Rainer Grell / 07.02.2020 / 12:00 / Foto: wikipedia commons / 82 / Seite ausdrucken

Das Phantom von Erfurt

Es gibt ein paar Phantome, die durch die politische Diskussion geistern: Wenn es um die Auslegung von Gesetzen geht, ist es „der Wille des Gesetzgebers“, wenn es um den Islam geht, sind es „die religiösen Gefühle“ der Muslime, wenn es um die Sicherheit Israels geht, ist es die ominöse „Staatsräson“ und wenn es um die Bildung der Regierung nach einer Wahl geht, ist es „der Wählerwille“.

Das Besondere an Phantomen ist bekanntlich, dass sie noch nie jemand zu Gesicht bekommen hat, sodass Zweifel angebracht sind, ob sie überhaupt existieren. Nun kann man über das, was sich in diesen Tagen in Erfurt ereignet, politisch sicher unterschiedlicher Meinung sein. Das bleibt jedem unbenommen. Schließlich haben wir Meinungsfreiheit. Und die gilt auch (und gerade) für besonders abwegige Meinungen.

Doch wer in den Ereignissen einen schweren Schaden für die Demokratie sieht, dem kann man nur empfehlen, einen Blick ins Gesetz zu werfen – in diesem Fall die Verfassung des Freistaats Thüringen vom 25. Oktober 1993. Im Gegensatz zum Grundgesetz wird der „Wählerwille“ in der thüringischen Verfassung sogar erwähnt: Nach Artikel 45 Satz 2 verwirklicht das Volk „seinen Willen durch Wahlen, Volksbegehren und Volksentscheid“. Danach handelt es nur noch „mittelbar durch die verfassungsgemäß bestellten Organe“ der drei Staatsgewalten. In diesem Fall geht es nur um den Landtag und seine Mitglieder, die Abgeordneten.

Ein Musterbeispiel dafür, wie Demokratie funktioniert

Diese „sind die Vertreter aller Bürger des Landes. Sie sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen verantwortlich“ (Artikel 53 Absatz 1), wobei es rechtlich nicht darauf ankommt, ob sie tatsächlich ein solches besitzen. „Der Ministerpräsident wird vom Landtag mit der Mehrheit seiner Mitglieder ohne Aussprache in geheimer Abstimmung gewählt. Erhält im ersten Wahlgang niemand diese Mehrheit, so findet ein neuer Wahlgang statt.

Kommt die Wahl auch im zweiten Wahlgang nicht zustande, so ist gewählt, wer in einem weiteren Wahlgang die meisten Stimmen erhält“ (Artikel 70 Absatz 3). Der Ministerpräsident muss weder der stärksten Partei noch überhaupt einer Partei angehören, noch muss er (ebenso wenig wie der Bundeskanzler) überhaupt dem Parlament angehören.  

Demokratie kommt bekanntlich aus dem Griechischen und bedeutet Volksherrschaft (von „demos“ Volk und „kratein“ herrschen). Und wenn das Volk herrscht, vermittelt durch seine Vertreter, die Abgeordneten, dann können eben solche Ergebnisse wie in Erfurt herauskommen. Sie müssen, wie gesagt, nicht jedem politisch in den Kram passen, aber demokratisch sind sie allemal. Genau genommen ist Erfurt sogar ein Musterbeispiel dafür, wie Demokratie funktioniert.

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Leserpost

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HaJo Wolf / 07.02.2020

“Genau genommen ist Erfurt sogar ein Musterbeispiel dafür wie Demokratie funktioniert.” Und genau das ist Merkels Problem, denn die kadergschmiedete FDJ-Funktionärin und stramme SED-Parteilinienhörige weiß entweder bis heute nicht, was Demokratie bedeutet und wie sie funktioniert oder, und das ist zu vermuten, sie setzt sich skrupellos diktatorisch darüber hinweg. In beiden Fälle gehört Sie umgehend vor Gericht (denn Dummheit und Unwissneheit schützen bekanntlich nicht vor Strafe) und vor allem umgehendestens vom Kanzlersessel entfernt. Diese Person richtet mehr irreparable Schäden an als das ganze NS-Regime (der von ihr nicht nur geduldete, sondern forcierte Einmarsch von Millionen antisemitischer Fundamentalmoslems birgt ein erhebliches Risiko für jeden Juden, der heute wieder in Deutschland lebt) plus die Bomben des WK2. MERKEL MUSS WEG. SOORT. Spätestens seit Ihrer Aufforderung, das MP-Wahlergebnis rückgängig zu machen, ist 20.4 GG gerechtfertigt.

Thomas Weidner / 07.02.2020

Und Merkel nötigt den gerade gewählten Kemmerich direkt und indirekt, hinzuwerfen. Für mich ist das ein Fall für den Staatsanwalt. Aber was bedeuten schon Gesetze in Deutschland, wenn Angehörige bestimmter Gruppen sie brechen…

Rolf Mainz / 07.02.2020

Deutschland unter Merkel ist auf dem Weg von der Demokratie zur “Dämonkratie”.

Marc Blenk / 07.02.2020

Lieber Herr Grell, es handelte sich sogar um eine Sternstunde der Demokratie.

armin wacker / 07.02.2020

Ja genau weil Thüringen ein Musterbeispiel ist, wie Demokratie funktioniert, hat es im Merkel Deutschland keinen Platz.

Jürgen Fischer / 07.02.2020

Herr Grell, wir wissen das ja schon. Aber Frau Merkel weiß es nicht (und wenn sie’s doch weiß, umso schlimmer). Und die BILD. Und der Spiegel. Und ARD und ZDF. Und Annalena. Und Borjans-Dingens. Und Söder. Und wie sie alle heißen. Die lesen alle hier nur heimlich mit, wenn überhaupt. Lernen wollen sie nichts daraus. Reicht ja, wenn sie an ihrer Macht festbappen können. Egal wie.

Detlef Fiedler / 07.02.2020

Alles richtig was Sie schreiben, werter Herr Grell. Doch der reine Wortlaut der Gesetze ist nur das eine. Das andere, worauf es jedoch ausschliesslich und massgeblich ankommt, ist dessen Auslegung und Anwendung. Die deutsche Geschichte hat eindeutig bewiesen, dass man eine Demokratie durchaus mit demokratischen Mitteln aushebeln kann. So lange ist das noch garnicht her. In diesem Falle kann man sich die Gesetzestexte dann anschliessend höchstens noch eingerahmt auf dem Klo aufhängen.

Frank Holdergrün / 07.02.2020

Wenn sich der Wählerwille nicht den Wünschen der großen Kanzlerin unterordnet, ordnet sie einfach das Volk neu. Freund Erdogan mag ihr einige wertvolle Tipps gegeben haben, wie man unliebsame Zeitgenossen und kleine Provinzparteifürsten behandelt, die zu hoch hinaus wollen. Geschossen wird heute auf allen Ebenen, mit Wortwaffen, und hauptsächlich durch die öffentlich-rechtlichen Wortschleudern.

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