Das Parteien-Kartell organisiert wieder Wahlen

Die Anbahnung der Neuwahlen zeigt erneut: Die Parteienpraxis und ihre ungestrafte Missachtung der Verfassung sind intellektuell noch nicht als der Grund des Übels erkannt worden.

Da saßen die vier Fraktionsvorsitzenden der „demokratischen Parteien“ im Deutschen Bundestag wie zu einem Kaffeekränzchen am Tisch des Herrn Bundespräsidenten versammelt. Man tauschte Höflichkeiten aus, lächelte und einigte sich schließlich auf einen Wahltermin, dessen Festlegung und Modalitäten von der der Vertrauensfrage des Bundeskanzlers abhängt. Nicht etwa der Bundeskanzler entscheidet, ob und wann er die Vertrauensfrage stellt und damit die Frist auslöst, in der entweder ein neuer Kanzler gewählt wird oder der Bundespräsident das Parlament zwecks Neuwahlen auflöst, sondern die Fraktionsvorsitzenden jener Parteien im Bundestag, die das Etikett „demokratisch“ für sich beanspruchen. 

Daran ist nicht nur verwunderlich, dass die Fraktionen von AfD und die Gruppe der Linken beziehungsweise die abgespaltene Truppe um Sarah Wagenknecht nicht eingeladen waren. Dies gehört zu den Ausgrenzungsstatiken des politischen Establishments und wird den Zorn auf dasselbe und die Sympathie für extremistische Parteien leider steigern.

Nein, entscheidend war, dass das Schicksal Deutschlands, durch Neuwahlen wieder eine handlungsfähige Regierung mit einer Mehrheit im Parlament zu konstituieren, in den Händen von Parteiführern liegt, die in ihrer Funktion als Fraktionsvorsitzende mehr Macht haben als ein Minister, ja sogar als ein Bundeskanzler. Das parlamentarische Regierungssystem in der Praxis der fortbestehenden Bonner Republik ist ein Parteien-Regime.

Ein Verfassungsstaat wird zur Farce

Dies bedeutet nicht etwa, dass – vermittelt über politische Verbände – der Volkswille in seiner Souveränität zum Ausdruck gelangt und schließlich eine Mehrheit im Bundestag über das Wo und Wie einer handlungsfähigen Regierung entscheidet, sondern dass politische Verbände – als Parteien im Grundgesetz durch Artikel 21 privilegiert und  staatlich finanziert – zu Interpreten des Bürgerwillens geworden sind. Sie und nur sie allein entscheiden über das wann und wie von Neuwahlen. Erst wenn zwischen ihnen ein „Kompromiss“ erzielt worden ist, darf der Bundeskanzler wie ein Figurant in einem von fremder Hand geschriebenem Schauspiel vor das Parlament treten und mit gebührender Höflichkeit sich das Misstrauen aussprechen lassen. 

Dies ist die Praxis eines Verfassungsstaates, der durch die Parteienmacht zur Farce geraten ist. 

Ganz Deutschland rechnet aus, ob es denn für Herrn Merz reichen wird, ob gar die FDP mit entsprechenden Bluttransfusionen es noch einmal in den Bundestag schaffen würde oder ob Herr Merz gar mit den „vernünftigen“ Grünen einschließlich ihrem selbsternannten Kanzlerkandidaten und links-grünen Pastor Habeck eine Koalition „im Interesse des Landes“ wird bilden müssen. Doch über die Verbildungen, ja die Perversionen des Parteien-Regimes und seine maliziöse Potenz, Verfassungsregeln zu brechen wird nirgendwo diskutiert. 

Es besteht indes großer Unmut in Deutschland über das Funktionieren des politischen Systems. Die Parteienpraxis und ihre ungestrafte Missachtung der Verfassung sind intellektuell noch nicht als der Grund des Übels erkannt worden. Doch die Geschichte wird die Parteien zu richten wissen.

Dr. jur. Markus C. Kerber ist Professor für Finanzwissenschaft und Wirtschaftspolitik an der Technischen Universität Berlin. Er gründete das Institut für Verteidigungstechnologie, Militärökonomik und Geopolitik (www.ivsg.de) und den Thinktank Europolis.

Der Verfasser ist Autor der Schrift „Führung und Verantwortung: Das Strategiedefizit Deutschlands und seine Überwindung“, die hier im Achgut-Shop erworben werden kann.

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Foto: Montage achgut.com

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Arnold Balzer / 21.11.2024

@ Redaktion, habt ihr das schon mitgekriegt? A bissel off-topic, aber trotzdem zum Thema Neuwahl:  Zwei Märchenerzähler unter sich! Die Berliner Zeitung meldet, dass der unrasierte Wuschelkopp den Geschichten erfindenden Fake-news-Journo des norddeutschen “Nachrichten”-Magazins in sein Wahlkampf-Team holt! LOL Gleich und gleich gesellt sich gern.  :-D

Holger Chavez / 21.11.2024

@ Gustav Kemmt. Sie schreiben:“Danke! Demokratie funktioniert nur (!) über das Mehrheitswahlrecht. Denn dann erst sind die Wahlstimmen gemäß Verfassung ‘gleich’ und ‘direkt’! (Neben ‘allgemein’, ‘frei’ und ‘geheim’) Das sogenannte Verhältniswahlrecht ist von vornherein verfassungswidrig.” Wieso das Verhältniswahlrecht verfassungswidrig sein soll, erschließt sich mir nicht. Überhaupt, schauen Sie nach GB, was das Mehrheitswahlrecht anrichten kann. Die Bürger haben Parteien gewählt, der Direktkandidat war ihnen ziemlich egal. Dadurch, daß die Farage-Partei den abgewirtschafteten Konservativen die Stimmen “geklaut” hat, konnte Labour seinen Erdrutschsieg feiern. Hätte eine absolutes Mehrheitswahlrecht, wie in Fkr geholfen? Auch beim zweiten Wahlgang dort haben die Bürger primär nicht Kandidaten, sondern Parteien gewählt. Die Empfehlung sämtlicher etablierter Parteien, auf keinen Fall das Rassemblement zu wählen, führte zum Sieg der Linken. Sind die Bürger also zu dämlich? Sicher, sie wählen bisher im Zweifel die Exorzisten. Doch das Motiv dahinter ist richtig: Mit der Parteienwahl will man Berechenbarkeit wählen. Man möchte einigermaßen wissen, was die Parteien nach der Wahl so veranstalten. Daß die Versprechungen gebrochen werden, daß unser zukünftiger Kanzler Schmerzel (aus Scholz, Merz und Merkel) den Untergang perpetuieren wird, liegt im Ermessen des Wählers und ist nicht Schuld des Verhältniswahlrechts.

A. Ostrovsky / 21.11.2024

@Stefan Riedel : >>Also Preußisch auf gar keinen Fall? Und die “DDR” war kein bisschen preußischer Kommunismus? Das Paradies auf Erden?<< ## Herr Riedel, wenn das wieder so eine anonyme Frage an mich sein soll, etwa im Stil des Lutz H., muss ich leider mitteilen, dass ich die Frage nicht verstehe, bzw. nicht erkennen kann, wieso sie mich danach fragen. Ich kenne Ihre Probleme mit der DDR nicht. Bei mir berühren die Probleme, die ich mit der DDR2.0 habe, eben auch das Preußische, Kriegstreiberische. Military Madness ist eine Weiterentwicklung des Preußischen, wenn man die Marschmusik weglässt. Das kann ich gar nicht ertragen. Die denken anders als ich. Das muss Ihnen nichts bedeuten, weil Sie ja bekanntermaßen auch anders denken als ich. Das ist in dem Schachspiel zwischen Ihnen und mir ein Patt. Wir sind dazu verdammt, nicht siegen zu können. Denken Sie mal darüber nach, wieviel Preußen in Ihnen ist. Kürzlich habe ich geschrieben “Uran ist Leben, meistens das Leben der Anderen”. Schade, dass Sie das zwar als Ansatzpunkt nutzen, aber den Sinn nicht begriffen haben. Der erzgebirgische Volksdichter Arthur Schramm, verdienter Aktivist der SDAG Wismut, hatte geschrieben “Was leuchtet aus dem Wald heraus? Das Bergarbeiterkrankenhaus!” Und der hatte das “fortschrittlich” gemeint, nicht als böse Satire. Daran muss ich immer denken, wenn ich Ihre Gedanken über Atomkraft hier lese. Preußisch hat mit Wirtschaft gar nichts zu tun, nur mit Ideologie, Überzeugungswahn, militärischem Gebrüll und Unlogik. Wirtschaft gibt es in Preußen nicht. Dort hat man einen gesetzlichen Anspruch oder eben nicht, das ist alles. Und manche bilden sich den Anspruch ganz stark ein. Und danach richtet sich die Logik des Denkens, mit der ich keinen Frieden schließen werde.

Wolfgang Richter / 21.11.2024

“dass die Fraktionen von AfD und die Gruppe der Linken beziehungsweise die abgespaltene Truppe um Sarah Wagenknecht nicht eingeladen waren.” - Wenn die Humor haben, sich dafür revanchieren und ein Interesse, “BlackRockFritze” zumindest vorerst zu verhindern, dann “entlassen” sie in gut 3 Wochen “CumExOlaf” halt nicht in die politische Bedeutungslosigkeit.

Stefan Riedel / 21.11.2024

Also Preußisch auf gar keinen Fall? Und die “DDR” war kein bisschen preußischer Kommunismus? Das Paradies auf Erden?  “Das Leben der anderen”, immer noch ein sehenswerter Film! Also “DDR"2 auf keinen Fall, Bodo, Sarah, Gregor, Robert,... und an alle preußischen Planwirtschaftler!

Karl-Heinz Böhnke / 21.11.2024

Weder der Kanzler noch Parteien haben etwas zu sagen, denn bestimmen in und über Deutschland tun Mächte außerhalb. Es geht nur darum, das Volk wenigstens einen Rest der schon immer vorgegaukelten Demokratie glauben zu halten. Es gibt vielleicht und hoffentlich zwischen Deutschland und Rußland aus Annäherungszeiten noch immer wirkmächtige Drähte, die es endlich zu zerschneiden gilt. Möge uns Gott diese erhalten, die Mehrheit der Deutschen werden dies nicht tun.

Dieter Helbig / 21.11.2024

Na klasse! Der Ausgrenzer mäkelt über Ausgrenzung. Vielen Dank von einem Ausgegrenzten.

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