicht offensichtlich“ kompetenzüberschreitend würdigt, hat einen hohen Preis: Zum einen zeichnet das Bundesverfassungsgericht den legalen Weg in die EU-Schuldenunion, eine Gebrauchsanweisung für Frau von der Leyen & Co., um die Gemeinschaftsverschuldung voranzutreiben. Zum anderen sind die argumentativen Defizite so gravierend, dass sich ein Mitglied des Zweiten Senats, Peter Müller, zu einem geharnischten Sondervotum verpflichtet sah. Darin heißt es:

„Die Behauptung der Senatsmehrheit, es handele sich bei NGEU um ein ‚einmaliges Instrument zur Reaktion auf eine präzedenzlose Krise‘ und ‚nicht um den Einstieg in die Transferunion‘ ist in mehrfacher Hinsicht nicht belastbar. Dem widerspricht nicht nur die fehlende Begrenzung der Verwendungszwecke des NGEU auf die Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie und die regelmäßige Verstetigung temporär eingeführter Instrumente über das Ende der jeweiligen Krise hinaus. Die Senatsmehrheit lässt auch außer Betracht, dass die Bundesregierung in Anknüpfung an Äußerungen des Bundesfinanzministers im Deutschen Bundestag erklärt hat, dass NGEU ‚einen notwendigen und überfälligen Schritt in Richtung Fiskalunion Europäische Union‘ darstelle.“

Französischer Traum ist deutscher Albtraum

Indes gibt sich Müller mit dieser methodischen Kritik an der Urteilsfindung nicht zufrieden. Er weist auf die Folgen dieser Judikatur hin: Transferunion ohne Vertragsänderung:

„Mit der Hinnahme von Art. 5 Abs. 1 UAbs. 1 Buchstabe a Eigenmittelbeschluss 2020 öffnet die Senatsmehrheit den Weg zu einer grundlegenden Veränderung der Finanzarchitektur der Europäischen Union, die durch ein dauerhaftes, nahezu paritätisches Nebeneinander von Eigenmitteln und Kreditaufnahmen geprägt ist. Die Haushaltsstrukturen der Europäischen Union verändern sich damit evident in Richtung auf eine Fiskal- und Transferunion. Zwar mag es dafür sehr gute politische Gründe geben. Dies ändert jedoch nichts daran, dass in keiner Weise ersichtlich ist, dass diese Haushaltsarchitektur dem Integrationskonzept, wie es in Art. 310 ff. AEUV festgelegt ist, entspricht. Der Weg zur Transformation der Europäischen Union in eine Transfer- und Verschuldungsunion führt daher nach meiner festen Überzeugung nur über eine Änderung der Verträge im Verfahren nach Art. 48 EUV.“

Jetzt können die Brüsseler Kommissare von der Leyen, Gentiloni und Breton den französisch-italienischen Traum der EU endlich legal zum deutschen Albtraum machen: Deutschland haftet demnächst für weitere EU-Schulden. Frau von der Leyen nennt das „europäische Souveränität“. Die legale Liquidation nationaler Souveränität, hat durch die Karlsruher „Verfassungshüter“ am 6. Dezember 2022 einen neuen Impuls erhalten. Das Ansehen des Bundesverfassungsgerichts ist damit nicht nur schwer angeschlagen, sondern seine Autorität als Hüter des Grundgesetzes ist sicher bei vielen Bürgern in Frage gestellt. Dies führt zurück zum Anfangsstatement von Richter Müller:

„‚Den Vorhang zu und alle Fragen offen‘ scheint mir keine geeignete Maxime zum effektiven Schutz des grundrechtsgleichen Rechts auf Demokratie aus Art. 38 Abs. 1 Satz 1 GG zu sein.“

Dies ist gewiss eine höfliche Formulierung der Zweifel eines Verfassungsrichters an der Funktionalität des Gerichts, dem er angehört. Aber dahinter verbirgt sich vielleicht eine bohrende Frage: Wann könnte der Vorhang der Geschichte für das Bundesverfassungsgericht fallen?

Markus C. Kerber ist  Dr. jur. Professor für öffentliche Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin, Gastprofessor an der SGH in Warschau und an der Universität Paris 1 Sorbonne, Verfasser des Buches „Europa ohne Frankreich? Deutsche Anmerkungen zur französischen Frage.“ Suhrkamp 2006/ Edition Europolis Berlin 2015. Gründer von www.europolis-online.org

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J.Lindmueller / 09.12.2022

Bereits die Eurorettung mit dem EFSM und EFSF waren klar rechtswidrig. Hat am Ende niemanden gejuckt. Damals stand Deutschland allerdings noch als Garant für die Kreditwürdigkeit der EU, weshalb man sich insbesondere als deutscher Steuerzahler Sorgen machen musste. Mit der Deindustriealisierung Deutschlands durch die menschengemachte Energiekrise wird sich das demnächst jedoch ändern. Damit wird kurz- bis mittelfristig auch das potenzielle Armenhaus Deutschland am Tropf der EU hängen und dankbar dafür sein, dass die EU selbst Mittel an den Finanzmärkten schöpfen kann. Fraglich ist natürlich, wer dann noch zu welchen Konditionen diese Mittel der EU zur Verfügung stellt. Am Ende gehen wir Europäer dann immerhin gemeinsam über die Klippe und es bleibt nicht am deutschen Steuerzahler hängen, einfach weil bei ihm nichts mehr zu holen ist.

Dr. Klaus Schmid / 09.12.2022

Opportunisten die auf das Recht pfeifen, sonst nix. Kennen wir doch schon zur Genüge aus der deutschen Geschichte,

Didi Hieronymus Hellbeck / 09.12.2022

“Der Euro ist ein Versailles ohne Krieg” (Francois Mitterand). Deutschland ist schon lange verloren. Mittlerweile ist “unser” Land nur noch eine Marionette von Globalisten, NATO (also USA)- und Brüssel-Puppenspielern. BVerfG: mit Harbarth an der Spitze ohnehin eine Justizparodie. Noch lächerlicher als mit dem devot-flexiblen Vosskuhle.

giesemann gerhard / 09.12.2022

Einer stimmt noch, tralallala.

Leo Hohensee / 09.12.2022

Josef (Joschka) Fischer hat doch schon gesagt, das Geld muss weg und wenn man es verschenkt, hauptsache die Deutschen haben es nicht mehr!  - Na, (?) da wird doch, zwar spät aber doch noch, einiges passend gemacht. Wenn diese ganze EU wegen Euro-Pleite einstürzt dann müssen wenigstens alle gemeinsam und gleich zerlumpt dastehen !!! Jedenfalls alle die arbeitenden Geldbeschaffer. Die ganzen Schmarotzer-Bonzen sorgen schon immer für ihr eigenes Salär. Wertschaffung ist das Eine - Wertentnahme meint die eigene Finanzversorgung, ohne an der Erzeugung irgendwelcher Mehrwerte einen Anteil zu haben: - Selbstversorgung durch „Abgreifen“ von Geldern, Gelder für die andere schuften müssen.—Das ganze dient der Erfüllung des Nivellierungstraumes der EU-Sozialisten bis EU-Kommunisten. Die haben derzeit alle feuchte Hosen weil sich alles so widerstandslos einrichten lässt.— Leute, jedes berechtigte Interesse dieses Staatsvolkes an der Sicherung seiner eigenen Werte (im weitesten Sinne) wird missachtet. geringgeschätzt und gegen ein feuchtes Ejakulat preisgegeben. Und sie sitzen so fest im Sattel, dass sie ihre eigenen feuchten Hosen noch nicht einmal selber waschen werden müssen! Diese Bildsprache soll verdeutlichen, dass die amtsvereidigten Personen überwiegend alles andere im Blick haben aber nicht “ihr Bestes für ihr Volk zu geben” und auch nicht “Gerechtigkeit zu üben gegen jedermann”.

Ludwig Luhmann / 09.12.2022

Man sollte sich endlich eingestehen, dass wir einem Putsch in Zeitlupe von links zum Opfer gefallen sind. Auch wir sind Dehostilisierte, die Feinde oder sogar Todfeine noch immer nicht erkennen können

Bernd Oberegger / 09.12.2022

Die überwiegende Mehrheit der Leser der “Achse des Guten” vertritt die Ansichten der deutschen Bevölkerung. Fazit: Fahranfänger fahren einen ganzen Staat gegen die Wand. Institutionen winken gnädig durch. Das alles steht am Anfang einer Entwicklung. Die Bezahlenden stehen schon fest.

Arne Ausländer / 09.12.2022

Der endgültige Kurs auf unaufhaltsame Verschuldung wurde mit der Reaktion auf die “Finanzkrise” eingeschlagen. Alles weitere sind nur Detailfragen. Und in letzter Zeit wird das bestehende Finanzsystem noch schneller gezielt gegen die Wand gefahren, damit man die Zustimmung zur Einführung des neuen digitalen Zentralbankgelds bekommt. Das fällt leichter, wenn das, was man hat, hoffnungslos ruiniert ist. Und das können wir wohl auch nicht retten. Wie denn? Aber wenn wir uns nicht der völligen Rechtlosigkeit in der vorgesehenen CBDC-Welt unterwerfen wollen, sollten wir langsam mal Vorstellungen entwickeln, wie wir dem entgehen könnten. Sich über den planmäßigen Abriß des Bestehenden aufzuregen, reicht nicht. Andere existierende Währungen oder alternativ geschaffene können bestenfalls etwas Zeit verschaffen, denn die Neuordnung wird ja weltweit durchgezogen werden. Und jeden sichtbaren Fluchtweg werden sie versperren. Wir brauchen also NEUE Ideen. Am besten solche, gegen die sie nichts machen können, selbst wenn sie davon wissen. Die Strukturen der Schenk-Kultur, die in den letzten Jahren entstanden sind, sollten da nicht voreilig verworfen werden, weil sie eher in der “links-grünen” Ecke verortet werden. Wie der echte Naturschutz gehört das aber nur zu den Lockangeboten der Grünen, zu dem, womit sie Leute ködern, was dann aber schnell über Bord geworfen wird, wenn es ernst wird, wenn es um die Macht geht. Nur - vielleicht kann man das so stabilisieren, daß es sich nicht so leicht beseitigen läßt? Da jeder Geldersatz illegal sein wird, gäbe es in einer CBDC-Welt schlicht keinen anderen Ausweg, als ohne Geld dennoch Freiräume zu schaffen.

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