Markus Somm, Gastautor / 11.02.2018 / 06:21 / 32 / Seite ausdrucken

Das Panikorchester spielt auf zum letzten Tanz

Es ist inzwischen fast fünf Monate her, dass die Deutschen ein neues Parlament gewählt haben, und endlich, seit vergangenem Mittwoch, scheint eine neue Regierung in Sichtweite gerückt zu sein. Als dieser vorläufige Abschluss der Koalitionsverhandlungen an einer Pressekonferenz in Berlin verkündet wurde, wirkte Angela Merkel (CDU) neben ihren neu-alten Koalitionspartnern Horst Seehofer (CSU) und Martin Schulz (SPD) so, wie ihre ganze, langjährige Regierungstätigkeit wirkt: vollkommen erschöpft, ratlos, gelangweilt, ohne jeden Enthusiasmus.

Warum hängt diese Kanzlerin derart an der Macht, wozu will sie regieren, wenn es doch so weh tut – und sie nie erkennen lässt, dass es irgendein politisches Anliegen gäbe, das ihr heilig ist, das sie noch durchsetzen muss, um in Ruhe abzutreten, und vor allen Dingen: das unverhandelbar wäre?

Mit einem Federstrich hat Merkel, eine der größten Wahlverliererinnen in der Geschichte ihrer Partei, so gut wie jedes wichtige Ministeramt der politischen Konkurrenz überlassen: Außenminister sollte das politische Genie Martin Schulz werden, jener Vorsitzende mithin, der die SPD zum schlechtesten Wahlresultat seit dem Zweiten Weltkrieg geführt hat; als Finanzminister ist Olaf Scholz im Gespräch, ebenfalls ein Mann der SPD, das Innenministerium geht an die CSU, besser: an Horst Seehofer, dem man in München eben das bayerische Ministerpräsidentenamt entrissen hat, unter anderem wegen hartnäckigen Übersitzens.

Zwar wurde am Freitagnachmittag überraschend bekannt, dass Schulz nun doch nicht Außenminister werden möchte – zu groß war der Widerstand innerhalb seiner eigenen Partei –, was aber nichts daran ändert, dass die SPD das Auswärtige Amt beanspruchen darf. Merkels Konzessionen an die Sozialdemokraten bleiben von dieser Personalie unberührt: eine deroutierte CDU verzichtet auf das Äußere, die Finanzen und das Innere.

Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!

Es sind dies – neben dem Kanzleramt – die drei zentralen Positionen einer modernen Regierung in Europa. Hier wird die Europapolitik gemacht (Auswärtiges Amt, Finanzen), faktisch die Wirtschafts- und Euro-Politik (Finanzen) und drittens die Immigration und die innere Sicherheit gestaltet (Inneres), also jene Themen, in denen Merkel spektakulär gescheitert ist, und die darüber entscheiden, ob es in wenigen Jahren überhaupt noch eine CDU gibt, sprich: eine bürgerliche Alternative zur rechten Alternative für Deutschland, der AfD, jener Partei, die eigentlich die Wahlen gewonnen hat.

Ein Kabinett der Verlierer. Selten konnte man erleben, was heutige Berufspolitiker am meisten zu beschäftigen scheint: Es ist nicht die Politik oder gar ein weltanschauliches Anliegen, es ist kaum je das Wohl des eigenen Landes oder die Wünsche, Sehnsüchte und Erwartungen der Wähler und Bürger, noch sind es die Interessen der eigenen Partei: Was moderne Berufspolitiker am meisten bewegt, so muss man annehmen, ist das eigene persönliche Fortkommen.

Ein Pferd! Ein Pferd! Ein Königreich für ein Pferd!, rief Richard III. bei Shakespeare auf der Flucht, als es um Tod und Leben ging. Ein Amt! Ein Amt! Mein Land, die Partei, meine Überzeugung für ein Amt, riefen Merkel, Schulz und Seehofer, auf der Flucht vor dem Wähler, der sie in die Wüste geschickt hatte. Um ganz persönliche Lebensentwürfe ging es in Berlin, nicht um Politik.

Karrieren, Katastrophen, Schulz

Wie anders ist zu erklären, dass ein Mann wie Martin Schulz, den ich durchaus für einen Überzeugungstäter halte und der mir nicht unsympathisch ist in seiner alt-sozialdemokratischen Teddybärenhaftigkeit, dass ein solcher Mann sich auf eine solche Regierung einlässt? Nach dem für ihn und seine SPD katastrophalen Wahlergebnis im vergangenen September handelte er noch nachvollziehbar, ja ehrenhaft: Er schloss eine erneute Koalition mit der CDU/CSU aus, und vor allem sagte er tapfer und trotzig, er würde nie, nie, nie, nie in einer Regierung von Bundeskanzlerin Merkel Platz nehmen. Ein paar Wochen später brach er das erste Versprechen, und schließlich auch das zweite.

Am Freitag stellte er sich zum dritten Mal auf den Kopf. Ein paar Tage Rumoren in der Partei, ein bösartiges Interview seines Vorgängers (und amtierenden Außenministers) Sigmar Gabriel, der ihm vorhielt, ein weiteres Versprechen nicht eingehalten zu haben, genügten, um Schulz ins politische Nirwana zu spedieren. Um Außenminister zu werden, hatte er den Parteivorsitz bereits an die Linke Andrea Nahles weitergereicht, zurzeit steht er mit anderen Worten ohne Hemd und Kragen da. Mit Schulz zu verhandeln, muss ein Vergnügen sein. Karriere vor Politik, auch bei Merkel.

Oder wie anders zu erklären ist der Umstand, dass Merkel ihrer Partei die mächtigsten Ministerposten vorenthält, allein um sich selber im Kanzleramt zu halten? Ist das wirklich im Interesse eines bürgerlichen Deutschland, also im Interesse jener bürgerlichen Wähler, die die CDU unterstützt haben? Ein SPD-Finanzminister, auch wenn Scholz eher dem rechten Flügel zuzurechnen ist, wird sich den Versuchen der Lateiner in der Eurozone (Frankreich, Italien), die Schulden zu „vergemeinschaften“, kaum widersetzen.

Eine schnurrende Hauskatze im Finanzministerium

Wolfgang Schäuble, der alte Finanzminister der CDU, hat dagegen stets wie ein Löwe gekämpft. Nun sitzt eine schnurrende Hauskatze im Finanzministerium, die aus sozialdemokratischer Überzeugung die Deutschen endgültig zum Supernettozahler der EU machen wird. Vergemeinschaften? Ein scheinbar schönes, edel klingendes, bürokratisches Wort, das auf Deutsch nur eines heißt: Die Deutschen zahlen die Rechnung. Bitte reichen Sie sie noch heute ein.

Jean-Claude Juncker, der glücklose Präsident der EU-Kommission, der im Hintergrund von einem deutschen, ausgesprochen europhilen Kabinettschef geführt wird, freut sich bereits öffentlich: Noch nie habe ein Land in seinem Regierungsprogramm (dem Koalitionsvertrag) „Europa" so oft erwähnt. Ich habe nicht nachgezählt, aber laut NZZ soll das Wort 312 mal vorkommen.

Vielleicht wird Europa gar häufiger genannt als Deutschland. Sicher aber freut sich Juncker, der Ahnungslose, ohne Grund. Im Gegenteil, wäre er klug, würde er sich Sorgen machen. Denn selbst die Deutschen, die aus schlechtem Gewissen für die Verbrechen ihrer Urgroß- und Großeltern vieles für Europa tun und geduldig jede Rechnung begleichen, selbst die Deutschen könnten einmal auf den Gedanken verfallen, dass Europa ihrem Land viel abverlangt – und wenig bringt.

Eine Politik, als wolle sie die CDU auflösen

Man kann die Deutschen auch überfordern, indem man ihnen alles zumutet, was niemand sonst übernähme, man kann ihre etwas romantische Zuneigung zur EU so lange missbrauchen – bis der europhile Enthusiasmus von einem Tag auf den andern zusammenbricht und die Stimmung auf immer kippt. Wie so oft, wenn Politiker von hohen Zielen und guten Absichten reden, erreichen sie meistens das Gegenteil dessen, was sie angestrebt haben.

Merkel hat mit ihrer Energiewende den Klimawandel aufhalten wollen und erreicht, dass die Kohle wieder vermehrt den deutschen Strom produziert. Merkel hat Flüchtlinge willkommen geheißen und wurde dafür vom Wähler faktisch aus dem Amt verabschiedet. Merkel gibt vor, etwas für Europa zu tun, und sie überspannt den Bogen derart, dass sie am Ende als jene Kanzlerin in die Geschichte eingehen wird, die wie keine andere die Deutschen von der EU entfremdet hat. Merkel behauptet, sie sei Mitglied der CDU, tatsächlich betreibt sie eine Politik, als wollte sie die CDU auflösen.

Es dürfte das letzte Kabinett Merkel sein, das sich, so hört man, nach Ostern offiziell an die Arbeit macht. Es ist unbeliebt bei der CDU, es ist unbeliebt bei der CSU, es ist unbeliebt bei der SPD. Nur Neuwahlen sind unbeliebter. Ein Panikorchester spielt auf zum letzten Tanz.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der Basler-Zeitung

Foto: Boston Traveller/ Harry Trask/AP via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Matthias Thiermann / 11.02.2018

Wäre ich so blöd gewesen die CDU / CSU zu wählen, ich würde mir leicht veräppelt vorkommen bei dem Kabinett. Gibt’s denn kein Rücktrittsrecht von der Stimmabgabe bei der Wahl?

Uta Buhr / 11.02.2018

Danke Herr Somm, wie üblich glaskar formuliert. Völliges Einverständnis.

Gerd Koslowski / 11.02.2018

„Alles was die Sozialisten vom Geld verstehen, ist die Tatsache, dass sie es von anderen haben wollen.“ Konrad Adenauer. Ich bin ein großer Fan Europas, aber nicht der aktuellen EU, mögen Österreich und die Osteuropäer weiterhin standhaft die westliche Zivilisation verteidigen. Ein SPD-Innenminister vom Format eines Otto Schily würde mir etwas Zuversicht geben, das aktuelle Bundesministerpersonal finde ich ziemlich schaurig.

Werner Arning / 11.02.2018

Das Motto der EU und von Junker dürfte lauten : Wir melken diese Kuh (Deutschland), solange sie Milch gibt. Danach wird man sehen. Merkels Motto könnte lauten : Ich treib es bunt, solange sie mich lassen. Die Flüchtlinge dürften mitnehmen, was sie kriegen können. Die Grünen finden alles fantastisch. Wird doch Deutschland mächtig der Garaus gemacht. Und die SPD möchte ihre letzten Jahre noch mal so richtig genießen. Der paralysierten CDU steht vor Staunen der Mund offen und die CSU hat sich wohl innerlich schon aus dem Politikbetrieb verabschiedet. Das alles hat was von Endzeitstimmung. Wir spüren es. Es wirkt fast gespenstisch. Wie konnte es soweit kommen? Diese Frage wird demnächst wohl häufiger gestellt werden.

Dietrich Martin Schilling / 11.02.2018

Sollte diese Groko wirklich,nachdem sie von den SPD Mitgliedern ernannt wurde (und nicht vom deutschen Wähler) ,ihre Tätigkeit aufnehmen wird sie garantiert keine 4 Jahre durchhalten,darauf halte ich jede Wette.

Thomas Weidner / 11.02.2018

Ich frage mich wieder und wieder: Warum tritt jemand in eine Partei ein? Weil sie - Merkel - mit den Inhalten dieser Partei nichts anfangen konnte? Weil sie die Partei radikal verändern möchte? Warum - insbesondere im letzten Fall - obwohl es schon andere Parteien gibt, welche der eigenen politischen Anschauung wesentlich besser entsprechen?!? Weil der de Misere-Clan Merkel unbedingt in der CDU haben wollte? Oder weil es eine “mission” zu erfüllen gab?

Rudolf Stein / 11.02.2018

“Warum hängt diese Kanzlerin derart an der Macht, wozu will sie regieren, wenn es doch so weh tut – “? Die Antwort ist ganz einfach: weil sie nichts Ordentliches gelernt hat. Physikerin? Dass ich nicht lache. Sie hätte doch die Gelegnheit gehabt, 19 90, wie tausende ihrer Fachkollegen auch, ihr Fachwissen zu beweisen und damit in Lohn und Brot zu gehen oder, noch besser, selbständig zu werden. Nichts davon hat sie gemacht. Dafür ist sie in die Politik gegangen, wo niemand nach ihrer fachlichen Qualifikation fragt.  Absicht?

Rudolf George / 11.02.2018

Bei aller Kritik, die Frau Merkel verdient hat, sollte man es aber auch nicht übertreiben. Die CDU ist an ihrem Niedergang selbst schuld; keiner hat diese Partei gezwungen, sich aller Prinzipien zu entledigen und ihr Schicksal an Angela Merkel aufzuhängen. Die Entkernung der Partei stieß nicht auf allzu viel Widerstand: Angela Merkel hat das nicht allein veranstaltet.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Markus Somm, Gastautor / 03.02.2020 / 08:56 / 122

Singapur an der Themse - Morgendämmerung einer neuen Epoche

Woran manche nie geglaubt hatten, ist nun wahr geworden: Grossbritannien tritt aus der Europäischen Union aus, und es handelt sich wohl um das folgenreichste historische…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 13.01.2020 / 06:25 / 94

Trump hat alles richtig gemacht

Nachdem die Amerikaner General Qasem Soleimani, einen der höchsten Militärs des Iran, und dessen terroristische Helfershelfer in Bagdad getötet hatten, wurde da und dort bereits…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 06.11.2019 / 17:00 / 17

Ein Schweizer Blick auf blühende Landschaften

Vor einer Woche wurde in Thüringen, einem ostdeutschen Bundesland, der Landtag neu bestellt – und seither wartet man auf eine Regierung, weil die Bildung einer…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 12.03.2019 / 06:15 / 48

Die Besserwisser wissen nichts

In einer Studie hat der The Atlantic, eine berühmte, linksliberale Zeitschrift, versucht, das Ausmaß oder je nach Standpunkt: das Elend der politischen Polarisierung in den USA auszumessen. Dass dieses…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 05.11.2018 / 12:00 / 17

Bescheiden an der Macht kleben

Heute vor einer Woche hat Angela Merkel, die deutsche Bundeskanzlerin, angekündigt, dass sie den Vorsitz ihrer Partei, der CDU, aufzugeben gedenke, wenige Stunden später standen drei…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 25.09.2018 / 06:20 / 59

Strafe Britannien, erziehe Resteuropa

Dass England das Land von Shakespeare ist, lässt sich vielleicht am besten erkennen, seit Großbritannien versucht, mit der EU den Brexit auszuhandeln, den Austritt aus…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 09.09.2018 / 11:00 / 42

Der letzte macht das Licht aus in der Villa Kunterbunt

Als ich ein Knabe war, in den damals endlos glücklich scheinenden 1970er-Jahren, gehörten die Pippi-Langstrumpf-Filme zu den Höhepunkten der Freizeitbeschäftigung in unserer Familie und Nachbarschaft.…/ mehr

Markus Somm, Gastautor / 27.08.2018 / 06:07 / 16

Die sieben Leben des Donald Trump

Ist das der Anfang vom Ende der Präsidentschaft von Donald Trump? Ohne Zweifel sieht es nicht gut aus. Seit letzte Woche sein einstiger Anwalt und Mann…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com