Thomas Rietzschel / 11.11.2016 / 15:44 / Foto: James Michael DuPont / 5 / Seite ausdrucken

Das Phantom von Washington

Wir reiben uns die Augen, kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus. Unter den deutschen Eliten in Politik und Medien grassiert eine beispiellose Amnesie. Kaum, dass die Amerikaner einen neuen Präsidenten gewählt haben, stellen Minister und Journalisten übereinstimmend fest, dass sie gar nicht wissen, mit wem sie es da zukünftig zu tun haben werden. Als Ursula von der Leyen gestern bei Maybrit Illner sagte, "man kennt ihn quasi nicht", brachte sie auf den Punkt, was wir seit zwei Tagen, nach dem Erwachen aus der ersten Schockstarre, von allen Seiten, aus dem Kabinett und dem Parlament, bei ARD und ZDF, zu hören bekommen: Mein Name sei Hase, ich wohne im Wald und weiß von nichts.

Dabei wussten die unverhofft Ahnungslosen doch vorher, bevor das Unglaubliche geschah, sehr genau, was uns drohen würde, wenn Donald Trump in das Weiße Haus auszöge. Niemand von Claus Kleber bis Caren Miosga, von Sigmar Gabriel bis Claudia Roth, der uns nicht über Donald Trump hätte aufklären wollen, über den Frauen- und Fremdenverächter, über den Nationalisten, den Steuerhinterzieher und den Totengräber der Demokratie, den Verräter aller amerikanischen Werte. Frank-Walter Steinmeier ließ uns an seiner intimen Kenntnis der Persönlichkeit Donald Trumps teilhaben, indem er von dem "Hassprediger" sprach. Und nun? Nun will auch der Außenminister aller Außenminister erst einmal abwarten.

Lieber als dass man sich auf das verlässt, was man gestern noch besser als jeder Amerikaner wusste, gibt man sich jetzt vorsichtshalber ahnungslos, tut so, als würde man verdutzt aus der Wäsche schauen. Wer will sich jetzt schon die nächste Einladung ins Weiße Haus von vornherein verbauen. Und vielleicht ist ja der gewählte Donald Trump auch gar nicht "der" Donald Trump, sondern das Phantom von Washington. Vielleicht aber sind die politischen Wortführer hierzulande zuletzt auch nicht mehr ganz Herr ihrer Worte gewesen. Vielleicht mussten sie einfach Dampf ablassen, um Stimmung gegen einen zu machen, der nicht aus ihrem Stall kommt.

Vielleicht haben sie das Wissen über seine perfiden Absichten schlichtweg vorgetäuscht, sich manches diffamierend aus den Fingern gesogen, weil sie Angst davor haben, dass das amerikanische Beispiel Schule machen könnte. Immerhin hat sich da einer von außen in die Politik gewagt, weil er die Macht der alten Eliten nicht für gottgegeben hält, nicht glaubt, dass man auf das Geschwafel der Parteisoldaten so viel geben muss.

Und damit wenigstens scheint Donald Trump für erste goldrichtig gelegen zu haben, jedenfalls in den Augen der Wähler, während die anderen jetzt nur kleinlaut eingestehen können: "Man kennt ihn quasi nicht." Das ist zweifelsohne unbestreitbar, heißt aber auch, dass alle, die sich heute mit diesem Nichtwissen hervortun, bisher über den zukünftigen Präsidenten der USA nicht mehr zu sagen hatten als der Blinde über die Farbe. Freilich wollen wir hier auch einräumen, dass die Furcht, in der sie sich verhaspelt haben, durchaus begründet sein mag. Gilt doch schon länger und nicht bloß im fernen Amerika: Trump ante portas.

Foto: James Michael DuPont CC BY-SA 3.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Sepp Kneip / 11.11.2016

Hoffen wir, dass auch bei uns bald mal jemand vor der Tür steht, der die politische Landschaft aufmischt und umgestaltet.

Adeo Bernard / 11.11.2016

Noch vollständiger und zutreffender wäre gewesen wenn die verehrte Frau Verteidigungsministerin gesagt hätte: ” Ich kenne ihn nicht, so wie ich auch sonst nicht viel Ahnung von Verteidigung und Kriegen habe, da ich den Beruf der Ärztin und Volkswirtschaftslehre gelernt habe..  Das macht aber insofern nichts, da ich die Generäle habe die mir sagen wie es läuft..” Ich möchte ausdrücklich erklären dass ich überzeugt bin dass unsere Verteidigungsministerin eine ausgezeichnete Mutter, Medizinerin und ein wunderbarer Mensch ist.

Wolfgang Richter / 11.11.2016

Aber sie wissen schon, daß sie ihn an ihre vermeintlichen Werte als Europäer und Demokraten erinnern müssen, die sie selbst im Umgang mit z. B.  Erdowahn und den Duldern einer islamischen Justiz- und Parallelwelt hinter der eigenen Haustür bis hin zur Duldung der Kinderehe ziemlich aus dem eigenen Blickwinkel verloren haben. Wenn das auch dem neuen US-Präsidenten bewußt sein sollte, könnten die ersten persönlichen Treffen für die europäischen Alternativlosen ziemlich ungemütlich werden.

M. Haumann / 11.11.2016

Die “Welt” geht heute schon einen grossen Schritt weiter in “Grenzen dicht? - Wo Europa mit Trump ganz auf einer Linie ist”: im Grunde sei doch ganz Europa, natürlich auch wir, eh für eine sehr restriktive Migrationspolitik und somit gebe es überhaupt keine Differenzen zum neuen POTUS. Unsere Kanzlerin habe doch erst vor kurzem von “Rückführung, Rückführung und nochmals Rückführung” gesprochen, was beweise, sie will doch bereits längst das Gleiche wie er… und wollen nicht sogar SPD und “grüne Spitzenpolitiker” mehr Abschiebungen, wenn man´s genau betrachtet… Da wird einem beim blossen Zusehen der sich in rapider Geschwindigkeit drehenden Hälse schwindelig bis zur Übelkeit.

Immo Sennewald / 11.11.2016

Wer hat eigentlich vor den Wahlen wem nach dem Mund geredet? Die Politiker den linksgrünen Medien oder umgekehrt? Und glaubten etwa nicht alle miteinander an das Eintreffen der von ihnen selbst “inaugurierten” Umfragen? Weiter voran, den Blick fest im statistischen Rückspiegel, während der Karren mit verklebter Windschutzscheibe an Fahrt gewinnt. :-D

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