In der multipolaren Weltordnung mit mindestens drei konkurrierenden Weltmächten fehlt nicht nur eine wirksame überstaatliche Ordnung, sondern auch eine geistige Konzeption derselben. Deshalb gilt im Verhältnis der Völker und Staaten wieder mehr und mehr das Gesetz der freien Wildbahn.
Schillers Wort „Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt“ spricht ein Grunddilemma menschlicher Existenz an. Darum suchte der Mensch seit jeher Schutz in der Familie, der Horde, dem Stamm und später dem Staat. Fast jede Ordnung, auch eine gewaltsame, war für die meisten Menschen besser als das schutzlose Ausgeliefertsein im Kampf aller gegen alle auf der sog. freien Wildbahn.
Auch eine Ausbeutungsdiktatur, in der viele über wenige herrschten (der historische Normalfall menschlicher Gesellschaften), war für die meisten Menschen vorzugswürdig, wenn sie klare Regeln bot, bei denen Leib, Leben und Besitz gesichert schienen, solange man sich an diese hielt. Wo starke Führer eine solche Ordnung zu sichern schienen, waren sie auch dann populär, wenn sie ansonsten schlimme Gewaltherrscher waren. Das erklärt die anhaltende Verehrung für Stalin in Russland und das Prestige von Mao Zedong in China.
Die parlamentarische Demokratie westlichen Typs ist der Versuch, die für die gesellschaftliche Ordnung unverzichtbare staatliche Gewalt so zu zügeln und einzubinden, dass sie die individuelle Freiheit möglichst wenig beeinträchtigt. Dieser Versuch ist historisch gesehen ein großer Erfolg. Allerdings ist in den letzten Jahrzehnten die Hoffnung zerstoben, die westliche Demokratie könne sich in der ganzen Welt durchsetzen und quasi zum Universalmodell menschlicher Gesellschaften werden.
Es gibt keine Zentralgewalt
Vor allem aber ist der Versuch gescheitert, über das Völkerrecht und die unterschiedlichsten Formen überstaatlicher Institutionen und Vereinbarungen eine gewaltfreie internationale Ordnung quasi auf freiwilliger Basis durchzusetzen. Es gibt eben keine überstaatliche, die Welt umspannende Zentralgewalt, die in jedem Erdenwinkel ihren Willen notfalls mit Gewalt durchsetzen kann. Darum konnte die 1945 gegründete UNO die in sie gesetzten Hoffnungen niemals erfüllen. Die Welt wurde stattdessen bipolar vom Ost-West-Konflikt dominiert.
Erst 1990 entstand mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion kurzfristig die Hoffnung, mit der USA als einziger verbleibender Weltmacht könne es eine neue unipolare Weltordnung geben. Diese Hoffnung zerstob am 11. September 2001 mit dem Terrorangriff auf das World Trade Center. Heute haben wir eine multipolare Weltordnung mit mindestens drei konkurrierenden Weltmächten: USA, China, Russland – und alsbald wahrscheinlich auch Indien. Es fehlt nicht nur eine wirksame überstaatliche Ordnung, sondern auch eine einigungsfähige geistige Konzeption derselben.
Deshalb gilt im Verhältnis der Völker und Staaten wieder mehr und mehr das Gesetz der freien Wildbahn. Das trifft vor allem jene Staaten und politischen Bündnisse auf dem falschen Fuß, die seit 1990 im Vertrauen auf eine regelbasierte internationale Ordnung ihre militärischen Kapazitäten abgebaut haben. Deutschland steht bei der tatkräftigen Umsetzung dieses Irrtums weltweit an der Spitze. Deshalb ist die Bundeswehr gegenwärtig eine unterfinanzierte Schattenarmee, die zur glaubwürdigen Landesverteidigung nicht mehr fähig ist. So entsteht eine gefährliche Situation, wenn sich die schwächer werdende Weltmacht USA allmählich aus Europa zurückzieht, und dieser Prozess hat offenbar bereits begonnen.
Die Welt schaut zu
So entstehen Konfliktinseln auf der Welt, in denen erneut allein das Recht des Stärkeren gilt. Das bedeutet auch, die Welt schaut zu, und niemand wird dem Unterlegenen wirksam zu Hilfe eilen. Für zwei Konflikte am Rand des westlichen europäischen Kernlands ist dies besonders augenfällig:
Noch 1956 hielten die israelischen Truppen am Suezkanal an, und die britischen und französischen Interventionstruppen zogen sich zurück, als die USA und die Sowjetunion dies so befahlen. Heute kann und wird keine Macht der Welt die Israelis stoppen, wenn sie sich entscheiden, den größten Teil des Gazastreifens ethnisch zu bereinigen, und danach sieht es aus. Keine Macht der Welt wird aber auch Israel zu Hilfe kommen, wenn es irgendwann doch der demografischen Übermacht der Araber erliegen sollte.
Die Ukraine wird vom Westen mit Waffen und Geld, nicht aber mit Soldaten unterstützt. Sollte sie auf dem Schlachtfeld unterliegen, kann Russland mit ihr verfahren wie es will, und im Westen wird sich keine Hand rühren.
Das Recht des Stärkeren regiert erneut die Welt, und im Vergleich zu einem allgemeinen Weltenbrand ist dies vielleicht auch das kleinere Übel.
Dr. Thilo Sarrazin, geb.1945 in Gera, aufgewachsen in Recklinghausen. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Bonn. Er bekleidete zahlreiche politische Ämter und war unter anderem von 2002 bis 2009 Senator für Finanzen im Land Berlin. Sein im August 2010 erschienenes Buch „Deutschland schafft sich ab“ löste eine anhaltende Diskussion aus und wurde zum meistverkauften deutschen Sachbuch seit 1945.

Ebenso ironisch wie fatal: die Westliberals, egal ob in der alten großmäulig-globalistischen Variante oder in der antiwestlich-woken, gehen immer noch von dieser falschen Prämisse einer unipolaren Weltordung aus. Der Westen ist in dieser Perspektive stets für alle Probleme verantwortlich, wie er allein deren Lösung bringen können soll.
“Heute kann und wird keine Macht der Welt die Israelis stoppen, wenn sie sich entscheiden, den größten Teil des Gazastreifens ethnisch zu bereinigen, und danach sieht es aus.” - ich wußte nicht, daß “Hamas-Terrorist” eine Ethnie ist. Wieder was gelernt.
@ Ralf Pöhling: Eine Kraft, welche einen mächtigen Gegner abschrecken will, darf nicht nur ein wilder, unorganiserter Haufen mit einem übrig gebliebenem Rest von (privaten) Waffen sein ... sondern muss organisiert und nach den Regeln moderner Kriegführung, wie ostwärts von uns demonstriert wird, agieren können und WOLLEN. Wenn aber alles Geld verfrühstückt, Wolkenkuckucksheim-Projekte damit zugeschüttet und die ‘Mühsamen und Beladenen’ dieser Welt damit saniert werden sollen, wird das wohl nichts werden.
Wo soll eine überstaatliche Ordnung denn her kommen? Von den Marsianern oder den Klyngonen? Das Recht des Stärkeren gilt, wenn es hart auf hart kommt immer. Wer sollte es ihm nehmen, ohne stärker zu sein? Und wer regiert die Viecher, der Zoodirektor?
” demografische Übermacht der Araber” ? Na - da können wir ja von Glück reden, dass dieses Problem nur Israel hat und auch noch primär außerhalb der eigenen Grenzen ...
Vielen Dank! Herr Sarrazin, mit Verlaub, nicht Fisch, nicht Fleisch. Sie bekommen den Sozialdemokraten nicht aus sich hinaus. Die “geistige Konzeption” kann nur die Demokratie sein, die Souveränität des Individuums, sprich dessen Freiheit. In Deutschland ist also die Demokratie einzuführen. Allerdings geht eher ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass sich ein Soze für die Demokratie, respektive den schlanken Staat, einsetzt. Was Ihre “ethnische Bereinigung” angeht: Wieder pfeilgrad vorbei. Israel geht gegen den Islam vor. Sie können sich das wie seinerzeit vorstellen: da ging es gegen den Nationalsozialismus. Die Islamaraber unterscheidet von den Deutschen, dass erstere ihren Wahn wegen Hirnschwäche nicht loswerden. Deshalb muss man sie loswerden. (Nach Libyen?) Das wäre den Deutschen auch so ergangen, wären sie nicht so klug gewesen, sich dann doch zu ergeben. Das Unwesen des Islam wird sich nicht ergeben. Zu geisteskrank. Das wussten die Länder Europas bis 1683 und Voltaire und Goethe wussten es auch. Bis die Sozen kamen, wusste man es. Wenn die freie Welt sich jetzt nicht prinzipiell und voll und ganz hinter Israel stellt, erhält das Böse (Islam - wer einen Massenmörder und Kinderschänder als Propheten “anbetet”, ist kein Religiöser, sondern ein Lump) Absolution.
Zustimmung.