Der deutsche Zeitungsmarkt ist in Turbulenzen geraten. Der Dumont-Verlag (zum Beispiel Kölner Stadtanzeiger, Kölner Express, Berliner Kurier, Berliner Zeitung, Mitteldeutsche Zeitung, Hamburger Morgenpost) will sich von seinen Zeitungen trennen (siehe hier). Nicht sehr verwunderlich, sind sie doch inhaltlich längst entkernt. Ihre überregionalen Inhalte zu Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport produzieren sie nicht selbst, sondern beziehen sie vom Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Das RND ist die Deutschland-Zentralredaktion des Zeitungs- und Medienkonzerns Madsack.
Der Madsack-Konzern ist Teil des „roten Imperiums“, wie die Neue Zürcher Zeitung schon vor Jahrzehnten das Medienvermögen der SPD nannte. Dieses ist in der Deutschen Druck- und Verlagsgesellschaft (DDVG) gebündelt, einem der SPD zu 100 Prozent gehörenden Unternehmenskonzern. Nicht nur an Madsack, auch an anderen Verlagen hält die DDVG zahlreiche Beteiligungen. Beispielsweise gehören ihr 100 Prozent an der Neuen Westfälischen, 40 Prozent an der Sächsischen Zeitung und 30 Prozent an der Neuen Presse Coburg.
Es ist seit jeher umstritten, wie groß die tatsächliche Macht dieses „roten Imperiums“ ist. Kritiker von Medienbeteiligungen von Parteien verweisen darauf, dass die Eigentumsstruktur naturgemäß Einfluss auf die inhaltliche Ausrichtung von Medien hat. Die SPD verweist hingegen darauf, dass es sich zumeist um Minderheitsbeteiligungen handele, die keinen bestimmenden Einfluss gewähren würden.
SPD: 40 Prozent Stimmrechte an Madsack
Das RND des Madsack-Konzerns ist insofern von besonderer Bedeutung, als es nicht nur Zeitungen des Madsack-Konzerns mit den gleichen überregionalen Inhalten beliefert, sondern auch Zeitungen anderer Konzerne wie des kriselnden Dumont-Verlags. Immerhin rund 50 Zeitungen mit 7 Millionen Lesern versorgt das RND auf diese Weise jeden Tag mit Einheitskost. Das RND übt also „inhaltsbeherrschenden“ Einfluss auf die ihm angeschlossenen Zeitungen aus.
Das RND – das ist zunächst einmal die Chefredaktion. Sie leitet den Redaktionsbetrieb und wählt die angestellten Redakteure und freien Mitarbeiter aus. Die Chefredaktion des RND wiederum wird vom Madsack-Konzern eingesetzt, dessen Geschäftsführung bei der Dr. Erich Madsack GmbH liegt. An ihr wiederum besitzt die SPD/DDVG 40 Prozent Stimmrechte, und es bestehen Anhaltspunkte für eine beherrschende Stellung der SPD/DDVG mit der Gebrüder Gerstenberg GmbH & Co KG. Die Einzelheiten zu den Mehrheitsverhältnissen beim Madsack-Konzern sind in diesem Achgut-Artikel ausführlich dargestellt.
Ob Minderheitsbeteiligung oder beherrschende Stellung – der Einfluss der Eigentümer von Medienunternehmen vollzieht sich natürlich nicht in der Weise, dass sie die (Chef)redaktionen anrufen und ihnen vorgeben würden, was sie zu schreiben haben. Solche Bilder werden lediglich bemüht, um Kritik an möglicher Einflussnahme lächerlich zu machen. Eine Anweisung „von oben“ in Bezug auf ein bestimmtes Thema wäre auch ziemlich wirkungslos. Denn einzelne Artikel (spektakuläre Ausnahmen ausgenommen) zeigen keine messbare Wirkung und sind nach dem Lesen gleich wieder vergessen.
Linientreue und vorauseilender Gehorsam
Auf die grundsätzliche Ausrichtung kommt es an. Und die wird von den Eigentümern der Medienunternehmen vorgegeben. Sie bestimmen die politisch-weltanschauliche Grundausrichtung ihrer Publikationen. Naturgemäß besteht über die Auswahl des Personals die größte Einflussmöglichkeit auf ein Medium.
Bereits bei der Einstellung von Redakteuren werde auf eine gewisse Linientreue geachtet; das führe dann zu einer deutlich geringeren Meinungsvielfalt in der Redaktion. So beschrieb der Medienwissenschaftler Prof. Hans Mathias Kepplinger die Einstellungspraxis der Zeitungen mit SPD-Beteiligung (siehe Focus Nr. 13/2000 vom 27.03.2000, S. 278).
Und der frühere Chefredakteur Timpe von der Neuen Westfälischen (SPD-Beteiligung mittlerweile 100 Prozent) sagte: „Natürlich begegnen einem ganz gewissenhafte Kollegen in der Redaktion, die einen vorauseilenden Gehorsam haben, den die Partei aber gar nicht will, glaube ich.“ (siehe Andreas Feser, Die politische Meinung Nr. 472, 2009, S. 65). Ein gewisse Linientreue und ein gewisser vorauseilender Gehorsam – sicherlich nicht die schlechtesten Voraussetzungen für einen Journalisten, um Karriere zu machen – oder wenigstens nicht seinen Job zu verlieren.
SPD: „Nichts passiert ohne uns“
Auch bei Minderheitsbeteiligungen ist das Machtpotenzial jedenfalls erheblich. In einem Welt-Artikel vom 01.02.2002 heißt es zu den SPD-Medienbeteiligungen: „Ein Vetorecht bei der Bestellung der Geschäftsführer hat die Partei.“ Und die frühere SPD-Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier räumte in diesem Welt-Interview offen ein: „Auch dort, wo wir nur 30 oder 40 % haben, kann in der Regel nichts ohne uns passieren. Doch wir behalten uns nur Einfluß auf den Wirtschaftsplan und die Besetzung der Geschäftsführung vor.“ Und damit eben auf die Auswahl der Chefredakteure (siehe Pressemitteilung von Madsack über die Neuaufstellung der Chefredaktion des RND), die wiederum die niederen Ränge auswählen.
Aber selbst bei nur geringer Beteiligung kann die Machtposition der SPD/DDVG groß sein. Bei der Westfälischen Rundschau hatte die SPD das Vorschlagsrecht für den Chefredakteur, obwohl sie nur mit 13 Prozent beteiligt war (siehe hier). Der Mehrheitsgesellschafter konnte nur zustimmen oder ablehnen.
Es tritt also in den betroffenen Verlagen mit SPD-Beteiligung niemand an die Spitze der Hierarchie, der nicht die Zustimmung des Miteigentümers SPD hat. Der Partei fernstehende Kandidaten dürften folglich eher geringere Chancen haben, und sich vielleicht auch erst gar nicht bewerben, weil sie sich keine Chancen ausrechnen.
Rauswurf widerspenstiger Chefredakteure
Im Zweifelsfall hilft eine entsprechende Vertragsgestaltung: Im Arbeitsvertrag des Geschäftsführers und Chefredakteurs des Stadtmagazins Szene Hamburg, das damals zum SPD-Medienkonzern DDVG gehörte, war laut diesem Focus-Artikel eine Wohlverhaltensklausel enthalten. Demnach hatte der Geschäftsführer die Verpflichtung, aufgrund der Nähe des Gesellschafters DDVG zur SPD deren grundsätzliche Haltung in seiner Arbeit und auch öffentlich zu respektieren. Eine solche Wohlverhaltensklausel sei aber nur mit wenigen Geschäftsführern vereinbart, so der damalige DDVG-Geschäftsführer Walter, und im Geschäftsverkehr üblich, um zu vermeiden, dass dem Ansehen des Arbeitgebers geschadet werde. Und wenn alles nichts hilft, dann hilft gegebenenfalls konsequentes „Personalmanagement“. So zumindest, wenn man den betroffenen Chefredakteuren der beiden nachfolgenden Beispiele Glauben schenken darf.
Beispiel 1: Medienberichten zufolge (siehe hier oder hier) versuchte die damalige SPD-Schatzmeisterin Wettig-Danielmeier 2005, bei der damals zum SPD-Konzern gehörenden Frankfurter Rundschau inhaltlichen Einfluss zu nehmen. Sie beschwerte sich beim damaligen Chefredakteur Storz über die Berichterstattung zum Verhältnis zwischen SPD und Linkspartei und forderte ihn auf, einen in ihren Augen angemessenen Text zum Thema zu veröffentlichen. Storz warf Wettig-Danielmeier daraufhin den Versuch einer redaktionellen Einflussnahme vor, Wettig-Danielmeier entgegnete, seine Einschätzung beruhe auf einem Missverständnis über redaktionelle Unabhängigkeit. Wie auch immer – kurz darauf wurde Storz entlassen.
Beispiel 2: Wie bereits in diesem Achgut-Artikel berichtet, wurde der damalige Geschäftsführer und Chefredakteur von Öko-Test, Jürgen Stellpflug, im Jahre 2018 abberufen. Seiner Darstellung nach geschah dies, weil er sich gegen die von DDVG/SPD gewünschte inhaltliche Neuausrichtung des Verlags stellte. In einem Aktionärsbrief beschrieb er das Agieren der SPD/DDVG als einen derartigen Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit, wie er ihn sich nicht habe vorstellen können (wörtlich: „Mir einen Eingriff vorzustellen, wie er jetzt stattfindet, dafür fehlte mir schlicht die Phantasie“ und das alles erfolge „mit Kenntnis und Billigung seitens der SPD“).
Wo bleibt die Gewaltenteilung?
Nicht immer geht es allerdings um die grundsätzliche Ausrichtung eines Mediums. Auch kleinere „Schusseligkeiten“ können die SPD/DDVG auf den Plan rufen. Als die AfD im Bundestagswahlkampf 2017 Anzeigen in der Hannoverschen Allgemeinen und Neuen Presse (beide Zeitungen gehören zum Madsack-Konzern) in Auftrag gegeben hatte, gingen SPD/DDVG und Madsack auf die „Barrikaden“. Laut MDR-Medienportal (siehe unter „Altpapierkorb“) berichtete Spiegel-Online wie folgt darüber: „Bei Madsack sorgt das seit Tagen für Unruhe. Groß ist der Unmut vor allem bei der DDVG.“ Der Unmut konnte schließlich gedämpft werden. Zwar wurden die Anzeigen nicht storniert, aber mit einer distanzierenden Erklärung der Geschäftsleitung versehen.
Es wäre realitätsfern zu behaupten, die SPD-Beteiligung an Medien, ob nun beherrschend oder nicht, habe keinen wesentlichen Einfluss auf die Berichterstattung. Die Gestaltung von Gesellschafts- und Arbeitsverträgen mit Klauseln und Sonderrechten sowie ein konsequentes „Personalmanagement“ bei Einstellung und Beendigung von Arbeitsverhältnissen sind hilfreich, um Einfluss wahrzunehmen und zu sichern.
Das ist ja grundsätzlich auch das gute Recht eines Unternehmers. Doch die SPD ist kein normales Unternehmen. Sie ist eine politische Partei in Regierungsverantwortung. Und es geht um einen speziellen Markt, den der Meinungsbildung. Bei der SPD stellt sich daher in besonderer Weise die Frage nach dem Einfluss einer politischen Partei auf die Medien, deren Aufgabe doch eigentlich in der unabhängigen Information und Kontrolle über Staat, Politik und Parteien bestehen sollte. Zu recht wird daher gefragt, wie ein Journalist eine Partei unbeeinflusst und kritisch beobachten kann, wenn diese Partei mit seinem Arbeitgeber wirtschaftlich verbunden ist.
Auch frühere Chefredakteure und Medienwissenschaftler sprechen von einer gewissen Linientreue und vorauseilendem Gehorsam der Mitarbeiter. Schon aus Eigennutz werden Journalisten ihre Arbeit entsprechend ausrichten. Was ihnen in Anbetracht ihrer gesellschaftspolitischen Affinität wohl häufig auch nicht schwerfallen dürfte. Selbst Mitarbeiter von SPD-unabhängigen Zeitungen können sich nicht sicher sein, nicht eines Tages zum SPD-Konzern zu gehören. Aktuell könnte dies den Mitarbeitern des kriselnden Dumont-Verlags bevorstehen. Ein anderes Beispiel ist die Frankenpost, die die DDVG zu 100 Prozent vom vorherigen Mehrheitseigentümer übernahm – der Süddeutschen Zeitung. Auch die Frankfurter Rundschau wurde von der SPD/DDVG übernommen (inzwischen nicht mehr im SPD-Portfolio). Und auch mit der als SPD-nah geltenden WAZ-Mediengruppe (früherer Geschäftsführer war noch dazu der frühere SPD-Bundesminister Bodo Hombach) war die SPD/DDVG lange Zeit verbunden.
Es steht nicht drauf, wo SPD drin ist
In den Medien findet eine intensivere Beschäftigung mit den SPD-Medienbeteiligungen nur selten statt (viele Berichte liegen schon 15-20 Jahre zurück). Und wenn die SPD-Beteiligungen schon thematisiert werden, dann werden sie unter Hinweis auf die Kapitalbeteiligung kleingeredet (und die weit höheren Stimmrechtsanteile verschwiegen).
Dem normalen Leser bleibt die SPD-Beteiligung an seiner Zeitung zumeist verborgen. Seit jeher wehrt sich die SPD gegen Forderungen nach einem offenen Ausweis ihrer Beteiligung in der jeweiligen Zeitung. Es steht nicht drauf, wo SPD drinsteckt, könnte man etwas flapsig sagen. Selbstverständlich: Wer argwöhnisch und internetaffin ist und danach sucht, wird im Internet fündig. Doch die wenigsten Bürger kennen überhaupt die DDVG und wissen, dass die SPD auch ein Medienkonzern ist.
Der SPD-Medienkonzern ist ein wichtiger Machtfaktor in der deutschen Medienlandschaft. Dem steht nicht entgegen, dass sich dies derzeit nicht in konkreten Wahlerfolgen für die SPD niederschlägt. Denn natürlich sind Zeitungen nicht der einzige und nicht der wichtigste Einflussfaktor für Wahlentscheidungen.
Zudem lässt sich die Ausrichtung von Zeitungen nicht auf eine konkrete Partei fokussieren. Zeitungen können nicht eine bestimmte Partei „hochschreiben“ (allenfalls das Gegenteil). Sie können grundlegende weltanschauliche Sichtweisen transportieren und das allgemeine Meinungsklima mitbeeinflussen. Das kann dann aber zuweilen auch anderen Konkurrenten mit ähnlichen Politikvorstellungen zugute kommen. So insbesondere CDU und Grünen, die in wesentlichen Fragen weitgehend gleiche Politikvorstellungen wie die SPD haben.
SPD-Kritik wird verschwiegen
Die Auswirkungen sozialdemokratischen Einflusses auf die Berichterstattung hatte einmal der Forschungsdienst Medien-Tenor an einem konkreten Beispiel (Kölner SPD-Korruptionsaffäre) untersucht (siehe hier). Ergebnis: Die Sächsische Zeitung und Hannoversche Allgemeine (beide mit SPD-Beteiligung) berichteten später und kürzer darüber als vergleichbare Regionalblätter, und sie verknüpften ihre Berichte zu 73 Prozent beziehungsweise 62 Prozent mit der CDU-Spendenaffäre, während dies bei der (nicht CDU-nahen) Neuen Ruhr Zeitung nur bei 32 Prozent der Berichte geschah.
Aber man kann auch ein ganz aktuelles Beispiel heranziehen. Die CDU erhebt in Rheinland-Pfalz schwere Vorwürfe gegen die SPD wegen möglicher linksextremistischer Verbindungen. Der CDU-Generalsekretär sagte: „Rheinland-pfälzische Genossen stecken bis zum Hals im Antifa-Sumpf.“ Sicherlich ein Thema von allgemeinem Interesse. Ein paar Zeitungen berichten darüber, wie zum Beispiel die überregionalen Blätter Welt und Junge Freiheit und die Lokalmedien Allgemeine Zeitung (Mainz) und Wormser Zeitung. Zeitungen, die zum SPD/DDVG-Konzern gehören, berichten – soweit ersichtlich – bisher nicht darüber (Stand: 03.03.2019).
Dennoch sind die Zeitungen, an denen die SPD beteiligt ist oder die von SPD-Beteiligungsunternehmen ihre überregionalen Inhalte beziehen, sicher keine klassischen Parteizeitungen im Sinne von Verlautbarungsorganen der SPD. Eher sind sie es im Sinne von Verbreitungsmedien sozialdemokratischer Grundeinstellungen (zumindest solcher, wie sie in der Parteiführung vorherrschen).
Ungeachtet aller jahrzehntelanger Kritik an ihren Medienbeteiligungen und ungeachtet der schweren Krise vor allem der Printmedien hält die SPD dennoch an ihrer Doppelrolle – einerseits politische Partei, andererseits Akteur auf dem Feld der Meinungsbildung – fest. Sicher aus (für sie) gutem Grund. Man mag sich gar nicht vorstellen, wie düster es für die SPD aussähe, gäbe es das „rote Imperium“ nicht, sondern nur die Parteizeitung Vorwärts.