Seit seinem Amtsantritt im Juli 2019 sagt der britische Premierminister Boris Johnson, dass er das Vereinigte Königreich am 31. Oktober aus der Europäischen Union (EU) führen wird, „mit oder ohne Deal“. Am 9. September verabschiedete das britische Parlament das sogenannte „Benn-Gesetz“, das dem britischen Premier vorschreibt, bei der EU eine Verlängerung der Austrittsfrist zu beantragen, sollte er oder sie sich bis zum 19. Oktober nicht mit der EU auf ein Austrittsabkommen geeinigt haben.
Johnson hat immer wieder gesagt, dass er dieses Gesetz, das er als „Kapitulations-Gesetz“ oder „Demütigungs-Gesetz“ bezeichnet, auf legalem Wege umgehen und entgegen der Wünsche des Parlaments Ende Oktober einen sogenannten „harten Brexit‘ einleiten will. Viele Medien spekulieren, wie das rechtlich funktionieren könnte. Hier die gängigsten Theorien:
Johnson suspendiert das Benn-Gesetz durch ein „Order of Council“
Auf diese Option hat kürzlich der ehemalige konservative britische Premierminister John Major in einer Rede hingewiesen. Die „Huffington Post“ erklärt, was es damit auf sich hat: „Ein ‚Order of Council‘ ist eine besondere Art, ein Gesetz zu verabschieden, ohne die Zustimmung der Königin einzuholen.“ Stattdessen können Mitglieder des sogenannten „Kronrats“ (Privy Council), ehemalige und aktuelle ranghohe Parlamentarier sowie hohe Beamte Gesetze verabschieden. Johnson könnte diesen Mechanismus nutzen, um das Benn-Gesetz (zeitweise) außer Kraft zu setzen, schreibt die „Huffington Post“. Das wäre zwar, wie seine kürzlich vom Obersten Gericht aufgehobene Suspendierung des Parlaments, höchstwahrscheinlich illegal. Bis dies jedoch von einem Gericht eindeutig festgestellt werden kann, wäre Großbritannien bereits ausgetreten. Nach Angaben der Zeitung „Politico“ hat der Vorsitzende der britischen Konservativen, James Cleverly, in einem gestrigen Fernsehinterview einer Frage zu dieser Option ausweichend beantwortet.
EU-Recht bricht britisches Recht
Bei „City A.M.“ berichtet Catherine Neilan von einem „streng gehüteten“ Plan einer „Handvoll von Beratern“, der auf der Tatsache beruhe, dass das Benn-Gesetz im britischen Recht verankert ist, wohingegen der EU-Austritts-Paragraph (der berühmte „Artikel 50“) im Vertrag über die Europäische Union kodifiziert ist. Da das EU-Recht dem britischen Recht (zumindest bis zum Brexit) übergeordnet ist, würde die Artikel-50-Austrittsfrist (31. Oktober) im Zweifel die Bestimmungen des Benn-Gesetztes aufheben.
Suspendierung auf Basis des Katastrophenschutzgesetzes
Boris Johnson könnte versuchen, das Benn-Gesetz mit Hilfe des britischen Katastrophenschutzgesetzes aus dem Jahr 2004 zu suspendieren, zitiert „Politico“ den Anwalt Jo Maugham, der an der erfolgreichen Klage gegen Johnsons Parlaments-Suspendierung beteiligt war. Maugham berufe sich bei dieser Behauptung auf „gut platzierte Quellen“ im Regierungsapparat.