Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 18.04.2025 / 06:00 / Foto: K.I / 59 / Seite ausdrucken

Trump als Mephisto

Trumps Außenpolitik könnte dazu führen, dass sich etwas Gutes bewegt in Europa, auch wenn er selbst nur Böses im Schilde führen sollte, wie die Figur des Teufels Mephisto im Faust.

In der europäischen Literatur gibt es einen Teufel, der eine unerwartete Tugend für sich beansprucht: Er möchte Böses tun, erreicht aber das Gute. In Goethes Meisterwerk Faust sagt Mephistopheles – im Grunde der Teufel – zu uns: „Ich bin ein Teil von jener Macht, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“

Dieses Paradoxon aus dem größten Werk der deutschen Literatur beschreibt perfekt ein überraschendes Phänomen, das sich heute abzeichnet: Donald Trump könnte der Mephistopheles sein, von dem Europa nicht wusste, dass es ihn braucht. Der amerikanische Präsident ist kaum eine Figur, die von den meisten Europäern bewundert wird. Seine rüden Umgangsformen, sein Nationalismus, seine Verachtung für Allianzen und seine „America First“-Agenda laufen europäischem Empfinden, Ethik und Werten zuwider. Und doch wird Trump, wie Mephistopheles, unabsichtlich zu einer Kraft des Guten in Europa.

Nirgendwo wird dieses Paradoxon deutlicher als in der Handelspolitik. Mit seinem Dekret zum „Liberation Day“ am 2. April führte er pauschale Zölle in Höhe von 10 Prozent auf alle Einfuhren ein, wobei europäische Waren mit einem zusätzlichen Aufschlag von 20 Prozent belegt wurden. Die europäischen Politiker waren entsetzt. Die Aktienmärkte stürzten ab. Wirtschaftswissenschaftler warnten vor verheerenden Folgen für Wachstum und Wohlstand.

Doch dann geschah etwas Bemerkenswertes. Die Europäische Union positionierte sich plötzlich als Verfechterin des Freihandels. Ja, Sie haben richtig gelesen. Dieselbe Europäische Union, die jahrzehntelang mit ihrer Common Agricultural Policy einen der am stärksten geschützten Agrarmärkte der Welt aufrechterhalten hat, belehrt Amerika nun über die Vorzüge des Freihandels.

„Nein zu Chlorhühnchen!“

Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen verkündete Europas Engagement für offene Märkte. Sie bot die Abschaffung aller Zölle auf Industriegüter an. Die europäischen Staats- und Regierungschefs reihten sich ein, um Trumps Protektionismus zu verurteilen, und präsentierten sich als Verteidiger des auf Regeln basierenden Handelssystems.

Diese neu entdeckte Begeisterung für den Freihandel ist eine ziemliche Kehrtwende. Vor nicht allzu langer Zeit war Europa Schauplatz massiver Proteste gegen die Liberalisierung des Handels. Erinnern Sie sich an die Demonstrationen gegen die „Transatlantic Trade and Investment Partnership“ (TTIP)? Im Jahr 2015 marschierten Hunderttausende durch Berlin, um sich gegen das Handelsabkommen mit Amerika zu wehren. „Nein zu Chlorhühnchen!“, skandierten sie und lehnten amerikanische Agrarimporte ab.

Die europäischen Politiker, die von der öffentlichen Empörung geschockt waren, zögerten daraufhin mit den Handelsabkommen. Sie beharrten auf Ausnahmeregelungen für die Landwirtschaft. Sie behielten hohe Zölle auf landwirtschaftliche Erzeugnisse bei. Sie errichteten komplexe regulatorische Hindernisse für Importe.

Trumps teuflischer Einfluss auf Europa

Die selektive Herangehensweise der EU an den Freihandel wird durch ihr Angebot an Trump gut versinnbildlicht: keine Zölle auf Industriegüter (z. B. Automobile), aber weiterhin Schutz für die Landwirtschaft. Die Franzosen hätten wahrscheinlich rebelliert, wenn die Landwirtschaft einbezogen worden wäre. Doch Trumps wahllose Zölle haben Europa zu einem strategischen Umdenken gezwungen. Plötzlich preisen europäische Staats- und Regierungschefs, die früher der Antiglobalisierungsstimmung nachgegeben haben, die Vorteile offener Märkte an. Sie reichen Beschwerden bei der Welthandelsorganisation ein. Sie verteidigen das internationale Handelssystem, das Trump zu Grabe tragen will.

Und nicht nur in der Handelspolitik verändert Trumps teuflischer Einfluss Europa. Seine mephistophelische Wirkung auf die europäische Verteidigung ist sogar noch ausgeprägter. Jahrzehntelang lagerte Europa seine Sicherheit nach Amerika aus. Trotz wiederholter amerikanischer Bitten weigerten sich die meisten europäischen Nato-Mitglieder, das Bündnisziel von zwei Prozent des BIP für die Verteidigung zu erfüllen. Trumps Skepsis gegenüber der Nato hat dies völlig verändert. Angesichts seiner Anbiederung an den russischen Präsidenten Wladimir Putin erhöhen die europäischen Staaten ihre Militärausgaben in einem noch nie dagewesenen Tempo.

Polen gibt heute über vier Prozent seines BIP für die Verteidigung aus und will im nächsten Jahr die Fünf-Prozent-Marke erreichen. Die baltischen Staaten ziehen nach, wobei Litauen sich verpflichtet hat, bis 2030 fünf bis sechs Prozent zu erreichen. Deutschland, das traditionell nur zögerlich in sein Militär investiert, hat nach jahrelangen Defiziten endlich die Zwei-Prozent-Schwelle erreicht.

Notfallpläne für eine „eigenständige“ Verteidigungshaltung

Noch aufschlussreicher ist die neu gewonnene strategische Autonomie Europas. Die europäischen Staats- und Regierungschefs diskutieren nun offen darüber, wie der Kontinent verteidigt werden kann, wenn sich Amerika zurückzieht. Die EU hat ein ehrgeiziges Weißbuch zur Verteidigung vorgelegt, in dem gemeinsame Kredite in Höhe von 150 Milliarden Euro für militärische Beschaffungen vorgeschlagen werden. Es wurden Notstandsgipfel zur Verteidigung einberufen. Es werden Notfallpläne für eine „eigenständige“ Verteidigungshaltung Europas ausgearbeitet.

Der französische Präsident Emmanuel Macron, seit langem ein Verfechter der europäischen Eigenständigkeit, fühlt sich bestätigt. „Was auch immer in der Ukraine geschieht, wir müssen in Europa autonome Verteidigungskapazitäten aufbauen“, betont er. Seine einst umstrittenen Forderungen nach „strategischer Autonomie“ sind heute Mainstream.

Selbst der scheidende deutsche Bundeskanzler Scholz, kaum ein Verteidigungsfanatiker, spricht von der Notwendigkeit eines „starken und souveränen Europas“, das „mit geradem Rücken“ steht. Sein künftiger Nachfolger, Friedrich Merz, wird die Verteidigungsausgaben wahrscheinlich noch weiter erhöhen, da er nun nicht mehr mit Haushaltszwängen konfrontiert ist. Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk, ein traditionell pro-amerikanisches Land, erklärt nun, dass "Europa diese Herausforderung, dieses Wettrüsten, annehmen muss. Und es muss es gewinnen".

Europa gezwungen, erwachsen zu werden

Sowohl im Handel als auch in der Verteidigung hat Trumps konfrontativer Ansatz Europa dazu gezwungen, erwachsen zu werden. Der Kontinent kann es sich nicht länger leisten, naiv gegenüber den Gefahren in der Welt oder heuchlerisch bezüglich seiner wirtschaftlichen Interessen zu sein. Er muss die Fähigkeit entwickeln, sich zu verteidigen, und die Konsequenz, sich für einen wirklich freien Handel einzusetzen – und zwar nicht nur in Bereichen, die ihm passen. Ja, und das sollte auch für die Landwirtschaft gelten.

All dies wäre ohne Trump nicht möglich gewesen. Sein disruptiver, oft chaotischer Ansatz in den internationalen Beziehungen hat Europa aus seiner Selbstgefälligkeit aufgerüttelt. Indem er die Grundlagen der transatlantischen Zusammenarbeit bedroht hat, hat er ungewollt die Entschlossenheit der Europäer gestärkt, sich um sich selbst zu kümmern. Wie Mephistopheles mag Trump auf Unruhe und Zwietracht aus sein. Doch paradoxerweise könnte sein Vermächtnis in Europa mehr Einigkeit, Verantwortung und Stärke bedeuten.

Es gibt Berichte, dass Trump den Friedensnobelpreis begehrt, nicht zuletzt, weil Barack Obama ihn erhalten hat. Auch wenn ein Friedenspreis für Trump vielleicht etwas weit hergeholt ist, gibt es einen anderen Preis, den Trump verdienen könnte: den Karlspreis, der für seine Arbeit im Dienste der europäischen Einigung verliehen wird. Seit 1950 wird er an Personen verliehen, die sich bewusst für die Einigung Europas eingesetzt haben.

In Trumps Fall ist die europäische Einigung natürlich nur ein unbeabsichtigtes Nebenprodukt seiner erratischen und destruktiven Politik.

Dennoch wäre es eine teuflisch gute Idee, ihm den Preis zu verleihen. Vielleicht merkt er die Ironie gar nicht.

 

Dr. Oliver Marc Hartwichgeboren 1975 in Gelsenkirchen,  ist seit 2012 geschäftsführender Direktor der New Zealand Initiative in Wellington, der windigsten Hauptstadt der Welt. Die Initiative ist ein Verband neuseeländischer Unternehmen und die führende Denkfabrik des Landes. Dieser Beitrag erschien zuerst auf seiner Website.

Foto: K.I

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Leserpost

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Gerd Maar / 18.04.2025

Die Ironie merkt er garantiert nicht, da steht sein massives Ego dem Intellekt im Weg. Aber wenn schon Nobelpreis für Mephistopheles, dann bitte geteilt mit seinem höllischen Partner aus dem Kreml.

P. Bruder / 18.04.2025

Umgekehrte Psychologie. Die Journaille und deren Leser kreiden Trump nun an, dass er die Industrie weg von China, wieder in die USA zurückholen will, obwohl unter Biden noch alle chinesische Waren boykottieren wollten. Europäer wehrt euch, kauft nicht bei Temu oder Amazon. Kein russisches Gas, kein Chinaschrott und keine Chlorhühnchen aus den USA. Ein gemeinsamer Feind eint. Europa erwacht.

St.Elmo / 18.04.2025

Aufgrund der Kosten der Bürokratie und überregulierung und Steuern in der EU ist freier Handel der Todesstoß für Europas Wirtschaft da sie so nicht mehr Konkurrenzfähig seien kann gegenüber den Ländern die ihrer Wirtschaft nicht absichtlich das Rückgrat bricht, in die Knie schießt und die Hände abhackt.

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