Das Schweigen der Anderen

Von Reinhard Mohr.

Jetzt hat es auch die Juden erwischt: Sie werden gegendert. Zuletzt, am israelischen Gedenktag für die Märtyrer und Helden des Holocaust, war in vielen deutschsprachigen Medien von „Jüdinnen und Juden“ die Rede, welche von Deutschen millionenfach umgebracht wurden. Die Formulierung „Jüd*innen“ oder „Jud*innen“ hat sich noch nicht ganz durchgesetzt, ebenso wenig JudInnen oder Jud_innen. Die Debatte läuft noch. Fest steht: Niemand soll ausgeschlossen werden. Jede*r ist mitgemeint. Inklusivität ist alles. Auch beim Holocaust.

Immerhin hat, so könnten böse Zyniker sagen, der Genderstern den gelben Stern ersetzt, der in der Nazi-Zeit jeden Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens zum Freiwild erklärte. Das ist ein unbestreitbarer historischer und moralischer Fortschritt. Dennoch irritiert die Verbissenheit, mit der vor allem Akademiker, Intellektuelle und Medienschaffende, die Sahra Wagenknecht inzwischen als „Lifestyle-Linke“ bezeichnen, um jede Silbe, jedes Wort und jedes Partizip Präsens („Schornsteinfegende“) ringen, um am Ende wirklich nichts und niemanden zu diskriminieren. Zentimeterdicke Handbücher und Formulierungs-Guides sollen uns in eine lichte Zukunft führen, in der nichts Falsches, Unangemessenes oder gar Verletzendes mehr den „Zusammenhalt“ der Menschen stören kann. 

Die Verve, mit der über „Identitätspolitik“, „Cancel Culture“ und „postkolonialen“, „strukturellen“ Rassismus gestritten wird, verbraucht den letzten Rest jener geistigen wie psychischen Energie, den die Corona-Pandemie noch übriggelassen hat. Selbst das internationale Großkapital sorgt sich inzwischen vor allem um mögliche innere, also psychologische Verletzungen beim Kauf eines Shampoos, das für „normales Haar“ geeignet sein soll, tatsächlich aber all jene diskriminiert, die kein normales, sondern „empfindliches“ Haar haben. Dabei sind wir doch alle eins.

Nach all diesen Anstrengungen haben wir, der freie Westen oder das, was von ihm übriggeblieben ist, einfach keine Kraft mehr, uns um Einzelschicksale wie das des russischen Oppositionellen Alexej Nawalny zu kümmern, der in einem russischen Straflager um sein Leben kämpft, zum zweiten Mal innerhalb eines Jahres. Abgesehen von den obligatorischen Medienberichten herrscht weithin das große Schweigen – vor allem in jenen Kreisen, die bei jedem angeblich verletzenden Wort Zeter und Mordio schreien. Dasselbe gilt für den massiven militärischen Aufmarsch russischer Truppen an der Ostukraine, der mit einem bloßen „Manöver“ nicht zu erklären ist, russische Bomben auf die syrische Zivilbevölkerung und unzählige andere, vom Kreml gesteuerte Gewalttaten – auch in Europa.

Die Feststellung der Tatsache, dass Putin ein Mörder ist, überlassen wir dem amerikanischen Präsidenten. Nach einem möglichen Tod Nawalnys werden wir schockiert, betroffen und empört sein. 

Dann aber, nach einer gewissen Zeit, werden wir uns wieder den wirklich wichtigen Dingen zuwenden: Diversität, Inklusivität und Nachhaltigkeit.

Foto: Evgenyfeldman CC BY-SA 4.0 via Wikimedia Commons

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S. Marek / 20.04.2021

Der russischer Oppositioneller Alexej Nawalny ist ein Idiot, weil Er ein Märtyrer werden will !  O.K. seine Entscheidung, niemand hat Ihn aus Großbritannien ausgewiesen.  Für die hiesigen Politiker und Fake Medien ist es jetzt ein geschenktes “Fressen” .  Damit lenken diese von Zuständen im eigenem Land ab und die Dämlichen hier schreien “Gewalt” auf. Eigentlich schade um die Zeit für jede weitere Zeile.

Jörg Themlitz / 20.04.2021

Nochmal: Wir sagen nicht mehr Jüdinnen und Juden, sondern indigenes Volk Palästinas bzw. nicht fremdwörterisch, Ureinwohner Palästinas. Vorige Woche Sergei Lawrow auf die Frage was die Russen da in diesem Gebiet machen: “Wir leben da. Und was machen die Amerikaner dort?”, An das jahrhundertealte geostrategische Ziel Konstantinopel ins russische Reich einzugliedern, erinnern nur der Konstantinopel Doppelkopfadler am russischen Thron und auf der russischen Flagge. Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen orthodoxen Träumer. Mag sein. Mit der “Aufnahme” der Türkei in die NATO 1952 war das Thema erledigt. Das Problem der Russen Bosporus und Dardanellen besteht weiterhin. Wie schnell so etwas mal ausarten kann, erleben die Russen bei Nord Stream 2. Russische Truppenkonzentrationen in welcher Größe und wo auch immer geben mir zu denken. Genauso wie US amerikanische Militärberater 600 km vor Moskau. Wenn die Amerikaner schlau sind, unterstützen sie Annalena im Wahlkampf. Ein deindustrialisiertes Deutschland braucht kein russisches Erdgas.

Vera Meißner / 20.04.2021

Es geht beim Gendern nicht darum, irgendjemand etwas gutes zu tun. Es ist eine Lüge machtversessener Gestalten unter dem Vorwand einer gekaperten (irgendwie bedrohten oder diskriminierten) Gruppierung anderen seinen kranken Willen aufzuzwingen. Weder als autorisierter Vertreter einer Gruppierung, noch als Sprecher. Tatsächlich greifen diese Leute auch Angehörige dieser von ihnen ach so selbstlos geholfenen Gruppierung gnadenlos an, wenn sie sich nicht unterordnen oder gar - oh Schreck! - eine andere Meinung haben als dieses unverlangte heuchlerische angeblich-helfen zu beklatschen. Nicht darauf hereinfallen, wenn irgendwer kommt und irgendwas “gutes” zu tun behauptet. Eine Betrugsmasche. Im übrigen - das Wunschdenken, daß die Welt soviel besser wird, wenn Sprache geschlechtsneutral wäre wird gestört durch die Sprachen, die schon lange geschlechtsneutral sind: Persich. Chinesich. Türkisch. Alles feministische, gerechte Paradiese dort, oder?

Volker Kleinophorst / 20.04.2021

@ S. Schönfelder “Die Holocaust und Holocaustinnen wird es nicht mehr interessieren, denn Sie sind längst tot.” Das ist falsch. “Dass Überlebende des Holocaust im Alter in Existenznöte geraten, ist kein Einzelfall. Von den 400.000 Überlebenden weltweit lebten 40 Prozent unter der Armutsgrenze ihres jeweiligen Aufenthaltsortes, meldet die “Jewish Claims Conference”, die für NS-Opfer Entschädigungen und materielle Hilfen aushandelt.” (Tagesschau Stand: 27.01.2020)

Manfred Pelowski / 20.04.2021

Danke, Herr Andreas Giovanni Brunner! Genau so sehe ich das auch. Wenn ich Hass auf Russland und Vergötterung eines vom Westen aufgeblasenen “Dissidenten” haben will, dann bediene ich mich beim Mainstream, nicht bei der “ACHSE”! Und, lieber Herr Mohr, wie wäre es denn, wenn Sie sich mal mit dem Schicksal von Julian Assange beschäftigen würden? Schönen Tag noch - Manfred Pelowski

Dr. Daniel Brauer / 20.04.2021

Momentan ist Herr Nawalny doch im Hungerstreik, also in einem selbst induzierten Zustand. Was kann Putin primär dafür ? Und da war doch mal was mit rassistischen, nationalistischen und homophoben Äußerungen ( s. DLF, MoPO etc. ) ? Jedenfalls wird Herr Nawalny hier zu Lande unter anderem von Leuten verklärt, die ihn eigentlich wegen seiner politischen Einstellung, wenn er Bürger diesen Landes wäre, canceln würden. Oder ?

Mathias Rudek / 20.04.2021

Die größten, wohlstandsverwahrlosten Langweiler, die sich im Kern nie wirklich für Politik interessiert haben, sind die Vertreter der “Lifestyle-Linken” und ihre Protagonisten, die meist aus dem Staatssäckel bezahlt werden. Selbstverliebt und selbstgefällig halten diese System-Opportunisten sich für die wahren Hüter der Wahrheit und des richtigen Lebens. Weil sie sich für essentielle Dinge in der politischen Auseinandersetzung nie interessiert haben, haben sie sich vor Jahren dem privaten Raum der Bürger festgeschrieben, denn hier können sie an der dünnsten Stelle Bohren, weil sie nicht wahr haben wollen, daß sie für dicke Bretter nicht die Fähigkeiten haben und kein intellektuelles Rüstzeug dafür besitzen. Was diese links-grünen Berufsunfähigen aber immer konnten, daß war lauthals und ungefragt Panik zu schüren, meist zu Themen, die sich in ihrer Pauschalität gut instrumentalisieren lassen. Angst und Panik läßt natürlich keine Argumente mehr zu, sondern rotiert ständig im Kreis, beenden kann man diese Selbstbeschäftigung nur von außen. Die Linke ist durch, entleert, rückschrittlich, undemokratisch, snobistisch, narzisstisch, ungebildet und schlecht erzogen. Wer das nicht merkt, nicht zur Kenntnis nehmen will, daß die “Lifestyle-Linke” auf Zukunftsfragen keine konstruktiven Antworten mehr hat, ist entweder dumm, sado-masochistisch oder beides. Besonders jetzt zeigt sich, daß die deutsche Mentalität tatsächlich nie eine liberal-demokratische war, sondern immer eine ideologische, romantische Vorstellung der Welt in einer brutal erzwungenen Harmonie.

Kostas Aslanidis / 20.04.2021

Die paranoide Hetze aus Deutschland gegen Russland bezeugt den revanchistischen Hass. Mann hat es immer noch nicht verdaut das in Stalingrad, der Anfang vom Ende war fuer die arrivierte Weltherrschaft des Nazistaates. Als das Naziemblem durch die Russen gesprent wurde und die Sovjetfahne am Reichstag gehiesst wurde, das tut immer noch weh. Nawalny, die gekaufte Witzfigur von den USA, als Opposition herbeizuschreiben, zeigt das dieser Autor keine Ahnung hat oder auf transatlantische Linie ist. Die Ressourcen der Russen werden die West Ausbeuter nie bekommen und keinen Meter hinter der russischen Grenze setzen. Die Russengetze geht sogar bei achgut weiter. Schaemt euch

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