Die mediale Empörung über den Eskapismus der Intendantin Schlesinger übertönt mühelos das betretene Schweigen der Politik.
Na, sind Sie auch empört? Schauen Sie auf das praktische, aber schnöde Klicklaminat in Ihrem Büro und fragen sich, wie dort wohl doppelt geöltes italienisches Parkett wirken würde? Betrachten Sie die vierteljährlichen Abbuchungen des Beitragsservice von Ihrem Konto und fragen sich, was denn nun besser für Sie ist, seit diese „Demokratieabgabe“ nicht mehr GEZ genannt werden will? Der RBB hat jedenfalls einen veritablen Shitstorm am Hals und die Stimmung im Sender könnte frostiger kaum sein, seit der Eskapismus der Intendantin Patricia Schlesinger zur Kenntnis der Öffentlichkeit gelangte. Und dieser Öffentlichkeit fühlt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk laut Satzung bekanntlich verpflichtet. Der Zorn vieler Mitarbeiter des Senders auf ihre nun ehemalige Chefin und die Leitung ganz allgemein ist jedenfalls verständlich und authentisch.
Man merkt Moderatorin Sarah Oswald in der Abendschau vom 8. August 2022 die Empörung darüber an, dass man am Ende selbst vom Rücktritt Schlesingers erst aus anderen Medien erfahren musste. Der Beitrag ist den Mitarbeitern sicher nicht leichtgefallen und man erkennt den (freilich mangels umfassender Informationen nicht ganz geglückten) Versuch, sich an die Spitze derer zu stellen, die auf den Filz im Sender einprügeln. Vergleichbar der Aufklärung des Relotius-Skandals beim Spiegel, als die Hamburger eilig und mit großer Detailversessenheit das Publikum unter einer Flut von Selbstbezichtigungen und Erklärungen zu begraben versuchten, sodass sich viele Kritiker und Leser fragten, was sie überhaupt noch dazu sagen sollten. Doch im Fall Schlesinger ist die Salami noch nicht zur Gänze aufgeschnitten, immer weitere Details kommen ans Licht, immer unverschämter wirkt der Griff der Chefetage in die Gebührenkasse.
Viel ist zu hören von Transparenz, dass alles auf den Prüfstand müsse, und „rückhaltlose Aufklärung“ muss gerade im Sonderangebot sein. Und doch wird nach meiner Einschätzung insgesamt nichts passieren, rein gar nichts! Man wird sich noch eine Weile an Schlesinger abarbeiten und dann zur Tagesordnung übergehen. Und die ist trist, denn die Welt des ÖRR ist eine ausgeprägte Klassengesellschaft, in der „unten“ durch prekäre Beschäftigung als „feste Freie“ und „oben“ durch sechsstellige Jahresgehälter, Boni und Pensionsansprüche auf dem Niveau von Verfassungsrichtern und Kanzlern definiert ist. Neben den Personalkosten, zu denen natürlich auch die Pensionen gehören, bleibt kaum Geld für den eigentlichen Auftrag, das Programm. Und während Mittelkürzungen den Programmbetrieb ausdünnen, ist für Schlesingers 15.000 Euro Pension gesorgt. Über eine Abfindung wird wohl noch zu reden sein.
Die Politik hat zur Geldverschwendung wenig zu sagen
Viel interessanter als die Frage, ob die Untreue sich in der Summe noch ausweitet oder wer nun medial auf den RBB im Speziellen und den ÖRR im Allgemeinen einprügelt, ist jedoch, wer sich mit Kommentaren und moralischen Statements auffallend zurückhält: die Politik. Von Frau Giffey, einer der beiden Viertelfürsten des RBB-Sendegebiets, kommt die dürre Nachricht, sie begrüße den Rücktritt Schlesingers. Woidke, der Ministerpräsident Brandenburgs, sagt besser gleich gar nichts. Käme wohl auch nicht sehr glaubwürdig rüber, wenn Politiker sich über die Geldverschwendung im ÖRR mokieren würden. Denn wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Flughafen auf die Erweiterung des Kanzleramts.
Wegen einer schlappen verschwendeten Million Euro Steuergeld öffnet der deutsche Spitzenpolitiker von heute nicht mal den oberen Hemdenknopf! Da werden Milliarden verpulvert für später weggeworfene Impfstoffe, Prestigebauten zweifelhaften Nutzens wie Stuttgart21 in die Erde gerammt, zur Hebung der Moral Geldvernichtungsprogramme wie „Demokratie leben“ finanziert und für 600 Millionen Euro die Vergrößerung des Kanzleramts in den Sand der Spree gerammt.
Auch dies alles Spielereien, die jenseits des Auftrags liegen und Steuergelder von dort abziehen, wo sie dringender gebraucht werden. Etwa bei der Instandsetzung unserer maroden Infrastruktur, im Gesundheitswesen oder im Schulsystem. Den Impuls vieler Bürger, dem Treiben am liebsten in toto ein Ende zu machen und sowohl Politiker als auch den ÖRR in die Wüste zu schicken, begegnet man durch gut eingeübtes Framing. Wer solche Gelüste habe, sei natürlich rechts und habe mindestens gedanklich ein Führerportrait über dem Kamin. Wie lange sich die Bürger von derlei Anschmutzungen noch einschüchtern lassen, wird der Herbst zeigen, wenn neben den ÖRR-Abschaffern auch die „Covid-Extremisten“ und die „Energie-Nazis“ auf die Barrikaden steigen.
Immer auf Linie, immer auf der Seite der Macht
Ich erinnere mich nicht mehr an den Anlass des Tweets, aber der zwei Jahre alte Spruch Böhmermanns kam mir gerade wieder vor Augen. „Der Staat hat sich aus dem staatsfernen öffentlich-rechtlichen Rundfunk herauszuhalten“ forderte der ZDF-Prinz, und wer wollte ihm da widersprechen? Doch was ist mit dem staatsnahen ÖRR, der sich gern sogar staatstragend gibt und sich wie ein Personenschützer vor jede Kritikerkugel wirft, die auf die Verwerfungen des politischen Systems abgefeuert werden? Oder dem ÖRR, der sich immer wieder mit Begeisterung in die Nähe des Staates begibt, immer auf Linie, immer auf der Seite der Macht? Unvergessen ist beispielsweise die aufgelöste Begeisterung der zukünftigen RBB-Chefin Tina Hassel, wenn sie das längere Streichholz gezogen hatte und von grünen Parteitagen berichten durfte.
Wenn es wahr ist, dass unser Land längst zur Beute der Parteien geworden ist – und wer außer den Parteien zweifelt daran –, ist von den Kontrollinstanzen der ÖRR-Sender, den Rundfunk- bzw. Fernsehräten, nichts zu erwarten. Denn dort sitzen Parteien, Kirchen, NGOs und Lobbyverbände. Nur Zuschauer und Beitragszahler kommen im eigentlichen Sinne nicht vor. Und so beugt sich das Programm eben den politischen „Erfordernissen“ und nicht den Bedürfnissen derer, die es mit ihren Zwangsgebühren finanzieren. Selbst noch im oben erwähnten Selbstbezichtigungsstück in der „Abendschau“ wird gegendert, was das Zeug hält. Dass die überwältigende Mehrheit seiner Zuschauer dies ablehnt, spielt für den Sender keine Rolle.
Die ÖRR-Sender als deutsches Politiksystem im Miniaturformat
Die ÖRR-Sender erscheinen als deutsches Politiksystem im Miniaturformat – wobei ich bezüglich des tatsächlichen personellen Dimensionsunterschied nicht ganz sicher bin. Man teilt den Hang zu Selbstüberschätzung, Selbstbedienung und Opulenz, man teilt auch Feindbilder und Kompetenzlevel. Letztere kann man etwa am Zustand der Energiewende und des RBB exemplarisch vergleichen.
Bestand haben am Ende nur die Paläste, die man sich zum eigenen Genuss errichtet. Wir dürfen davon ausgehen, dass das hochwertige Parkett in Schlesingers Büro lange halten und künftig so manches trotzige Aufstampfen angesichts frecher Demonstrationen oder Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz durch die Unbelehrbaren überdauern wird. Bei der Erweiterung des Kanzleramts werden sicher ebenfalls nur die edelsten Materialien zum Einsatz kommen. Die Empörung über die Erweiterung ist bekanntlich nie über ein sanftes mediales Gegrummel hinausgelangt, vergleichbar dem kaum vernehmbaren Grummeln der Politik in der Causa Schlesinger.
Und noch eines teilen sich die RBB-Rundfunker aus der 13. Etage mit ihren politischen Stichwortgebern: einen ausgesprochen schlechten Sinn für Form und Stil. Vom erstklassigen italienischen Parkett mal abgesehen, verströmt das Schlesinger-Büro kaum mehr Esprit als das Haus eines SED-Bonzen in Wandlitz, während die Erweiterung des Kanzleramtes den Anschein erweckt, noch von Albert Speer braunen Angedenkens gezeichnet worden zu sein.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf Roger Letschs Blog „Unbesorgt“.