Thomas Rietzschel / 11.09.2015 / 15:23 / 4 / Seite ausdrucken

Das Rumpelstilzchen und seine Ultra-Nationalisten

Wer den Lauf der Geschichte bestimmen will, indem er sie nach Vorstellungen gestaltet, die er für die allein selig machenden hält, sieht die Welt durch die Brille einer Ideologie. Abwägende Vernunft ist seine Sache nicht. Was nicht in sein Konzept passt, muss der Ideologe verteufeln. Von der Wirklichkeit lässt er sich nicht anfechten, da er doch die Wahrheit zu kennen glaubt. Er ist vernagelt. Weil es ihm an Wissen, an historischer Einsicht oder schlichtweg an der nötigen Intelligenz gebricht, um sich ein eigenes Urteil zu bilden, versteift er sich auf die vorgefasste Meinung. Der Dogmatismus ist der Schutzwall, hinter dem er sich verschanzt. Von den Zinnen dieser Festung bläst er zum Kampf gegen die Andersdenkenden.

Erst Anfang dieser Woche konnten wir das wieder erleben, als Martin Schulz vor laufender Kamera über die Länder herzog, deren Politiker nicht zu Handlagern deutscher „Willkommenskultur“ werden wollen, weil sie um ihre innere Sicherheit fürchten. Der Europa-Ideologe nannte sie „Ultra-Nationalisten“; die Titulierung sollte vernichtend wirken. Mit der gleichen Absicht haben sich andere dieser Begrifflichkeit schon früher bedient. Wenn die Kommunisten den Hass auf Politiker im Westen schüren wollten, sprachen sie in der Frühzeit der DDR gern von den „Bonner Ultras“, gelegentlich sogar von den „bösen Bonner Ultras“. Diese BBUs waren der Klassenfeind, den es zu bekämpfen, letztendlich auszuschalten galt, damals in den Zeiten des Kalten Krieges. 

Und in dieser Woche, am 8. September 2015, war es nun Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, der zum „Kampf gegen die anderen“ aufrief -  die anderen, die immer die Andersdenkenden sind. Wo solche Töne angeschlagen werden, haben wir wieder allen Grund, auf der Hut zu sein.

Natürlich steht es jedem noch immer frei, eine abweichende Meinung zu äußern, auf die Denkvorschriften zu pfeifen, die das politische Personal in Brüssel wie in Berlin erlassen möchte; da mag der kleine Schulz aus Würselen an der Wurm das Rumpelstilzchen geben wie er will. Nur muss, wer das wagt, inzwischen damit rechnen, umgehend das Stigma des Rechtsaußen, öfter noch das des Rechtsradikalismus sowie des bornierten Nationalismus angeheftet zu bekommen. Diese Abqualifizierung leitet unterdessen fast jedes Zitat einer kritischen Wortmeldung zur Flüchtlingspolitik der EU und der deutschen Bundesregierung ein.

Die Bundeskanzlerin höchstselbst spricht von „Hassbotschaften“, gegen die man „mit der ganzen Härte des Rechtsstaates“ vorgehen werde. Eine subtile Gewaltandrohung, bei der es auf einen Missbrauch des Rechtsstaates durch die Politik hinausläuft. Am Ende würde dann nicht nur verleumdet, sondern womöglich strafrechtlich verfolgt, wer von der Linie der herrschenden Politiker abweicht. Noch aber sind wir nicht so weit, noch ist Frau Merkel nicht die Vorsitzende des Rechtsstaates, sondern eine politische Angestellte des Volkes mit Zeitvertrag.

Dass ihr das nicht bewusst zu sein scheint, mag daher rühren, dass sie sich mit aktiver Teilhabe in einem Land politisch sozialisierte, in dem die juristische Verfolgung Andersdenkender zum politischen Tagesgeschäft gehörte. Schon nach ihrer ersten Wahl zur Bundeskanzlerin hat sie angekündigt, dass von nun an „durchregiert“ werde; tatsächlich ist der Einfluss des vormundschaftlichen Staates seither immer weiter ausgebaut wurden.

Neu ist das alles keineswegs. Bisher hat noch jede Macht, die ihre ideologische Basis zum Dogma erklärte, den Andersdenkenden mit der Androhung und der Ausübung von Gewalt heimgeleuchtet. Selbst der humanistische Ansatz, mit dem die einen oder anderen gestartet sind, bewahrte sie zum Schluss nicht vor dieser Hybris. Auch dem Grande Terreur der Jakobiner sind schließlich mehr Andersdenkende als überführte Verbrecher zum Opfer gefallen. In den Schauprozessen Stalins wurde verurteilt, wer den kommunistischen Glauben als humanistische Rechtfertigung der Diktatur anzweifelte.

Sicher, das alles liegt weit zurück. Niemand muss heute befürchten, für einen politischen Witz ins Gefängnis gesteckt zu werden. Über diese schlimmen Erfahrungen früherer Zeiten müsste man kein Wort verlieren, erlebten wir nicht eben wieder eine rhetorische Aufrüstung, die darauf abzielt, den kritischen Bürger mundtot zu machen, anders als ehedem, aber doch nicht weniger aggressiv. Wer gesehen hat, wie Martin Schulz zum „Kampf“ aufrief, wie er vor innerer Aufwallung kaum in der Lage war, einen geraden Satz zu formulieren, mag erahnen, wozu die Ideologen der Macht nach wie vor fähig sind, gehen ihnen die Argumente aus.

Wir sollten nicht wieder versäumen, ihnen rechtzeitig die Gefolgschaft zu versagen. Denn anders als die Dumpfbacken an den radikalisierten Rändern der bürgerlichen Gesellschaft verfügen sie über einen medial befeuerten Einfluss, der schon jetzt viel zu viele Bürger hierzulande hat verstummen lassen. Wo aber die schweigende Mehrheit wächst, weil der einzelne fürchtet, des „Ultra-Nationalismus“ und mehr noch verdächtigt zu werden, da ist es bald auch um die Demokratie geschehen.

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Leserpost

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Michael Nitsche / 12.09.2015

Sehr guter Beitrag! Die Frösche werden langsam gekocht und ohne es zu merken haben wir wieder eine ideologische Meinungsdiktatur. Immer weniger Menschen sagen öffentlich ihre Meinung. Ich vermute sogar, dass durch die ganzen Abhörskandale selbst die Menschen in Umfragen nicht mehr ihre Meinung sagen. Das ist alles etwas subtiler als damals in der DDR aber nicht weniger verheerend für die Zukunft. Was kann man dagegen tun? Die Antwort darauf wird immer öfter lauten: resignieren - leider.

Roland Schulze / 11.09.2015

Sehr gut, Herr Rietzschel! Das hätte nicht besser formuliert werden können. Früher hätte das durchaus ein Leitartikel einer großen Zeitung sein können. Heute undenkbar - aber auch nicht schade drum. Auf diese journalistische Elite kann man getrost verzichten…

Mike Scholz / 11.09.2015

Meine volle Zustimmung.  Da der Argumentation der “Anderen” dank der Fakten ( welche von den Medien komplett ausgeblendet werden)  immer schwerer beizukommen ist und die Phrasen immer holer klingen,  muss jetzt die Härte des “Rechtsstaates” herhalten.  “Keine Toleranz für die,  die nicht helfen wollen”. Schulz hat sich das Motto der Kanzlerin zu eigen gemacht. Dumm nur, das gerade die Vertreter der Regierung von Griechenland-Rettung bis Asylkrise so fast alle Gesetze und Regelungen selbst außer Kraft gesetzt haben.  Eventuell sollten einige mal einen Blick in den Artikel 20 des GG werfen, ganz besonders Herr Schulz, der offensichtlich völlig vergessen zu haben scheint, das Demokratie vom Wettstreit der Argumente lebt und nicht vom bekämpfen der „ Anderen”.  Von der Stigmatisierung die er betreibt,  ist es nicht mehr weit zum nächsten Schritt, an welchen Herr Schulz den Boden der Demokratie verlässt.

Jerzy Zylberg / 11.09.2015

  Sowohl die deutsche Regierung als auch die sog. “Flüchtlinge” brechen rücksichtslos das Recht auf das sich berufen:   “Die Genfer Flüchtlingskonvention Kapitel I., Artikel 2 („Allgemeine Verpflichtungen“) vom 28. Juli 1951 schreibt vor: „Jeder Flüchtling hat gegenüber dem Land, in dem er sich befindet, Pflichten, zu denen insbesondere die Verpflichtung gehört, die Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften sowie die zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung getroffenen Maßnahmen zu beachten“.   In Europa gilt die Dublin Verordnung. Dazu stehen auch Ungarn, Deutschland und Österreich. Das bedeutet: wer in Europa Schutz sucht, muss sich dort registrieren lassen, wo er das Gebiet der Europäischen Union betritt und muss dort auch das Ende des Asylverfahrens abwarten. Von dort darf er nicht weiterreisen. Für die meisten “Flüchtlinge” ist das erste Land der EU entweder Griechenland oder Italien. Ansonsten waren sie vorher in einem sicheren Land: in der Türkei, damit ist ihren Schutz nach der Genfer Flüchtlingskonvention gewährleistet. In die EU dürfen sie in Rahmen eines Anwerbeprogramms für die Arbeitskräfte einreisen. Sonst nicht. Angela Merkel bricht nicht nur das deutsche und das EU Recht, sie missachtet auch die Genfer Flüchtlingskonvention. Eine effektive Hilfe ist nur möglich, wenn die Schutzsuchenden, wie es die Genfer Konvention auch für schutzsuchende Flüchtlinge vorsieht, “die Rechtsvorschriften sowie die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ beachten. “  

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