Markus Vahlefeld / 12.07.2014 / 23:41 / 6 / Seite ausdrucken

Das Streben der Maschinen-Menschen nach der Apokalypse

Die Deutschen sind bekannt dafür, Dinge zu Ende zu denken. Das hat ihnen den Ruf eingebracht, ein Land der Dichter und Denker zu sein. Diese Art östlich-metaphysische Tiefe paart sich mit ein paar Sekundärtugenden wie Disziplin und Zielorientiertheit. Wichtige Erfindungen und Patente, wirtschaftliche Prosperität und ein funktionierender Staat haben wir dieser Paarung zu verdanken. Bekanntlich sind es aber auch die Sekundärtugenden, mit denen man ein KZ betreiben kann, und es benötigt schon die deutsche metaphysische Tiefe, um sich die Endlösung auszudenken. Yin und Yang.

Die Art, sich erst in Bewegung zu setzen, wenn etwas bis zum Ende durchdacht und durchplant wurde, hat den Deutschen sehr viel Reichtum eingebracht, denn es ist diese Fähigkeit, die im Maschinenbau so eminent wichtig ist. Eine Maschine, die Funktionsfehler aufweist, kann für den Anwender schnell zur Todesfalle werden. Gleichzeitig ist es diese endgeplante Präzision, die vor allem an deutschen Kriegsmaschinen, die den Tod bringen sollen, so geschätzt wird und Deutschland den dritten Platz der Exportweltmeister eben dieser Todesgeräte eingebracht hat.

Das Internet-Zeitalter hat eine andere, vielleicht neue Denkart zum Blühen gebracht. Diese entwickelt Produkte, die mit Fehlern behaftet sind, wirft sie aber trotzdem auf den Markt. In einer sich rasant verändernden technischen Umgebung ist es manchmal wichtig, nicht abzuwarten, bis Imperfektion und Fehler aufgelöst wurden. Learning by doing heißt das im Volksmund. Nicht das abgeschlossene Endprodukt ist die entscheidende Größe, sondern das flexible Produkt, das wie Google, Microsoft oder Amazon sich fast jedes Jahr rundum erneuert. Wer einen Mercedes kauft und in die Werkstatt gerufen wird, erlebt dies als Makel. Wer jedoch ein Smartphone erwirbt und schon im nächsten Jahr aufgerufen wird, ein neues Betriebssystem zu implantieren, erlebt dies als Service.

Die eine Denkbewegung benötigt bereits im Beginn die endgültige Lösung, die in ihrer Weiterentwicklung nur schöner und schneller gemacht werden muss, während die andere Denkbewegung nicht das Ende antizipiert, sondern das Unvorhersehbare im System einbaut. High-Tech Industrien wie die in den USA oder Israel haben dieses Prinzip verinnerlicht und feiern auf dem Markt der digitalen Technologien Erfolge. Die Deutschen bauen weiterhin Maschinen.

Es sind diese beiden unterschiedlichen Denkbewegungen, die im Nahostkonflikt zu den größten Missverständnissen führen. Ein Land wie Israel, das gegen Endlösungen eine nicht unerklärliche Skepsis hegt, ist schon froh, wenn mal zwei Jahre Ruhe an den Grenzen herrscht. Ein Deutscher, der erst befriedigt ist, wenn das Perfekte eingetreten ist, sieht diesen zeitlich begrenzten Ruhezustand als Makel. Ihm schwebt ein ewiger Friede vor, ein denkbar perfektes Produkt, ein Endzustand. Ein Reagieren auf Unwägbarkeiten, eine Akzeptanz des Imperfekten, ein eingebauter Fehler machen ihn nervös.

Der deutsche Wunsch, Probleme endzulösen, ist in einem apokalyptischen Bewusstsein begründet, wobei hier Apokalypse in ihrer ursprünglichen Form als Offenbarung gemeint ist. Das Problem muss sich mit aller Deutlichkeit und Rigorosität offenbaren, damit die Lösung für alle einleuchtend und nachvollziehbar erscheint. Eine gewisse Lust bis Wolllust an der Offenbarung und damit an der Auffassung, dass sich erst mit der Offenbarung das Bessere und Wahre durchsetzen könne, geht mit dieser deutschen Eigenart zu denken einher. Hitler sah den Kampf der Slawen gegen die Germanen als diejenige Offenbarung an, die notwendig sei, damit sich das Bessere durchsetzen könne. Wie die Geschichte ausging, wissen wir.

Wenn der SPON-Redakteur Markus Becker sich nun seine Gedanken um eine Endlösung des Nahostkonflikts macht, steht er in bester Tradition dieses sehr deutschen Denkens. Zwei Jahre mögliche Ruhe in Israel reichen ihm als Lösung nicht. Und der hochgerüstete Iron Dome wird ihm dann zum Symbol der Unangreifbarkeit Israels, die eine kommunikative Lösung verunmöglicht. „Er trägt dazu bei, dass der Weg zu einer Lösung des Problems versperrt bleibt. Denn die kann nur eine politische, niemals aber eine technisch-militärische sein“, schreibt er.

Dieser Satz offenbart in drei Belangen ein sehr deutsches Unterbewusstes: Erstens ist das „niemals“ geschichtsvergessen, denn Lösungen können manchmal - nein, falsch: müssen manchmal technisch-militärischer Natur sein. Die Alliierten haben Hitler-Deutschland nicht durch kluges Reden in die Knie gezwungen. Dass derartige geschichtsvergessene Sätze dennoch beim Spiegel erscheinen, der von unzähligen Hitler-Titelbildern und Weltkrieg-II-Stories lebt, befremdet sehr und weist die Richtung, in die das Unterbewusste driftet.

Zweitens: der Iron Dome bietet Israel eine gewisse Sicherheit vor den abgeschossenen Raketen. Eben dieser Umstand, dass Israel sich lieber unangreifbar macht, provoziert das apokalyptische Denken ungemein. Denn die Möglichkeit, die Hamas Raketen „noch nicht einmal zu ignorieren“, bringt natürlich den Konflikt nicht zu seiner letzten Offenbarung. Lieber als der Iron Dome wären Herrn Becker viele Hunderte tote Israelis, weil im Zuge eines solchen Blutbads und Sterbens das ganze Ausmaß des Konflikts in die Offenbarung treten würde und eine Lösung in greifbare Nähe rücken könnte. Spätestens hier wird deutlich, in welcher Form Unmenschlichkeit und Lebensverachtung dem apokalyptischen Denken innewohnen.

Und drittens: Becker insinuiert mit seinen Ausführungen, dass je mehr tote Israelis es gibt, desto höher der Leidensdruck wird, der die Konfliktparteien an einen Tisch zwingt, um eine politische Lösung herbeizuführen. Dass dieses Prozedere seit Jahrzehnten angewendet wurde und zu nichts geführt hat, verschweigt er und auch, dass ein Großteil der islamischen Welt nicht eher ruhen wird, bis „das zionistische Gebilde“ verschwunden ist. Bis heute hat die Hamas, man kann nicht oft genug darauf hinweisen, das Existenzrecht Israels nicht anerkannt.

Solange das so ist, erscheinen ein, zwei Jahre Ruhe an den Grenzen immer noch als die beste Zwischenlösung. Dazu müsste man nur das deutsche Unterbewusste zum Schweigen bringen.

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Markus Weber / 15.07.2014

Sehr geehrter Herr Vahlefeld, haben Sie vielen Dank für diesen Artikel, den ich mit grossem Interesse gelesen habe und der meinem Denken neuen Schwung verleihen könnte. Das mit den ständig nachzubessernden beta-Versionen im Verkauf ist tatsächlich ein Trend, ein Sturmlauf geradezu. Wenn dann irgendwann die letzte Espresso-Maschine, die letzte Pfeffermühle und das letzte Feuerzeug in ihrem Grundfunktionen mechanisch entkoppelt und nur noch elektrotechnisch bzw. informationstechnisch in Betrieb zu nehmen sind, also wenn wir schon längst nur noch Passagiere im eigenen Pkw sind, dann kan man nur noch online zivilisiert leben, also überwacht und manipuliert. Das Dream-Team Zuckerberg-Google-Amazon-NSA hat dann auf Anlagen von Verint alles im Griff. Für die Widergeburt des deutschen (Schreib-)maschinenbaus wird es dann zu spät sein. Die entscheidenden Leute ziehen sich alle eine Vergiftung zu, stürzen (z.T. nach sieben Stunden Geradeausflug - “Autopilot” -) mit ihren Flugzeugen ab, fahren mit ihren Autos gegen Bäume oder Pfosten, so dass alles in Flammen aufgeht, oder sie bringen sich aus Schwermut um. Das können sie in ganz normalen Gefängnissen tun per Halsschlagader-Durchtrennen mit anschliessendem Erhängen, im Wald und auf der Heide oder vom Balkon. Witze wie Leute, die nach vier selbstverübten Schüssen in den eigenen Kopf noch nicht tot waren und zu einem fünften ansetzen mussten, sind dann überflüssig. Schöne neue Welt! Erstaunlich ist doch, wieviele Menschen das Heraufziehen dieser neuen Lebens- (eigentlich Tötungs- udn Abschaltungs-)paradigmen mit offenen Armen empfangen. Das hat viel mit verschüttetem Humanismus und allgemeiner Ahnungslosigkeit zu tun. Sie haben dagegen angeschrieben, und ich danke Ihnen dafür.

Hildegard Behrendt / 14.07.2014

Herr Sommer,  gewusst haben die es aber. Sie haben weggeschaut. Genauso wie sie heute wegschauen,  wenn unangemeldete Horden von Islamfaschisten durch deutsche Städte laufen und um sich schlagen. Und die Polizei ist handzahm. So handzahm wie sie es früher bei linken Demos nie war.

Ruth Würsch / 13.07.2014

Hier schreibt einer, den man im Jiddischen als a mensch (מענטש) bezeichnen würde. Danke für diesen Ihren genialen, vernunftbegabten Text zum Kommentar von Markus Becker.

Ronald Hörstmann / 13.07.2014

Mit einem Satz: des Deutschen Seele sehnt sich zutiefst nach Frieden. Dieser innere Pazifismus hat ihn aber leider oft dazu verleitet, von dunklen Mächten überrannt zu werden. Ja, richtig, wir sind die führende Maschinen-Produktion auf der Erde, leider sind darunter zur Zeit auch noch Waffen. 7000 Menschen sind hier am Bodensee in dieser Produktion eingespannt. Es wird aber daran gearbeitet, durch “Umfunktion” dieser Produktionsstätten einen Wechsel zu schaffen. Schließlich ist das Ruhgebiet auch von der Kohle weg.

Markus Sommer / 13.07.2014

Hätte man damals in Deutschland eine Umfrage für oder gegen die Endlösung der Judenfrage gemacht und hätte man auch gesagt, wie diese denn ausschauen soll, dann hätten nur ganz wenige Spinner und Psychopathen dafür gestimmt, wahrscheinlich sogar wesentlich weniger als in einigen anderen Ländern.

Octavius Ahl / 13.07.2014

Die Jagdsaison ist eröffnet. Juden im Kleide der Israelis sind zum Freiwild der deutschen Medienlandschaft erklärt - jeder Schuss ein Treffer, wenn schon nicht in Israel, dann doch wenigstens in unseren Qualitätsmedien. Die Grenzen des Denk- und des zwischen den Zeilen Sagbaren sind neu abgesteckt und enorm erweitert. Das hat die Deutsche Lyrik und Journaille mit ihren prominenten Trommlern lang und mühsam vorbereitet und ist nun am Ziel ihrer feuchten Träume angekommen. Sie wird - jetzt erst recht, wo das alte Hassfenster doch so weit aufgeschlagen ist - auch ganz bestimmt nicht halt machen. Blanke Judenhasser jeglicher Couleur - stets zu feige Tacheles zu reden, stets nur allgemeinverständlich, aber nicht überführbar andeutend - kommen, dem Klang der Flöte folgend aus ihren Schlammlöchern gekrochen.

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