Alexander Wendt / 03.07.2018 / 14:00 / 5 / Seite ausdrucken

Das Messer auf der Fensterbank

Gestern nahm die frisch gegründete „Bayerische Grenzpolizei“ mit Hauptquartier in Passau ihre Arbeit auf. Die Grenzpolizei gehört zu den Innovationen von Ministerpräsident Markus Söder. Das heißt, ganz neu ist die Truppe nicht.

Dass die Landespolizei in Bayern bei der Grenzsicherung helfen darf, stand schon im alten Polizeiaufgabengesetz, und eigentlich sichern die Grenzpolizisten auch nur den Raum hinter der Grenze, aber das tat die Landespolizei bisher auch schon. Neu ist genaugenommen nur der Name „Grenzpolizei“, die als eigenen Einheit einem neuen Chef unterstellt ist: Alois Mannichl, 62. Dem einen oder anderen dürfte der Name bekannt vorkommen. War da nicht etwas?

„Am Abend des 13. Dezember 2008 stach ihn ein Unbekannter vor seinem Wohnhaus in Fürstenzell mit einem Küchenmesser nieder und verletzte ihn schwer“, schreibt der Tagesspiegel über den neuen bayerischen Grenzschützer: „Dabei soll er zu Mannichl gesagt haben: ‚Schöne Grüße vom nationalen Widerstand. Du trampelst nicht mehr auf den Gräbern unserer Kameraden herum.’“Der „Tagesspiegel“ rekapituliert außerdem die Lage von damals, angereichert mit Zeitgeschichte: „In ganz Deutschland waren die Menschen entsetzt: verübten Neonazis nun Mordanschläge auf Polizisten…? Heute mag das nicht mehr so ganz erstaunlich-entsetzlich wirken, doch damals waren die NSU-Morde noch nicht den Terroristen zugeordnet.“

Auch die „Augsburger Allgemeine“ überschrieb ihren Text über die Ernennung Mannichls zum obersten Grenzschützer Bayerns mit einer großen Nacherzählung: Wie der Chef der Grenzpolizei Opfer eines Verbrechens wurde.

Dubios trifft es allerdings auch

Der Fall Mannichl gehört allerdings zur Kategorie der Fälle, die sich doch etwas anders zugetragen hatten als ursprünglich berichtet. Wer ihn sehr nüchtern beschreiben will, kann ihn seltsam nennen. Dubios trifft es allerdings auch.

Das Küchenmesser, mit dem Mannichl Verletzungen zugefügt worden waren, stammte aus dem Haushalt der Familie Mannichl. Die Polizei entdeckte damals an dem Messer nur Anhaftungen von Familienmitgliedern und keinerlei fremde DNA. Es fand sich auch kein Zeuge, der den Angreifer gesehen haben wollte, obwohl sich die angebliche Tat in einer Einfamilienhaus-Siedlung in Fürstenzell zugetragen hatte, und das nicht am frühen Morgen oder nachts, sondern um halb sechs Uhr abends. Eine Fahndung nach dem von Mannichl als großem Mann mit Glatze beschriebenen Täter blieb erfolglos.

Damit endet die Kette der Merkwürdigkeiten noch lange nicht. Mannichl hatte berichtet, mit dem Täter gerangelt zu haben. Zur Polizeiroutine gehört es zumal bei einem angeblichen Attentat, die Spuren an den Händen und unter den Fingernägeln des Opfers zu sichern. Das passierte nicht. Apropos Polizeiroutine: geführt wurden die Ermittlungen damals zunächst von Beamten aus Mannichls eigener Dienststelle. Eine besondere Rolle in dem Fall spielte das Tatmesser: wie bekam es der Täter eigentlich in die Hand, obwohl der das Haus der Mannichls nicht betreten hatte?

Um sich greifende postfaktische Erzählungen

Der Polizei erzählte er, er habe das Messer – ein Brotmesser – draußen benutzt, auf die Fensterbank neben den Hauseingang gelegt und dort vergessen. Bis eben der Attentäter, der offenbar keine Waffe dabei hatte oder seine eigene schonen wollte, an dem Dezemberabend bei dem Polizisten klingelte und das Tatwerkzeug in praktischer Nähe vorfand. Altgediente Kollegen Mannichls ließen damals ziemlich offen durchblicken, dass sie ihrem Kollegen kein Wort glaubten. Fest stand am Ende der dreijährigen Ermittlungen nur: Alois Mannichl hatte Stichverletzungen durch ein Brotmesser aus seinem Haushalt erlitten. Außer seinen eigenen Angaben gab es nie irgendeinen Beleg dafür, dass sich auf ihn ein rechtsextremer Anschlag ereignet hatte.

Die „Augsburger Allgemeine“ deutet in ihrem Text immerhin noch an, es habe damals viele offene Fragen und den „bösen Verdacht“ einer innerfamiliären Tat oder der Rache einer Geliebten gegeben. Der „Tagesspiegel“ berichtet dagegen, als sei die Tat bestens dokumentiert, lässt alle Details des Falls weg und schafft es auch noch, das vermeintliche politische Attentat rhetorisch irgendwie mit dem NSU zu verknüpfen.

Vor kurzem erschien in dem Berliner Blatt einer der inflationären Klagetexte über um sich greifendend postfaktischen Erzählungen. Die Autorin unterschied darin zwischen den Kategorien „Fake News“ und „Bullshit“.

Wie der „Tagesspiegel“ zeigt, lässt sich das eine mit dem anderen mühelos verbinden.

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Erhard Willig / 03.07.2018

“doch damals waren die NSU-Morde noch nicht den Terroristen zugeordnet.” Ja zugeordnet werden sie den Uwes,auch wenn am Tatort auch keine DNA der Uwes gefunden wurd sondern nur von Polizisten-auch von solchen die gar keinen Dienst hatten… Übrigens wurde vo den Naziterroristen an keinen einzigen Tatort DNA gefunden,auch nicht auf den 20 Waffen,auch keine Fingerabdrücke. Und fällt ihnen bei 20 Waffen noch was auf?Der Polizistenmord wurde so begründet das die Nazis Waffen brauchten… Wenn sie mutig sind forschen sie mal nach…sie wären dann wohl der erste der Mutig genug ist.Die ganzen Dokus und Berichte sind nämlich voller(gewollter?)Fehler. Eine SPD Politikerin schaute ja in die für 120 Jahren gesperrten Akten.Vom NSU steht da wohl nichts drin.

Werner Geiselhart / 03.07.2018

Ich vermute, der glatzköpfige Täter hat das Haus wochenlang beobachtet und auf den Moment gewartet, wo ein passendes Küchenmesser griffbereit abgelegt wurde. Dann schlug er unerbittlich zu. So muss es gewesen sein.

Werner Arning / 03.07.2018

So ein „rechtsradikaler“ Messerangriff passt einfach zu ideal zum Narrativ von der rechten Gefahr, die im Begriff ist, die demokratische Grundordnung unseres Landes gewaltsam zu zerstören, oder dieses zumindest anzustreben. Es passt zu gut zu den Tatorts, die von rechtsradikalen Gruppierungen erzählen, die konspirativ nur darauf warten, zuzuschlagen. Es müssen ja dem Bürger auch mal tatsächliche Fälle präsentiert werden. Nicht, dass diesem sonst Zweifel an dem Vorhandensein einer rechten Gefahr kommen. Irgendein bewaffneter Identitärer wird sich doch auftreiben lassen. Und möglicherweise tut es zur Not auch mal ein rumliegendes Küchenmesser und ein mysteriöser Glatzköpfiger. Könnte ja alles so gewesen sein. Wer weiß. So ein Tagesspiegel jedenfalls verwertet alle ihm zugänglich gemachten Informationen. Nach tadelloser journalistischer Recherche, versteht sich.

Julia Rehkopf / 03.07.2018

Vielen Dank, lieber Herr Wendt für diesen Hinweis! Was auffällt: In den oberen Etagen der Polizei tummeln sich -nun ja -“politische Polizisten”. Ein aktuelles Beispiel: Am 7. Juni vermeldete der Mannheimer Morgen: “Der Wiesbadener Polizeipräsident Stefan Müller (...) erinnert daran, dass nicht nur die mutmaßlichen Täter Flüchtlinge sein: „Auch wenn ein irakischer Staatsangehöriger dringend tatverdächtig ist, muss gesagt werden, dass ein 13-jähriger Geflüchteter durch seine Aussage entscheidend dazu beigetragen hat, dieses Verbrechen aufzuklären.“” Heute, 3. Juli, können wir in der Welt lesen, dass besagter “13-jährige Geflüchtete” wohl eher 14 Jahre alt sei, und dass gegen diesen Anklage erhoben wurde wegen des Verdachts auf mehrfacher gemeinschaftlicher Vergewaltigung eines 11jährigen Kindes im März und Mai diesen Jahres, gemeinsam mit Ali B. - dem mutmaßlichen Mörder von Susanna F. Die vom PolPr. so lobend erwähnte “entscheidend beitragende” Zeugenaussage entstand damals wohl bei einer Einvernahme zum Vergewaltigungsvorwurf. Das würde auch erklären warum der afghanische “Zeuge” erst viele Tage nach der Tat und nach der Abreise Ali B.s und dessen Familie seine Aussage machte. Die Erhebung des “Zeugen” und mutmaßlichen Vergewaltigers zum Kronzeugen durch den Polizeipräsidenten erscheint so gesehen in einem reichlich fragwürdigen -um nicht zu sagen öffentlichkeitstäuschenden- Licht!

U. Unger / 03.07.2018

Schade Herr Wendt, dass Sie die naheliegendste Ursache einer dubiosen Ursache, bekannte psychiatrische Erkrankungen nicht erwähnen. Dies (irgendwas aus dem Bereich Pseudologie) als polizeilich bestens bekannte Ursache, dürfte bei so unklarer Beweislage immer mit ermittelt werden . So gesehen ist der Herr Mannichl eine höchst bemerkenswerte Berufung. Ich rate mal ins Blaue, Mitglied der CSU?

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